Austrian Social Forum
Betrachtungen zum und Versuch einer Einschätzung des bisher größten Festivals gesellschaftskritischer Debatten in Österreich.
Als 1999 in Seattle Massen in neuen Organisationsformen gegen die WTO auf die Straßen gingen und im selben Jahr in Porto Allegre Zehntausende am ersten World Social Forum in ihren Diskussionen den Slogan „eine andere Welt ist möglich“ prägten, witterten viele Linke die Morgenluft einer neuen revolutionären Bewegung. Andere warnten und warnen davor, dass diese Bewegung systemstabilisierend und dem Bestehenden über Staatsaffirmation und reformistische Perspektiven verhaftet sei, andere glauben sogar, eine nicht etwa inhaltlich breitgefächerte und widersprüchliche sondern eine schlichtweg reaktionäre Bewegungskonstellation entstehen zu sehen. Alle diese theoretischen Zugänge beziehen sich auf unterschiedlich zu gewichtende Aspekte der Entwicklung und kommen in ihrer Verabsolutierung zu unangemessenen, teils falschen Schlussfolgerungen.
Auf die Vielzahl an Netzwerken, Protesten und „Festivals“, die seit Ende der 90er Jahre weltweit entstanden und passiert sind, wollen wir im folgenden nicht eingehen. Einzig: ihre Subsumtion unter den Begriff „globalisierungskritische Bewegung(en)“ verwischt die Differenzen zwischen den verschiedenen AkteurInnen und Ereignissen in einer Weise, dass die auf diese Homogenisierung aufbauende Analyse von den verschiedenen in diesen Bewegungen existierenden Tendenzen einige als fürs Ganze charakteristisch und unumstritten behauptet und damit teilweise fehl geht. So wird z.B. von vielen KritikerInnen der „Antiglobalisierungsbewegung“ (ein anderes verbreitetes Unwort) auf den verbreiteten Antiamerikanismus [1] zurecht hingewiesen, ohne darauf einzugehen, dass dieser in den Bewegungen nicht unwidersprochen bleibt und auf Gegenkräfte stößt, die Kritik an US-amerikanischem außenpolitischen oder wirtschaftlichen Vorgehen nicht mit Ressentiments verknüpfen.
Der Hinweis auf Vielfalt und Differenz soll aber nicht der Immunisierung gegen Kritik dienen, sie verweist auf eine sehr widersprüchliche Qualität der „Bewegung der Bewegungen“ (Fausto Bertinotti), die in die Analyse einbezogen werden sollte.
Nun aber zum Thema, zu einem kleinen Event, das sich in den Rahmen dieser weltweiten Bewegungen stellte. Abgeleitet von den Vorbildern Weltsozialforum und European Social Forum (an dem letzten November ca. 800 Menschen aus Österreich teilnahmen) fand Ende Mai in Hallein das erste „Austrian Social Forum“ statt.
Bei diesem für österreichische Verhältnisse gut besuchten und bereits von vielen Organisationen in der Vorbereitung getragenen Festival gesellschaftskritischer Debatten diskutierten etwa 1500 Menschen in über 200 Veranstaltungen ihre Vorstellungen einer „anderen Welt“. Die sehr offenen, fast basisdemokratischen Strukturen in der Vorbereitung spiegelten sich auch am Forum selbst wider. Ein Zentrum konnte gar nicht, bestenfalls in einem kleinen technisch-administrativen „ASF-Büro“ ausgemacht werden, das ASF war ein buntes, allen Interessierten zugängliches Gelände, an dem fast (dazu weiter unten mehr) alles von Menschen unterschiedlichster Zugänge diskutiert werden konnte. Teilgenommen haben GewerkschafterInnen, feministische Gruppen, Autonome, MigrantInnengruppen, KommunistInnen, Grüne, ATTAC-AktivistInnen und SozialdemokratInnen. Aber auch einige TierrechtlerInnen, EsoterikerInnen, teils konservative UmweltschützerInnen hatten Veranstaltungen angemeldet, drei als ReferentInnen Eingeladene wurden kurz vor und am ASF von TeilnehmerInnen und vom „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes“ als Rechte entlarvt. Für die Veranstaltungen und Einladungen trug aber kein Komitee oder dergleichen die Verantwortung, die Offenheit der Anmeldung von Beiträgen war Teil der in der Folge auch kritisierten basisdemokratischen Vorbereitungsarbeit.
Diese bunte Versammlung mit „Linke“ zusammenzufassen wäre Humbug, genauso wie ihr zuzuschreiben, sie wäre der Kern für fortschrittliche Gesellschaftsveränderung. Das ASF war nicht mehr und nicht weniger als die Verdichtung der Debatten über viele Aspekte der gesellschaftlichen Formierung, ein Knotenpunkt zwischen WissenschafterInnen und AktivistInnen, ein Kennenlernen und Streiten zwischen unterschiedlichen politischen Kulturen. Emanzipatorische, antikapitalistische Positionen waren nicht hegemonial, ein Ringen darum war aber in sehr vielen Veranstaltungen bemerkbar und einige Organisationen und Gruppen luden zu sehr spannenden Diskussionen zu antirassistischen Themen, zu Fragen der Widerstandsformen und -Organisation, zu Drogenpolitik, zu Patriarchatskritik und Frauenbewegung, zur Kritik von Re-Regulierungsperspektiven und vielem mehr. Wo notwendige theoretische Tiefe fehlte, konnte mensch sich Informationen zu Themen holen, die sonst nicht im Mittelpunkt des eigenen Interesses stehen, Diskurse analysieren, sie zu bereichern oder brechen versuchen.
Mehrmals wurden Veranstaltungen von TeilnehmerInnen gestört, gab es heftige Kritik an am ASF nicht zu duldenden Positionen. Etwa beim einzigen Workshop zum Nahost-Konflikt, in dem von der einladenden Gruppe heute formulierter Antizionismus pauschal gegen den Vorwurf des Antisemitismus in Schutz genommen wurde. An dieser Veranstaltung gab es bereits im Vorfeld Kritik, die sich nicht durchsetzen konnte, die Anregung ihr wenigstens eine weitere, kritische Diskussion entgegenzustellen wurde begrüßt, aber letztlich von niemandem aufgegriffen. Eine weitere Diskussion wurde verhindert, indem zirka 30 AktivistInnen einem verschwindend kleinen Publikum und der rechtsextremen Referentin Hemma Poledna auf dem ASF keinen Platz für ihre Veranstaltung zu „mehr direkter Demokratie“ ließen. Es wurde keine autoritäre Instanz angerufen, sondern vor Ort selbst gehandelt.
Bereits in den Monaten vor dem ASF gab es Vorwürfe, die OrganisatorInnen seien offen für rechte Positionen. Ein weiteres Beispiel soll zeigen dass diese Kritik nur zum Teil stimmt: Nachdem das DÖW auf die Einladung des deutschen rechten und antisemitischen Publizisten Franz Alt aufmerksam gemacht hatte, bedankte sich der Workshopleiter für die Information über diese angeblich unbedachte und unüberprüfte Übernahme einer Empfehlung. So weit so schlecht. Seine nachgefügte Aufforderung an alle am kommenden ASF 2004 Beteiligten, durch mehr Aufmerksamkeit der Teilnahme solch unakzeptierbarer Personen vorzubauen und mehr Bedacht auf die Abgrenzung gegenüber Rechten zu legen, stieß auf große Beachtung und Zustimmung. Das nächste „Festival gesellschaftskritischer Debatten“ wird auch daran zu messen sein, inwieweit dieses Bekenntnis auch umgesetzt werden wird. Die bereits anvisierte früher angesetzte Frist zur Anmeldung von Veranstaltungen wird die Durchsicht der ReferentInnenlisten und die Auseinandersetzung über abzulehnende Beiträge jedenfalls erleichtern, die von allen in der Vorbereitung Beteiligten zu treffenden Entscheidungen über notwendige Grenzziehungen aber nicht erübrigen.
- Fotosammlung DÖW
Verglichen mit den Sozialforen in Italien, Frankreich oder Griechenland wirkte das ASF wie ein zaghafter Nachvollzug einer Mobilisierungs- und Auseinandersetzungsform, was aber auch nicht den OrganisatorInnen anzulasten ist, sondern eher eine Spiegelung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse darstellt. Nicht wenige GewerkschafterInnen diskutierten am ASF wohl das erste Mal mit KommunistInnen und anderen Linken über ihre Haltungen zu Sozialsystemen, gewerkschaftlichen Kampferfahrungen und über Rassismus und Sexismus in ihren Organisationen. Ob dieses Aufeinandertreffen fruchtbar war und die beginnende Bündnisarbeit und entschlossenere Haltung der GewerkschaftsaktivistInnen fortgesetzt wird, werden wir sehen.
Im Gegensatz zu der in der Linken Italiens fest in der Tradition der Befreiungsbewegungssolidarität stehenden Solidarität mit den PalästinenserInnen, in der aber namhafte Stimmen (z.B. Fausto Bertinotti von der Rifondazione Comunista) differenzierte und keineswegs antiisraelische Positionen einbringen und die Methoden der 2. Intifada klar verurteilen, fiel am ASF bezüglich des Nahost-Konflikts vor allem eines auf: der Mangel an Auseinandersetzung, markiert durch die oben erwähnte Veranstaltung zu „Antizionismus ist nicht gleich Antisemitismus — warum volle Solidarität mit der Intifada?“, die schon im Vorfeld kritisiert und am ASF von KritikerInnen gestört wurde.
Zu einem Forum wie dem ASF finden sich jedenfalls zwei Typen von Organisationen und Menschen ein: solche, die ihr leicht unterfüttertes aber fest geschnürtes Propagandaprogramm abspulen, ohne an Auseinandersetzung im wechselseitigen Sinne überhaupt interessiert zu sein; und solche, die in der Einsicht oder Ahnung kommen, dass ihre bisherige Praxis, ihre Gesellschaftserklärungen und Politikvorstellungen teilweise ins Wanken geraten sind und dass Kritik, Neuorientierung, und das Erstarken einer neuen umfassend herrschaftskritischen Bewegung notwendig und möglich sind. Sie scheinen uns in der Mehrzahl und auseinandersetzungs-, hinterfragungs- und veränderungsbegierig.
Das Fernbleiben von Initiativen, die mit ihren Beiträgen zu Antisemitismus, falscher Kapitalismuskritik in der globalisierungskritischen Bewegung, kritischen Kontrapunkten zu den unterschiedlichen Antikriegshaltungen, zur fehlenden oder schwächelnden Staatskritik etc. dieses Festival der inhaltlichen Auseinandersetzung nicht nur bereichert, sondern auch Gehör gefunden hätten, sei diesen freigestellt. Viele TeilnehmerInnen des ASF hätten aber mehr Kontroversen begrüßt und sie auch aufgegriffen. Wie sich in der Debatte um einen sexistischen Übergriff am ASF gezeigt hat, dass viele TeilnehmerInnen nicht nur „problembewusst“ sondern auch veränderungswillig sind, zeigte sich ansatzweise auch in anderen Fragen eine nicht zu ignorierende Kritikfähigkeit.
Zivilgesellschaftliche Formierungen sind nicht per se links, über ihre inhaltliche Ausrichtung muss heftig gerungen werden. Wenig zielführend erscheint uns die Strategie, abseits stehen zu bleiben und das zu kritisieren, was die Folge der selbstgewählten Abstinenz wäre: die Entwicklung nach rechts!
Marxistische Theoriebildung und Kritik, auch radikale Kritik an bestehenden Formationen und Positionen, sollte die Orte nicht meiden, denen sie ihre Auseinandersetzung (auch) widmet: die Orte real sich formierender, um gesellschaftliche Veränderung bemühter Bewegungen. Solange dies aufgrund innerlinker Verwerfungen und homogenisierender Zuschreibungen nicht möglich ist, tun jedenfalls die verschiedenen OrganisatorInnen des Austrian Social Forums gut daran, Kritik von außen ernst zu nehmen, um das Einsickern von rechten Ökopositionen, antisemitischen Positionen im Kleide des Antiimperialismus oder antifeministischen Strömungen zu verhindern. Ebenso tun KritikerInnen gut daran, ihre Analysen dem Objekt, das nicht über einen Kamm zu scheren ist, anzupassen, der Differenziertheit ebenso Rechnung zu tragen wie dem eigenen Anspruch, die Kritik der herrschenden Verhältnisse voranzutreiben.
[1] Zur Begriffsklärung siehe Dan Diner: Feindbild Amerika, Propyläen Verlag, 2002 — rezensiert in Context XXI 2-3/2003.
