radiX, Nummer 2
Juni
1999

Agenda 2000

Fortsetzung der verfehlten EU-Landwirtschaftpolitik

Die Landwirtschaft war nach dem 2. Weltkrieg — als die 3 ersten Teilorganisationen der späteren Europäischen Gemeinschaft gegründet wurden — kein Schwerpunkt der gemeinsamen (Wirtschafts-)politik. Auch wenn die Landwirtschaft heute einer der Hauptbudgetposten der EU geworden ist waren die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die Europäische Atomgemeinschaft und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft nicht primär um die Landwirtschaft der einzelnen Mitgliedsstaaten bemüht.

Industrialisierung der Landwirtschaft

Die zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft und die verbesserten Verkehrswege ermöglichten es aber auch in den EU-Staaten von den lokal angepaßten bäuerlichen Familienbetrieben zu größeren industriellen Formen der Landwirtschaft zu wechseln. vollmechanisierte Bewirtschaftungsformen ermöglichten die Bewirtschaftung immer größerer Flächen durch immer weniger Menschen. Der schnelle Transport der halb- und ganzfertigen Agrarprodukte mittels LKW ermöglichte es auch zunehmend schnellverderbliche Produkte von einem Ende Europas zum anderen zu transportieren.

BäuerInnensterben

Es liegt in der Natur des Kapitalismus, daß Kleinbetriebe — mit Ausnahme einiger weniger Nieschenproduktionen — weniger konkurrenzfähig sind als vollmechenisierte Großbetriebe. Dies gilt nicht nur, aber eben auch für die Landwirtschaft. Also führte die Entstehung großer agroindustrieller Betriebe automatisch auch zu einem Preisverfall für bäuerliche Familienbetriebe, welche immer weniger mit den Großbetrieben mithalten konnten. In allen EU-Staaten begann so bereits in den Sechzigerjahren ein Prozeß der sich in den Siebziger-, Achziger- und Neunzigerjahren noch verschärfen sollte: Kleine Familienbetriebe mußten ihre Produktion einstellen oder wurden zu Nebenerwerbsbetrieben in die oft mehr Geld aus dem „Zweitberuf“ fließen mußte, als die Landwirtschaft ergab, also schwer defizitär arbeiteten. So mußten in Deutschland, Frankreich, Italien und den anderen EG-Staaten der ersten Stunde im Laufe dieses Prozesses 4/5 der bäuerlichen Vollerwerbsbetriebe ihre Arbeit einstellen.

Was hier seit dem EU-Beitritt Österreichs mit dem Jahr 1995 vollzieht ist nichts anderes als der Nachvollzug einer Entwicklung die die anderen EU-Staaten schon in den Jahzehnten zuvor durchmachten. Besonders hart trifft es dabei allerdings die Alpenregionen Österreichs, da diese aufgrund ihrer Geographie überhaupt nur von bäuerlichen Kleinbetrieben in arbeitsintensiver Kleinarbeit bewirtschaftet werden können. Die Vermietung von „Fremdenzimmern“ kann hier nur eine äußerst unbefriedigende Zwischenlösung für die betroffenen BäuerInnen sein.

Die Produktion der Lebensmittel wurde in der gesamten EU immer mehr von der Agrarindustrie übernommen. KleinbäuerInnen blieb als einzige Überlebenschance die Umstellung auf Bioprodukte.

Der Biomarkt ist erschöpft

Konnte in den Achzigerjahren mit Bioprodukten teilweise noch ein Mehrfaches von den Preisen der industriellen Landwirtschaft erzielt werden, so hat sich dies in den letzten Jahren immer mehr geändert. Durch die Umstellung von immer mehr Kleinbetrieben auf „biologische Landwirtschaft“ entsteht seit einigen Jahren ein Bio-Angebot das den Bedarf zunehmend übersteigt. So blieb dem größten Österreichischen Bio-Verband, dem ERNTE-Verband gar nichts anderes mehr über als seine Produkte zu viel niederen Preisen in den „normalen“ Handel zu bringen und dort mit „Ja natürlich“-Produkten die Regale von Billa und Merkur zu füllen. Auch Spar, Adeg und andere Handelsketten haben mittlerweile mit eigenen Bio-Produktlinien nachgezogen.

Diese billigeren Bioprodukte im „normalen“ Handel drückten wieder die Preise für die anderen Bioprodukte und so setzt sich der Teufelskreislauf auch für die BiobäuerInnen fort.

Hinzu kommt, daß sich in Zeiten des Sozialabbaues immer weniger Leute überhaupt biologische Produkte leisten können, die Nachfrage also eher sinkt als steigt. Die Perspektive für die Österreichische Landwirtschaft als „Feinkostladen Europas“ — wie sie der damalige Landwirtschaftsminister Fischler sah — ist heute also absurder denn je.

Agenda 2000

Die Reform der EU-Finanzen, die im Rahmen der Agenda 2000 Ende März dieses Jahres in Berlin unter deutschem EU-Vorsitz beschlossen wurde, bringt nun weitere Wettbewerbsverschärfungen für KleinbäuerInnen. Zwar werden die Garantie-Preise für Agrarprodukte nicht so drastisch gesenkt wie dies der erste Reformentwurf vorsah, aber immerhin wurde beschlossen für Rindfleisch zukünftig um 20 Prozent weniger zu zahlen. Für Getreide und Milch wurden die Preise nach französischem Vorschlag um 15 Prozent reduziert.

Dabei geht es der EU vermutlich nicht nur im eine Reduzierung des Agrarbudgets, sondern auch darum die EUropäische Landwirtschaft für den Weltmarkt fitzumachen, also konkurrenzfähig auch mit US-amerikanischen Großfarmen und anderen Agroindustriellen Komplexen. Die Welthandelsorganisation (WTO) protestierte bereits mehrmals gegen die protektionistische Agrarpolitik der EU und will in Zukunft überhaupt keine Preisstützungen mehr sehen.

Damit aber keine Mißverständnisse aufkommen: Die nun beschlossenen Preissenkungen sind keine Verbilligung des Einzelhandelspreises. Der/die KonsumentIn wird für ihr/sein Kilo Rindfleisch im Laden vermutlich weiterhin die gleichen Preise zahlen. Bei der Verringerung der Garantie-Preise handelt es sich um eine Verringerung der EU-gestützten Einkommen der BäuerInnen und nicht um eine Verbilligung für den/die LiebhaberInnen von Käse oder Fleisch.

EU-Landwirtschaft: Biotechnologien und Förderungen

Nun sieht der nach dem Sturz der EU-Komission über ihre eigene Misswirtschaft nur mehr interimistische EU-Landwirtschaftskommissar Franz Fischler die Zukunft der Europäischen Landwirtschaft in anderen Bereichen als dem „Feinkostladen Europas“. Fischler stellt heute klar:

"Agrarisches Wirtschaften, das der Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanze Priorität einräumt, darf keinesfalls mit einer rückwärtsgewandten Technologiefeindlichkeit verwechselt werden. Im Gegenteil: Neue Errungenschaften, wie etwa die Biotechnologie, sind willkommen, jedoch immer unter der Prämisse, daß sie weder dem Verbraucher noch der Umwelt Schaden zufügen.

Der Glaubenskrieg um die Gentechnologie ist ein gutes Beispiel, wie eine an und für sich sinnvolle Technologie in Verruf geraten kann." (Fischler, 1998: 111)

Bio- und Gentechnologie in agroindustriellen Komplexen soll so die Basis der Lebensmittelproduktion in der EU bilden. Bioprodukte bleiben für eine Elite vorbehalten die es sich leisten kann diese zu kaufen.

Die andere Seite der EU-Landwirtschaftspolitik bilden jedoch wiederum Förderungen für Nichtproduktion, bzw. stillgelegte Flächen, sowie Fördermittel für „Landschaftspflege“.

Gerade in Gebirgsregionen wie dem Großteil Österreichs wäre eine fehlende „Landschaftspflege“ durch die Landwirtschaft mit so katastrophalen Folgen verbunden, daß diese mit großem finanziellen Aufwand aufrecht erhalten werden muß. Die Alpen würden als Kulturlandschaft ohne Bewirtschaftung der Wälder und Almen durch Lawinen, Bergrutsche und ähnliche Naturkatastrophen großflächig unbewohnbar werden. Alpiner Tourismus ohne alpine Landwirtschaft wäre undenkbar.

Jedoch auch wenn so mancheR „unwirtschaftliche“ BäuerIn so als bezahlteR LandschaftspflegerIn von EU-Fördertöpfen noch am Leben erhalten wird, so ist kaum einE solche BäuerIn damit zufrieden. Bei Gesprächen mit BergbäuerInnen wird immer wieder klar: Sie wollen Lebensmittel herstellen und davon leben. Niemand hat Lust als AlmosenempfängerIn der EU die Berghänge zu bewirtschaften.

Literatur

Fischler, Franz: Das Land neu bestellen, Betrachtungen zur Zukunft der europäischen Landwirtschaft; in: Wolfgang Schüssel (Hg.): Zur ersten EU-Präsidentschaft Österreichs 1998, Wien 1998

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