Streifzüge, Heft 31
Juni
2004

Copyleft ante portas?

Antikritisches zum Urheberrecht und Kritisches zu Stefan Meretz

Ach wie schön: Endlich haben wir eine Insel gefunden, um uns vom schnöden Verwertungszusammenhang des kapitalistischen Marktes zu lösen, der „Eigenarbeit“ ein Loblied in emanzipatorischer Tonart zu singen und die „Schaffung stofflichen Reichtums jenseits der Wertform“ zu antizipieren. Stefan Meretz setzt aufs „Copyleft“-Konzept um „Reichtum zu produzieren, der keine Wertform annehmen muss“, und sieht darin ein Türchen aufgestoßen zu einer „neuen Welt“. – Wo lebt der Mann?

1.

„Copyleft“ setzt aufs bürgerliche Recht nicht weniger als „Copyright“. Das durch Copyleft eingeräumte Werknutzungsrecht ist ein limitiertes, also an Bedingungen geknüpftes Nutzungsrecht. Die Einhaltung dieser Bedingung (freie Verwendung unter Angabe von Autor/in, Titel und Quelle des Originals sowie Erhalt des Copylefts) setzt das Vorliegen eines urheberrechtsfähigen Werkes voraus, basiert also prinzipiell auf dem Ausschlussrecht der Autorin bzw. des Autors an seinem Werk – und unterscheidet sich von daher in keiner Weise vom „Konzept“ des Urheberrechts. Einziger Unterschied: Wer Copyleft sagt, will bei entsprechender „Verwertung“ seiner Leistung (Arbeit) kein Geld. Die „Werkschaffenden“ (Urheber) müssen ihre Subsistenz zwar weiterhin wohl irgendwie gewährleisten, aber sie sollen dies gefälligst tun, ohne dabei vom typischen Produkt ihres Schaffens, nämlich dem „Werk“ als marktfähigem Gut, einen vermögenswerten Vorteil zu ziehen. Das freut Journalistinnen und Übersetzerinnen, Schriftsteller und Regisseure, Komponisten und Kameraleute, Drehbuchautoren und Malerinnen – und alle anderen Künstler und Interpreten! Noch mehr aber freut es die kommerziellen Werknutzer, die sich diese Leistungen aneignen und daran verdienen (werden), ohne jede Verpflichtung einer Beteiligung der unmittelbaren Produzenten.

2.

Damit liegt das Konzept von Copyleft ganz gut im Trend: Es ist ohnedies die Realität des kapitalistischen Verwertungszusammenhangs, dass sich die Protagonisten dieses Spektakels in immer größerem Ausmaß die Produkte menschlicher Arbeit unentgeltlich aneignen, um sie dann (allenfalls in modifizierter, d. h. markttauglicher Form) entgeltlich zu verwerten. Der immerhin mögliche Einwand, das Copyleft müsste doch erhalten bleiben, scheitert an der schnöden Realität: Was werden denn die Copyleft-Apostel machen, wenn dieser Auflage nicht entsprochen wird? Werden sie (so wie bisher auch) den Gang zum bürgerlichen Gericht antreten, dort den Werkcharakter ihrer „Schöpfung“ nachweisen und auf Unterlassung der jeweiligen Werknutzung klagen – gestützt aufs Urheberrecht? Oder werden sie es hinnehmen, weil das Urheberrecht ohnedies abgeschafft gehört?

3.

Die unschwer beschreibbare „Entindividualisierung und Vergesellschaftung des Urheberrechts“ (vgl. bloß meine Notiz: Die Vergesellschaftung des Urheberrechts. Anfang und Ende des geistigen Eigentums, in: Wespennest, Nr. 108/1997, S. 60-65) vollzieht sich ohnedies. Copyleft gibt dieser quasi naturwüchsigen Tendenz bereitwilligst nach – und beharrt gleichzeitig auf der Angabe von Autor/in und Quelle (und also weiterhin auf Realisierung der Urheberpersönlichkeitsrechte). Richtig: Das Urheberrecht ist – politökonomisch gedacht – nichts anderes als die Einräumung eines Eigentumsrechts für den Produzenten, das andere von der Nutzung „seines Gutes“ ausschließen soll. Darin liegt das Wesen des Eigentumsrechts. Die Copyleft-Bewegung hat das historische Recht auf ihrer Seite, wenn sie die Abschaffung des Eigentums anstrebt – aber warum sollen wir ausgerechnet bei denen anfangen, für die das Urheberrecht als rudimentäre Form eines Arbeits(schutz)rechts zumindest einen gewissen Schutz bietet? Warum steht nicht die Enteignung (oder zumindest Demokratisierung) der Verwertungsmonopole und der großen Verwertungsgesellschaften auf dem Programm? – Wer heute ohne entsprechende gesellschaftliche Konzeption den Kampf gegen „das“ Urheberrecht auf seine Fahnen kritzelt, der leistet einen (durchaus: zyklischen! ) Beitrag zum weiteren Abbau rudimentärer Schutzrechte der unmittelbaren Produzenten.

4.

Was an den Bemerkungen von Stefan Meretz so verstört, ist der so ganz und gar nicht thematisierte Widerspruch zwischen der demagogisch nach außen gekehrten Abschiednahme vom konventionellen Urheberrecht und der gleichzeitigen Anbindung an das Urheberrecht. „Copyleft nützt die exklusive Verfügungsmöglichkeiten und verfügt: Alle sollen über das Gut verfügen und niemand soll ausgeschlossen werden“, heißt es. Mit anderen Worten: Gerade das überkommene Ausschließungrecht des Urhebers soll zementiert werden. Keine Rede davon, dass die längst fällige Neusystematisierung des Urheberrechts in Angriff genommen würde (vgl. für einen Problemaufriss etwa Joost Smiers, Geistiges Eigentum ist Diebstahl. Hat das Urheberrecht ausgedient?, in: Le Monde diplomatique, September 2001, S. 11). Es ist nicht wahr, dass es – wie Meretz schreibt – undenkbar schien, „dass das wohlformierte Warensubjekt jemals auf die Idee käme, einfach seine Leistungen zu verschenken“. Ganz im Gegenteil: Die gesamte „kreative Produktion“ im Kapitalismus basiert darauf, dass geistige Leistungen „verschenkt“ werden (also weit unter dem potentiellen Tauschwert zur Nutzung eingeräumt werden). Die Urheberinnen und Urheber verschenken schon jetzt – und bis auf weiteres. Sie sind bei der „Vermarktung“ ihrer Leistungen auf die Tätigkeit kommerzieller Marktmittler oder auf das Tätigwerden einschlägiger Verwertungsgesellschaften angewiesen. Das Copyleft-Konzept ist nichts anderes als die emanzipatorisch bemäntelte Perpetuierung eines gesellschaftlichen Missstandes; dem Copyleft-Konzept wird der Heiligenschein eines „wahrhaft genialen Hacks“ aufgesetzt, ohne dass sich der theoretisierende Ideologe groß ums Brot der Urheberinnen und Urheber kümmern müsste. Gesellschaftspolitisch wird hier die Schwächung einer Rechtsposition betrieben – nicht deswegen, weil das Urheberrecht und seine Ausschließungsrechte kritisiert würden (dazu gibt es reichlich Anlass), sondern weil der isolierte und von jeder politisch-sozialen Kraftentwicklung abgekoppelte Konzeptvorschlag just jene Positionen schädigt, die es den unmittelbaren Produzenten erlaubt, punktuell Gegenkraft und Widerstand zu entwickeln.

5.

Es ist ein systematischer Irrtum zu glauben, dass der kapitalistische Gesellschaftszusammenhang „individuelle Selbstentfaltung unter wertfreien Bedingungen“ zuließe. Prinzipiell befestigt jede individuelle Handlung (abgesehen vom Selbstmord) die kapitalistische Produktionsweise. Dass aber der kollektive Verzicht der unmittelbaren Produzenten auf ihre (Urheber-)Rechte zu einer sozialen Bewegung sich auswachsen könnte – das ist nicht nur nicht garantiert, sondern ganz und gar unwahrscheinlich. „Stofflicher Reichtum jenseits der Wertform“ ist unter der globalen Herrschaft des Wertgesetzes nicht zu haben. Jede Einräumung von Nutzungsrechten (oder auch nur: deren bloße „Aneignung“) und jeder Transfer von „eigentümlichen geistigen Schöpfungen“ (§ 1 UrhG) unterliegt den Gesetzen des kapitalistischen Verwertungsprozesses – diese aushebeln zu wollen, ohne die gesellschaftlichen Eigentumsverhältnisse insgesamt zu ändern, ist bestenfalls illusorisch, eher aber: eine prozyklische Kampfanleitung zur weiteren gesellschaftlichen Abwertung „lebendiger Arbeit“.

6.

Der von Stefan Meretz notierte Widerspruch zwischen „Allgemeinem Wissen vs. Warenform“ ist nicht umstandslos geeignet, „die Entwicklung“ voranzutreiben. Es ist eine über den bloßen Verdacht nicht weit hinausweisende bloße Behauptung, dass die „Entwertung“ von Originalen schon zu einer sozial und politisch relevanten Verallgemeinerung des darin vergegenständlichten Wissens führen würde. Woher die Zuversicht? Die Dialektik zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung im Kapitalismus lässt sich nicht dadurch aufheben, dass man theoretisierend von den tatsächlichen Verwertungsbedingungen absieht. In vielerlei Fällen ist es (ob wir’s kritisieren oder nicht) gerade die Zurichtung des Wissens zur marktgängigen Ware, die die Verbreitung des Wissens unter gegebenen Bedingungen überhaupt erst ermöglicht. Das nimmt der global veranstalteten Enteignung von Wissen, Können, Kultur und Kreativität nichts von ihrer Anrüchigkeit, weist aber darauf hin, dass in vielen Fällen „Reichtum“ erst als solcher erkannt und sozial verträglich genutzt werden kann, wenn er in einem entsprechenden „Transaktionsraum“ positioniert wird. Oder anders: Gibt es nicht einige gute Gründe, etwa die Streifzüge zu kaufen, auch wenn man dafür nur Papier erhält (weil der Content ja ohnedies frei und über www.streifzuege.org herunterladbar ist)?

7.

Nota bene: Wenn sich denn die Copyleft-Bewegung schon vom Ausschließungsrecht der Urheber/innen verabschieden will, dann sollte sie die Angst vor der eigenen Courage überwinden und theoretische Stringenz mit politischer Entschlossenheit paaren: Wo soziales, politisches und/oder kulturell bedeutsames Wissen von wirtschaftlich Mächtigen monopolisiert und den Nutzer/innen dadurch vorenthalten wird, sollte der Ruf nach „eigenwilliger Aneignung“ (vulgo: Diebstahl!) dieses Wissens erschallen und gleichzeitig kollektiv dafür gesorgt werden, dass (etwa durch eine entsprechend höhere Besteuerung der kommerziellen Nutzer und zweck- und personengebundenen Transfer dieser Gelder) die unmittelbaren Werkproduzenten für ihre „wertvolle“ Arbeit entsprechend vergütet werden. Alles andere ist nur die wortreich verbrämte Befestigung eines Zustands, der schon jetzt die permanente Enteignung der Werkschaffenden zur Grundlage hat.

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