Grundrisse, Nummer 52
Dezember
2014
Reflexionen über die Entwicklung der Grundrisse (2001 – 2014)

Das letzte Jahr der Grundrisse

Ein Bericht des ersten und letzten Praktikanten

Eines sei gleich vorweg angemerkt: Dass zwischen meinem Beitritt zur Grundrisse-Redaktion und dem Beschluss die Zeitschrift einzustellen nur etwa ein Dreivierteljahr liegt, ist nichts weiter als purer Zufall — meine Tätigkeit für die Grundrisse seit Anfang des Jahres hat nun wirklich nichts damit zu tun, dass die Zeitschrift mit Ende 2014 aufgelöst wird. Dass es angeblich dieser Praktikanten-Jungspund Mitte Zwanzig war, der die ergraute Redaktion letztlich so zur Verzweiflung gebracht hat, dass man wirklich sämtlicher Hoffnung beraubt war, die Zeitschrift irgendwann doch noch an eine jüngere Generation weitergeben zu können, ist nichts als eine abenteuerliche und absurde Annahme ...

Ok, zugegebenermaßen ist es mir nicht bekannt, dass solche Behauptungen irgendwo aufgestellt worden wären. Manche mögen sich allerdings wundern, dass bei der Grundrisse überhaupt Praktikumsplätze vergeben wurden. Eine gängige Praxis war das tatsächlich nicht, „Praktikum hat bei uns noch niemand gemacht“, hieß es verheißungsvoll, als ich das erste Mal an einer Redaktionssitzung teilnahm. Aber eins nach dem anderen.

Wie in vielen anderen Studiengängen, war es auch in meinem Bachelorstudium (jenes „Orchideenfach“, das in den letzten Jahren oft im medialen Blickpunkt stand, wenn über Proteste an der Universität Wien berichtet wurde und das letztlich vom Rektorat aufgelassen wurde) vorgesehen ein Praktikum zu absolvieren. Dankenswerterweise war man in der Auswahl relativ frei. Im Endspurt zum prestigeträchtigen BA-Titel kam mir in den Sinn, dass der Studienplanpunkt „Praktikum“ von mir noch nicht erfüllt worden war. Es stand für mich fest, dass ich am liebsten weitere Einblicke in die redaktionelle Arbeit linkspolitischer Publikationsorgane erhalten wollte. Die Möglichkeiten dafür existieren in Wien wahrlich nicht in Hülle und Fülle, dennoch hatten einige Gazetten teils seit längerer Zeit mein Interesse geweckt. Schließlich waren es die Grundrisse, an die ich mich zuerst wandte. Die Zeitschrift erschien mir einerseits ein guter Anlaufpunkt zu sein, um mich fundiert mit sowohl aktuellen als auch „zeitlosen“ linken Themen auseinandersetzen zu können und zugleich einen marxistischen Fokus zu schärfen. Andererseits waren die Köpfe hinter der Grundrisse keine unbekannten. Wenn man an der Hauptuniversität auf der Suche nach Marx-Vorlesungen ist, wird man zwangsläufig über Karl Reitter stolpern. Wenn man öfter in Beisln und anderen Treffpunkten der linken Szene Wiens unterwegs ist, wird man irgendwo schon einmal auf Robert Foltin getroffen sein. Wenn man sich regelmäßig über neuere linkspolitische Publikationen aus der Stadt informiert, wird man wahrscheinlich früher oder später auf den Namen Martin Birkner stoßen. Und so setzte ich eine e-mail an die Redaktion der Grundrisse auf, um mich zu informieren, ob es sich einrichten ließe, dass man mir im Gegenzug für meine Mitarbeit und mein Engagement ein Dokument signieren würde, das mit dem Titel „Bestätigung über die Absolvierung eines Praktikums“ überschrieben war. Die Antwort kam zügig, bejahte meine Anfrage und verwies darauf, dass man über redaktionellen Zuwachs immer sehr erfreut sei.

Da saß ich dann schon in der Runde im Amerlinghaus. Man war gerade kurz davor, die Nummer 49 in den Druck zu geben; konkrete Überlegungen über das Ende der Zeitschrift waren zu dem Zeitpunkt kein Thema. Als „Praktikant“ wurde ich eigentlich nie bezeichnet, im Prinzip war ich ja genauso Redaktionsmitglied wie alle anderen. Im Prinzip. Denn natürlich war es offensichtlich und unvermeidbar, dass zwischen dem gerade-das-Bachelorstudium-abschließenden Neuling und der altgedienten Redaktion ein riesiger Erfahrungsunterschied zu Tage trat. Dies stellte auf der einen Seite selbstverständlich eine gewisse Herausforderung dar, war auf der anderen Seite jedoch mindestens genauso faszinierend. Was für die Grundrisse stets charakteristisch war und mir sehr rasch bewusst wurde, war die Tatsache, dass man ein Zeitschriftskonzept ablehnte, das auf oberflächliche Analysen und massentaugliche Inhalte setzt, die eventuell eine Erweiterung des LeserInnenkreises ermöglichen würden. Die Menschen, die die Beiträge verfassten, hatten zumeist eine über Dekaden währende Auseinandersetzung mit linker Theorie und Praxis zu verbuchen. Dementsprechend gründeten die meisten Texte nicht nur auf sehr ausgereiften Auffassungen, sondern waren oft mit Detailwissen gespickt, welches man sich nicht in einigen Semestern anliest. Das war der Anspruch der Schreibenden und somit auch der Zeitschrift. Von den meisten LeserInnen wurde dies wohlwollend aufgenommen und sehr geschätzt. In den Grundrissen ließen sich nicht nur sehr spannende Beobachtungen und Untersuchungen finden, sondern vielleicht manchmal einige nicht leicht zugängliche, etwas trocken wirkende Texte. Vielleicht lässt sich aus so einer Perspektive die Frage angehen, warum nicht so einfach mal eben ein Generationswechsel vollzogen werden konnte. Letztlich trug es sein Übriges dazu bei, dass die Texte meistens aus der Feder von Männern mit akademischen Hintergrund, selten jünger als 35 oder 40, stammten.

Sicher, hohe Ansprüche herrschen auch bei vielen anderen Publikationen, in gewisser Weise vor allem bei jenen, die sich einer linksradikalen und theoretisch ausgefeilten Herangehensweise verpflichtet fühlen. Das ist wichtig und richtig — und dass die Grundrisse über eine ausreichend große Zahl an LeserInnen verfügte, zeigt, dass es durchaus gefragt ist, entsprechende Angebote zu schaffen. Aber der Fall der Grundrisse beweist bekanntermaßen ebenso, dass solche Projekte erwartungsgemäß Schwierigkeiten bekommen, wenn sich der Kreis der Involvierten auf lange Sicht kaum verändert, ja gar auf nur wenige Menschen reduziert, denen bei der Produktion einer Theoriezeitschrift nach etlichen Jahren die persönlichen Ressourcen dafür abhanden kommen. Und dass es zusätzlich letztendlich die Gesamtheit der politischen, ökonomischen, sozialen Verhältnisse nicht unbedingt einfacher macht qualitativ ansprechende, linkspolitische Publikationen am Leben zu halten, ist ja auch kein Geheimnis.

Es sollen hier aber keine weiteren Erklärungsversuche gemacht werden, die rekonstruieren, wie es zum Ende der Zeitschrift kam. Das können diejenigen, die sich von Anfang für die Grundrisse engagierten, sicherlich besser nachzeichnen. Für mich bleibt die Aufgabe, meine Perspektive über das Jahr, in dem ich ebenfalls ein Teil des Grundrisse-Kreises war und welches gleichzeitig das letzte für die Zeitschrift sein sollte, knapp zu beschreiben. Die offenkundigen und nicht vermeidbaren Wissensvorsprünge zwischen den langjährigen Redaktionsmitgliedern und mir, wurden ja bereits beschrieben. Allerdings ist es wichtig anzufügen, dass daraus keine festgefahrenen Hierarchien entstanden. Die Situation, beim Einstieg in die unterschiedlichsten Strukturen vor diesen — häufig unüberwindbar scheinenden — Hierarchien zu stehen, widerfährt den Menschen täglich und überall und kann die Arbeit sehr unangenehm machen, wie wir alle wissen. Gerade das Label „PraktikantIn“ verstärkt solche Tendenzen oftmals noch. Es war eine sehr positive Erfahrung, dass derlei Hierarchien im Ablauf und in Diskussionen während der Redaktionssitzungen keine entscheidende Rolle gespielt haben.

Thematisch waren aus meiner Sicht die Redaktionssitzungen der letzten Monate vor allem von zwei Angelegenheiten bestimmt. Zum einen die Europawahl und die Möglichkeiten des Bündnisses „Europa Anders“ und zum anderen der Konflikt um die Ukraine, wozu eine Diskussionsveranstaltung im Amerlinghaus organisiert wurde. Bei beiden Themen eröffneten sich für mich interessante Blickwinkel und erhellende Analysen. Aber jeder Schlussfolgerung konnte und wollte ich mich nicht anschließen. Auch wenn sich Verständnis dafür aufbringen lässt, dass es in Österreich durchaus von Nöten ist, eine linke Kraft im Parteienspektrum zu etablieren und gewisse emanzipatorische Ideen auf die Reise durch den Fleischwolf des Parlamentarismus zu schicken, erschien der Cocktail aus KPÖ, Piraten und Der Wandel als ein zum Teil etwas wirres Projekt, dessen Kurzlebigkeit sich nicht selten erahnen ließ. Und ebenso würde ich manchen individuellen Standpunkten, dass sich die Situation in der Ukraine als Vorstufe zu einer Art dritten Weltkrieg darstellen würde, eher mit Zurückhaltung begegnen.

Letztlich ist aber entscheidend, dass eben solche Diskussionen geführt werden — die Grundrisse wird sich weiterhin in die Debatten über linke Theorie und Praxis einklinken; allerdings in veränderter Form: Der Blog ist aufgesetzt und der erste Jour-Fixe-Termin ist im Kalender eingetragen. Das erinnert schon fast ein wenig an die Sache mit der nächsten Entwicklungsstufe.

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