radiX, Texte
 
2001

Debatte über Gewerkschaften Rassismus und Klassengesellschaft

Nach dem Äußerungen von ÖGB-Chef Verzetnitsch über die EU-Osterweiterung stellte die ÖKOLI ihre Aussendung darüber in den Widerstandsmund, woraus sich eine kleine, aber interessante Debatte über Gewerkschaften, Arbeiterbewegung und Rassismus entwickelte:

Widerstandsmund, 31. Dezember 2000

FPÖ und Gewerkschaft sind sich einig ...

... wenn es um Rassismus und den Schutz österreichischer ArbeiterInnen vor den bösen, billigen, ausländischen Arbeitskräften aus dem Osten geht.

ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch appellierte am Freitag an die Wirtschaft, erst eine genaue Bedarfsanalyse für den IT-Bereich vorzunehmen, dann heimische Ressourcen zu suchen und erst als letzte Möglichkeit ausländische Fachkräfte nach Österreich zu holen. Eine „Green Card“ ist für Verzetnitsch nicht die geeignete Lösung für den Arbeitskräftemangel im IT-Bereich, er sieht den Schwerpunkt eher in der internen Ausbildung und Umschulung — dort solle die Wirtschaft ansetzen Laut Online-Standard wiederholte Verzetnitsch zum Thema EU-Osterweiterung die „im Prinzip positive“ Einstellung der Gewerkschaften — aber, man müsse auch die Herausforderungen sehen und der „Freizügigkeit daher gewisse Grenzen“ setzen. Eine solche Grenze wären nicht die mancherorts favorisierten sieben Jahre Wartefrist sondern ein Lohnniveau von 80 Prozent des heimischen.

Zehn Prozent Lohndifferenz würden rund ein Prozent mehr Pendler bedeuten.

Die inhaltlichen Übereinstimmungen des sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaftsbundes mit der FPÖ sind hier unübersehbar. Wenn es um Rassismus geht ist — allein aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus — schon mehr Verlass auf die österreichische Wirtschaft, denn auf „Arbeitnehmervertreter“ die nichts anderes im Sinn haben als die „österreichischen Arbeiter“ vor „ausländischen Arbeitern“ zu beschützen.

Eine Bewegung gegen schwarzblau, die nicht nur sozialpolitische Errungenschaften des Austrokeynesianismus gegen die Nulldefizit-Pläne der Regierung verteidigen, sondern auch Kritik am Rassismus der FPÖ üben will, kann sich deshalb nicht weiterhin einseitig positiv auf den ÖGB beziehen, sondern muß diesen konsequent für seinen Rassismus kritisieren.

Ökologische Linke (ÖKOLI)
Widerstandsmund, 1. Jänner 2001:

ÖGB und Ökoli

From: Roland Atzmüller

Ökoli fordert also eine ’kosequente Auseinandersetzung’ mit dem Rassismus des ÖGB und doch scheint es ihnen im Mund vom 31.12.00 v.a. darum zu gehen, diesen in die Nähe der FPÖ zu rücken. Dabei greifen sie auf die Darstellung der gewerkschaftlichen Position im Standard zurück, die dies nahelegt. Dabei vergessen sie aber, dass der Standard in ökonomischen Fragen in der Regel ein wirtschaftsliberale Position einnimmt und gewerkschaftliche Strategien nur dann gelobt werden, wenn sie sich unter neoliberalen Vorzeichen ’modernisieren’, nicht aber, wenn etwa das Stichwort ’Schutz der Arbeitsmärkte’ fällt.

Richtig ärgerlich wird es aber, wenn der gewerkschaftlichen Position, die Verlässlichkeit der österreichischen Wirtschaft entgegengesetzt wird. So schreiben sie:

„Wenn es um Rassismus geht ist — allein aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus — schon mehr Verlass auf die österreichische Wirtschaft, denn auf“Arbeitnehmervertreter„die nichts anderes im Sinn haben als die“österreichischen Arbeiter„vor“ausländischen Arbeitern„zu beschützen.“

Von dem was hier als Handschlagsqualität der österreichischen Wirtschaft erscheint, kann man sich vielleicht einen Start-Up Kredit in der New Economy erhoffen, aber sich keine anti-rassistische Position.

Es ist also für Oekoli weniger rassistisch, wenn die Wirtschaft mittels Greencard sich ihre Einwanderer ganz gezielt aussuchen will, also nur solche ins Land holen will, die ’uns’ nützen, wie das die FPÖ ausdrücken würde. Diese sollen dann, wie das bei Greencard-Modellen üblich ist, eine vorübergehende Aufenthalts- und arbeitsgenehmigung erhalten, die wenn kein Bedarf mehr besteht, einfach ermöglicht, sie heimzuschicken. Gerade eine derartige Position ist kompatibel mit und Effekt des Rassismus der FPÖ und deren Kampagnen gegen ’unproduktive Sozialschmarotzer’ und alle, ’die uns auf der Tasche’ liegen.

(Und übrigens — ’Fremdarbeiter’ einzusetzen in der ’Stunde der Not’, fällt ja auch unter ’ordentliche Beschäftigungspolitik’)

Die Wirtschaftskammer ist zwar für eine Erhöhung der Einwanderung, aber hat schon jemals jemand gehört, dass das mit nicht-ökonomischen Kriterien begründet wird, dass also auch explizit akzeptiert wird, dass dies im ökonomischen Sinne nicht-produktive Menschen einschliesst, also etwa Alte, Kranke, Kinder oder dass sich die Organisationen der Wirtschaft für eine Erhöhung des Familiennachzuges stark machen würde? Das ist natürlich nicht zu erwarten, da dies zu einer weiteren ’Belastung des Sozialsystems’ führen würde, was ja bekanntlich nicht im Interesse des Wirtschaftsstandortes liegt.

Ökoli macht sich auch nicht die Mühe, den festgestellten Mangel an IT-Kräften und die Strategie diese aus Staaten der Peripherie zu holen, zu hinterfragen. Wieso etwa haben die Ökonomien der EU einen Mangel an IT-Fachkräften, während es anscheinend im Osten oder in Indien einen Überschuss gibt? Da Oekoli ja wohl nicht der Meinung sein kann, dass IT-Berufe den Bevölkerungen dieser Staaten in den Genen liegen, müssten sie sich fragen, ob das vielleicht damit zu tun hat, dass in den EU-Staaten eine beschleunigte Restrukturierung des Kapitalismus (auf der Basis neuer Technologien) stattfindet. Diese zielt auf eine Erhöhung der Produktivität, sowie der Qualifikationen und Löhne für das obere Drittel der Beschäftigten ab, wodurch das Gefälle zu peripheren Staaten vergrössert werden wird. In Osteuropa findet entweder eine derartige Umstrukturierung (zur Zeit) nicht statt, weswegen es dort anscheinend einen Überschuss an IT-Spezialisten gibt. Oder es sind in der Wirtschaft einige der Ansicht, dass derartiges ’Humankapital’, selbst wenn es in Osteuropa auch so eine Umgestaltung gäbe, dort eh nicht gebraucht wird. Die ’komparativen Vorteile’ des Ostens sollen ja eher in den niedrigen Arbeits-, Sozial- und Umweltkosten liegen — Osteuropa als verlängerte Werkbank und Hinterhof des Westens. Alles was daher Begehrlichkeiten nach höheren Löhnen und hochproduktiven Wirtschaftszweigen und damit vielleicht nach einer Erhöhung des Lebensstandards wecken würde, schafft auf Dauer nur ungeliebte Konkurrenz und erhöht die Kosten.

Das alles spielt aber anscheinend keine Rolle für Oekoli, wenn es darum geht die Positionen des ÖGB in die Nähe von FPÖ-Positionen zu rücken.

An sich ist es ja erfreulich, wenn intellektuelle Gruppen der ausserparlamentarischen Linken, wie Ökoli, es für notwendig erachten, sich mit den Positionen der österreichischen Gewerkschaften kritisch auseinanderzusetzen. Nur durch derartiges kritisches Engagement kann eine Änderung der Strategien der (österreichischen) Gewerkschaften herbeigeführt werden. Ökoli haben daher auch recht, wenn sie feststellen, dass dies insbesondere auf rassistische Positionen/Strukturen/Strategien des ÖGB abzielen muss. Ja es gilt sogar aufzuklären, dass gerade aufgrund veränderter ökonomischer und gesellschaftlicher Verhältnisse (Globalisierung, Einwanderung, Vereinigung Europas...) vormals progressiv erscheinende Positionen nunmehr zur Stützung des Rassismus beitragen.

Das ist aber in bezug auf die EU nicht so einfach. Als es noch eine ausgedehnte Trikont-Soli-Bewegung gab, gab es immerhin auch eine Diskussion darüber, ob nicht die forcierte Öffnung von Ökonomien für metropolitanes Kapital, — und wer ein bisschen die Positionen der Wirtschaftskammer nachliest, kann leicht erkennen, dass sich die Wirtschaft das für die Osterweiterung erhofft — , selbst eine rassistische Strategie ist... (Aber inzwischen sind wir ja alle Freihändler)

Als rassistisch zu kritisieren sind die Organisationen der ArbeiterInnenbewegung in Österreich etwa für ihre äusserst restriktiven Positionen zur Einwanderung, für ihren Unwillen eine adäquate Vertretung der Interessen von GastarbeiterInnen/MigrantInnen zu ermöglichen (Wahlrecht...) bzw deren (Selbst-)Organisation zu unterstützen, für den Mangel an innerorganisatorischer Demokratie, das willfährige Hinnehmen von Sparpaketen und das zögerliche Vorgehen gegen die schwarzblaue Regierung und den allzulangsamen Aufbau internationaler Zusammenarbeit, etc..

Nur, um dies auf adäquate Weise zu können, hätte Oekoli sich zumindest die Mühe machen müssen, die Positionen und Strategien des ÖGB zur Osterweiterung nachzurecherchieren (was ja auf der ÖGB-website so schwierig nicht ist).

Roland Atzmüller
Widerstandsmund, 2. Jänner 2001:

zu ÖGB und ÖKOLI von Roland Atzmüller im MUND vom 1.1.2000

Lieber Roland!

Wir geben Dir in Deinen Ausführungen bezüglich der Modernisierungstendezen in Europa und der ebenso rassistischen Selektion, wer zu uns kommen darf und wer nicht schon recht. Deine Kritik bezüglich unserer Äußerungen über die Wirtschaftskammer beruht aber auf einer falschen Grundlage. Wir haben nie behauptet, daß deren Politik antirassistisch ist. Selbstverständlich ist die Selektion in nützliche Arbeitskräfte und unnütze ImmigrantInnen rassistisch, das völlige Nein des ÖGB zu einem weiteren Arbeitskräftezuzug ist es aber auch. Und wir waren eben der Meinung, daß der Versuch den „österreichischen Arbeiter“, zumeist männlich, von seinen „ausländischen Konkurrenten“ am Arbeitsmarkt zu beschützen noch rassistischer ist, als die gegenwärtige Politik der Wirtschaftskammer. Und dies eben nicht, weil die Wirtschaftskammer antirassistisch wäre, auch nicht weil ihre ideologischen Positionen weniger rassistisch wären, als jene des ÖGB, sondern weil ihre augenblicklichen Interessen zumindest etwas durchlässigere Grenzen ermöglichen als jene des ÖGB. Es ist rein dieses Interesse, der Eigennutz IT-Fachkräfte aus dem Osten oder aus Indien oder sonstwo ausbeuten zu können, der ihre Politik auf eine etwas größere Durchlässigkeit der Grenzen ausrichtet, als jene des ÖGB. Wenn wir darauf hinweisen, wollen wir damit sicher kein Lob an die Bundeswirtschaftkammer aussprechen, sondern darlegen, daß in diesem einen Punkt der ÖGB eben sogar rassistischer ist als seine GegnerInnen.

Und damit sind wir schon wieder bei dem schon einmal diskutierten Punkt, daß die Parteiergreifung für eine schlechtergestellte Personengruppe — in diesem Fall für ArbeiterInnen gegenüber UnternehmerInnen — nicht automatisch eine Parteiergreifung für MigrantInnen gegenüber völkischen ÖsterreicherInnen oder etwa für Jüdinnen und Juden gegenüber AntisemtitInnen bedeutet.

Der ÖGB ist eben so rassistisch, wie viele Teile der österreichischen Gesellschaft und ihrer Institutionen ...

Aber nun noch zu anderen Punkten Deines Textes: Daß wir unsere Informationen vom Standard bzw. diesen als Quelle angegeben haben, ist richtig. Wir haben die gleichen Informationen aber auch aus anderen Medien (z.B. ZiB, Internet, Ö1, etc.), weshalb sie uns glaubhaft erschienen. Auch ein Blick auf die von Dir angesprochene Website des ÖGB, konnte uns nicht davon überzeugen, daß diese Informationen falsch sind, sondern haben diese bestätigt. Vielleicht wäre es trotzdem besser gewesen, die Originalquelle zu zitieren. Inhaltlich ändert das aber nichts an der ÖGB-Position und unserer Kritik daran. Es ist uns klar, daß der Standard eine in jeder Hinsicht liberale, auch wirtschaftsliberale Zeitung ist, weshalb wir uns auch nicht positiv auf dessen Inhalte beziehen, sondern ihn als Quelle angeben. Das müssen wir tun, weil wir nicht an jeder Pressekonferenz teilnehmen können, oder z.B. Verzentnisch zu seinen Aussagen persönlich interviewten.

Wie Du als Politikwissenschafter, der sich sehr intensiv mit Gewerkschaften beschäftigt hat, sowieso weißt, ist das nicht das erste mal, daß der ÖGB sich als Verteidiger „inländischer ArbeiterInnen“ hervortut. Nicht-EU-BürgerInnen können auch im ÖGB nichts werden. Bei Arbeiterkammerwahlen wird nicht EU-BürgerInnen, z. B. türkischen StaatsbürgerInnen, immer noch das passive Wahlrecht aberkannt — und zwar unter aktiver Mitwirkung des ÖGB bzw. dessen alles beherrschender Fraktion der Sozialdemokratischen Gewerkschafter(Innen?) FSG.

Daß es in Österreich — bis auf die kurzlebige Gründung einer „gelben Gewerkschaft“ der FPÖ — seit 1945 nur eine Einheitsgewerkschaft gegeben hat, mag diese zwar gestärkt haben und damit durchaus auch positive Auswirkungen gehabt haben, hat aber zugleich die Herausbildung linker Richtungsgewerkschaften, wie sie fast überall in Europa existieren, verhindert. Solche linke Richtungsgewerkschaften in Frankreich, Spanien oder Italien vertreten oft nicht nur radikalere Positionen im Bereich konkreter Arbeitskämpfe, sondern eben auch antirassistische Positionen und integrieren ArbeiterInnen, die keinen EU-Paß haben, in ihre politischen, arbeitsrechtlichen und Lohnkämpfe.

In Österreich hingegen sind die Linken durch ihre Integration in den ÖGB oft nur als innergewerkschaftliche Opposition erkennbar und betreiben, trotz durchaus ernstzunehmenden Engagements innerhalb der Einheitsgewerkschaft keine eigenständige Gewerkschaftsarbeit ausserhalb jener Institutionen, die längst alle realen Klassenkämpfe erwürgt haben, geschweige denn sich für ihre „ausländischen“ ArbeitskollegInnen einsetzen würden.

Mangels eigener Stärke sind manche ÖKOLIs immer noch ÖGB-Mitglieder, umso schärfer wollen gerade diese den Gewerkschaftsbund für seinen Rassismus und die konservative Verteidigung einer nicht mehr vorhandenen Sozialpartnerschaft kritisieren.

Gewerkschaftsmitglieder in der
Ökologischen Linken (ÖKOLI)
Widerstandsmund, 5. Jänner 2001:

Rolands Antwort

From: Roland Atzmüller

Danke für eure Antwort.

Kann prinzipiell Eurer Antwort zustimmen, wobei ich manche Sachen aber auch nicht behauptet habe. Einen kleinen Einwand habe ich aber schon. Ich würde die Position des ÖGB nicht als völliges Nein zu einem weiteren Arbeitskräftezuzug interpretieren (was angesichts der Gleichstellung der ÖGB Position mit der FPÖ ein wesentlicher Punkt ist) — das lässt sich auf der Website des ÖGB und diversen Pressestatements (wo übrigens diese letzte vom Verzetnitsch, auf die ihr euch bezogen habt, noch nicht drauf ist/war) sehr wohl erkennen. NUr wird daraus nicht eine anti-rassistische oder bloss weniger rassistische Position, wohl aber eine, die ich von der FPÖ differenzieren würde. Und ich halte die Position der Wirtschaftskammer sehr wohl für rassistischer, da sie eben nur auf die Arbeitskraft abzielt und das (implizite) Nicht-anerkennen der nicht-produktiven Aspekte (im kapitalistischen Sinne) menschlichen Lebens als zentralen Dimension des Rassismus in Österreich, fortträgt.

Daher mein Hinweis auf die Sozialschmarotzerdebatte und auf Alte und Kranke. Als Arbeitskräfte waren den Rechten ’Fremdarbeiter’ immer schon willkommen, nur sollen sie halt kein Leben und keine Bedürfnisse ausserhalb der Lohnarbeit haben, das vielleicht irgendwie — jenseits des Arbeitsvertrages, etwa durch Wohlfahrtsstaaten — zu finanzieren ist. (das gilt auch im Ausbildungsbereich deswegen will die Wirtschaftskammer Fachkräfte, deren Ausbildung in anderen Gesellschaften finanziert wurde, die ’uns’ aber nix kosten dürfen, und daher ist aber etwa auch die Kritik an der SP und ihrer Gemeindebaupolitik eine zentrale Fragestellung). Genau in diesem Kampffeld um die gesellschaftliche Anerkennung von Leben/Bedürfnissen jenseits der Lohnarbeit (die dem Kapital abegrungen werden musste), was in der bürgerlichen Gesellschaft durch Wohlfahrtsstaaten befriedet werden soll bzw in diesen zum Ausdruck kommt, findet sich m.e. der Zusammenhang von Rassismus, Sexismus und Klassenverhältnissen.

Die Selektion von Einwanderen nach Arbeitskräftebedarf aberkennt ihnen dieses Leben jenseits davon, weswegen sie, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, heimzuschicken sind — daher ’liegen sie uns auf der Tasche’ etc. Es ist, wenn mensch so will die moderne Form der ’unfreien Arbeit’ — unfrei, weil ihre qualitativen Aspekte und Bedürfnisse auf die gesellschaftliche Anerkennung von Zeit jenseits der Lohnarbeit aktiv aberkannt wird. (und noch einmal: die wohlfahrtsstaatlichen Transfersysteme sind jene Form, die diese Anerkennung angenommen hat und mit den Imperativen der Verwertung funktional gemacht werden sollte).

Die Position des ÖGB zur Einwanderung wie zu den Tagespendlern ist daher rassistisch restriktiv, muss aber, insofern sie sie akzeptiert, aus ganz banalem Eigeninteresse an der Erhaltung des WS (auf der Basis direkter und indirekter Löhne) derartig spezifische Konditionen ablehnen, wie sie die

Wirtschaftskammer vorschlägt. Oder um’s anders auszudrücken Gewerkschaften werden strukturell gezwungen sein, Rassismus, Sexismus und Antisemitismus zu bekämpfen oder unterzugehen. Ihre Krise in den meisten Staaten Europas (Mitgliederschwund, Reduktion der Bedeutung von Kollektivverträgen, Abbau des WS) ergibt sich genau daraus. Und das ist weniger eine frage der Radikalität und Militanz ihres Vorgehens, sondern überhaupt, ums marxistisch auszudrücken, der adäquaten Reaktion auf die Rekonstruktion des Gesamtarbeiters nach geschlechtsspezifischen (Feminisierung der Lohnarbeit) und rassistischen Kriterien (Migration, Globalisierung) in den letzten zumindest 3 Jahrzehnten.

Ach ja, der ’Arbeiter’ in Österreich ist zwar überwiegend männlich, aber auch zu mehr als 20% Gastarbeiter (in Wien 40%), dies weil etwa 80-90% aller nicht-österreichischen Arbeitskräfte in Österreich als ’Arbeiter’ eingestuft sind — ein Zahl, die sich in vergleichbarer Weise auch bei den eingebürgerten Personen forträgt, also insgesamt eine noch höhere Zahl von Arbeitern nicht dem ’völkischen Ideal’ entspricht, ergibt.

Und das Hereinholen von IT-Fachkräften hat mit ’Arbeitern’ wenig zu tun, da diese wohl eher als Angestellte eingestuft und in einem anderen Segment des Arbeitsmarktes in KOnkurrenz mit österreichischen AbeitnehmerInnen treten würden. (wohl kaum aber mit den Arbeitslosen, von denen etwa 45% nur einen Hauptschulabschluss haben, also gar nicht den Ausbildungsgrad zur Umschulung zu IT-Spezialisten mitbringen).

Die Hauptdifferenz, die aber wohl dieser Diskussion zugrundeliegt, ist wohl in unserem jeweiligen Verständnis von Klassenverhältnissen zu sehen. Ich würde in bezug darauf nicht von einer ’schlechtergestellten Personengruppe’ sprechen (auch wenn ich ansonsten der Aussage in diesem Absatz zustimmen kann).

liebe Grüsse
Roland

Antwort auf Rolands Antwort

From: OEKOLI_Wien@gmx.net

Lieber Roland!

Zuerst einmal danke für deine Antwort. Inhaltliche Debatten dieser Art sind gerade in einer vielfach viel zu inhaltslosen Linken wichtig und sollten gerade deshalb auch im Widerstandsmund als Diskussionsmedium der Bewegung gegen schwarzblau ihren Platz haben.

Auch wir können vielen deiner Ausführungen folgen und es ist auf Dauer eher ermüdend zu diskutieren wer jetzt mehr oder weniger rassistisch ist.

Vielleicht können wir als Zwischenstand einmal festhalten, daß ÖGB und Bundeswirtschaftskammer beide auf unterschiedliche Art rassistisch sind, daß es den Gewerkschaften um die Verteidigung des österreichischen Lohnniveaus, der österreichischen Arbeiter,... geht — und der Bundeswirtschaftskammer um eine möglichst gewinnbringende Vernutzung von Fach- und einfachen Arbeitskräften und diese deshalb einen selektiven Arbeitskräftezuzug ermöglichen will, bei dem es aber eben lediglich um Arbeitskräfte in dieser ihrer Funktion und nicht um Menschen mit einer Fülle an anderen Bedürfnissen und Lebensbereichen geht.

Ursprünglich war das ja auch das Ziel jener Anwerbebüros die die Bundeswirtschaftskammer in den Sechzigerjahren in der Türkei errichtet hat.
Türkische „Gastarbeiter“ hätten für einige Jahre als Arbeitskräfte in Österreich bleiben sollen um dann wieder – ohne hier integriert zu werden – das Land zu verlassen. Die Umsetzung dieser Absicht der „Gastarbeiter“-Anwerber von damals ist zum Glück nicht völlig gelungen.

Viele „Arbeitskräfte“ von damals haben schließlich doch ihre Familie nachgeholt und sind in Österreich geblieben. Was als rein kurzfristige Anwerbung von Arbeitskräften und rassistische Vernutzung herausselektierter „Muskelkraft“ gedacht war, hat deshalb zu einem bestimmten Zeitpunkt doch doch eine etwas erhöhte Durchlässigkeit der Grenzen für migrationswillige türkische StaatsbürgerInnen gebracht.

Vermutlich – und hier läge es an uns für Rahmenbedingungen zu kämpfen die dies ermöglichen – würden oder werden indische ITArbeitskräfte auf Dauer auch nicht alle zurückkehren und einigen davon kann es durchaus gelingen ihre Familien nachzuholen, Migrationsbrücken aufzubauen, ... Dies liegt dann eben an der europäischen und österreichischen Migrationspolitik, die sich die letzten Jahrzehnte, wie wir alle wissen, massiv verschärft hat und insbesondere auch an uns, ob wir hier effizient intervenieren können oder nicht, ob und wie sehr sich die Linke überhaupt für Rassismus interessiert, offene Grenzen fordert, ...

Aber lassen wir diese Spekulationen einmal dahingestellt. Vermutlich hast du in deinem letzten Absatz recht, daß dieser gesamten Diskussion ein unterschiedliches „Verständnis von Klassenverhältnissen“ zugrunde liegt. Dieser Punkt scheint weiter diskusionswürdig. Uns würde da schon interessieren welches „Verständnis von Klassenverhältnissen“ hier deiner Analyse zugrundeliegt.

Aus unserer Sicht hat sich die letzten Jahrzehnte nämlich hier einiges grundlegend geändert. Nach klassisch marx´scher Definition gibt es in Österreich, ja in der gesamten EU nämlich fast überhaupt keine ProletarierInnen mehr.

Den marx´schen „freien Arbeiter“, den er als notwendig für die Verwandlung von Geld in Kapital sieht und als eine Person charakterisiert die „über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt [... und ...] andererseits andere Waren nicht zu verkaufen hat“ [1] gibt es heute ebenso selten, wie „den Kapitalisten“. Der klassische Privatkapitalist, der als Fabrikseigentümer den von den ArbeiterInnen produzierten Mehrwert abschöpfen kann, ist im Laufe des 20. Jahrhunderts, insbesondere aber in den letzten 20 Jahren fast völlig verschwunden. Als Privatunternehmer sind heute in der EU fast ausschließlich Eigentümer von Klein- und Mittelbetrieben aktiv, während Großunternehmen, Konzerne und Fabriken fast ausschließlich von immer komplexer ineinander verschachtelten juristischen Personen, seien dies nun Aktiengesellschaften oder andere Rechtskonstrukte, „besessen“ werden. Die Abschöpfung und Verteilung des Mehrwertes ist dadurch eine wesentlich differenziertere geworden.

In der Folge kam es zu so etwas wie einem Verwischen der Klassengrenzen, bzw. einer stärkeren Ausdifferenzierung innerhalb der Kapitalisten- und Arbeiterklasse, die bis zum natlosen Übergang der beiden reicht. Das heißt natürlich nicht, daß es heute nicht viele ausgebeutete und arme Menschen in der EU gäbe. Der Unterschied ist, daß das Prolateriat von heute viel mehr zu verlieren hat als nur seine Ketten und fast jeder Mensch in Österreich, bzw. in „entwickelten“ Industrienationen in einer mehrfachen Doppelrolle lebt, die ihn in Bezug auf manche Personengruppen als „Kapitalisten“, gegenüber anderen als „Proletarier“ auftreten läßt.

Diese Entwicklung verschärft sich insbesondere die letzten Jahre, was nur anhand eines Beispiels gezeigt werden soll: Wenn Frau X als Postangestellte mangels einer ausreichenden staatlichen Pension sich ihre Altersvorsorge mittels eines Pensionsfonds sicherstellen muß, der durch Börsenspekulationen mit dem Geld der AnlegerInnen deren Pensionen sichert, dann hat sich einerseits in ihrer Funktion als Postangestellte völlig andere Interessen wie in ihrer Funktion als Pensionsfonds-Einzahlerin bzw. Aktienbesitzerin. Sie kommt damit in eine Doppelfunktion, die so weit gehen kann, daß sie als Postangestellte ihre Pension sogar versuchen könnte ihre Pension mit den Aktien des eigenen Unternehmens zu sichern, was sie endgültig in eine völlig schizophrene Interessenslage bringen muß.

Die Entwicklung zu immer mehr scheinselbständigen UnternehmerInnen, die oft nichts anderes als „ausgelagerte Arbeiter“ sind, die immer notwendigere flexible Selbstvermarktung der eigenen Arbeitskraft, wie sie für viele JungakademikerInnen bereits typisch ist, die sich nur noch mit ständig wechselnden hochflexiblen Kurzzeitbeschäftigungen über Wasser halten und einen großen Teil ihrer Zeit als Unternehmer in Sachen eigener Arbeitskraft unterwegs sind ...; All diese Entwicklungen haben das klassisch marx´sche Klassenmodell aus den Fugen gebracht.

Die postfordistischen Produktionsbedingungen lassen zumindest in Europa immer weniger klassisches Proletariat existieren, wenn auch manche weiterhin „fordistisch“ produzierten Güter mittels ausgelagerten ProletarierInnen im Trikont weiterproduziert werden.

So weit einmal zu unserem „Verständnis von Klassenverhältnissen“. Wäre interessant zu wissen wie du das analysierst und welche „Hauptdifferenz“ hier zu deinem „Verständnis von Klassenverhältnissen“existiert...

Einer von der ÖKOLI

[1MARX, Karl: Das Kapital, Kritik der Politischen Ökonomie, Erster Band, S. 176 nach der Dietz-Verlag Ausgabe von 1951

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