FORVM, No. 487-492
Dezember
1994

Das Leben nach der Bombe*

W. G., Philosophie-Dozent in Graz, war Adressat einer Briefbombe der ersten Welle: als Exponent der slowenischen Minderheit in der Steiermark, ganz wie, bei der zweiten Bomben-Serie, der Verleger Lojse Wieser in Kärnten. Die — partes pro tote — Solidarität mit ihnen bleibt hilflos, ich weiß, aber herzlich, das sollen sie wissen.

1. Der 5. Dezember 1993

war ein Sonntag, der Vorabend des Festes des Hl. Nikolaus von Myra, an welchem in der katholischen Steiermark nach Einbruch der Dunkelheit Kinder und junge unverheiratete Mädchen bzw. Frauen in angemessener Weise beschenkt oder manchmal auch vom »Krampus«, dem für Kinder und auch »Jungfrauen« zuständigen Teufel mit seiner wilden, kettenbehangenen Meute, geholt werden. In Dedenitz, Sicheldorf, Zelting, Altneudörfl, Laafeld und Göritz bei Radkersburg (und auch anderswo) zogen junge Burschen von Haus zu Haus, um diesen alten Brauch auszuführen. Noch hatte man in der Bevölkerung nicht oder kaum bemerkt, daß seit den Mittagsstunden dort unten im sog. Radkersburger Zipfel sowieso schon »der Teufel los war«: Hubschrauber waren gelandet, viele Autos fremder Nummern aus Slowenien, Wien und Graz verparkten die raren Abstellplätze einer kleinen Stadt. Was war geschehen? Eine vierte der schließlich zehn Briefbomben war entdeckt und am frühen Nachmittag ohne Schaden entschärft worden.

Begonnen hatte die Briefbombenserie bereits am Freitag (3.12.), und zwar in Wien und Hartberg, wobei zwei der drei Bomben explodierten und drei Menschen zum Teil schwer verletzten. Am »Nikolauswochenende« selbst, am Samstag und am nachmitternächtlichen Sonntag herrschte Spannung, Nachrichtenchaos und die sonst übliche, österreichische Wochenendunruhe. Der Sonntag versprach jedoch Abwechslung: Um circa 20:05 Uhr wurde der von einer Auslandsreise heimkehrende Wiener Bürgermeister, Professor Helmut Zilk, beim Öffnen seiner Post von der fünften Briefbombe (in der Reihenfolge ihrer Entdeckung) sehr schwer verletzt. Die zu diesem Zeitpunk im steirisch-slowenischen Grenzort Bad Radkersburg/Gornja Radgona befindliche Einheit der EBT (Einsatzgruppe des Innenministeriums zur Bekämpfung des Terrorismus) wurde umgehend nach Wien zurückbeordert. Der Grund der Anwesenheit der EBT im Bezirk Radkersburg waren die Entschärfung der vierten Bombe und erste Erhebungen gewesen. Um etwa 10:15 Uhr hatte nämlich Frau Mag. H. A., die amtierende damalige Obfrau des »Artikel-VII- Kulturvereines für Steiermark«, an diesem Sonntag ein etwas auffälliges Poststück als vermutliche Briefbombe identifiziert. Der neben der persönlichen Namens- und Vereinsnennung lediglich mit »8490 Radkersburg« adressierte Brief, der zweite seiner Art mit einem Empfänger in der Steiermark, war ihr am 3.12.1993 unter ihrer Wohnadresse in Radkersburg-Umgebung zugestellt worden. Der Briefträger entschied sich dazu trotz der Nennung des Namens »Dr. Gombotz« [sic], des Verfassers dieser Darstellung, als Obmann, was ich damals nicht war und auch jetzt nicht bin. (Die Wohnadresse meiner Eltern ist dem Zusteller ebenfalls bekannt, er hat aber anders entschieden und damit ein damals schon am Freitag durchaus mögliches Unglück verhindert.) Die Namensverschiedenheit und auch die Unvollständigkeit der Adresse führten dazu, daß Frau H. A., ihre Mutter, ihr Ehemann und ich (samt meiner Familie) unverletzt blieben, weil sie den ihr übergebenen Brief weder öffnete, noch mir oder meinen Eltern in ihrer Nachbarschaft weiterleitete, sondern ihn zwei Nächte einfach liegen ließ. Zu einer Lebensretterin kann man auch zufällig und unabsichtlich werden! Nach den schon am Freitag bekanntgewordenen Bombenexplosionen und -verletzungen von Frau Silvana Meixner und ihrer Mitarbeiterin (ORF Wien) und Herrn Pfarrer August Janisch (Hartberg) sowie aufgrund meiner (der Obfrau seit etwa 1989 und insbesondere dann ab Juli 1992 mehrfach vorgetragenen) begründeten Befürchtungen eines bevorstehenden Attentates auf irgendwelche Mitglieder des Vereinsvorstandes erkannte die »Lebensretterin« am Sonntagvormittag plötzlich die Gefahr und informierte mich telefonisch über die möglicherweise heiße Post an den Verein bzw. an mich in ihrem Haus. Die dann von mir sofort eingeschaltete Sicherheitsdirektion für Steiermark konnte in Zusammenarbeit mit dem Gendarmerieposten Bad Radkersburg die Sendung innerhalb von etwa vier Stunden als Briefbombe ausmachen und unfallfrei entschärfen, welcher Umstand mir auch um etwa 15 Uhr mitgeteilt wurde: »Ja, es ist die vierte Bombe, Herr Doktor!«

Resümierend läßt sich erstens festhalten, daß der eine Nachmittag des EBT-Einsatzes in Radkersburg und Umgebung für eine Aufklärung — ganz zu schweigen von einer vollständigen Aufklärung — dieses durch die Klugheit einer Frau gescheiterten Anschlages gegen Mitglieder der zweisprachigen Bevölkerung in der Steiermark natürlich nicht ausreichte — und zweitens, daß dies vielleicht auch so sein sollte!

2. Ein Jahrzehnt der Drohungen

Verschiedene Vorstandsmitglieder, aber auch einige außerhalb des Vereines stehende bekannte Angehörige der zweisprachigen Bevölkerung in den Bezirken Deutschlandsberg, Leibnitz, Radkersburg, Feldbach, Graz und Graz-Umgebung wurden seit Beginn der achtziger Jahre mit »Ohrwatschen«, Berufsverlust, Landesverweis, Kastration, Anschlägen und dem Tod bedroht, meistens telefonisch und anonym, vereinzelt auch schriftlich oder gar von Angesicht zu Angesicht. (Ich selber habe einige Drohanrufe dieser Zeit zur Anzeige »gegen Unbekannt« gebracht und war Ende der achtziger Jahre einmal auch Opfer eines harmlosen tätlichen Angriffes.) Im Verein, aber auch im Freundeskreis herrschte die Ansicht vor, man müsse mit derartigen Bedrohungen einer zwar radikalen, aber eigentlich untätig-unwirksamen und daher ungefährlichen Kleingruppe leben, sei doch der Schutz einer durchaus demokratisch eingestellten Öffentlichkeit gewährleistet. Ich teilte diese Meinung, bis es mir und einigen meiner Freunde gestattet wurde, in die staatspolizeilichen Vereinsakten wie auch in Akten ad personam Einsicht zu nehmen. Da fiel es uns wie Schuppen von den Augen. Und es fehlen einem die Worte, die inneren Vorgänge angesichts derartiger Dokumente zu beschreiben: Die »kleine untätige Gruppe« hatte es geschafft, Hofräte, einige hohe Landespolitiker und schließlich die Staatspolizei selbst als Verbündete für ihre rechtsextreme, teilweise gesetzwidrige [!] Politik zu gewinnen. Diesen 15. Juli 1992 in der Wiener Herrengasse werde ich nicht so leicht vergessen. Ich hatte die Gelegenheit, Teile meines staatspolizeilichen Aktes persönlich zu studieren, wie ich es seit März 1990 aufgrund einer entsprechenden Zusage des damaligen Innenministers begehrt hatte. Vorher schon konnte ich Berichte und Teile von STAPO-Akt-Kopien anderer betroffener Mitglieder österreichischer Volksgruppen studieren. Am 15.7.1992 konnte ich selbst einen kleinen Teil meines eigenen »Konvoluts« durchsehen. Die in sehr anstrengenden zwei Stunden gewonnenen Erkenntnisse von Zusammenhängen einer tatsächlich existierenden und groß angelegten, auch auf meine Person gerichteten »Zangenbewegung«, in welche vor allem ein Bezirkshauptmann und verschiedene nach wie vor im Amt befindliche große und kleine Politiker hauptsächlich der ÖVP, aber auch der SPÖ involviert waren, mündeten in der empirischen Begründung einer ernsthaften Bedrohung der organisierten zweisprachigen Bevölkerung. Diese Bedrohung wurde als eine im Prinzip auch das Leben und die Angehörigen betreffende persönliche »Katastrophe« erlebt. Heute, fast ein Jahr nach der Bombe, erweist die »Katastrophe« sich als eine Mischung aus durchaus ernstzunehmender und leider bis zum Dezember 1993 auch von mir selbst und vielen anderen massiv unterschätzter Lebensbedrohung und aus teilweise dilettantischem Anschwärzen, teilweise operettenhafter Phantasterei und doch gefährlicher Denunziation unverbesserlicher Ewiggestriger und Altgläubiger (unter diesen eben auch »wirkliche« Hofräte; vgl. dazu die Bedeutung des Wortes »sivec« im Radkersburger Dialekt, da der Absender der Briefbombe Nr. 4 sich immerhin Franz Sivetz nennt!), aber auch neuhinzugekommener jüngerer »Rechtsextremisten«. Die der Bedrohung ausgesetzten Personen umfassen indes eine numerisch signifikante Anzahl allein schon aus der Volksgruppe der steirischen Slowenen. Eine persönliche Katastrophe war es auch, da mich diese ernüchternde Wissenserweiterung mehrere Wochen wertvollster Arbeitszeit gerade während der großen Sommerferien kostete: Ich versuchte, einige der im Akt genannten Denunzianten und Informanten persönlich zu kontaktieren bzw. zu interviewen. In der Liste der im Akt angeführten, prominenten Informanten und Denunzianten erscheinen u.a. das »Büro« des steirischen Landeshauptmannes, zwei Hofräte in seiner unmittelbaren Umgebung, selbst ein Bezirkshauptmann und einige Universitätskollegen mit Rang und Namen. Der größere Teil von Informanten und Denunzianten bleibt allerdings anonym. Auffällig ist dabei, daß insbesondere die Interventionen aus der Umgebung des damals amtierenden Landtagspräsidenten und des damaligen Radkersburger Bezirkshauptmannes stets anonymisiert bzw. verschleiert sind. Weder die Informanten der Genannten noch die Einschreiter bei der Sicherheitsdirektion bzw. bei der Staatspolizei werden (mit ganz wenigen Ausnahmen) namentlich angeführt. Auch die konspirative bzw. durchlässige Stelle in der Universitätsbürokratie ist aus den eingesehenen Akten nicht eruierbar. Allein der Umstand, daß die Staatspolizei entweder ungehindert und jederzeit in universitäre Personalakten Einsicht nehmen kann oder entsprechende gesprächige Informanten im Rektorat oder Dekanat der Universität sitzen, ist ein ernüchternder Skandal. Auch die Tatsache, seit Jänner 1990 [sic!] in einem Spezialakt des Innenministeriums als Mitglied einer »proserbischen Einsatzgruppe in Graz« für den Fall des Zerfalls Jugoslawiens geführt zu werden, ist trotz der freundlichen Mitteilung der Beamtin, welche mein Aktenstudium observierte, die dahinterstehende Denunziation sei als unglaubhaft eingestuft worden, nicht gerade ein Beruhigungsmittel: Man bedenke, daß zum Zeitpunkt der STAPO-Akt-Lektüre im Juli 1992 die Desintegration Jugoslawiens bereits weit fortgeschritten, um nicht zu sagen, abgeschlossen war. Man bedenke weiters ernstlich die geradezu exponentiell anwachsenden »serbischen« und »proserbischen« Kriegshandlungen (einschließlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit) wenige Kilometer südlich von Radkersburg/Radgona seit dem slowenisch-»jugoslawischen« Juni-Juli-Krieg 91 und seit der endgültigen Unabhängigkeitserklärung Sloweniens am 8. Oktober 1991, insbesondere während der kriegerischen Aggressionen in Kroatien und Bosnien 1992 und zu Anfang 1993. Man möge zur Kenntnis nehmen, daß dieser »proserbische« Eintrag in meinem STAPO-Akt, obschon ich ihn nicht promulgierte, sondern geradezu ängstlich verbarg, der Steirischen ›Kronen Zeitung‹ [1] im Dezember 1993 nicht nur bekannt ist, sondern auch in Form einer »positiven« Aus- bzw. Umdeutung »von besonderer Seite [eines Hofrates; Ergänzung d. Verf.]« dem Nachweis dient, daß ein »winziger slowenischer Kulturverein« (Zitat) und seine Funktionäre wohl zu Recht in die Liste der Bombenadressaten aufgenommen wurden, weil sie angeblich serbischen Deserteuren aus der Armee (JNA) Restjugoslawiens halfen.

3. Das Bedrohungsszenario

wird real erlebt; es hat seit der Bombe eher noch zugenommen, subjektiv und auch objektiv. Der neue Obmann des »Artikel-VII-Kulturvereines für Steiermark« erhielt bereits einen Monat nach seiner Wahl im März 1994 eine schriftliche Todesdrohung, aufgegeben im Postamt Weitersfeld bei Mureck (Bezirk Radkersburg). Der Verfasser dieser Zeilen wurde zuletzt am 15. August 1994 um etwa 8:20 Uhr in der Früh telefonisch und mit eindeutigem, männlichem Kärntner Zungenschlag — vermutlich von einem Mitglied einer schlagenden Studentenverbindung [2] — über ein nahe bevorstehendes, gefährliches und daher angsterzeugendes (»Du hast Angst, was!«) Ereignis in Kenntnis gesetzt. Obschon dieses Telefongespräch mit der »Stimme« eines verrückt spielenden Anrufers durch seine Überlagerung eines zeitweise allein »sprechenden« Texttonbandes auch sehr verwirrt und dadurch »harmlos« wirkte, jedenfalls nicht leicht verständlich war, so war die Explosion einer vor einer Schule versteckten Bombe eine Woche später in Klagenfurt mehr als schockierend, da der Anrufer, der behauptete genau zu wissen, mit wem er worüber spreche, mehrfach wörtlich auf »Pennäler« und auf »Pennälersäbel« [sic] bezuggenommen hatte, was alles auch der Polizei sofort angezeigt wurde. Derlei Kundgaben sind aber nur die Spitze eines Eisberges. Verschiedene Vorfälle in den Wochen nach dem Briefbombenattentat, also vom Dezember 1993 bis etwa in den März 1994, haben unsere wachsende Bereitschaft, hier im Amt befindliche Politiker (und Staatsdiener) als involviert zu vermuten, zumindest in einigen Fällen in eine entsprechende Gewißheit verwandelt. Es gibt Hinweise auf wenigstens zwei Arten derartiger Involvierung bzw. Nähe:

(a) Einmal scheint es nicht unwahrscheinlich zu sein, daß gewisse Politiker geistige und auch finanzielle Väter von gegen Verein und ausgewählte Mitglieder der zweisprachigen steirischen Ethnien (ähnliches gilt auch für die Roma und Sinti) gerichteten Großaktionen sind; jedenfalls geht aus STAPO-Akten wie auch aus anderen Beweismaterialien und einer einzelnen Zeugenaussage hervor, daß höchste Landespolitiker sich verschiedenster Methoden und Mittel bedien(t)en, insbesondere aber auch der Staatspolizei bzw. der Sicherheitsdirektion selbst, um auf den Verein als solchen, aber auch auf ausgesuchte (oft »schwache«) Individuen Druck auszuüben. Die übergeordnete/angeordnete Absicht war wohl, diese alle — Verein, starke und schwache Individuen — schließlich mundtot zu machen und den Verein selbst möglichst zur Aufgabe zu bewegen.

(b) Zum andern weisen verschiedene Vorkommnisse im Zusammenhang mit der Fahndung in der Steiermark und in Kärnten am Nachmittag und Abend des 5.12.1993 und unmittelbar danach darauf hin, daß es hochkalibrige Interventionen bei den Sicherheitskräften auf Landesebene gegeben hat, bis hin zur Behinderung einzelner Aktionen zugunsten der Beschaffung von aufklärenden Materialien, wie z.B. Verhinderung von Haussuchungen bei »Prominenten« und weniger Prominenten. Diese Vermutungen werden bestärkt durch das Verhalten der offiziellen Landesvertreter gegenüber dem sofortigen Begehren des Vereinsausschusses nach Kontakt und Aussprache unmittelbar nach den Dezemberereignissen: Sowohl die ÖVP- als auch die SPÖ-Mitglieder der Landesregierung haben ein Zusammentreffen mit dem betroffenen Vereinsvorstand, aber auch mit den zwei Briefadressaten persönlich abgelehnt — im Dezember 1993 und abermals im Jänner/Februar 1994. [3]

4. Fakten der Diskriminierung

Unbestritten [4] ist, daß ÖVP-Landesrat a.D. Helmut Heidiger in der ›Frankfurter Allgemeine[n] Zeitung‹ 11. Juli 1991, Seite 9, seine sonst schon sprichwörtliche Existenzbestreitung der steirischen Slowenen an prominentester Stelle publizieren konnte [Zitat]: »In der Steiermark gibt es überhaupt keine slowenische Minderheit!« — ÖVP-Landesrat a.D. und ÖVP-Landtagspräsident a.D. Franz Wegart, zum Zeitpunkt des Interviews noch aktiver Erster Präsident des Landtages, leugnete die Existenz einer zweisprachigen Artikel-VII-Bevölkerung in der Steiermark regelmäßig mit der wiederkehrenden Formel vom »Irrtum des Staatsvertrages« ab. Franz Wegart, im zweisprachigen Haus seiner Großmutter in Altneudörfl bei Radkersburg aufgewachsen, wiederholte in der Minderheitensendung des ORF im Juni/ Juli 1992 (mehrfach gesendet), was bereits in der ›Kleine[n] Zeitung‹ Ausgabe Graz, am 8. Mai 1976, Seite 11, zu lesen stand: »Die Aufnahme der Steiermark in den Staatsvertrag beruht auf einem Irrtum! Es gibt keine steirischen Slowenen.« Eine daraufhin erbetene Vorsprache von Vereinsvertretern beim ersten Mann des Landes wurde vereitelt; eine Aussprache mit dem SPÖ-Landeshauptmannstellvertreter Peter Schachner fand dagegen bereits am 2. Mai 1991 statt. Dabei äußerte sich DDr. Schachner in der Grazer Burg zum anwesenden fünfköpfigen Vorstand des »Artikel-VII-Kulturvereines für Steiermark« — unter den Anwesenden drei in der Steiermark geborene Slowenen österreichischer Staatsbürgerschaft — wörtlich: »Ich halte mich hier an die Auskunft des steirischen Verfassungsdienstes ... es gibt keine steirischen Slowenen!« Diese kompromißlose und konsequente Existenzleugnung, hier bei Schachner in das Angesicht von Betroffenen selbst, geht bei allen drei Genannten mit der Bereitschaft [5] einher, den Ehrenschutz für Veranstaltungen der im Grenzland der Steiermark sehr rührigen SS-Kameradschaft IV zu übernehmen. Nun ist eine Existenzbestreitung bzw. eine Nichtexistenzbehauptung keine Todesdrohung, jene ist aber mit dieser vereinbar.

Einem der oben gerade erst genannten Politiker bzw. seinem »Büro« wurde bereits zu Jahresanfang 1993 ein Offizialdelikt gegen namentlich bekannte steirische Slowenen bisher unwidersprochen und auch ungeklagt in einer auch in Österreich verbreiteten internationalen Zeitschrift angelastet. [6] Dieser Umstand könnte aber wegen der Veröffentlichung in englischer Sprache der Aufmerksamkeit der Betroffenen entgangen sein. Der Staatsanwalt sollte sich in einem multilingualen Land wie Österreich indes auch für nichtdeutsche Hinweise auf Offizialdelikte interessieren, noch dazu, wo es in diesem Fall der EBT gelungen ist, den von der Quelle anonym zitierten Zeugen zu identifizieren und aufzutreiben. Eine so grobe, direkte Vorgangsweise mittels Bestechung mit Beträgen in Höhe von 50.000 bis 100.000 Schilling ist jedoch selten nachweisbar, bzw. bisher selten bekanntgeworden. Gewöhnlicherweise wird innerhalb des braunen Netzwerkes sehr viel sparsamer, subtiler und heimlicher agitiert.

5. Ein schwarz-braunes Netzwerk

Das verdienstvolle Buch von Wolfgang Purtscheller [7] über das braune Netzwerk in Deutsch-Österreich und Umgebung hat leider einen weißen Flecken, die braune Steiermark. Dieser Umstand hat mich schon bei der Lektüre noch vor der Bombe beunruhigt und — eigentlich auch verängstigt. Zwar sind mein Grazer »Studienkollege«, das damalige RFS-Mitglied und der spätere Totschläger Günther Kümel — er schlug 1965 bei einer Demonstration in Wien Ernst Kirchweger nieder, der seinen Verletzungen erlag — und z.B. der Küssel-Intimus Franz Radl junior aus Fürstenfeld angeführt, aber im allgemeinen kommt die braune Szene der Steiermark im Buch nicht vor. Dafür die maßgeblichen Gründe anzugeben, wäre Purtschellers Aufgabe schon aus dem Grunde, daß diese »lokale Gruppierung« variativ sichtbar und zum Teil sehr selbstbewußt existiert und agitiert. Einige Hinweise auf mögliche Gründe seien hier notiert: Purtscheller verwendet einen wichtigen Teil seiner Darstellungen und Analysen für die Verbindungen einzelner Rechtsradikaler zur FPÖ, vor allem im Raum Wien und Niederösterreich. (ÖVP und SPÖ erscheinen bei Purtscheller übergebührlich »sauber und rein«.) In der Steiermark führen derlei Nachforschungen in der Mehrheit der fündigen Fälle nämlich zur ÖVP, nur gelegentlich auch in die FPÖ und in zwei von uns verfolgten Kasus sogar in die SPÖ. Ja, man kann geradezu die Hypothese vertreten, das die rechte Ecke sich eine Nische in der steirischen ÖVP erobert, ganz eigentlich bereits ersessen hat. Die »nationale Idee« ist in der ÖVP der schwarz-grünen Mark mit ihrem braunen Herzen geradezu traditionell beheimatet, wie schon die frühen Aktionen von Josef Krainer senior belegen, immer wieder sogenannte »national-liberale« oder freiheitliche Kandidaten über ÖVP-Nationalrats- und Landtagslisten in die Parlamente zu bringen. Nun liegt es mir fern, die »Erfindung« Krainers, Professor Felix Ermacora, zu diesem Kreis zu zählen, aber Ermacora publiziert derzeit immerhin in Andreas Mölzers »Jahrbuch für politische Erneuerung« und hält am 2.10.1994 die Festansprache am Kärntner Ulrichsberg bei der Gedenkfeier der Ulrichsberggemeinschaft, nachdem er Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre öfter in nationalen als in internationalen Publikationen die Existenz der steirischen Slowenen in Zweifel gezogen hatte. »Daheim« hat man dies Ermacora gedankt, man hat ihn immer wieder aufs neue kandidiert. — Was ich sagen will, ist das folgende:

Das braune Netzwerk in der Steiermark hat bedeutsame Gönner und Förderer eben auch in der ÖVP, und hier bis hinauf in die Parteispitzen und bis hin zu »international bekannten Kapazitäten«. Insbesondere in den zweisprachigen Gegenden — und hier beschränken wir unsere Verallgemeinerungen auf jene Gebiete im Osten der Steiermark, die wir gut kennen — sind es ÖVP-Schuldirektoren, ÖVP-Bürgermeister und -Mandatare, die die KHD-Ideologie transportieren. Was der »Kärntner Heimatdienst« (=KHD) für Kärnten »leistet«, leistet sich in der Steiermark die Partei des Vizekanzlers und Politikers einer (r)echten Mitte, Erhard Busek. Am 4.1.1994 konnte ich (in Begleitung meiner Frau und in Anwesenheit eines Ministerialrates) in einer fünfundzwanzigminütigen Aussprache meinem »obersten Arbeitgeber«, Herrn Minister Busek, über meinen »Nach-Bomben-Zustand« persönlich berichten. Die Aussprache verlief freundlich, aber — sieht man von großzügigen und dankenswerten Vergünstigen ad personam ab — weitgehend ergebnislos. Eine Liste von ÖVP-Politikern (mit Namen und Adresse) mit »brauner« oder anderer »antislowenischer« Schlagseite habe ich ihm überreicht; die Bitte um entsprechende Schritte wurde in einzelnen Fällen mit Beweismaterialien untermauert. Das Ergebnis ist sehr beeindruckend: Einer aus der ganzen Liste ging altersbedingt mit 75 Jahren in Pension; alle anderen sind — braun und schwarz zugleich — im Amt oder kandidieren derzeit zum Beispiel für den Nationalrat. Die Macht dieses sonst schweigenden Kartells bekommt die neue Vereinsführung ebenso zu spüren, wenn weiterhin alle Kontaktgespräche und Subventionsansuchen auf Landes- und Bundesebene abgelehnt werden, wie die »ehemaligen« Funktionäre stets mit ihrer Vergangenheit konfrontiert werden, wenn es beruflich oder sonst auf höherer Ebene zu derartigen »braunen« Berührungen kommt, die sich nicht immer vermeiden lassen.

Zu diesem schwarz-braunen Netzwerk gebe ich zwei Beispiele, vermeide aber eine Analyse des braunen akademischen Freundeskreises des Honsik-Intimus Günther Kümel an der Universität Graz, der wenigstens einen pragmatisierten Universitätslehrer in Kümels Studienfach einschließt. Ich beziehe mich auf zwei ÖVP-Hofräte, welche nach wie vor in Amt und Würden walten, die zufällig am gleichen katholischen Privatgymnasium in Graz maturiert haben, wie ich selbst, und die mich »traditionell-liebevoll« gelegentlich als »unverbesserlichen Altkommunisten« oder als »serbische[s] ...« bezeichnen: Hofrat A. ist Bezirkshauptmann irgendwo in der Steiermark und gibt auf telefonische Anfrage unsererseits ohne weiteres zu, mich und auch andere »Slowenenfunktionäre« seit 1986 oder 1987 regelmäßig der Staatspolizei angezeigt zu haben, weil unsere »Umtriebe« im Grenzland (wörtlich) »auf allgemeine Ablehnung der gesamten Bevölkerung stießen«. Seine Informanten und andere Denunzianten gibt er nicht preis, läßt aber erkennen, daß darunter sowohl ehemalige SSler ebenso sind, wie daß manche von ihnen zu (Zitat) »Destaller oder Stourac durchaus dazupassen«. Ersterer ist der inzwischen verstorbene und in Graz ansässig gewesene und abgeurteilte (von Purtscheller ganz und gar übersehene) Südtirolaktivist, zweiterer ist der wiederholt wegen Wiederbetätigung verurteilte, jetzt von Klagenfurt aus wirkende »Kärnten- und Vaterlandsverteidiger«, der ebenfalls keine Zeile Purtschellers erhielt. Beide haben im zweisprachigen Gebiet Kärntens, aber besonders eben auch der Steiermark Broschüren [8] und Postwurfsendungen vertrieben, in welchen Vereinsfunktionäre und deren Angehörige verunglimpft bzw. bedroht wurden, und das zum Teil mit Unterstützung von ÖVP-Bürgermeistern. Von Hofrat A., dessen Bekanntschaft und Freundschaft Franz Stourac sich rühmt, stammt auch der Hinweis an die ›Kronen Zeitung‹ daß der Verein zu Recht mit einer Briefbombe bedacht wurde, da er sich gegen die Serben für Deserteure aus der Armee Rest Jugoslawiens (JNA) einsetzt. Hofrat B. dient in Graz in der Burg und als gut bezahlter, weitgehend arbeitsfreier Nebenerwerbs-Vizebürgermeister in einer Umgebungsgemeinde für das bescheidene Zubrot des vierfachen monatlichen Entgeltes einer mir bekanntgewordenen Pension einer Bäuerin in seiner Nachbarschaft; er hat ein langjähriges dienstliches und persönliches Nahverhältnis zum ehemaligen Landtagspräsidenten hinter sich. Seit vielen Jahren ist seine mächtige Hand gegen Verein, einzelne Mitglieder und auch gegen meine Familie und Freunde zu spüren. Der Absolventenverein unserer gemeinsamen Schule wird regelmäßig durch ihn über die sogenannten »Umtriebe« des Artikel-VII-Kulturvereines bzw. dieser »paar slawischen [sic] Idioten« informiert, wobei — post festum — eine gute Kenntnis der STAPO-Akten seitens B.s auffällt. Wörtliches Zitat im Jänner oder Februar nach der Bombe: »Das war abzusehen. Die sind selber schuld! Das nächste Mal wird es sie erwischen!«

6. Ein letzter Hinweis

bewegt sich abschließend im Bereich bekannter brauner Recken, allesamt auch schon amtsbekannt und z.B. Purtschellers Buchregister zierend: Bereits um den 15. Dezember 1993 lobt sich H.J. in K., die »Briefbombenschreiber zu kennen«. Dies wird auch zur Anzeige gebracht und unter anderem durch einen in der Szene bekannten Wehrdienstverweigerer von rechts (»Ich verlange, auf die deutsche Fahne vereidigt zu werden!«) mehrfach bestätigt. Wer nun annimmt, daß die EBT hier irgendetwas zielführendes herausholen konnte, irrt nicht nur, nein, er ist mehr als verwundert über die Fortsetzung des Berichtes durch den wehrdienstverweigernden Zeugen bald nach Weihnachten, daß H.J. schon zwei Tage vor dem Approach durch EBT-Leute über die Anzeige, ja sogar die Namen der Anzeigenden informiert worden ist — »wie immer in solchen Fällen« (Zitat). Ein äußerlich durchaus gewogen wirkender Stapozist, von uns darauf aufmerksam gemacht, soll geantwortet haben: »Auch diese anderen müssen leben dürfen!« [sic] — Wer ›Nation Europa 1/1991‹ gesehen hat, bemerkt mit Staunen, daß auch ein gewisser Günther Nenning so zu denken scheint, und wer »Junge Freiheit« im Herbst 1992 zu Gesicht bekam, konnte sich Bischofs Kurt Krenns klerofaschistisches Gegenstück durchlesen. Soweit nur einige Ausschnitte aus der österreichischen »rechtsfreundlichen« Blütenlese. Die Bedrohung aus diesem brauen Netz um H.J. und Gesinnungsgenossen sollte deswegen nicht unterschätzt werden, weil diese Gruppe über beträchtliche finanzielle Mittel zu verfügen scheint, ein Umstand, der den sonst stets um Geld jammernden rechtsextremen Postillenschreibern einen gewissen Freiheits- und Bewegungsraum verschafft. Schließlich wurde bald nach Weihnachten 1993 stolz verkündet, daß man die »100.000 oder auch 200.000 D- Mark, die die Bomberln wohl gekostet haben mögen, auch hätte aufbringen können«. Nun wird vielerlei Selbstlob und Wichtigtuerei gerade auch im Kreis um H.J. aus K. ohne Zweifel die Quelle solcher Ergüsse sein, man möge aber wiederum zur Kenntnis nehmen, daß ein Großteil der anonymen Anrufer, welche uns direkt oder indirekt bekannt wurden, männliche Sprecher Kärntner Zunge waren. (Frauen scheinen hier in dieser Ecke schriftliche Drohungen zu bevorzugen.)

Niemand ist noch durch Prahlerei und Selbstlob Dritter zu Schaden gekommen, hört man immer wieder von den vernehmenden EBT-Beamten.

Wohin aber (bewußte oder unbewußte) Angst der Bedrohten und Betroffenen führen kann, zeigt ein medizinisch in Abklärung befindlicher Fall von Hypothyreose hier vor Ort — mit durchaus komplexen physischen Krankheitserscheinungen eines direkt Betroffenen.

*) Gewidmet meiner Lebensretterin H.A., dem Radkersburger Briefträger H.W. und allen wahren Freunden von Bombenopfern und anderen Minderheiten.

[1»Gedanken über die Briefbomben (von besonderer Seite)«, in: Neue Kronen Zeitung, Ausgabe Graz, 7.12.1993, S. 4

[2Dieser Umstand könnte natürlich auch absichtlich »gespielt« worden sein, um mir den Eindruck eines Studenten zu vermitteln. Die Stimme stufe ich aber auf 20 bis 30 Jahre ein und sie war original kärntnerisch.

[3Einzige Ausnahmen: SPÖ-Bürgermeister Alfred Stingl von Graz empfing Anfang Februar gemeinsam mit ÖVP-Kulturstadtrat Helmut Strobl eine dreiköpfige Vereinsdelegation zur Aussprache.

[4Vgl. zum ganzen jetzt Boris Jesih (Hg): Slowenen im Bundesland Steiermark. Slovenci v avstrijski zvezni dezeli Stajerski, Lubljana: Slovenska akademija znanosti in umetnosti 1994, insbes. S. 127-130 & 300. Dr. Helmut Heidinger muß seinen Brief während des »slowenisch-jugoslawischen« Juni-Krieges verfaßt haben, da er gerade am 11.7.1991, vier Tage nach dem Waffenstillstand von Brioni, zu einem sehr passenden Zeitpunkt veröffentlicht wurde.

[5Ein solcher Anlaß ist schön dargestellt in: Courage, Graz 1992, Nr. 5 (15. Mai 1992), S. 12. Den unglaublichen Freiheitsraum dieser alten »Rechten« und auch neuer Nationaler und Nazis erlebt der Eingeweihte mit offenen Augen regelmäßig, und sei es nur, daß Anfang August/Ende Juli 1994 in der steirischen ORF-Wunschsendung Franz Wegart zum Geburtstag gratuliert wird, wobei ihm von »Fremdenlegionären« [sic] das Fremdenlegionärslied gewidmet wird, mit der feinen Aufforderung, nicht aufzugeben, sondern weiterzumachen.

[6Und zwar in der in Ljubljana erscheinenden Zeitschrift Razprave in Gradivo 26-27 (1992, erschienen 1993), S. 221 f. Entsprechende Sonderdrucke wurden allen Betroffenen, der Präsidentschaftskanzlei in der Wiener Hofburg und der EBT im April/Mai 1993 zugeleitet. — Vgl. auch die Bezugnahme darauf in: News, Wien, 2/1994, S. 30.

[7Wolfgang Purtscheller: Aufbruch der Völkischen. Das braune Netzwerk, Wien (Picus Verlag) 1993.

[8Zwei Beispiele: Das Grenzland ruft. Mitteilungsblatt des Vereines Grenzlandbund, Klagenfurt, Nr. 2, Februar 1989, 1-2: Steierer seid wachsam! [von Stourac]. — Europa der Völker mit Südtirol. Zeitschrift für Volkstumsfragen Europas, Graz, 29. Jg., Folge 1, Februar 1989, 2-3: Die Bedrohung aus dem Südosten [von Destaller]. — Seit damals kehren derlei Schmierereien jährlich wieder.

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