Irmfried Eberl
Irmfried Eberl (1930er Jahre)

Irmfried Eberl (* 8. September 1910 in Bregenz, Vorarlberg; † 16. Februar 1948 in Ulm) war ein deutsch-österreichischer Arzt und von 1940 bis 1942 medizinischer Leiter der Tötungsanstalten Brandenburg und Bernburg im Rahmen der Aktion T4 und anschließend im Sommer 1942 erster Leiter des Vernichtungslagers Treblinka im Rahmen der Aktion Reinhardt.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gedenktafel, Tiergartenstraße 4, in Berlin-Tiergarten

Kindheit in Bregenz und Studium in Innsbruck[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Irmfried Eberl wurde als zweites von drei Kindern in Bregenz geboren. Eberls Eltern, der Ingenieur Franz Eberl und Theresia Eberl, waren aufgrund ihrer deutschnationalen Gesinnung vom Katholizismus zur Evangelischen Kirche konvertiert, da ihnen die katholische Kirche zu „romhörig“ erschien. Die nationalsozialistische Einstellung seines Vaters führte zu dessen Entlassung als Gewerbeinspektor für Vorarlberg aus dem österreichischen Staatsdienst. Irmfrieds ältester Bruder, Harald Eberl, war Mitbegründer der schlagenden Mittelschulverbindung "Nibelungia" in Bregenz.[1]

Von 1928 an studierte Eberl Medizin an der Universität Innsbruck. Zum 8. Dezember 1931 trat er der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 687.095).[2] Ebenso war er Mitglied der schlagenden Burschenschaft Germania Innsbruck, die zum „Weißen Kreis“ zählte.

Arzt in Österreich und Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Februar 1935 promovierte er zum Dr. med. und arbeitete in der Krankenanstalt Rudolf-Stiftung in Wien und an der Lungenheilstätte Grimmenstein als Assistenzarzt. Seine NSDAP-Mitgliedschaft verhinderte eine unbefristete Beschäftigung in Österreich, so dass er 1936 nach Deutschland ging.[3] In seinem Lebenslauf vom 4. November 1934 berichtete er über seine Studienzeit in Innsbruck:

„Vom Sommersemester 1932 bis zur Auflösung der Deutschen Studentenschaft Innsbrucks im Mai 1933 war ich Leiter des Amtes für Leibesübungen im Auftrage des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB). Im Jänner 1933 wurde ich bei der Asta-Wahl als Vertreter des NSDStB in die Innsbrucker Studentenkammer gewählt. Außerdem gehörte ich dem Motorsturm I und anschließend dem SA-Sturm 14 an. Aus diesem Grunde wurde mir von der österreichischen Regierung die Einstellung als Arzt … verweigert.“[4]

Nach kurzen Anstellungen am Deutschen Hygiene-Institut in Dresden, im Amt für Volkswohlfahrt im Gau Magdeburg-Anhalt in Dessau, in der Lungenheilstätte Sanatorium Birkenhaag in Berlin-Lichtenrade und am Rettungsamt der Stadt Berlin wechselte Eberl als wissenschaftliches Mitglied an das Hauptgesundheitsamt in Berlin, wo er eine längere Beschäftigung fand.[3]

Nach der Trennung von seiner langjährigen Partnerin und Verlobten Emmy Begus heiratete er am 23. Juni 1937 in Bregenz[5] in erster Ehe Ruth Rehm (1907–1944) aus Ulm, die als Abteilungsleiterin im Frauenamt der Deutschen Arbeitsfront (DAF) und als Gaufrauenwalterin der DAF-Auslandsorganisation der NSDAP tätig war.[6]

Leiter in den Tötungsanstalten Brandenburg und Bernburg[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Jänner 1940 nahm er mit anderen T4-Ärzten an der ersten „Probevergasung“ von Kranken in der Heilanstalt Brandenburg teil.[7] Am 1. Februar 1940 bekam Eberl eine offizielle Anstellung bei der „Gemeinnützigen Stiftung für Anstaltspflege“ (einer Tarngesellschaft der T4-Organisation) und trat seinen Dienst als Leiter der NS-Tötungsanstalt Brandenburg an. Dort nahm er, soweit anwesend, sämtliche Vergasungen eigenhändig vor. Sein erhaltener Taschenkalender zeigt, dass er am 10. Juli zum ersten Mal jüdische Kranke vergaste.

Im November 1940 übernahm er nach Auflösung der Anstalt Brandenburg im Oktober 1940 als Leiter die neu errichtete NS-Tötungsanstalt Bernburg und wechselte mit dem Personal der Brandenburger Anstalt dorthin.[3][8][9][10] Hier verfasste Eberl für die „Euthanasie“-Ärzte ein Kompendium mit 61 Mustergutachten von möglichst glaubhaften natürlichen Todesursachen.[11]

Kommandant im Vernichtungslager Treblinka[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Rahmen der „Organisation Todt“ wurde Eberl im Jänner 1942 als Lazarettarzt in Minsk an der Ostfront für die Versorgung und den Transport von Verwundeten in rückwärtige Lazarette eingesetzt.[12]

Im Anschluss an diesen Einsatz arbeitete er für die Aktion Reinhardt. Wie er in einem Brief mitteilte, hielt er sich am 24. April 1942 im fertiggestellten, aber noch nicht eröffneten Vernichtungslager Sobibor auf, offenbar um als für Treblinka vorgesehener Lagerleiter an der zur selben Zeit stattfindenden „Probevergasung“ teilzunehmen. Spätestens seit Juni 1942 hielt er sich beim SS- und Polizeiführer in Warschau auf, um sich um die Materialanforderungen für das neue Vernichtungslager Treblinka zu kümmern.[13] Ende des Monats schrieb er an seine Frau:

„Die letzten Tage waren eine tolle Hetzjagd, umsomehr als sich die Aufbauarbeiten dem Ende nähern und wir den Termin, 1.7. nicht halten können, aber nur so wenig als möglich überschreiten wollen. […] Im Laufe dieser Woche werde ich dann endgültig nach T. übersiedeln. Meine dortige Anschrift ist: SS-Untersturmführer Dr. Eberl, Treblinka b/Malkinia, SS-Sonderkommando.“[14]

Am 22. Juli 1942 begann die Liquidierung des Warschauer Ghettos. Am folgenden Tag trafen die ersten jüdischen Opfer aus Warschau in Treblinka ein. Eine Woche später schrieb Eberl seiner Frau:

„Daß ich in der letzten Zeit etwas wenig geschrieben habe weiß ich, konnte dies aber nicht ändern, da die letzten Warschauer Wochen von einer Hetze begleitet waren, die unvorstellbar war, ebenso hat hier in Treblinka ein Tempo eingesetzt, das geradezu atemberaubend ist. Wenn ich vier Teile hätte und der Tag 100 Stunden, dann würde das wahrscheinlich auch noch nicht ganz reichen.“

– Irmfried Eberl: Brief vom 30. Juli 1942 an seine Frau Ruth[15]

Ende August 1942 kam es in Treblinka zu einem Zusammenbruch der Tötungsmaschinerie. Tausende von Leichen lagen im ganzen Lagerbereich umher, das Lagerpersonal kam mit dem Verscharren in Massengräbern nicht mehr hinterher. Seine herbeigeeilten Vorgesetzten Odilo Globocnik (beauftragt mit der Durchführung der Aktion Reinhardt im Generalgouvernement) und Christian Wirth (Inspekteur der Vernichtungslager) machten Eberl für die im Lager herrschenden Zustände verantwortlich. Eine Dienst-Suspension folgte, seinen Posten übernahm der aus Sobibor herbeigerufene Lagerleiter Franz Stangl.[16][17]

Eberl hatte danach wieder in Bernburg Diensteinsätze.[3] Unbekannt ist seine Tätigkeit nach Auflösung dieser Anstalt Ende Juli 1943. Die Einberufung zur Wehrmacht erfolgte zum 31. Jänner 1944, er wurde beim Grenadier-Ersatz- und Ausbildungsbataillon 203 in Berlin-Spandau ausgebildet.[18] Dokumentarisch belegt ist eine Genehmigung vom 1. Juni 1944 der Volksdeutschen Mittelstelle zum Erwerb von Devisen und eine Dienstreise im Auftrag der Reichsregierung in die Slowakei im Juli 1944.

Seine erste Frau Ruth starb am 30. Juli 1944 in Marienbad. Im Jänner 1945 rückte Eberl als Arzt zum Panzergrenadier-Lehrregiment 902 in Luxemburg ein und geriet nach drei Monaten in amerikanische Gefangenschaft. Im Kriegsgefangenenlager Dietersheim (Bingen am Rhein) versah er Dienst in der Tuberkulose-Abteilung.[19]

Nach 1945[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 6. Juli 1945 wurde Eberl aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Danach ließ sich der mittellose Eberl als Arzt im schwäbischen Blaubeuren bei seinen Schwiegereltern nieder, wo er zunächst ungestört praktizieren konnte und im Oktober 1946 zum zweiten Mal heiratete. Seine zweite Frau Gerda Friederike Eberl, geb. Poppendieck, gebar am 12. Mai 1947 einen Sohn, Immo Eberl.[20][21] Im Sommer 1947 wurde die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart von den amerikanischen Militärbehörden auf einen in Blaubeuren niedergelassenen Arzt mit dem Namen des ehemaligen Leiters der „Euthanasie“-Anstalt Bernburg aufmerksam gemacht. Eine Vernehmung Eberls durch amerikanische und deutsche Dienststellen brachte keine Aufklärung. Nach Kontaktaufnahme mit der Staatsanwaltschaft im sowjetisch besetzten Bernburg bat diese am 30. Dezember 1947 um die Verhaftung von Eberl. Er kam am 8. Jänner 1948 in Untersuchungshaft für die amerikanische Militärregierung. Eine Klärung seiner Identität war jedoch nicht möglich.[22]

Am 17. Jänner 1948 wurde Eberl von der ehemaligen Bernburger Krankenschwester Erna Schwarz auf einem vorgelegten Fahndungsfoto identifiziert.[23] Auch eine früher in der „Euthanasie“-Anstalt Grafeneck tätige Schwester erkannte bei einer Vernehmung durch das Landeskriminalpolizeiamt Tübingen am 9. Februar 1948 Eberl auf einer ihr vorgelegten Fotografie wieder.

Als Eberl am 15. Februar 1948 von einem Mitgefangenen auf das 1946 erschienene Buch „Der SS-Staat“ von Eugen Kogon und den darin erwähnten gleichnamigen Arzt angesprochen wurde, entschloss er sich wohl zum Suizid, den er am nächsten Tag, dem 16. Februar 1948, durch Erhängen in seiner Gefängniszelle in Ulm ausführte. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Ermittlungsbehörden immer noch keine Kenntnis von der wahren Identität des toten Untersuchungsgefangenen.[24]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Helge Dvorak: Biografisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Band I Politiker, Teilband 1: A–E. Heidelberg 1996, S. 230 f.
  • Michael Grabher: Irmfried Eberl. „Euthanasie“-Arzt und Kommandant von Treblinka. Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-631-54855-9.
  • Frank Hirschinger: Zur Ausmerzung freigegeben. Böhlau, Köln 2001, S. 144 (online; zum sog. Osteinsatz, der Liquidierung deutscher Soldaten).
  • Ute Hofmann: „Todesursache: Angina“ Zwangssterilisation und „Euthanasie“ in der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Bernburg, Magdeburg 1996
  • Ute Hofmann, Dietmar Schulze: „… wird heute in eine andere Anstalt verlegt“. Nationalsozialistische Zwangssterilisation und „Euthanasie“ in der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Bernburg. Dessau 1997; stgs.sachsen-anhalt.de (PDF; 1,1 MB)
  • Ernst Klee: „Was sie taten – Was sie wurden“. Frankfurt am Main 1986, ISBN 3-596-24364-5.
  • Dietmar Schulze: „Euthanasie“ in Bernburg. Die Landes-Heil- und Pflegeanstalt Bernburg/Anhaltische Nervenklinik in der Zeit des Nationalsozialismus. Verlag Die Blaue Eule, Essen 1999, ISBN 3-89206-954-9 (Kurzbiographie Irmfried Eberls, S. 155–157)

Dokumentationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Irmfried Eberl â€“ Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. ↑ Michael Grabher: Irmfried Eberl "Euthanasie"-Arzt und Kommandant von Treblinka. Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften, 2006, ISBN 978-3-631-55434-0.
  2. ↑ Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/7161210
  3. ↑ a b c d Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-596-16048-0, S. 123 f.
  4. ↑ Verfahren der Staatsanwaltschaft Ulm gegen Eberl, Az.: 4 Js 9849/47, Akte Eberl II/611
  5. ↑ Michael Grabher: Irmfried Eberl "Euthanasie"-Arzt und Kommandant von Treblinka. Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften, 2006, ISBN 978-3-631-55434-0.
  6. ↑ Patricia Heberer: Eine Kontinuität der Tötungsoperationen. T4-Täter und die „Aktion Reinhard“ [sic]. In: Bogdan Musial (Hrsg.): „Aktion Reinhardt“ – Der Völkermord an den Juden im Generalgouvernement 1940–1944. Osnabrück 2004, S. 298.
  7. ↑ Astrid Ley: Der Beginn des NS-Krankenmords in Brandenburg an der Havel. Zur Bedeutung der „Brandenburger Probetötung“ für die 'Aktion T4'. In: Zeitschrift für Geschichtsforschung, 58, 2010, S. 326 f.
  8. ↑ Eugen Kogon: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager. Kindler, München 1974, ISBN 3-463-00585-9, S. 256.
  9. ↑ Täterbiographien: Imfried Eberl und Heinrich Bunke (Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive) beim Onlineauftritt Landesinstitut Lehrerfortbildung Sachsen-Anhalt
  10. ↑ Onlineauftritt deathcamps.org NS-Tötungsanstalt Bernburg
  11. ↑ Michael Grabher: Irmfried Eberl "Euthanasie"-Arzt und Kommandant von Treblinka. Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften, 2006, ISBN 978-3-631-55434-0.
  12. ↑ über die wirklichen Aufgaben der T4-Mitarbeiter im angeblich humanen Osteinsatz der Organisation Todt siehe die Erläuterungen bei Pauline Kneissler sowie Literatur Frank Hirschinger: Zur Ausmerzung freigegeben
  13. ↑ Holocaust Historical Society über Dr. Irmfried Eberl. Abgerufen am 13. November 2019 (englisch).
  14. ↑ Eberl an seine Frau, 29.6.1942, Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abteilung 631a, Nr. 1631, Blatt 147.
  15. ↑ Die Quellen sprechen. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945. Abgerufen am 1. Oktober 2019.
  16. ↑ Aussage von Josef Oberhauser (1915–1979) zur Ablösung von Irmfried Eberl als Lagerleiter von Treblinka, Sobibor-Prozess, Landgericht Frankfurt am Main 1975, Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 461, Nr. 41128. Abgerufen am 1. Oktober 2019.
  17. ↑ Kriegsverbrechen / KZ-Kommandant Stangl. In: Der Spiegel. Nr. 28, 1967 (online).
  18. ↑ Michael Grabher: Irmfried Eberl "Euthanasie"-Arzt und Kommandant von Treblinka. Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften, 2006, ISBN 978-3-631-55434-0.
  19. ↑ Michael Grabher: Irmfried Eberl "Euthanasie"-Arzt und Kommandant von Treblinka. Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften, 2006, ISBN 978-3-631-55434-0.
  20. ↑ Michael Grabher: Irmfried Eberl "Euthanasie"-Arzt und Kommandant von Treblinka. Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften, 2006, ISBN 978-3-631-55434-0.
  21. ↑ Immo Bernhard Eberl: https://www.hochschule-heiligenkreuz.at/lehrende/prof-dr-immo-eberl/. Abgerufen am 11. Juli 2022.
  22. ↑ Rainer Thiemann: Wissenschaft als Verbrechen. In: Berliner Behinderten Zeitung. Abgerufen am 1. Oktober 2019.
  23. ↑ Markus Schrott: Der Vernichter. In: Echo. Nr. 01/2006. Echo Zeitschriften & Verlags GmbH, Innsbruck Januar 2006, S. 49.
  24. ↑ Hannes Liebrandt: Das Recht mich zu richten, das spreche ich ihnen ab! Der Selbstmord der nationalsozialistischen Elite 1944/45. Verlag Ferdinand Schöningh 2017, ISBN 978-3-506-78696-8, S. 272 ff.