Der Kampf gegen das Antivaterland
„Im langen Schatten des Nationalsozialismus. Faschistische Bewegungen in Chile zwischen der Weltwirtschaftskrise und dem Ende des Zweiten Weltkrieges“ von Marcus Klein, erschienen 2004 im Vervuert Verlag.
Im April 1932, als die Weltwirtschaftskrise Chile bereits mit voller Wucht getroffen hatte, gründeten die beiden Deutsch-Chilenen Jorge Gonzales von Marees und Carlos Keller Rueff gemeinsam mit einigen jungen Chilenen der urbanen Mittelklasse die Nationalsozialistische Bewegung (MNS). Zwar konnte das autoritäre Regime des Musolini-Verehrers General Carlos Ibanez del Campo 1931 mit Hilfe sozialer Proteste aus Amt und Land vertrieben werden, doch die politische und wirtschaftliche Krise verschlimmerte sich weiter und die Unzufriedenheit mit den traditionellen Parteien (Liberale, Konservative und Radikale) bereitete den Dünger für neue faschistische Gruppierungen, die für „Recht und Ordnung im allgemeinen Chaos“ eintraten: die MNS, die Republikanische Miliz (MR), die Sozial-Nationalistische Legion (LSN), die Nationalistische Aktion Chiles (ANCH) und der Kern Wiederaufbau (NR). Die „Nacistas“ der MNS traten in den ersten Jahren ihres Bestehens offen für den Umsturz der Demokratie und die Schaffung einer neuen faschistischen Ordnung ein. Ihre Orientierung war streng antikommunistisch (ebenfalls jene der 1933 gegründeten Sozialistischen Partei), antiliberal und antikapitalistisch. Sie waren strikt nach dem Führerprinzip organisiert und mit einer paramilitärischen SA-Einheit, den Tropas Nacistas des Asalto (TNA), ausgestattet. Prominente Schlagwörter ihrer Propaganda waren u.a. die Stärkung der „raza chilena“, die Befreiung vom „nordamerikanischen Joch“ und der Kampf gegen das „parasitäre Kapital“ — verpackt in religiös verbrämter Gewalt-Opfer-Märtyrer-Rethorik. Ihr misslungener Versuch Anfang 1933 nach deutschem Vorbild mittels einer antisemitischen Hetzkampagne ihre schwindende AnhängerInnenschaft zu halten bzw. zu erweitern gipfelte in diversen Verschwörungstheorien. „Jüdische Zahnärzte siedeln sich in Chile an!“ und vertrieben in einer geplanten Aktion die wahrhaft chilenische Ärzteschaft, titelte am 17. August 1933 Trabajo, das Parteiorgan der Nacistas. In den folgenden Jahren mehrten sich von den Nacistas provozierte blutige Konfrontationen mit den Sozialistischen Verteidigungsbrigaden, bei denen die Faschisten versuchten, ihr Profil zu schärfen.
Marcus Klein schildert weiters eindrucksvoll, wissenschaftlich und nüchtern das Verhältnis der Nacistas zu den deutschen Nazis im Land und die ideologische Begründung, mit der sich die MNS Ende der 30er Jahre der Linken zuwandte und dort in Querfront mit der Unión Socialista und anderen Fraktionen integriert wurde. Er beschreibt den misslungenen Putschversuch der Faschisten am 5. September 1938 und wie dieser die einzige Volksfront-Regierung außerhalb Europas zu dieser Zeit ungewollt ermöglichte: Die gewaltige Repression, mit der Präsident Alessandri den Putsch niederschmettern ließ — so wurden 57 Männer kurz nachdem sie sich ergeben hatten exekutiert — verhalf dem Kandidaten der Volksfront Ende 1938 die Präsidentschaftswahlen knapp zu gewinnen. Einen der Anführer des fehlgeschlagenen Putsches, den Führer der faschistischen Jugend Oscar Jiménez Pinochet, treffen wir 1970-1973 wieder: diesmal als Minister unter Präsident Allende.
1939 benannte sich die MNS im Zuge ihres Seitenwechsels in Vanguardia Populár Socialista (VPS) und machte Platz für neue faschistische Organisationen: die Nationalfaschistische Partei und die Nationalistische Bewegung Chiles (MNCH). Weder ihnen noch der 1942 zu ihren ursprünglichen faschistischen Wurzeln zurückgekehrten VPS (vormals MNS), die sich nun Nationalistische Union nannte, gelang es eine minimale Anhängerschaft im „Kampf gegen das Antivaterland“ (aus einem Flugblatt der MNCH: „Despierta Chile!“) zu gewinnen bzw. als politische Akteure in Chile Relevanz zu erringen. Neuerlich griff man zum Mittel von politischer Gewalt und antisemitischer Hetze, die bis hin zum Angriff auf jüdische Institutionen und deren Personal in Santiago gingen.
Wieso Allende Faschisten als Minister seiner Regierung duldete, welche Beziehung bzw. Differenzen er mit seinem Halbbruder, dem Faschisten Tomás Allende, (siehe Interview mit Víctor Farías) hatte, welcher kein einziges Mal im Buch erwähnt wird, bleibt somit leider auch im letzten Kaptitel, über den chilenischen Faschismus nach 1945, unbeantwortet. Dies ist auch die Schwäche des Buches von Marcus Klein: der unterlassene Versuch, die Gemeinsamkeiten zwischen Faschisten und Linken (Nationalismus, Antiimperialismus, Antisemitismus, Homophobie, usw.), deren jeweilige Anknüpfungspunkte, als solche zu benennen und zu thematisieren.
Auf, auf, Chilene!Vorwärts, kriegstüchtige Chilenen,Mit Kraft und Enthusiasmus, auf, auf.Um das gesamte gestärkteChile zu vereinenIn einem einzigen Hirn und Herz.Damit der brüderliche KlassenkampfNur mehr eine Erinnerung an gestern sei,Verschmelzen wir am Amboss eines anderen LebensDie Söhne des Palastes und der Fabrik.(Nacistische Hymne)
