Grundrisse, Nummer 37
März
2011

Abschiebungen dokumentieren bedeutet Terrorismus?

Ein Bericht über das Potenzial von §278: Ausdehnung polizeilicher Ermittlungsbefugnisse, Kriminalisierung antirassistischer Arbeit und die Konstruktion „staatlicher Gefährdung“. Im Februar 2011.

Einigen wird noch in Erinnerung sein, dass letzten Sommer (2010) vier Menschen für fünf bzw. sieben Wochen in Untersuchungshaft genommen wurden. Ihnen werden die brennenden Mülltonnen vor einem AMS-Center in Wien zur Last gelegt. Von Anbeginn jedoch ging es um viel mehr: Laut Haftbefehl stehen sie unter Verdacht, ein verbrecherisches Komplott (§277) oder gar eine terroristische Vereinigung (§278b) gebildet zu haben.

Die Ermittlungen weiten sich aus …

Anfang Dezember erhielten weitere Personen eine – formal nicht korrekte – Vorladung als Beschuldigte und zwei der damals Inhaftierten wurden erneut im Beisein des LVT-Ermittlers (Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) Reinhard Muik und der Staatsanwältin Nina Weinberger verhört. Als Begründung wurde die Rohfassung einer Video-Dokumentation einer Abschiebung angeführt, die auf zwei Computern gefunden wurde. Beschlagnahmt wurden diese Geräte im Sommer bei einer im Rahmen der Verhaftungen durchgeführten Hausdurchsuchung. Die Aufforderung, zu diesem Video Stellung zu nehmen, erfolgte unter Androhung der Verhängung von nochmaliger U-Haft sowie der Aktualisierung des zwischenzeitlich fallen gelassenen Terrorparagraphen §278b und der Erweiterung der Ermittlungen auf §278c (Verübung einer terroristischen Straftat). Dies alles basierte auf einer haarsträubenden Interpretation des Videos von Seiten der Behörde.

… und nehmen immer absurdere Formen an

Dabei wurde die bloße Dokumentation einer polizeilichen Amtshandlung – gemeinsam mit anderen unbelegten Mutmaßungen – in eine Vorbereitung für eine geplante Häftlingsbefreiung verkehrt.

Die beiden Funkmasten am Dach des öffentlich zugänglichen Parkdecks am Flughafen Wien Schwechat, von dem aus gefilmt wurde, sind laut Polizeiakt „Funkanlagen für den Flugbetrieb, bzw. für den Flughafenbereich. Eine Manipulation hätte möglicherweise für den Flughafenbetrieb, aber auch für den Flugzeugverkehr an sich, unabsehbare Folgen.“ Ein weiteres absurdes Konstrukt des LVT, denn es handelt sich dabei um Handymasten, über die wohl nicht einmal die LVT-„ExpertInnen“ den Flughafenfunk abwickeln könnten.

Die Betroffenen – drei davon studieren an der Akademie der Bildenden Künste Wien – sahen sich daher gezwungen, Stellung zu nehmen, und legten eine schriftliche Expertise der Kunstakademie vor, die das Material als Rohfassung einer künstlerisch-dokumentarischen Arbeit auswies. Dem nicht genug wurde der/die VerfasserIn dieser Expertise am 20. Jänner zur Zeugeneinvernahme geladen.

Diese Vorgehensweise stellt nicht nur eine offene Drohung gegen kritische Arbeiten dar – seien sie künstlerisch oder journalistisch motiviert –, sondern zeigt auch, wie leichtfertig das LVT mit Terrorismusvorwürfen hantiert. Dass dies weniger Zufall ist, sondern vielmehr Methode hat, erweist sich nicht nur in diesem Fall. Auch beim aktuellen Monsterprozess gegen TierrechtsaktivistInnen wird der §278 (im Konkreten handelt es sich um §278a – kriminelle Organisation) zur Hilfe genommen, um zivilpolitisches Engagement zu kriminalisieren und zu behindern. Denn wie bereits gesagt, von Anbeginn ging es auch in vorliegendem Fall um viel mehr.

Ein wenig zur Vorgeschichte

Der seit 1. Jänner 2010 als Chef des Wiener LVT agierende Hofrat Mag. Erich Zwettler gab mit seinem „Anfalls-Bericht“ (sic!) vom 12.5.2010 den Startschuss zu einer umfassenden Ermittlung. Im Visier waren die Proteste gegen den WKR-Ball (Ball der deutschnationalen Burschenschaften) und jene der Studierenden gegen die ministeriale Bildungs- und Universitätspolitik. Letztere schienen ihm am meisten Kopfzerbrechen zu bereiten. In Heraufbeschwörungen einer Art Unibrennt al-Qaida vermutete er, dass eine – namentlich nicht bekannte – Gruppierung offensichtlich auch „Anschläge gegen internationale Organisationen bzw. Vertretungsbehörden vorbereitete bzw. plant“, um dadurch eine Veränderung der Bildungspolitik quasi herbeizubomben.

Mit diesen hoch dramatisierten Darstellungen gelingt es, die Staatsanwaltschaft davon zu überzeugen, die Ermittlungen unter Anwendung des Terrorismusparagraphen ausweiten zu dürfen – hin zu Ermittlungsformen, die mit einem Streich das Recht auf private Existenz und datenschutzrechtliche Bestimmungen aushebeln. Hierzu zählen Observationen von Privatpersonen, Einsatz von verdeckten ErmittlerInnen (VE) wie auch die Erfassung der Rufdaten; letzteres bedeutet, dass das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung bei der Telefongesellschaft die Offenlegung sämtlicher telefonischer Aktivitäten (einlangende und ausgehende Telefonanrufe sowie SMS) rückwirkend auf ein halbes Jahr anfordern kann; darüber hinaus kann ein Weg-Zeit-Diagramm der überwachten Personen erstellt werden. Damit ploppt freilich ein riesiges Reservoir an weiteren, möglichen „Tatverdächtigen” auf, aus dem sich Polizei und Justiz – wie bei einem kalten Buffet – bedienen können.

Zwar kam es nicht zu den befürchteten Anschlägen, nach denen mit „politischen als auch internationalen Verstimmungen zu rechnen“ sei, aber wen stört das schon? Der vom LVT nach eigenen Angaben durchgeführte Versuch, eine(n) verdeckte(n) ErmittlerIn in diese „Gruppe“ einzuschleusen, scheiterte. Aber nicht aufgrund angeblich „konspirativen Verhaltens“, sondern da diese terroristische oder sonst wie geheim operierende „Gruppe“ schlichtweg nicht existierte oder existiert. Die Beweisführung ist gespickt mit Vermutungen und willkürlich zusammengetragenen „Indizien“, ganz im Sinne des Terrorparagraphen und nicht der Beweislast.

Alles ist möglich, so lange nichts bewiesen ist.

Alltag wird kriminell

Der Verdacht auf Terrorismus gerät hierbei zur paranoiden „self-fulfilling prophecy“, die jedweder seriösen Quellenkunde und -interpretation einen Platzverweis erteilt. Es wird konstruiert, wonach so angestrengt gesucht wurde. Dies erfordert nicht nur eine konsequente Einengung der Perspektive, sondern ebenso eine sprachliche Verrückung alltäglicher Handlungen ins Anrüchige, Dunkle und Bedrohliche:

Die Berufung auf §278 ermöglicht es nicht nur, engagierte, kritische Menschen in Haft zu sperren. Nein, sie macht auch aus einer Runde von FreundInnen eine „professionelle Vereinigung“, macht aus Gesprächen „konspirative Treffen“, aus Telefonaten mit der polnischen Großmutter „internationale Vernetzung“, aus einer studentischen Video-Dokumentation eine „professionelle Observation“ mit dem Zweck, eine Abschiebung in eine „geplante Häftlingsbefreiung“ münden zu lassen. Am Ende der Konstruktionsleistung hat man es mit einer gewaltbereiten, ja „anschlagswilligen terroristischen Zelle“ zu tun, die jederzeit den gesellschaftlichen Körper zersetzen kann.

Neben Handlungen werden ebenso Objekte kriminalisiert: Ein elektrischer Schaltplan für einen Radioverstärker wird da schon mal zu einem Schaltplan für einen Bombenzünder. Konfiszierte Unterlagen (Adressen von Flüchtlingsheimen usw.) einer antirassistischen Demonstration gegen Abschiebungen werden wiederum zu einer geplanten Häftlingsbefreiung. Kontounterlagen von Kultur-Fördergeldern der Stadt Wien sollen als Beleg für konspirative Finanzierungsquellen von Brandanschlägen dienen. Flyer zur Bildungspolitik sollen Beweis dafür sein, dass es sich bei einem der vier durchsuchten WG-Zimmer um eines der Zentren der ohnehin bereits gelungen kriminalisierten „Wiener Audimax-Bewegung“ handle.

Sich politisch zu organisieren, gegen Missstände zu protestieren und für seine Anliegen einzustehen – das sind Grundrechte. Mit Unterstützung des §278 wird, wie auch das Beispiel des Prozesses gegen TierrechtsaktivistInnen zeigt, an der Aushöhlung eben dieser rechtsstaatlichen Grundrechte gearbeitet.

Die Konsequenz ist einfach: Die Anklage muss sofort fallen gelassen werden! Der gesamte §278 muss abgeschafft werden – und zwar ebenfalls sofort, am besten gestern!

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