

Mit Unterstützung des „Kongreß für die Freiheit der Kultur“ erschien vor kurzem im Verlag Plon, Paris, eine Dokumentensammlung über die Hinrichtung Imre Nagys („La Vérité sur l’Affaire Nagy“). Das Vorwort, das der Nobelpreisträger Albert Camus dem Buch mitgab, hat gute Aussicht, ein klassisches Zeugnis für (...)

Schändung der Sowjetunion
Unser Gewissen drängt uns, die unterzeichneten österreichischen Kommunisten, in aller Klarheit zum Moskauer Abkommen und der sogenannten „neuen Realität“ in der ČSSR Stellung zu nehmen. In Moskau wurde kein Vertrag zwischen gleichen Partnern abgeschlossen. Es war ein Diktat, eine Erpressung an den (...)

I. Eindruck: Russenhass Als ich in Prag ankam, feierte man gerade Lenins Geburtstag mit je einer tschechoslowakischen und sowjetischen Fahne auf den Laternenpfählen der Leninstraße. Außer auf Laternenpfählen sind die beiden Nationen heute in jeglicher Hinsicht getrennt. Mit der gleichen (...)

Reforme et contre-reforme dans le pouvoir bureaucratique

Gewissen contra Parteilinie
3. August 1969 An die Zentrale Schiedskommission der KPÖ Werte Genossen, in Eurem Schreiben vom 15. Juli ist von „Normen“ der Partei die Rede; ich werde gefragt, wie ich mich „in Hinkunft zur Einhaltung der Statuten und Beschlüsse unserer Partei“ stelle. Zunächst also: Zum Kommunisten wird man (...)

Erst Demokratie, dann Wirtschaftsreform
Man meint oft, das System der Arbeiterselbstverwaltung sei eine speziell jugoslawische Entdeckung. Gehört sie nicht eher allgemein zum Begriff des Sozialismus? Die Selbstverwaltung der Produzenten ist jedenfalls eines der wichtigsten Probleme des Sozialismus. Selbstverwaltung steht im Gegensatz (...)

Sowjetdemokratisches Manifest
M. A. Sacharow, Physiker, Mitglied der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften, einer der Väter der sowjetischen H-Bombe, schrieb 1968 einen Text, der in der Sowjetunion von Hand zu Hand zirkulierte und im Westen veröffentlicht wurde („Wie ich mir die Zukunft vorstelle. Gedanken über Fortschritt, (...)

In Kuba wird heuer ein Fest stattfinden, wie es die Insel noch nie erlebt hat. Um den 15. Juli wird man das letzte Zuckerrohr schneiden, das für die Herstellung von 10 Millionen Tonnen Zucker notwendig ist. Auf der Trocha von Santiago, auf der Rampa von Havanna wird man Tag und Nacht nach dem (...)

Als seinerzeit die im Prager Frühling eingesetzten Arbeiterräte von der neuen tschechoslowakischen Regierung wieder abgeschafft wurden, gab es bedauernd-empörte Kommentare in der gleichen Presse, die im eigenen Land sogar eine geringfügige Erweiterung des Betriebsrätegesetzes als ersten Schritt zum (...)

Von Februar bis April dieses Jahres wurden zahlreiche private und halbstaatliche Industriebetriebe in der DDR in Volkseigentum übergeführt. Um diese Maßnahmen in ihrem Zusammenhang mit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung der DDR sehen und einordnen zu können, muß der Aufbau der (...)

Sowjetunion: bürgerlicher Staat ohne Bourgeoisie
Was sind Übergangsgesellschaften, welche Entwicklungslinien lassen sich nachzeichnen, von welchen Widersprüchen werden sie.geformt und was sind ihre Perspektiven? Die Frage nach dem Charakter der Übergangsgesellschaften: Gesellschaftsformationen auf dem Weg zum Sozialismus sind theoretisch und (...)

Mit der Außerdienststellung der acht Belgrader Professoren im Jänner 1975 hat die Verfolgung des Praxis-Kreises einen neuen Höhepunkt erreicht — wenn auch, wie man befürchten muß, keinen Endpunkt. Das NEUE FORVM war seit jeher mit der Praxis verbunden: die Professoren Rudi Supek/Zagreb und Mihailo (...)

Gefährlicher Sozialismus
Auszüge aus der Ansprache des bekannten jugoslawischen Schriftstellers Dobrica Cosić (Partisanenroman „Fern ist die Sonne“) auf dem Symposium der Serbischen Philosophischen Gesellschaft in Divčibara am 9. Februar 1974, veröffentlicht in der philosophischen Zeitschrift Praxis (Nummer 3-5/Mai-Oktober (...)

Konsum frißt Arbeiter
Der „reale Sozialismus“ in Osteuropa hat viel mit dem realen Kapitalismus des Westens gemein: Akkord, Leistungsstreben, Statusdenken, Nebenarbeit, Schrebergärtnerei, Fernsehabschlaffung. Die jüngeren Soziologen der Budapester Schule gehen in die Fabrik und entdecken dort diese Übereinstimmung, die (...)

Nach seiner Beteiligung an den „ungarischen Ereignissen“ des Jahres 1956 auf der Seite der Regierung Nagy blühte Georg Lukács nur mehr im Verborgenen. 11 Jahre später wieder in die Partei aufgenommen, behielt er seine orthodoxmarxistische Position zwischen Stalinismus und Westlertum bei, bis zu (...)

Militär geht im Kreis Afghanistan ist ein Staat von 650.000 Quadratkilometern und mehr als 20 Millionen Einwohnern. Auf einen Quadratkilometer kommen also im Durchschnitt 31 Personen (in Österreich 90, in der BRD 247). Staatsreligion ist der sunnitische Islam (im Gegensatz zum schiitischen (...)

„Marihijaha hilf!“ Gepfercht in den engen Korridor hinterm Portal Nr.2 der Leninwerft in Danzig, umweht von stickigem Atem und religiöser Inbrunst, nach einer Stunde Messe und einer Dreiviertelstunde Marienlitanei, ich wollte durch, aber das Tor war zu, und da geschah’s, die Arbeiter hatten sich im (...)

Ausgelöst wurden die polnischen Streiks durch eine vergleichsweise geringfügige Preiserhöhung bei Fleisch: 2 Prozent per 1. Juli 1980. Hinzu kamen auch Normenerhöhungen in einigen Betrieben und Versorgungsengpässe in der betrieblichen Nahrungsmittelverteilung. Das war aber nur der Tropfen, der das (...)

Auch in der Sowjetunion wird gestreikt. Die Versorgung ist dort noch schlechter als in Polen, nur ist die Information geringer. Heuer im Mai gab’s Streiks in Minsk sowie in den Autofabriken von Gorki und Togliattigrad. An letzterem Streik nahm eine Gruppe der freien Gewerkschaft „Smot“ teil (= (...)

Die üblichen Ingredienzien einer slawischen Tragödie brauen sich in und um Polen zusammen: hinhaltender Widerstand der Partei, die nichts gewähren will; funktionslos im leeren Raum schwebende freie Gewerkschaften; Reformunfähigkeit vor der Wirtschaftskatastrophe, was zur Erosion der Macht führt; (...)

Sozialismus als radikale Kritik am Staat
REMOTA IGITVR JVSTITIA QVID SUNT REGNA NISI MAGNA LATROCINIA Augustinus De civitate Dei IV/4 1) Spricht man über Sozialismus als radikale Kritik am Staat, kann man das Thema nur radikal verfehlen. Der traditionelle Sozialismus ist keine radikale Kritik am Staat. Der traditionelle Sozialismus (...)

a) Marxismus-Leninismus • b) offene Gesellschaft c) Nationalsozialismus • d) Kalter Krieg a) Marxismus — Leninismus In der Alternative von mechanistisch-utilitaristischer und romantisch-illusionärer Selbstbestimmung ist das Leben entfremdet. Dies wurde namentlich von den idealiistischen (...)

Orwells Jahr 1984 beschert Albanien, dem ersten deklariert atheistischen Staat der Welt, einem Land, in dem Nietzsches „Neuer Mensch“ mithilfe streng stalinscher Methoden hätte blutvolle Realität werden sollen, einen kleinen Hoffnungsschimmer humane Schwäche: der zitternd verehrte Parteichef Enver (...)

Sozialistische Volksrepublik Albanien
Präambel Das albanische Volk hat gefunden und findet eine immerwährende Erleuchtung in der großen Doktrin des Marxismus-Leninismus, unter deren Banner es, geschart um die Partei der Arbeit und unter ihrer Führung, den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft vorantreibt, um hernach schrittweise in (...)

Orwell or not well

Polen — ein Volk ohne Chance?
Freunde von mir organisierten eine private Polenhilfsaktion. Ich war eher lustlos und am Rande dabei. Bei aller Sympathie für Menschen, die sich gegen die Obrigkeit wehren, fand ich die Berichterstattung doch etwas aufgebauscht und überzogen und außerdem war (und bin) ich der Meinung, daß es auf (...)

Galoppierender Kapitalismus
Gescheitert ist der Osten letztlich an seiner Unfähigkeit, mit dem Weltmarkt konkurrieren zu können. Statt einem wirtschaftlichen Aufbruch steht allerdings ein Desaster ins Haus. Das entscheidende Manko des real existierenden (Non-)Sozialismus in Osteuropa war sein Unvermögen, mit dem Westen (...)

Im Osten ist ein System zusammengebrochen, dessen ökonomische und politische Prämissen gänzlich falsch waren. Was ist da eigentlich schiefgelaufen? Wie nun wurde dies in die Praxis umgesetzt? Bekanntlich erreichte in der sozialistischen Bewegung nach langandauernden Diskussionen im 19. (...)

So geduldig wie heute sind wir in Polen noch nie gewesen. Dies gilt jedenfalls für die aktuelle Situation im Sommer 1990. Wer weiß, wie lange das hält? Die letzten neun Monate, unter einer demokratischen Regierung, jedenfalls sind wir immer schön brav geblieben ... Was ist da eigentlich geschehen, (...)

Um das Volk vor sich selbst und anderen zu schützen, war den Mitarbeitern der Stasi nichts zu aufwendig, nichts zu schwierig und nichts zu dumm. Mit deutscher Gründlichkeit hielten sie ein Volk in Schach. Methoden und Ergebnisse dieser Arbeit sind bis auf weiteres in der „Heldenstadt“ Leipzig zu (...)

Des Denkers Flucht
Über Nacht hat der Umsturz im Osten die latente Affinität der westlichen Intellektualität zu real existierendem Sozialismus zerbrochen. In einem wundersamen Augenblick passierte die vorbehaltlose Aufgabe sämtlicher moralischer Relativierungen zugunsten einer völligen Verdammung der kommunistischen (...)

Über Nationalismus und Staatsgründungen
Eine Erscheinung beunruhigt die Gemüter, die angeblich als „überwunden“ galt, geistesgeschichtlich im vorigen Jahrhundert und politisch bei Extremisten und Querulanten angesiedelt wurde: „Nationalismus“ macht sich breit in Europa, wird mit Lichterketten und frommen Wünschen bzw. ernsten Warnungen (...)

Der vergessene Archipel
Wie sein sowjetisches Gegenstück ist der chinesische Gulag ein immenser und ungleichförmiger politischer Raum, dicht bevölkert, in die Wirtschaft eingebunden, im Sozialgefüge verankert und dabei straff organisiert. Er gemahnt an eine isolierte Inselwelt, die den Winden und Strömungen der (...)

Demokratische Revolution oder Restauration?
Man muß sich auf die inneren Ursachen des Zusammenbruchs des „realen Sozialismus“ konzentrieren. Wo liegen sie? Die Anhänger der Theorie des „Kollapses“ bestehen vor allem auf der wirtschaftlichen Dimension dieses angeblichen Kollapses. Um die Gültigkeit dieser These zu überprüfen, werfen wir einen (...)

Die Dummköpfe nennen ihn dumm, und die Schmutzigen nennen ihn schmutzig. (Bertolt Brecht, Lob des Kommunismus) Was jetzt kommt, ist natürlich keine wissenschaftliche Auseinandersetzung. Wissenschaftliche Kritik und Debatte verdienen nur wissenschaftlich Bemühte. Es ist eine polemische Attacke, (...)

„Wenn es die Sowjetunion nicht gegeben hätte, die Vereinigten Staaten hätten sie erfinden müssen“ — schrieb Günther Anders 1980 (Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 2, S. 18) und war wieder einmal insofern seiner Zeit voraus, als er die Existenz der Sowjetunion in die Vergangenheit setzte. (...)

Stell dir vor es ist Sozialismus und keiner geht weg
Dreiteilige Sendereihe mit Augenzeugenberichten über Vorgeschichte und Folgen der Öffnung der Mauer am 9.11.1989.

Stell dir vor es ist Sozialismus und keiner geht weg
Dreiteilige Sendereihe mit Augenzeugenberichten über Vorgeschichte und Folgen der Öffnung der Mauer am 9.11.1989.

Stell dir vor es ist Sozialismus und keiner geht weg
Dreiteilige Sendereihe mit Augenzeugenberichten über Vorgeschichte und Folgen der Öffnung der Mauer am 9.11.1989.

1. „Stalinismus“ war lange Zeit ein Schlagwort im Kalten Krieg der bürgerlichen Ideologen mit dem autoritären Staatssozialismus, welches dem Antikommunismus einen moralischen Anstrich verlieh. In den postnazistischen Gesellschaften Österreich und Deutschland war der Hass auf den Stalinismus auch (...)

Gleicher Arbeitszwang für alle Mitglieder der Gesellschaft bis zur vollständigen Aufhebung des Privateigentums. Bildung industrieller Armeen, besonders für die Agrikultur. Friedrich Engels in „Die Grundsätze des Kommunismus“ 1847 (Marx/Engels, Band 1, 1972: S.347f) Zwei Mal wurde in der Geschichte (...)

Von Brillen und Schlangen: Der Diskurs über die Roten Khmer
„Pol Pot crazy“. Den Satz hört jede TouristIn, die es nach Kambodscha verschlägt gleich mehrmals am Tag auch ohne danach zu fragen. „Oral History for Tourists“ könnte man das Projekt nennen, an dem heute scheinbar die ganze kambodschanische Tourismusindustrie hängt: „Taxi? Killing Fields?“ fragen (...)

Ein ganz normaler Kapitalismus
Die symbolische und historische Bedeutung Osteuropas für die Linke steht außer Zweifel. Es war ja Osteuropa, wo das sozialistische Experiment angeblich unternommen worden war. Der Zusammenbruch der Ostblockregime 1989 bedeutete für die meisten Menschen, dass es jenseits des Horizonts eines (...)

Vorbemerkung Der vorliegende Aufsatz ist im Rahmen einer noch nicht abgeschlossenen Dissertation mit dem Arbeitstitel „Eine historisch-kritische Darstellung der Arbeits- und Betriebspsychologie“ entstanden. So setzt dieser Aufsatz zum Teil Inhalte und Begriffe, die im Gesamttext vorher (...)

Wie „real“ ist der „reale Sozialismus“? Kritik der großen Worte Wie verbindet man geschichtswissenschaftliche Forschung zum so genannten real existierenden Sozialismus mit linken Debatten über dessen Charakter – und wozu? Fakt ist, dass beide nicht unbedingt zueinander passen und nicht oft und gern (...)

Der folgende Text basiert auf einem Vortrag für die Konferenz zur jugoslawischen PRAXIS-Philosophie, zu der die Rosa Luxemburg Stiftung in diesem Oktober nach Korcula geladen hatte. Auf dieser Insel vor der kroatischen Küste fanden zwischen 1963 und 1974 die berühmten „Sommerschulen“ der (...)

Münster: Unrast Verlag 2012, 232 Seiten, Euro 14,80 Erst seit relativ kurzer Zeit scheint es wieder opportun zu sein, innerhalb der Linken über den Charakter „des Kommunismus“ im 20. Jahrhundert zu debattieren. Herrschte in den 1990er-Jahre in dieser Hinsicht noch allgemeines Schweigen, so zwang (...)

Diese Schrift gibt erstnals eine Art Definition, was der Histomat ist und leistet, und beruft sich dabei natürlich auf die Klassiker. Aber diese Theorie, oder Weltanschuung tritt hier erstmals unter der Bezeichnung „Historischer Materialismus“ auf. Gesellschafts- und Naturwissenschaften – warum (...)

mit G. M. Tamás 3. Mai 2016, 19 Uhr Institut für Wissenschaft und Kunst Berggasse 17, 1090 Wien G.M. Tamás liefert für das traditionelle westlich-marxistische Verständnis neue Ansätze und bereichert die Diskussion nicht nur im Hinblick auf die Geschichte des »real existierenden Sozialismus« und (...)

Die Begriffe Realsozialismus, realer Sozialismus oder real existierender Sozialismus wurden ausgehend von der Deutschen Demokratischen Republik ab den 1970er Jahren als Fremd- und Selbstbezeichnung verschiedener Gesellschaftssysteme in Europa, Asien und auf Kuba eingeführt und verwendet. Gemeinsam war ihnen die Vorherrschaft einer kommunistischen Partei bzw. sozialistischen Partei und das Selbstverständnis als sozialistische Gesellschaftsordnung zumeist im Einflussbereich der Sowjetunion.[1]
Die Staatsform vieler Staaten des real existierenden Sozialismus war „Volksrepublik“ bzw. „Volksdemokratie“; das politische System war durch eine autokratische Ein-Parteien-Herrschaft gekennzeichnet, das Wirtschaftssystem durch Zentralverwaltungswirtschaft oder deutliche planwirtschaftliche Elemente.
Begriffsbildung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Der Begriff „real existierender Sozialismus“ wurde von Erich Honecker auf der 9. Tagung des ZK der SED im Mai 1973 zum ersten Mal verwendet und tauchte danach immer wieder in offiziellen Verlautbarungen zur Charakterisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR auf.[2] Er bringt zum Ausdruck, dass in den entsprechenden Staaten marxistischer Anspruch und empirische Realität auseinanderfallen. Insbesondere von Anhängern linker Strömungen, die einen demokratischen Sozialismus anstrebten, wurden die Staaten unter sowjetischer Hegemonie wegen mangelnder Demokratie oder der bloßen Verstaatlichung statt einer geforderten „Vergesellschaftung“ der Produktionsmittel kritisiert. Sie sollten mit dem Begriff in die Nähe utopischer Sozialisten gerückt werden.[3][1] Später wurde der Begriff auch außerhalb der realsozialistischen Staatenwelt benutzt, um ebendiese Diskrepanz zu kritisieren.[1] Insbesondere der totalitäre Stalinismus gilt als Synonym für diese Diskrepanz.
Rudolf Bahros Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus erkannte das Vorgehen von Lenin und Stalin beim Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion als richtig an. Er unterstellte aber den realsozialistischen Staaten in einer Art „Protoform“ des theoretischen Modells steckengeblieben zu sein.[4] Laut Manfred Hildermeier wurde der Begriff bereits Ende der 1960er Jahre verwendet, er sei für die sozialistischen Staaten der gesamten Ära Breschnew angemessen. Statt einer chaotischen Diktatur habe man halbwegs geregelte Machtstrukturen eingerichtet. Parallel lief in den westlichen Staaten der Aufstieg der Politologie als Wissenschaft.[5]
Stefan Wolle zufolge seien mit dem Begriff mehrere spezifische Probleme der DDR verbunden. Zunächst sei diese nicht als Nationalstaat begründet gewesen und mangels historischer Basis besonders auf ideologische Kategorien angewiesen gewesen. Der Hinweis auf die „reale Existenz“ sei nur dort sinnvoll, wo dieselbe bestritten werde oder komplett in Frage gestellt sei. Der Begriff passe in ein parteiamtliches Vokabular, welches mehr an pietistische Innerlichkeit als an politischen Diskurs erinnere. Er verrate eine permanente Verteidigungshaltung gegenüber dem Verlust der Utopie wie den eigenen theoretischen Ansprüchen.[6]
Benedikt Sarnov sieht in dem Begriff Realsozialismus nicht einen Euphemismus, sondern eine Form des Neusprech, über die man sich schon früh lustig gemacht habe.[7]
Der Germanist Carsten Gansel stellte verschiedene spezielle Wechselwirkungen des DDR-Realsozialismus auf Literatur wie das kollektive Gedächtnis fest. Der Begriff wurde demnach vor allem genutzt, Ansätze zu Reformen des „realen“ Sozialismus als konterrevolutionär oder utopisch zu brandmarken, insbesondere in Zusammenhang mit dem Prager Frühling.[8]
Kennzeichen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Kennzeichen der Gesellschaftssysteme, die als real existierender Sozialismus beschrieben werden, waren eine zentral gesteuerte Staats- und Wirtschaftsordnung: Dazu gehörten zumeist Zentralverwaltungswirtschaft, Einparteienherrschaft sowie Verstaatlichung bzw. Kollektivierung der Produktionsmittel.[9] Sie wurden nach dem Prinzip des „Demokratischen Zentralismus“ regiert und waren somit Diktaturen, in denen einige Spitzenfunktionäre über die Bevölkerung einschließlich des Proletariats und seiner Partei herrschten. Ihr Selbstverständnis als Diktatur des Proletariats hatte somit keine Entsprechung in der Wirklichkeit.[10] Wenn diese Regime Blockparteien aufwiesen, die der herrschenden kommunistischen Partei unterstellt waren, aber zum Anschein eines politischen Pluralismus beitrugen, spricht man von Volksrepubliken.[11]
Internationales Umfeld[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Eine wesentliche Rolle bei der Diskussion um den Realsozialismus spielte das chinesisch-sowjetische Zerwürfnis, welches von Ende der 1950er bis weit in die 1980er Jahre hin andauerte. In der Zeit dieses Schismas der kommunistischen Bewegungen sprachen beide einander das Recht ab, für den Sozialismus zu sprechen. Der Realsozialismus wurde von Trotzkisten und Rätekommunisten auch als „Staatskapitalismus“ kritisiert. Im Umfeld der K-Gruppen wurden die verschiedenen Zuordnungen zu verschiedenen Sonderwegen, neben der Volksrepublik China auch Albanien, Jugoslawien oder Nordkorea teilweise erbittert diskutiert.[12] Nach dem Ende der Kulturrevolution zogen sich im Ausland Angehörige und Vordenker insbesondere maoistischer Gruppierungen wie Charles Bettelheim enttäuscht zurück.
Sonderrolle Chinas[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
John Kenneth Galbraith hielt den Einfluss des politischen Systems auf die Wirtschaft für begrenzt. Historische relative Unterschiede, wie etwa in Osteuropa, zwischen einzelnen Staaten seien nie durch den Sozialismus auszuräumen gewesen. Das grundsätzliche Scheitern realsozialistischer Systeme in Entwicklungsländern liege insbesondere am Mangel an Planungs- und Verwaltungskapazität in den entsprechenden Ländern, China bestätige als Ausnahme mit jahrtausendelanger Verwaltungshistorie die Regel.[13]
Ein zentraler interner Unterschied war der Umgang mit der Landwirtschaft. In der Sowjetunion wurde die wirtschaftlich erfolgreiche, aber ideologisch unpassende Neue Ökonomische Politik als „Brest-Litowsk gegenüber den Kulaken“ apostrophiert, die Bauern wurden ab Ende der 1920er Jahre brutal kollektiviert.[14]
Im Gegensatz dazu war in China selbst die Mobilisierung der Bauern wie die wirtschaftlich erfolgreiche Versorgung der Armee auf dem Langen Marsch ein wesentliches und prägendes Element der Revolution in China.[14] Die Volksbefreiungsarmee (PLA) war lange nach dem Bürgerkrieg als wirtschaftlicher Akteur – sowohl hinsichtlich Grundbesitz wie auch mit verschiedenen Firmen innerhalb und jenseits des Rüstungsbereiches – erfolgreich und präsent. Die PLA war seit Beginn gezwungen, die Soldaten mit Nahrungsmitteln aus eigener Regie zu versorgen.[15] Die Armee ist für die chinesische Gesellschaft von zentraler Bedeutung, auch wenn Anfang der 1980er Jahre damit begonnen wurde, die zivile Produktion der PLA aus dem Gesamtverband zu lösen.[15][16]
Bestehende realsozialistische Gesellschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Der Realsozialismus in den Staaten des europäischen Ostblocks ist seit 1989 komplett zusammengebrochen. Demgegenüber bestehen realsozialistische Gesellschaften in Lateinamerika und Asien bis in die Gegenwart weiter oder wurden weiterentwickelt. Bekannt wurde unter anderem der Sozialismus chinesischer Prägung unter dem Motto Deng Xiaopings „Es spielt keine Rolle, ob die Katze schwarz oder weiß ist; solange sie Mäuse fängt, ist sie bereits eine gute Katze“. Dort sah man in der „Entfachung der Produktivkräfte“ kein Problem, solange die politische Vorherrschaft der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) zu sichern war. Mit dem ähnlichen Konzept des Đổi mới in Vietnam wurde dort eine erhebliche Ausweitung der wirtschaftlichen Produktion, insbesondere auch von Cash Crops wie Kaffee erzielt. Für die Lösung realsozialistischer Versorgungsprobleme mit Konsumgütern in der DDR kam dies allerdings zu spät.
Bestehende realsozialistische Staaten sind u. a.:
Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Rudolf Bahro: Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus, Tribüne Verlag 1977, Neuauflage: Bund-Verlag 1990.
- Antonio Carlo: Politische und ökonomische Struktur der UdSSR (1917–1975). Diktatur des Proletariats oder bürokratischer Kollektivismus, Wagenbach, Berlin 1972.
- Klaus Steinitz: Das Scheitern des Realsozialismus. Schlussfolgerungen für die Linke im 21. Jahrhundert, VSA, Hamburg 2007. ISBN 978-3-89965-235-2.
- Mathias Wiards: Krise im Realsozialismus. Die Politische Ökonomie der DDR in den 80er Jahren, Argument, Hamburg 2001.
- Martin Blumentritt, Eberhard Braun, Wolfram Burisch: Kritische Philosophie gesellschaftlicher Praxis. Auseinandersetzungen mit der Marxschen Theorie nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus. ISBN 3-8260-1011-6.
- Hartmut Elsenhans: Aufstieg und Niedergang des realen Sozialismus. Einige politökonomische Anmerkungen. In: COMPARATIV. Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung, Universitätsverlag Leipzig, Heft 1 (1998), S. 122–132.
Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Osteuropa-Institut der FU Berlin: Berliner Osteuropa Info Nr. 23/2005: Alltag und Ideologie im Realsozialismus (Textsammlung) (Memento vom 23. November 2007 im Internet Archive), auch komplett als PDF; 19 MB
- Bernd Senf (1998): „Die Marxsche Utopie und der Realsozialismus. Übereinstimmung oder Widerspruch?“ (PDF; 166 kB)
- Klaus Hermann: „Zur Kritik und Theorie des Realsozialismus“, in: Kommunistische Streitpunkte, Nr. 6/2000 (Memento vom 9. Februar 2006 im Internet Archive)
Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- ↑ a b c Klaus Ziemer, Real existierender Sozialismus, in: Dieter Nohlen (Hrsg.): Lexikon der Politik, Bd. 7, directmedia, Berlin 2004, S. 535 f.
- ↑ Peter Borowsky, Die DDR in den siebziger Jahren, Informationen zur politischen Bildung 258, online; abgerufen am 7. Juni 2010.
- ↑ Everhard Holtmann (Hrsg.), Politik Lexikon, 3. Auflage 2000, S. 635.
- ↑ Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus. Europäische Verlagsanstalt (EVA), Köln/Frankfurt 1977, ISBN 3-434-00353-3.
- ↑ Manfred Hildermeier, Die Sowjetunion 1917–1991, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2007, S. 147 ff.
- ↑ Stefan Wolle, Die heile Welt der Diktatur, Ch. Links Verlag, 1998, S. 237 ff.
- ↑ Benedikt Sarnov, Our Soviet Newspeak: A Short Encyclopedia of Real Socialism. Moskau 2002, ISBN 5-85646-059-6 (Наш советский новояз. Маленькая энциклопедия реального социализма.), Real Socialism, S. 472–474.
- ↑ Carsten Gansel, Gedächtnis und Literatur in den „geschlossenen Gesellschaften“ des Real-Sozialismus zwischen 1945 und 1989, V&R unipress GmbH, 2007.
- ↑ Carsten Lenz, Nicole Ruchlak: Kleines Politik-Lexikon (= Lehr- und Handbücher der Politikwissenschaft). Oldenbourg, München 2001, S. 201.
- ↑ Richard Faber: Volk. In: Hubert Cancik et al. (Hrsg.): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe. Bd. 5, Kohlhammer, Stuttgart 2001, ISBN 3-17-010531-0, S. 344 – 350, hier S. 345.
- ↑ Rainer-Olaf Schultze: Volksdemokratie. In: Dieter Nohlen (Hrsg.): Lexikon der Politik, Bd. 7, S. 695.
- ↑ So z. B. in Charles Bettelheim u. a., China 1972. Ökonomie, Betrieb und Erziehung seit der Kulturrevolution, hrsg. gemeinsam mit Maria Antonietta Macciochi, Wagenbach, Berlin 1975.
- ↑ John Kenneth Galbraith, The nature of mass poverty. Dt.: Die Arroganz der Satten. Strategien für die Überwindung der weltweiten Massenarmut. Scherz, Bern/München 1980.
- ↑ a b Robert W. Cox, “Real Socialism” in historical perspective, in: Ralph Miliband und Leo Panitch (eds.): Communist Regimes: The Aftermath. Socialist Register, Merlin Press, London 1991 (online).
- ↑ a b A Country Study: China – Library of Congress Call Number DS706 .C489 1988
- ↑ „Chinas Volksbefreiungsarmee feiert ihren 80. Geburtstag mit einer großen Ausstellung im Pekinger Militärmuseum. Sie ist immer noch ein mächtiger Staat im Staate. Alle Reaktionäre sind Papiertiger“, von Andreas Schlieker, TAZ 12. August 2007.