FORVM, No. 209/I/II
April
1971

Bengalischer Bauernkrieg

I. Kolonialisierung und Unterentwicklung

Der Untergang des feudalen Systems in Asien, des orientalischen Despotismus, zeigt drei hervorragende Merkmale:

  • Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion (Entstehen einer potentiellen Industriearbeiterschaft durch den Druck der feudalen Oberschicht);
  • Trennung von Stadt und Land führt zu einer umfassenden Arbeitsteilung (und Herausbildung des Handelskapitals);
  • es kommt zur primären Akkumulation von Kapital (konzentriert auf die aufsteigende Klasse der Kaufleute und der wohlhabenden Bauern). [1]

Diese Merkmale sind die notwendigen Voraussetzungen für die Entstehung des Kapitalismus. „Was das Geldvermögen befähigt, Kapital zu werden, ist das Vorfinden einerseits der freien Arbeiter; zweitens das Vorfinden der Lebensmittel und Materialien usw., die sonst d’une manière ou d’une autre Eigentum der nun objektlos gewordenen Massen waren, als ebenfalls frei und verkäuflich“. [2]

Die europäischen Kolonialisatoren konnten sich in Nordamerika frei entwickeln, da sie auf keinen nennenswerten Widerstand stießen. Die Struktur dieser Gesellschaft war von Anfang an kapitalistisch und „ihre soziale und politische Kraft war weder von einem langen Kampf gegen die Feudalherrschaft geschwächt, noch bei den Bemühungen, die Konventionen und Überlieferungen des feudalistischen Zeitalters zu überwinden, vergeudet worden“. [3]

Am indischen Subkontinent sahen sich die europäischen Abenteurer festbegründeten Gesellschaften mit reichen und alten Kulturen gegenüber oder das Klima verhinderte jede größere Niederlassung europäischer Ankömmlinge. Die einzige Tätigkeit der Europäer war Raub. Der „außerhalb Europas direkt durch Plünderung, Versklavung und Raubmord erbeutete Schatz floß ins Mutterland zurück und verwandelte sich hier in Kapital“. [4]

Der westliche Kapitalismus zerschlug die wirtschaftliche Autarkie dieser Agrargesellschaften, zwang sie, landwirtschaftliche Produkte zum Export anzubauen und schuf ein riesiges Heer verarmter Arbeiter. „Die Tatsache, daß ein großer Teil des vorher akkumulierten und laufend erzeugten Überschusses der betroffenen Länder fortgeschafft wurde, mußte einen ernsten Rückschlag für deren ursprüngliche Akkumulation von Kapital zu Folge haben. Daß sie einer mörderischen ausländischen Konkurrenz ausgesetzt waren, konnte den Aufbau ihrer jungen Industrie nur hemmen.“ [5]

Auf diese Weise gerieten die Völker des indischen Subkontinents in doppelte Bedrängnis:

  1. Sie waren in der Gewalt des absterbenden Feudalismus; diese dörflichen Gemeinwesen haben, „so harmlos sie auch aussehen mögen, seit jeher die feste Grundlage des orientalischen Despotismus gebildet, indem sie den menschlichen Geist auf den denkbar engsten Gesichtskreis beschränkten, ihn zum gefügigen Werkzeug des Aberglaubens, zum unterwürfigen Sklaven traditioneller Regeln machten und ihn jeder Größe geschichtlicher Energien beraubten ... Wir dürfen nicht vergessen, daß diese kleinen Gemeinwesen durch Kastenunterschiede und Sklaverei befleckt waren, daß sie den Menschen unter das Joch äußerer Umstände zwangen, statt den Menschen zum Beherrscher der Umstände zu erheben, daß sie einen sich naturwüchsig entwickelnden Gesellschaftszustand in ein unveränderliches, naturgegebenes Schicksal transformierten und so zu (einer) tierisch rohen Naturanbetung gelangten“. [6]
  2. Zugleich bereicherten sich europäische Desperados und die britische Krone an Einkommen und Gewinn der Bauern. Die britischen Kolonialherren festigten ihre Herrschaft, indem sie sich mit den Grundbesitzern, Fürsten und einer großen Anzahl von Beamten verbündeten, Streit unter den indischen Völkern förderten und eine Gruppe gegen die andere ausspielten.
    „Beinahe alle wichtigen Probleme, vor denen wir heute stehen“, schrieb Nehru 1946, „sind während der britischen Herrschaft und als unmittelbare Folge der britischen Politik entstanden: die Fürsten; das Problem der Minoritäten; traditionelle Interessen, ausländische und indische; das Fehlen einer Industrie und die Vernachlässigung der Landwirtschaft; die außergewöhnliche Rückständigkeit der sozialen Einrichtungen; und vor allem die entsetzliche Armut des Volkes“. [7]

II. Die Gründung Pakistans

Die Entwicklung des Bügertums am indischen Subkontinent ist durch die Benachteiligung der islamischen Gruppen gekennzeichnet. Die Hindus konnten nicht nur die überwiegende Mehrheit der Beamtenschaft und das intellektuelle Reservoir stellen, sie waren auch als einzige nationale und religiöse Klasse fähig, eine Volkspartei aufzubauen, die indische Kongreßpartei, welche zugleich die Hegemonie der Bourgeoisie gewährleisten konnte.

Die Moslems konnten nie eine geschlossene Klasse mit Führungsanspruch stellen. Daher mußten sie die Moslim League unterstützen, die 1906 vom Feudaladel und Großgrundbesitz konstituiert wurde. [8] Obwohl die Moslem League ab 1930 immer mehr vom Kleinbürgertum durchsetzt wurde, konnte der Einfluß und die finanzielle Abhängigkeit von der Oberklasse nicht ausgeglichen werden; der bedeutendste Führer der League, Mohammed Ali Jinnah, kam zwar aus dem Kleinbürgertum, konnte aber die ökonomische Übermacht der Grundbesitzer nicht wettmachen. Er war erster Governor-General des neuen unabhängigen Pakistans (1947/48).

Die ersten schweren sozialen Konflikte tauchten auf, als die Moslemorthodoxie, die politischen Vertreter der Oberklassen, die neue Regierung unter Druck setzte. Ihre Hauptforderung war das Vetorecht in allen wesentlichen politischen und legislativen Fragen. [9]

Der Tod Jinnahs, der ein nationales Symbol darstellte, war ein erneutes Hindernis für die Entwicklung eines parlamentarischen Regierungssystems.

Die Moslim League zeigte auch bald die ersten Symptome ihres Zerfalls. Aber erst 1954 gelang es der United Front Opposition, getragen von einer demokratischen und antifeudalen Massenbewegung, 300 der 310 Sitze bei den Provinzwahlen in Ostpakistan zu erringen. Hierauf setzte der Konflikt zwischen dem Westen und Osten mit Heftigkeit ein: die Bengalen Ostpakistans kämpften gegen die Bevorzugung der westlichen Punjabi in der Beamtenschaft und der Armee.

1958 zerfällt das korrupte parlamentarische System endgültig. Die Armee und ihr oberster Befehlshaber, Ayub Khan, errichten ein Militärregime. Entsprechend der sozialen Herkunft des Offizierskorps entwickeln die neuen Machthaber politische Vorstellungen, die den Intentionen Nassers am ehesten entsprechen.

Von 1958 bis 1968 gibt es keine besonderen Herausforderungen für Ayub Khan. Die politische Opposition wird vom Führer der Awami-Liga Ostpakistans geleitet, Suhrawardy; dieser ist auch der politische Lehrer des nunmehrigen Awami-Chefs, Mujibur Rahman. Aber regionale Rivalitäten verhindern gemeinsames Vorgehen der Opposition.

Die massive Propaganda der Militärs schafft national und international (vornehmlich über britische Zeitungen, wie „The Times“ und „The Guardian“) das Bild sozialer Stabilität und eines unaufhaltsamen wirtschaftlichen Fortschritts.

III. Klassenstruktur

Pakistan ist noch immer ein vorwiegend agrarisches Land. Vier von fünf Pakistani leben in einer Dorfgemeinschaft, die noch immer mehr als die Hälfte des Nationaleinkommens aufbringt. [10] Die Landreformen, die unter der Führung der nationalen Bourgeoisie erfolgten, konnten zwar die halbfeudale Ausbeutung der Bauernschaft beschränken, an der Versklavung der Bauern insgesamt änderten sie nur wenig. Zugleich geht der Gesamtumfang des Landes, das von Bauern bearbeitet wurde, ständig zurück: die Großgrundbesitzer gehen gegenwärtig zur Unternehmerwirtschaft über und schaffen durch die Vertreibung der Pächter und den Einsatz von Landmaschinen ein riesiges Landproletariat. [11]

Westpakistan besteht aus den Provinzen Punjab, Sind, Baluchistan und der North West Frontier Province. Die Großgrundbesitzer dieses Landesteiles sind eine Schöpfung des Imperialismus, der die Dorfgemeinschaften zerstört hat. Der Großgrundbesitz war der eifrigste Verfechter der britischen Herrschaft, heute ist er die reaktionärste Klasse Pakistans und versucht mit allen Mitteln seine ökonomische Vorherrschaft zu erhalten. Das war auch das Motiv für die Unterstützung der Großagrarier für das Militärregime Ayub Khan.

Die Großgrundbesitzer (1,25 Prozent aller Grundbesitzer) verfügen auch nach den „Landreformen“ über 31,2 Prozent des Landes (65 Prozent des bebaubaren Landes). An die 5000 Großgrundbesitzer herrschen über ein Drittel bebaubaren Landes. Trotz dem wachsenden Einfluß des Kleinbürgertums und der Arbeiterschaft sind die Großgrundbesitzer das ausschlaggebende Moment in der Politik Westpakistans.

Die Großbauern verfügen über 21,9 Prozent des gesamten Landes. Sie sind zwar Gegner des Großgrundbesitzes, der die Mechanisierung schneller vorantreiben kann, werden aber auf Grund ihrer Privilegien kaum ein Bündnis mit den Bauern oder den Landarbeitern eingehen.

Die Bauern Westpakistans sind mehr oder minder (entsprechend der Größe und Nutzbarkeit ihres Besitzes) abhängig. In Krisenzeiten sind sie zum Landverkauf gezwungen und stellen dann einen Teil der Kleinbauern oder der Landarbeiter.

Die Kleinbauern zählen etwa 3,2 Millionen Menschen. Dazu kommen 2,5 Millionen landlose Arbeiter. Sie haben gerade genug um sich und ihre Familie zu ernähren. Durch ihre Unterjochung haben sie praktisch keine politischen Rechte. Sie arbeiten etwa 110 Stunden pro Woche und führen das Leben von Sklaven. Ihr angestauter Haß wird eines Tages nicht vor den Grundbesitzern haltmachen, noch vor einem Zusammenstoß mit der Armee zurückschrecken. „Die gewaltige Erhebung der chinesischen Landbevölkerung wird sich dagegen wie eine ‚Dinnerparty‘ ausnehmen“ (Tariq Ali).

Das kennzeichnende Merkmal der pakistanischen Bourgeoisie ist ihre Unerfahrenheit. Sie kann mit der Kompradorenbourgeoisie amerikanischer Gesellschaften verglichen werden. Ihre Abhängigkeit von amerikanischem und britischem Finanzkapital ist nahezu vollständig. Diese Klasse ist unfähig, sich eine demokratische Reform der Landverteilung auch nur vorzustellen. Um ihre unsichere Stellung zu halten, versucht sie mit allen Mitteln, zur Not auch mit Zugeständnissen an das Industrieproletariat und die Landarbeiter, eine revolutionäre Veränderung hintanzuhalten.

In jüngster Zeit unterstützt sie auch demokratische Parteien, wie die des ehemaligen Außenministers Zulfikar Ali Bhutto.

Letztlich liegt aber die Loyalität dieser Klasse bei Armee und Beamtenstand (Civil Service), jenen Einrichtungen, die sich noch immer als die wirksamsten Verteidiger des Status quo erwiesen haben.

Das Kleinbürgertum besteht aus einer Schicht vorwiegend kleiner Geschäftsleute, die wenig Profite machen und durch jede Krise getroffen werden können. Ein anderer, jeder Veränderung abholder Teil des Kleinbürgertums umfaßt den Zwischenhandel, die mittlere Beamtenhierarchie und den Ausbildungssektor; er geht in politischen Krisen mit Bourgeosie und Armee, da er seine kleinen Privilegien zu verlieren hat.

Die untere Schicht des Kleinbürgertums stellt den beweglichsten Teil dieser Klasse dar. Es sind in der Hauptsache Lehrer, Universitätsdozenten, technisches Personal usw. Sie haben eine progressive Rolle im antikapitalistischen Kampf, sind aber leicht durch demokratische Reformen zu besänftigen und wollen die führende Rolle des Industrie- und Landproletariats nicht anerkennen. Diese Schicht ist sozialistischen Ideen sehr aufgeschlossen und stellt herkunftsmäßig das führende Element der Studentenbewegung.

Das Proletariat der Industriestädte Pakistans ist zahlenmäßig klein, doch stellt es den Kern im Kampf gegen die Militärregierung. Unter ungünstigen Umständen, trotz der repressiven Arbeitsgesetzgebung und des zehnjährigen Lohnstopps unter Ayub Khan, führt es diesen Kampf. Das Regime hat praktisch alle Gewerkschaften zerschlagen; alle Reorganisierungsversuche sind bis jetzt gescheitert.

Die Stadtbevölkerung in Westpakistan macht etwa 12 Millionen aus, davon sind etwa ein Sechstel Industriearbeiterschaft, vor allem in der früheren Hauptstadt Karachi und in Rawalpindi mit seinen neuen Spinnereien.

IV. Ostpakistan

Die ökonomische und politische Unterjochung Ostpakistans durch Westpakistans Großgrundbesitz, Beamtenschaft und Armee ist beinahe lückenlos. Westpakistanische Entrepreneurs wurden hier zu Millionären; Armee und Civil Service, in der Mehrheit aus dem Westen kommend, halten die bengalische Mehrheit nieder. Die nationale Frage ist folglich ein Hauptwiderspruch.

Die bengalische Bourgeoisie durfte nie eine führende Rolle einnehmen, die Karriere in der Beamtenhierarchie und in der Armee ist ihr verwehrt, obwohl sie historisch ein weitaus höheres politisches Bewußtsein hat; ein altes Sprichwort sagt: „Die Bengalen denken heute, was die Inder morgen denken werden.“

Die Rationalisierung dieser Unterdrückung ist eine nationale und rassistische Ideologie. Sie fördert den Gegensatz der verschiedenen Völker, kann aber unter bestimmten Umständen eine fortschrittliche Rolle annehmen.

Die Agrarfrage ist heute die wichtigste wirtschaftliche Frage Ostpakistans, sie ist der Schlüssel zum revolutionären Bruch. Ostpakistan hat eine der höchsten Bevölkerungsdichten der Welt; bei einem Fünftel der Fläche Westpakistans hat es doppelt so viele Bewohner wie der Westen.

Eine partielle Landreform, einige Jahre nach der Staatsgründung, vertrieb die Großgrundbesitzer, in ihrer Mehrheit Hindu, und beschränkte das Pachtunwesen. Der Feudalismus konnte aber, im Gegensatz zu Westpakistan, hier nicht überdauern, doch hat sich unterdessen eine Art Kulakentum entwickelt.

Die Zahl der armen Bauern nimmt gegenwärtig rapide zu. Sie beträgt etwa 7 Millionen, dazu kommen noch an die 3,5 Millionen Landarbeiter, deren Familien in den Zahlenangaben nicht eingeschlossen sind. Die Kleinbauern leiden vor allem unter der hohen Besteuerung, die große Güter bevorzugt; bei Steuerrückständen wird ein Teil des Landes beschlagnahmt.

Während des Aufstandes 1968/69 wurden die staatlichen Steuereintreiber vor ein Volksgericht gestellt und gelegentlich auch zum Tod verurteilt. Die Furcht vor Konfiszierung ihres Bodens verschärft die Lage der armen Bauern und bringt immer mehr Land in die Hände der Kulaken, welche Geld zu Wucherpreisen leihen.

Die Durchschnittsgröße des Bodenbesitzes beträgt ein Hektar.

Das Land wird in den letzten Jahren von schweren Hungersnöten heimgesucht, die nur ausnahmsweise durch Überschwemmungen (1970) hervorgerufen werden. Die Reisproduktion ist ständig gesunken, der Preis für dieses Hauptnahrungsmittel ist um 30 Prozent gestiegen.

In einigen Gebieten existieren Bauernorganisationen, doch gelang ihnen bis jetzt noch keine überregionale Mobilisierung. Die Organisationen von Nordbengalen sind durch ihre Schlagkraft und Militanz bekannt, sie konnten der westpakistanischen Armee in den jüngsten Kämpfen den meisten Widerstand bieten.

Der geringe Industrialisierungsgrad Ostpakistans bewirkte in den letzten Jahren eine nur mäßige Zunahme der Stadtbevölkerung (im Westen hingegen an die 60 Prozent). Die letzten Fünfjahrespläne benachteiligten auch die industrielle Entwicklung des Ostens. Obwohl die bengalische Jute den Osten mit einer guten Zahlungsbilanz versorgen könnte, dient diese zur Finanzierung westpakistanischer Projekte und der Militarisierung. Produkte, welche in Westpakistan produziert werden, werden in Bengalen zu erhöhten Preisen verkauft. Auch das Durchschnittseinkommen der bengalischen Arbeiterfamilie ist niedriger als das der westpakistanischen.

V. Die Rolle der Imperialisten

Die ersten Jahre nach der Gründung Pakistans sind noch durch Vertrauen der herrschenden Klasse in das Commonwealth gekennzeichnet. Aber Großbritannien will sich nicht in den Konflikt um Kaschmir einmischen, der von Indien und Pakistan mit großer Heftigkeit ausgetragen wird. Großbritannien bezahlt dies mit allmählichem Verlust seiner Vormachtstellung.

Nach einem mißglückten Anbiederungsversuch an die Moslemstaaten des Nahen Ostens (Pakistan versteht sich als größter islamischer Staat), gerät der junge Staat in den Einflußbereich des imperialistischen Weltsystems. Am 24. Februar 1955 wird zwischen den USA, Großbritannien, dem Irak (später ausgetreten), der Türkei, Persien und Pakistan der CENTO-Pakt („für gegenseitige Hilfe“) geschlossen. Die USA sind Mitglied in den Militär-, Wirtschafts- und Antisubversionsausschüssen der CENTO. Später wird eine ansehnliche Zahl von „wirtschaftlichen Beratern“ der USA in Pakistan arbeiten.

Die „Auslandshilfe“ ist im wesentlichen das Kontrollinstrument der USA. John F. Kennedy drückte das einmal so aus: „Die Auslandshilfe ist ein Mittel, mit dem die USA Einfluß und Kontrolle auf der ganzen Welt ausüben und viele Länder unterstützen, die sonst zusammenbrechen oder dem Kommunismus anheimfallen würden“. [12]

Die militärische Auslandshilfe der USA bezweckt die Aufrechterhaltung eines militärischen Blocksystems. Die Angst der pakistanischen Machthaber, die sich heute wieder China angenähert haben, war damals den USA sehr willkommen. „Politisch gesehen hat die US-Militärhilfe die pakistanischen Streikräfte, die in diesem Land für Stabilität sorgen, gestärkt und Pakistan dazu veranlaßt, sich an gemeinsamen Verteidigungsabkommen zu beteiligen“. [13] Nach dem Krieg gegen Indien benötigt Pakistan über die Hälfte seines Budgets für Militärausgaben.

Der überwiegende Teil an Kapitalinvestitionen wird über internationale Konsortien geleistet, die indirekt unter der Kontrolle der USA stehen. Die Investitionshilfe teilt sich folgendermaßen auf: USA 700 Millionen Dollar, England 100 Millionen, Sowjetunion 45 Millionen, China 260 Millionen (200 davon wurden erst Ende 1970 gewährt). [14]

Mittels Politik der „offenen Tür“ können die USA die unterentwickelten Staaten ausbeuten: entweder durch direkte „Öffnung“ für Handel und Investitionen der USA oder durch Druck auf die Kolonialmacht, damit diese den USA „gleiche“ Handels- und Investitionsrechte gewährleistet. Die internationale Entwicklungshilfe wird vorwiegend von der AID (Agency for International Development) ausgeführt. Durch Freigabe der Einfuhren kann man jetzt in Karachi folgende Getränke kaufen, die aus importierten Konzentraten hergestellt werden: Bubble Up, Canada Dry, Citra, Coca-Cola, Double Kola, Kola Kola, Fanta, Hoffman’s Mission, Pepsi Cola, Perri Cola, Seven Up. „Gleichzeitig gibt es in dieser Stadt nur drei Unternehmen, die die Bevölkerung mit Flaschenmilich versorgen — zwei davon in Privatbesitz und eines in öffentlicher Hand, das aber nur begrenzt lieferfähig ist. [15]

Die USA profitieren aber auch noch auf andere Weise: „Die durch die Auslandshilfe finanzierten Exporte werden in den meisten Fällen von Schiffen unter US-Flagge transportiert. So zahlte die pakistanische Regierung für den Transport von 18 Lokomotiven aus dem Hilfsprogramm 113 Prozent mehr Fracht an den US-Reeder, als sie bezahlt hätte, wenn sie das billigste Angebot hätte annehmen können. Beim Transport von 20 kleineren Lokomotiven machten die Frachtkosten 62 Prozent aus. [16] Auf diese Weise können die USA Güter exportieren deren Preise über den Weltmarktpreisen liegen, weil die Gelder der AID zum Kauf dieser Waren verwendet werden müssen.

Die an Pakistan gelieferten Agrarprodukte amerikanischer Herkunft — etwa Weizen für die Bengalen, die seit Jahrhunderten Reis essen — werden über den normalen Handel verkauft. Der Erlös gehört der US-Regierung, die diese Gelder an die pakistanische Regierung oder an private Unternehmen verleiht. Diese Darlehen bringen wieder Zinsen und vergrößern die US-Guthaben ständig.

Dergestalt kontrollieren die USA beträchtliche Teile des Geldumlaufs und beschränken dementsprechend die wirtschaftliche Handlungsfreiheit. „Vom währungspolitischen Gesichtspunkt aus ist es für die (pakistanische) Staatsbank natürlich nicht sehr erfreulich, daß ein Dritter (die US-Regierung) 15 Prozent des gesamten Geldes in der Hand hat und nahezu 8 Prozent einseitig kontrolliert wenn sich die beiden Regierungen nicht über die Verwendung dieser Guthaben einig sind. [17] [18]

Die Kontrolle des Internationalen Währungsfonds über den Staatshaushalt der unterentwickelten Länder sei nur kurz erwähnt; ein großer Teil der Kredite dient zur Deckung früherer Schulden und nicht zur wirtschaftlichen Entwicklung.

VI. Bangla desh

Im 24. Jahr seines Bestehens zerbrach Pakistan. Die Awami-Liga unter der Führung von Mujibur Rahman eroberte beinahe alle Sitze bei den Provinzwahlen 1970. Diese Mehrheit gefährdete jedoch die herrschende Militärregierung. Die Awami-Liga hätte auch im gesamtpakistanischen Parlament über eine Majorität verfügt. Die Militärs zögerten monatelang die konstituierende Versammlung des Parlaments hinaus und waren zuletzt, als sich eine Spaltung der Landesteile abzeichnete, auch zu Verhandlungen bereit. Als jedoch die Armee unmittelbar nach den Verhandlungen direkt in Ostpakistan eingriff, proklamierte Mujibur Rahman die Unabhängigkeit.

Mujibur, inzwischen zu einem nationalen Symbol gewachsen, führt seit 1949 die Awami-Liga mit dem Motto „Bengalen den Bengalesen“. Er vertritt eine Politik des „demokratischen Sozialismus“ und will mit demokratischen Reformen eine Strukturveränderung der bengalischen Wirtschaft bewirken. Seine nationale Politik setzte sich durch, weil er den Haß der ausgebeuteten Bengalesen gegen ihre Unterdrücker mobilisieren konnte und weil die eigentlichen Linksparteien in einem jämmerlichen Zustand sind.

Die pakistanischen Kommunisten konnten nie eine revolutionäre Perspektive entwickeln. Sie verfechten eine Volksfrontpolitik. In den fünfziger Jahren unterwanderten die Kommunisten verschiedene progressive Parteien, verblieben aber bei ihren stalinistischen Anschauungen. Die politische Hauptwirkung im Osten ging daher von der nationalen Awami-Partei aus. 1967 kommt es zur Spaltung über der chinesischen Frage. Die chinesische Fraktion gab ihre Oppositionsrolle auf, offensichtlich unter Einfluß Pekings; heute unterstützen die chinesischen Kommunisten die Militärregierung gegen die Sezessionisten. Die sowjetische Richtung nahm unterdessen einen liberalen Standpunkt ein und versuchte, Formen der bürgerlichen Demokratie zu entwickeln.

Im Westen konnte der ehemalige Außenminister Ayubs, Zulfikar Bhutto, das Vakuum auf der Linken nützen; er schuf eine demokratische Volkspartei, die einen Großteil der progressiven Kräfte des Westens vertritt.

Im Osten verschärften sich bereits 1968 die sozialen Konflikte. Die Studenten besetzten Dacca und riefen den Generalstreik aus, der lückenlos befolgt wurde. Die Spontaneität der Bewegung überrannte jedoch ihre Führer, die ihre organisatorischen Kräfte überschätzt hatten. Der Altrevolutionär der chinesischen fraktion, Maulana Bhashani, unterstützte die Revolte, seine Organisation, die sich vor allem auf das Land stützt, konnte aber ihren Führungsanspruch nicht durchhalten. In dieser Situation konnte Mujibur Rahman, der von den Arbeitern Chiang Kai Shekh genannt wird, die politische Führung ergreifen und die Massen für seine bürgerlich-nationalen Ziele gewinnen.

Es ist sicher, daß sich die bürgerlich-demokratische Regierung des unabhängigen Bengalen nicht halten kann. Die westpakistanischen Militärs haben beinahe alle Städte Ostpakistans in ihrer Hand. Die bürgerliche Anhängerschaft Mujiburs wird brutal unterdrückt, desgleichen die städtische Arbeiterschaft; es soll bereits an die 300.000 Tote geben.

Das Land kann aber von den Militärs unmöglich kontrolliert werden. Die pakistanische Armee hat maximal 90.000 Mann zur Verfügung und muß sich daher auf die Städte konzentrieren. Demnächst werden die Monsunregen einsetzen und den Wirkungsraum der Armee noch weiter einschränken; Versorgungsschwierigkeiten bestanden schon in der Trockenzeit. In der Nordprovinz, welche die stärksten Bauernorganisationen besitzt, wird bereits jetzt der Widerstand organisiert. Es scheint sich ein Partisanenkrieg von ungeheurem Ausmaß abzuzeichnen.

Da die chinesischen Kommunisten die Zentralregierung unterstützen, kommt die einzige Hilfe zur Zeit aus Indien.

Unbeschadet der fehlenden Unterstützung durch China gilt für den kommenden bengalischen Partisanenkrieg, was Mao Tse-tung über den chinesischen sagte:

Der revolutionäre Krieg ist ein Krieg der Volksmassen; man kann ihn nur führen, indem man die Volksmassen mobilisiert, indem man sich auf die Volksmassen stützt.

Unsere Strategie ist: einer gegen zehn, unsere Taktik: zehn gegen einen; das ist eine der Grundregeln, dank deren wir den Feind besiegen können.

[1P. A. Baran, Politische Ökonomie des wirtschaftlichen Wachstums, Neuwied 1966. S. 231

[2K. Marx, Grundrisse, Frankfurt 1970. S. 404

[3Baran, S. 236

[4K. Marx, Kapital, MEW 23, Berlin 1968, S. 781

[5Baran, S. 239

[6K. Marx, Die britische Herrschaft in Indien, MEW 9, Berlin 1970, S. 132

[7Baran, S. 247, zit. J. Nehru, The Discovery of India, New York 1946

[8Alle Angaben, soweit nicht anders angegeben, sind entnommen: Tariq Ali, Revolutionary Perspectives for Pakistan, New Left Review 63, London; Tariq Ali, Pakistan: Military Rule or People’s Power, London 1970; M. Sayeed, The Political System of Pakistan, London-Oxford 1969

[9Asia Handbook, London 1969, Penguin Edition, S. 79

[10Asia, S. 85

[11Klassen und Klassenkampf in den Entwicklungsländern (2 — Wirtschaftliche Unabhängigkeit), Berlin (DDR) 1970, S. 177-179

[12zit. b: H. Magdoff, Das Zeitalter des Imperialismus, Frankfurt 1970, S. 101

[13Magdoff, S. 102

[14Asia, S. 86

[15Magdoff, S. 110

[16Magdoff, S. 114

[17Magdoff, S. 125

[18Magdoff, S. 128—133; vgl. T.: Hayter, Aid as Imperialism, London 1971

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