Heft 7-8/2000
Dezember
2000

Benes heißt jetzt Temelin

„Für Volksdeutsche keine Knete — hoch leben die Benes-Dekrete!“ [1]

Irgendeinen direkten Außenfeind scheint Österreich unter dieser neuen Regierung zu brauchen: Während der so genannten Sanktionen waren das Frankreich und Belgien, jetzt ist es die Tschechische Republik. In beiden Fällen engagierten und engagieren sich weite Teile der Bevölkerung sehr stark bei der Feindbildproduktion, die wochenlangen Blockaden der österreichisch-tschechischen Grenze (zum Teil gemeinsam mit Landespolitikern wie Haider und Pühringer) sind dabei der vorläufige Höhepunkt österreichischer Arroganz. Die Diskussion um das AKW Temelin hat dabei inzwischen die Frage der Benes-Dekrete zumindest für den Moment fast völlig ersetzt. Ein ironischer Zufall am Rande regt aber immer wieder dazu an, die beiden Diskussionen zu verbinden: Der Name des Sprechers des Umweltausschusses der tschechischen Regierung ist Miroslav Benes. Bereits die Diskussionen diesen Sommer um die Benes-Dekrete (und gleichzeitig die Avnoj-Bestimmungen), die um den zukünftigen EU-Beitritt Tschechiens und Sloweniens kreisten, waren von einer Selbstherrlichkeit geprägt, die ihresgleichen sucht. So meinte etwa Jörg Haider in einer Aussendung, wer einer Wertegemeinschaft beitreten wolle, müsse vorher seine Hausaufgaben machen. Nun besteht diese Wertegemeinschaft ja nicht nur aus Deutschland und Österreich, auch wenn Haider genau das impliziert. Die meisten mit dieser Debatte seriös befassten PolitikerInnen waren und sind deshalb der Meinung, es handle sich hier um nationale oder bestenfalls bilaterale Fragen. Abseits Haider’scher Stimmungsmache ist aber auch die österreichische Außenministerin Benita Ferrero-Waldner der Ansicht, es handle sich bei den Benes-Dekreten um „Unrechtsgesetze“, die eines heutigen modernen Staates nicht würdig seien. Ihr Vorgänger Wolfgang Schüssel hatte bilaterale Gespräche zwischen Tschechien und Österreich bereits für Jänner 2000 angekündigt, die Regierungsbildung mit der FPÖ kam diesem Vorhaben dann dazwischen. Ferrero-Waldner hatte große Mühe, die tschechischen NachbarInnen von den guten Absichten der neuen Regierung zu überzeugen. Im Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ steht nämlich im Kapitel „Erweiterung der EU“, die Regierung wolle die „Anliegen und Interessen der altösterreichischen Minderheiten im Ausland fördern“. Ferrero-Waldner bezeichnete diese und andere Passagen zwar als „ungeschickt formuliert“ und betonte gegenüber dem tschechischen Außenminister Jan Kavan gleich nach der Regierungsbildung, Österreich werde den EU-Beitritt Tschechiens „nicht mit Fragen der Vergangenheit verbinden“, einschlägige Aussagen vor allem von der FPÖ konnte sie aber nicht verhindern. (Rein rechtlich ist es laut Auskunft des Sprechers der Außenministerin übrigens ohnehin unmöglich, dass Österreich ein Veto einlegt, da die Benes-Dekrete nicht Teil jener Gesetze sind, die beim üblichen Beitritts-Screening der Verfassung und der Rechtsordnung des Kandidaten Tschechien erfaßt werden.) So forderte etwa Oberlehrer Jörg Haider in einer Aussendung die Aufhebung der Benes-Dekrete und der Avnoj-Bestimmungen: „Wenn diese Länder der EU beitreten wollen, müssen sie vorher ihre Hausaufgaben in Punkto Menschen- und Völkerrecht machen.“ Weiters betonte er, es sei „modernen Demokratien nicht würdig, wenn menschen- und völkerrechtsverachtende Bestimmungen aus längst überwunden scheinenden diktatorischen Tagen noch immer Bestandteil der jeweiligen Verfassungen“ seien. Haider führte aus, dass es laut Menschenrechtscharta nun einmal nicht sein dürfe, dass jemand alleine aufgrund seiner Hautfarbe, Abstammung sowie religiösen und politischen Herkunft diskriminiert werde. Er zauberte auch einige drei Jahre alte Beschlüsse der Kärntner Landesregierung und des Landtages aus dem Hut, in denen die Bundesregierung aufgefordert wurde, sich für die Aufhebung der Avnoj-Bestimmungen einzusetzen und auch die „Fragen des enteigneten Vermögens“ zu klären. Damit dürfte auch des Pudels Kern angesprochen sein: Es geht eigentlich um Geld. Während sich die Rückerstattung arisierten Eigentums gemäß dem Wunsch des ersten Innenministers der Zweiten Republik, Oskar Helmer (SPÖ), unendlich in die Länge zu ziehen scheint, glauben jene, die ehemals eine Stütze der nationalsozialistischen Terrorherrschaft in unseren Nachbarstaaten waren, es wäre völlig selbstverständlich, wenn sie „enteignetes Vermögen“ beanspruchen. Ist es inzwischen auch. Kanzler Schüssel meinte kürzlich, er wolle eine „Rechtsfigur“ finden, die es erlaube, „die Schatten der Vergangenheit zu bewältigen“. Das ist Revisionismus als Praxis, denn welche „Schatten“ er damit meint, machte er in einem Interview mit der israelischen Tageszeitung Jerusalem Post just am 9. November klar: „Österreich als Staat war fraglos und unbestritten das erste Opfer des Nazi-Regimes. Sie nahmen Österreich mit Gewalt. Die Österreicher waren das allererste Opfer.“ [3] Allerdings, so Schüssel, hätten die Österreicher „eine moralische Verantwortung“ für ihre Vergangenheit zu tragen. Und moralische Verantwortung ist bekanntlich nicht mit Geld, Rückerstattung und Entschädigung aufzuwiegen ... Schützenhilfe erhielt Schüssel übrigens vom revisionistischen Grazer Historiker Stefan Karner. Er bemühte wieder einmal die Moskauer Deklaration, deren dürftiger Gehalt in der Frage des „Opferstatus“ inzwischen als geklärt angesehen werden kann, sprach von „einer Individualschuld von Tausenden Österreichern“ (eine starke Untertreibung) und betonte schließlich, es „stünde Österreich aus moralischen Gründen gut an, wenn man Wiedergutmachung leistet“. Dieses Lavieren zwischen Ansehen im Ausland (nichts anderes ist mit moralischen Gründen gemeint) einerseits und Aufrechnung und/oder Abwehr von Schuld, um etwaigen Geldforderungen auszuweichen, ist österreichische post-nationalsozialistische Politik, wie sie von Anfang an betrieben wurde.

Context XXI-Preisrätsel:
Wer findet „den Volksdeutschen“?

Und um noch einmal zu illustrieren, wie durch Jörg Haiders durch immer wiederkehrendes Vergleichen der Shoah mit der Ausweisung der „Sudetendeutschen“ die Shoah relativiert wird, seine aktuellste Aussage zum Thema. Am 20. Oktober sagte er in der Wiener Stadthalle beim Wahlkampfauftakt der FPÖ-Wien: „Reden wir über Wiedergutmachung: Die betrifft nämlich nicht nur die in New York und im Osten, sondern vor allem auch unsere sudetendeutsche Freunde. Wir wollen uns zuerst um die eigenen Leute kümmern.“ Eine deutlichere Fortschreibung der NS-Volksgemeinschaft, zu welcher die deutschen Juden und Jüdinnen im Gegensatz zu den „Sudetendeutschen“ in der Tschechoslowakei nicht gehörten, ist kaum vorstellbar. Aber zurück in den vergangenen Sommer. Die Diskussion wurde damals deshalb von der FPÖ angeheizt, weil Erhard Busek, der Regierungsbeauftragte für die EU-Ost-Erweiterung im Interview mit einer tschechischen Tageszeitung versicherte, die Drohungen Haiders, der die Frage des tschechischen EU-Beitritts mit der Aufhebung der Benes-Dekrete als erster in Verbindung gebracht hatte, würden nichts bedeuten. Haider griff daraufhin prompt in seine Rassismusschublade und warf Busek vor, dieser wolle „einem Land, von dem er offenbar abstammt, zur EU verhelfen“. Busek bezeichnete die Aussage als „einfach dumm“ und wies auf ihre Primitivität hin. Eine Standard-Karikatur fasste die Situation zusammen, indem einem lächelnden Busek in die Sprechblase geschrieben wurde: „Jetzt lass i mi in ’Ostenthaler’ umtaufen! Do wird er sich giften, der Hojac!“ (Der FPÖ-Klubobmann, der vehement die Ablöse Buseks forderte, hat sich ja bekanntlich von Hojac in den deutscheren Westenthaler umbenannt.) Der inzwischen verstorbene Obmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Österreich, Karsten Eder, war mit Buseks Linie natürlich auch nicht einverstanden. Er meinte in einem profil-Interview, Busek rede mit den Tschechen nicht so, wie es sich gehören würde. Da diese Regierung die erste ist, die die Aufhebung der Benes-Dekrete zum Programm gemacht hat, hatte Eder natürlich Oberwasser. Dass die Anliegen der „Sudetendeutschen“ von der FPÖ am vehementesten vertreten wurden und werden, war ihm allemal recht: „Jeder, der uns unterstützt, ist als Partner willkommen.“ Der ORF-Online hatte seine Berichterstattung im Sommer übrigens mit ein paar ganz besonderen einschlägigen Zusatzinformationen gewürzt. Auf den Seiten der Kärnten-Redaktion fand sich im Anschluß an einen Artikel ein Link zu einem Text des bekannten deutschen Rechtsextremisten Rolf-Josef Eibicht mit dem Titel „Die Entrechtung der Sudetendeutschen durch die Benes-Dekrete“, in dem er u.a. schreibt: „Die verbrecherischen Anordnungen der Benes-Dekrete, die mehrere Millionen Menschen ausplünderten und beraubten, sind ohne jedes Beispiel.“ Ein weiterer Link führte direkt zur website iolaos.com, einer revisionistische Internetbuchhandlung, die etwa ein „Weißbuch der Deutschen aus Jugoslawien“ anbietet, in dem die Vertreibung der Deutschen aufgrund der Avnoj-Bestimmungen als „Vernichtung“ bezeichnet wird.

[1Losung gehört auf der Donnerstagsdemo

[2Losung gehört auf der Donnerstagsdemo

[3Jerusalem Post, 9.11.2000/11 Heshvan 5761

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