Heft 1-2/1999
Juni
1999

Censorship from the sky

Diskussion zur Situation der unabhängigen Medien in Jugoslawien

Am 10. Juni fand — während in der Zeit im Bild das Ende des Kosovo-Krieges verkündet wurde — eine Podiumsdiskussion zum Thema „war, web & the media“ statt. Wie ist die Situation der unabhängigen Medien in Jugoslawien, wie können sie unterstützt werden? So die angekündigten Fragestellungen, die von Medien- und NGO-VertreterInnen diskutiert wurden. Eine Zusammenfassung

B92 ist entgegen dem in vielen Ländern entstandenen Eindruck mehr als eine kleine, oppositionelle Sendestation. Dies präzisierte Branislav Zivkovic von B92 bereits in seinem Eingangsstatement. Erstens ist bzw. war B92 bis zu seiner Schließung am 2. April nicht unbedingt klein, sondern hatte eine beachtliche Reichweite. Zweitens ist B92 im Internet sehr aktiv und fungiert drittens auch als Herausgeber von Büchern und Zeitschriften. Und viertens ist B92 nicht das unabhängige Medium schlechthin, sondern Teil eines umfangreichen Netzwerks.

Und jetzt? Nach der Schließung des Senders, nach den Zerstörungen und den zeitgleich mit dem Beginn des Kosovo-Krieges verschärften Mediengesetzen? Die Gruppen des Netzwerks sind soweit wie möglich aktiv, z.B. über Internet. Die Situation ist schwierig, aber die Rolle der bestehenden oppositionellen Medien kann auf keinen Fall durch Radio free Europe oder andere wie auch immer gut gemeinte Projekte ersetzt werden.

Christine von Kohl ging daran anschließend auf die Problematik ein, daß nicht nur in Österreich, sondern in den westlichen Medien generell nur marginal über das tatsächlich vorhandene Spektrum oppositioneller Gruppen berichtet wird. Ihre Vermutung betrifft die Form des Widerstands, der — kommt er nicht als politische Partei einher — im westlichen Europa nicht als solcher erkannt wird. Weiters sieht Christine von Kohl den aus dem Kommunismus tradierten Trend, einer patriarchalen Vaterfigur bedingungslos zu folgen, als weiteres Erschwernis für das Entstehen organisierter Opposition, die über verschiedene „intellektuelle“ Kreise hinausgeht.

Ebenfalls eine Art Bestandsaufnahme fügte U. Lindenberg von Index on Censorship hinzu. Sie betonte die Rolle der neuen Technologien, die es den JournalistInnen ermöglicht hatten, Netzwerke sowohl untereinander als auch nach außen zu knüpfen — und dies ohne westliche Hilfe. Zivkovic ergänzt später, wie es durch den Umweg über Telefonleitung und Satelliten möglich war, auch weiterhin zu senden. Diese Methode machten sich nach dem Angriff auf das Belgrader Funkhaus auch die staatlichen Sender zu eigen, weshalb von der NATO schließlich auch Satellitenanlagen bombardiert wurden. Womit das Feld für die Debatte der möglichen Formen des Widerstands und damit der Rolle der Medien eröffnet war.

Um es vorwegzunehmen: Die Diskussion entfernte sich rasch vom Anlaßfall Jugoslawien hin zu generellen medienethischen Fragen. Und sie kehrte wieder zum Anlaßfall zurück, schnell und emotional aufgeladen, wenn in welcher Form auch immer ein Abwägen von Schuld und Leid in diesem Krieg begonnen wurde.

Zunächst ging es um die berichteten Wahrheiten. Für Peter Vujica vom Standard ist „das jeweilige Datum das einzige, was in allen Zeitungen stimmt.“ Der Rest sei mit Mißtrauen zu genießen. Neben den berichteten existieren die verschwiegenen Wahrheiten. Zum Beispiel, daß am fünften Juni in Washington 12.000 Menschen gegen die NATO-Bombardements demonstrierten — nicht eine einzige amerikanische Zeitung berichtete darüber. Zum Beispiel die Fußnote, die NATO-Vertreter einigen JournalistInnen in Rambouillet sinngemäß mitteilten, off-records freilich: Wir haben die Bedingungen dieses Vertrages absichtlich so hoch gesteckt, daß die Serben sie nicht erfüllen können. Denn sie verdienen es, bombardiert zu werden „and we are going to do that.“

Die Lücke zwischen der Wahrheit des global village und den anderen Wahrheiten ließe sich demnach nur durch höchst aufwendige individuelle Recherchen im Internet schließen. Denn es gibt sie ja, die Gegenstimmen, doch keiner will sie hören bzw. drucken.

Aus dem Publikum wird diese Darstellung der westlichen Medien kritisiert, nein, es gäbe objektive Berichterstattung. Einspruch vom Podium, denn Objektivität, so Christine von Kohl, gibt es nicht und kann nicht das Ziel sein, jedoch eine faire und seriöse Berichterstattung.

Zurückgekehrt zu einer Beschreibung der Medienfreiheit in Jugoslawien, zeichnen die DiskussionsteilnehmerInnen ein einhellig erschreckendes Bild, das Melitta Sunjic als einen Versuchsgarten der Medienunterdrückung bezeichnet, dessen Artenvielfalt von Vertriebsverboten bis zu Prügel und auch Mord reicht. Irgendwann in der Debatte um die Zerstörung von B92 durch das jugoslawische Regime und die Zerstörung der jugoslawischen Sendeanlagen durch die NATO, mitten in der Diskussion über die Angemessenheit des ausgeprägten westlichen Selbstbewußtseins in Sachen Demokratie und Medienfreiheit, spricht Branislav Zivkovic von „Censorship from the sky.“ Zu den bekannten Formen der Zensur kam eine neue hinzu. Und welche Zensur gibt es, die stärker ist als Bomben, so Zivkovic. Soviel zur Demokratieförderung seitens der NATO.

Zu einer anderen Art der Demokratieförderung, nämlich zum Aufbau bzw. zur Stärkung einer unabhängigen Medienszene werden derzeit umfangreiche EU-Projekte entwickelt, die von allen Anwesenden heftig als nicht bedarfsbezogen, die exisiterenden unabhängigen Medien ignorierend und aufgesetzt kritisiert werden.

Aus alledem ergibt sich für die Suche nach Strategien, für die Kanalisierung der Hilfsbereitschaft eine Leitlinie, wie sie Zivkovic formuliert: „try to listen to us.“ Zuhören, statt über die Bedürfnisse der unabhängigen Medien in Belgrad zu phantasieren. Zuhören und berichten über die demokratische Bewegung, die bereits existiert.

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