Grundrisse, Nummer 49
März
2014
Gabriel Kuhn (Hg):

Bankraub für Befreiungsbewegungen

Die Geschichte der Blekingegade-Gruppe

Münster: Unrast-Verlag, 2013, 230 Seiten, Euro 14

Am 2. Mai 1989 dringt die Polizei in die Wohnung Blekingegade 2 in Kopenhagen ein. Dort werden Radioempfänger, Sendeanlagen und Antennen, Masken, falsche Bärte, Polizeiuniformen und Maschinen zur Herstellung gefälschter Dokumente gefunden, außerdem das größte illegale Waffenlager, das in Dänemark je gefunden wurde: kistenweise Sprengstoff, Pistolen, Gewehre, Handgranaten, Landminen, Maschinengewehre und 34 Panzerabwehrraketen. Damit beginnt die mediale Geschichte der „Blekingegade-Bande“ oder freundlicher Blekingegade-Gruppe genannt. Der Begriff setzte sich so stark in der Öffentlichkeit durch, dass sich selbst die Gruppenmitglieder gezwungen sahen, ihn zu verwenden.

Bei einem Raubüberfall auf einem Geldtransporter im Hof eines Postamtes am 13. April 1989 wird ein Polizist angeschossen, der wenig später stirbt. Kurz darauf werden mehrere Männer und eine Frau verhaftet, vier Verdächtige, Peter Döllner, Niels Jörgensen, Torkil Lauesen, Jan Weimann, bleiben bis Anfang Mai in Untersuchungshaft und sollten aus Mangel an Beweisen freigelassen werden. Sie haben Wohnungsschlüssel bei sich, tausende Wohnungen in Kopenhagen wurden getestet, aber die Schlüssel passen nicht. Am 2. Mai wird Carsten Nielsen bei einem Autounfall schwer verletzt. Weil sich verdächtige Utensilien im Auto befinden, wird einer Telefonrechnung für die Wohnung Blekingegade 2 Aufmerksamkeit geschenkt. Die Schlüssel passen zu dieser Wohnung. Das Besondere an diesem Kriminalfall ist nicht nur, dass Verwandte und Bekannte nichts von den illegalen Aktivitäten der Gruppe wussten, sondern dass es sich um Personen handelte, die als Linksradikale von der politischen Polizei überwacht wurden.

Das öffentliche Interesse in Dänemark war sehr groß: ein 800-seitiges Buch des bekannten dänischen Journalisten Peter Övig Knudsen erscheint, das die Ereignisse aus dem Blickwinkel der Ermittlungsbehörden darstellt (auf Deutsch: Der innere Kreis: Die Blekingegade-Bande), [1] das zu einem Bestseller wurde, weitere Bücher erscheinen (Die Geheimnisse der Polizei: Kriminalinspektor Jörn Moos rollt den Blekingegade-Fall auf), ein Dokumentarfilm, ein Theaterstück und die Ausstrahlung einer TV-Serie Blekingegade. Um der Darstellung der Medien und der Polizei etwas entgegen zu setzen, wurde dieses Buch zusammengestellt.

Nach einer Einleitung, die sowohl die politische wie die kriminelle Geschichte der Blekingegade-Gruppe erzählt, enthält das Buch drei Teile: eine Erklärung von Niels Jörgensen, Torlil Lauesen und Jan Weidmann, die als Antwort auf die Medienberichterstattung in der Zeitschrift Social Kritik im März 2009 veröffentlicht wurde und die die Geschichte der Gruppe nachzeichnet. Einige in der dänischen Öffentlichkeit falsch dargestellte Fakten, etwa in Bezug auf die Kontakte zu politischen Organisationen wie zur PFLP (Popular Front for the Liberation of Palestine) und RAF (Rote Armee Fraktion) werden klargestellt. Und es wird betont, dass die Aktionen nie den Zweck über die Mittel setzten und versucht wurde, so wenig Gewalt wie möglich anzuwenden. Eine Entführung wurde zwar akribisch vorbereitet, aber nie durchgeführt.

Der zweite Teil beinhaltet ein Interview des Herausgebers mit Tokil Lauesen und Jan Weimann (Niels Jörgensen war im September 2008 gestorben, hatte aber noch an der Erklärung mitgearbeitet), wo noch einmal die politischen Motive und Kontakte hinterfragt werden. Ein dritter Teil enthält Dokumente der politischen Gruppen, der KAK (Kommunistik Arbejdskreds, Kommunistischer Arbeitskreis) und M-KA (Manifest – Kommunistik Arbejdsgruppe, Manifest – Kommunistische Arbeitsgruppe), in denen die Aktiven der Blekingegade-Gruppe engagiert waren und die die politischen Position klarlegen etwa in der Abgrenzung zu westdeutschen Gruppen, dem maoistischen KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschland) und der RAF. Ergänzt wird das noch durch eine Zeittafel und ein Glossar der politischen Organisationen.

Die so genannte „Schmarotzerstaattheorie“, die von KAK und M-KA vertreten wurde, besagt, dass der Kapitalismus Extraprofite durch die Ausbeutung der „Dritten Welt“ lukriert und nach langen und harten Kämpfen konnte sich die Arbeiter_innenklasse in den imperialistischen Ländern umverteilten. Die Interessen von Kapitalist_innen und Arbeiter_innenklasse näherten sich an. Eine revolutionäre Entwicklung ist nur möglich von Seiten der Arbeiter_innen und Bäuer_innen im globalen Süden. Aufgabe von Revolutionär_innen in den imperialistischen Ländern ist die Unterstützung der Befreiungskämpfe im Süden. Der Erfolg der dortigen Kämpfe würde den Kapitalismus in eine Krise stürzen und damit die Arbeiteraristokratie revolutionieren. Diese Analyse entstand durch die Erfahrungen der späten 1960er und bedeutete den Bruch mit dem Maoismus, der weiter auf die Kämpfe der Arbeiter_innen in Westeuropa setzte.

Das Konzept der Blekingegade-Gruppe unterschied sich von dem der RAF oder dem der Roten Brigaden. Die kriminellen Aktionen wurden nicht durch Erklärungen begleitet, im Prozess wurde nicht verlangt, diesen auch politisch zu führen. Die Überfälle wurden in einer parallelen Welt durchgeführt, die politische Aktivität war völlig davon abgetrennt. In den bürgerlichen Medien wurde über die Rolle der politischen Polizei spekuliert, die die Verdächtigen die ganze Zeit überwachte, aber keine Beweise für die kriminellen Aktionen bringen konnte. Die völlige Trennung von Politik und krimineller Aktivität war Teil des Erfolges der Blekingegade-Gruppe. Es ging nicht um Öffentlichkeit, sondern um die konkrete Unterstützung der antiimperialistischen Kämpfe („Solidarität ist etwas, das du in der Hand halten kannst“). Es wurden nur Gruppen mit Geld und Materialien unterstützt, die ein eindeutig sozialistisches Konzept hatten: „Wir unterstützen die PFLP nicht in erster Linie deshalb, weil sie einen palästinensischen Staat anstrebte, sondern weil sie eine sozialistische Vision für die arabische Welt und eine internationalistische Perspektive hatte.“ (S. 57)

Die Blekingegade-Gruppe mied aus konspirativen Gründen den Kontakt zu anderen bewaffneten Organisationen in Europa. Sie kritisierten die RAF, weil sie den Widerstand in den imperialistischen Ländern überbewertete („bewaffneter Ökonomismus“). Die Blekingegade-Gruppe weigerte sich, mit der Special Operations Group unter Wadi Haddad zusammen zu arbeiten, denn deren bewaffnete und terroristische Aktionen seien zu elitär und würden im Gegensatz zur PLPF unter George Habash nichts dazu beitragen, die palästinensischen Massen zu organisieren.

Der Blekingegade-Gruppe wurde wegen der sogenannten Z-Datei Antisemitismus vorgeworfen: Im Auftrag der PLFP wurden Daten über eventuelle israelische Agent_innen gesammelt, da viele Europäer_innen in die Lager der PLFP gereist seien und ein relativ gutes Bild der dort bestehenden Strukturen bekommen hätten. Agent_innen, die als linke Tourist_innen kommen, sollten ferngehalten werden. Die Interviewten bezeichnen die Anlage dieser Datei nachträglich als schweren Fehler, nicht nur, weil es falsch verstanden wurde und in der Öffentlichkeit eine „Judendatei“ auftauchte, sondern weil es in der Konsequenz nicht durchdacht war und tatsächlich in einer Zeit des steigenden Antisemitismus und Rassismus Angst erzeugte (S. 144f).

Das Buch zeigt in der Geschichte der Blekingegade-Gruppe ein Bild über antiimperialistische Solidarität, wie sie in den meisten anderen Zusammenhängen ungewöhnlich war. Und es ist ein Versuch, sich die linke Bewegungsgeschichte nicht vom herrschenden Diskurs enteignen zu lassen.

P.S.: Jörgensen, Lauesen, Nielsen und Jan Weimann wurden für den Raubüberfall auf den Geldtransporter verurteilt, alle andere Vorwürfe konnten nicht bestätigt werden. Eine Mordanklage wurde fallengelassen, weil der Schütze nicht identifiziert und keine kollektive Tötungsabsicht festgestellt werden konnte.

[1Die reißerische Bewerbung auf Amazon:

Die Erzählleistung des preisgekrönten Journalisten ist unangefochten und hat dazu beigetragen, dass Knudsen einen Real-Polit-Thriller von der Qualität eines John le Carré und Frederick Forsyth vorlegen konnte. Eine spannende Geschichte, die auf wahren Ereignissen beruht. Nachdem die Bande Polizei und Geheimdienst beinahe 20 Jahre an der Nase herum geführt hat, findet die Polizei im Kopenhagener Stadtteil Amager 1989 durch Zufall ein umfangreiches Waffenlager und begreift, dass in der Blekinge-Straße eine Terror-Organisation herangewachsen ist. In den 70er- und 80er-Jahren begeht diese Gruppe Linker in Dänemark aufsehenerregende Raubzüge. Trauriger Höhepunkt ist ein Überfall, bei dem ein Polizist getötet wird. Die Gruppe ist mit der deutschen RAF, den italienischen Roten Brigaden und der Volksfront zur Befreiung Palästinas vernetzt. Die Rebellen wollen mit ihren Raubzügen Geld für Palästina und die Dritte Welt sammeln. Knudsen geht der brisanten und topaktuellen Frage nach, wie aus jungen Menschen aus geordneten Verhältnissen fanatische Terroristen und Mörder werden können.

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