Grundrisse, Nummer 43
September
2012
Roman Danyluk:

Befreiung und soziale Emanzipation

Rätebewegung, Arbeiterautonomie und Syndikalismus

Edition AV, 2012, 348 Seiten, 18 Euro

Allen Ausführungen in diesem Buch liegt die Überzeugung zugrunde, dass die vergangenen Niederlagen und Neuanfänge trotz allem die positiven historischen Anknüpfungspunkte für das Proletariat und die emanzipatorische Linke darstellen. Dieser Text versucht somit einen Beitrag zur Diskussion über Befreiung und soziale Emanzipation zu leisten bzw. an einer sozialrevolutionären Perspektive des Proletariats und der radikalen Klassenlinken mitzuwirken, um so endlich dem Menschheitstraum vom Anbruch der Morgenröte der Kommune näherzukommen.

Roman Danyluk

Roman Danyluk, „Arbeiter und Gewerkschaftsaktivist“ (S.340), wie es im Autorenverzeichnis heißt, sich selbst als „proletarisch-autodidaktische[n] Autor“ vorstellend (S.13) betont, einen radikal emanzipatorisch gefassten „Klassenstandpunkt“ (wieder) zur Geltung bringen zu wollen. Denn ihm zufolge besteht ein „Zusammenhang zwischen der Krise der (radikalen) Linken und der Modeerscheinung, tunlichst auf die Benennung des Klassenwiderspruchs zu verzichten“ (S.20f.). Entgegengetreten werden soll „der mittlerweile weitverbreiteten Abschottung des linksradikalen Milieus von der Klassenwirklichkeit“ (S.21). Grundsätzlich gilt ihm das Proletariat als „einzige Klasse, die diese Welt revolutionieren kann“ (S.24) – den Begriff des Proletariats fasst er allerdings, wie das Buch zeigt, recht weit: „Emanzipation ist nicht automatisch an Industrialisierung bzw. Ökonomismus gebunden und die Arbeiterklasse hat keine ‚historische Mission’, womit nur die Abwertung der anderen revolutionär-handelnden Klasse bzw. Menschen und ihrer Interessen (Landbevölkerung, HandwerkerInnen, unfrei Arbeiternde, Lumpen- bzw. Subproletariat, etc.) legitimiert werden soll.“ (S.264)

Vieles am „proletarischen“ Gestus und dessen Kehrseite, einer gewissen Polemik gegen die „AkademikerInnen“, die immer nur ihre Karriere wollen würden, hat mich zu Beginn des Buches skeptisch gestimmt. Glücklicherweise zeigte sich im Verlauf der Lektüre, dass hier nicht einfach eine Geschichte à la „der gute Arbeiter wird vom bösen Intellektuellen betrogen“ erzählt wird, sondern durchaus differenziert und vor allem sehr kenntnisreich über die vergangenen Kämpfe der letzten gut hundert Jahre ArbeiterInnenbewegung berichtet wird.

Und damit wären wir beim eigentlichen Thema Danyluks: Es geht um Geschichte, Bewegungsgeschichte um genau zu sein und die Theorien, welche sich im Laufe der Zeit auf Seiten der radikalen Linken herausbildeten: Neben den großen Ausführungen über den Rätekommunismus, den Operaismus und den revolutionären Syndikalismus, werden die Wobblies, die Spanische Revolution, die Narodniki, der Anarchismus und auch immer wieder Marx abgehandelt.

Und ich muss zugeben: Selten habe ich ein Buch gelesen, dass so einfach wie prägnant in seiner Darstellung und seinen Urteilen (bei Kritik wie Lob) ist, ohne dass man dem Autor nachsagen kann es sich zu leicht zu machen. Allein der souveräne Blick auf die geschichtlichen Ereignisse macht die Lektüre lohnenswert – mal von theoretischen Fragestellungen abgesehen. Aber auch hier bietet das Buch viele Anstöße und besticht – was ich zu Beginn nicht erwartet hätte – durch einen sehr positiven, weil Diskussionen einfordernden und nicht immer gleich Antworten wissenden Standpunkt. Sehr schön beispielsweise, wenn im Kontext des Spanischen Bürgerkriegs die CNT-kritische Studie Michael Seidmans nicht als ‚feindliches Machwerk’ oder ähnliches abgekanzelt wird, sondern zu den Ergebnissen der „wegweisenden Studie“ kurzerhand erklärt wird, dass ihn das Verhalten der CNT „zumindest teilweise – ratlos zurücklässt“ (S.241).

Keine der von Danyluk diskutierten Strömungen erscheint dabei als fehlerlos, wenngleich seine Positionierung auf Seiten eines historisch reflektierten Anarchosyndikalismus deutlich hervortritt: „Die weit über hundertjährige syndikalistische Erfahrung hat gezeigt, dass in solch einer basisgewerkschaftlichen Selbstorganisierung die ProletarierInnen Klassenbewusstsein, Selbstvertrauen, solidarisches Handeln und andere Fähigkeiten entwickeln, die im antikapitalistischen Emanzipationsprozess unerlässlich sind. In den nach dem Räteprinzip aufgebauten Basisgewerkschaften manifestiert sich die Fähigkeit des Proletariats zur Selbstbefreiung, denn sie sind ein Spiegelbild und Experimentfeld für die aufzubauende antibürokratische und antiautoritäre Gesellschaft. Sie sind die selbstgeschaffene Möglichkeit, heute schon andere Werte zu leben und freie soziale Beziehungen einzugehen. Die Arbeitersyndikate sind somit der Ort, um gemeinsame Interessen zu vertreten, Fähigkeiten zu entwickeln und proletarische Bedürfnisse kollektiv zu formulieren. In ihnen verbessern die ArbeiterInnen Tag für Tag die Möglichkeit, eine Gesellschaftlichkeit von unten zu leben.“ (S.251)

Es ist nicht zuletzt aufgrund der Fülle des Stoffes nicht überraschend, wenn ich sage, dass ich nicht mit allen Ausführungen Danyluks einverstanden bin, aber mit sehr Vielem bin ich es – und die Lektüre war in so ziemlich jeder Hinsicht eine Bereicherung. Wer sich mit der Geschichte der radikalen Linken beschäftigt und einen fundierten Überblick erlangen möchte, sollte bei diesem Buch unbedingt zugreifen.

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