FORVM, Burgeriana
Januar
2022

Der Narzißmus des „Bin ich nicht“

Über Rudolf Burgers erstes posthumes Buch. Die Besprechung erschien zuerst im Magazin der Theodor Kramer Gesellschaft „Zwischenwelt. Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstands“ 38/4, Dezember 2021, 70f., hier mit freundlicher Genehmigung deren Herausgebers sowie Autors dieses Beitrages.

Konstantin Kaiser (2013)
Bild: Parlamentsdirektion / Bildagentur Zolles KG / Jacqueline Godany

Ähnlich wie in den letzten Jahren Konrad Paul Liessmann, wurde der heuer überraschend verstorbene Philosoph und Wissenschaftsbeamte Rudolf Burger zu Fragen der Bildung, Politik, Kultur, Moral von Journalisten gerne befragt, verstand er sich doch gut darauf, konzis zu formulieren, ohne unverständlich oder gar umständlich zu werden; seine provokativen Einschätzungen und Schlussfolgerungen hatten nicht unerheblichen Unterhaltungswert. Mancher der Versuche, die Zeit in Gedanken zu fassen, wirkt mittlerweile hilflos. Notgedrungen knüpfen derartige Interviews selten aneinander an; wenn aber der Faden immer neu aufgenommen werden soll, sind inhaltliche (nicht wörtliche) Wiederholungen bei aller Differenziertheit des Ausdrucks unvermeidlich. Indem der Herausgeber die Interviews nicht chronologisch, sondern thematisch anordnet und damit den Finger auf die „Wiederkunft des Gleichen“ bei Burger legt, tut er dem von ihm bewunderten Autor keinen wirklich guten Dienst; Langweilen mit Burger war sicher nicht Absicht des Herausgebers. Langweilig ist jedoch der ständig strapazierte Gestus geistiger Souveränität und Distanz dem Treiben der moralisierenden „Gutmenschen“ gegenüber, sowie die zum Narzissmus kleidsamer Negativität gesteigerte Pose, dieses oder jenes nicht und anderes schon gar nicht zu sein. Originell ist die Paginierung des Buches, die den Leser zur genauen Entzifferung des Inhaltsverzeichnises nötigt. Einfacher wäre besser, schließlich handelt es sich, mit Karl Kraus zu reden, bei aller Pietät nicht um eine Urne.

Seltsam hingegen ist das pompöse Nachwort des Herausgebers, in dem zunächst Vorbildhaftes von Ernst Jünger zitiert und gerühmt und der Schriftsteller André Müller, der Ernst Jünger ein spätes Bekenntnis zum eliminatorischen Antisemitismus entlockte, gescholten wird, dann aber die Gelegenheit zu einer gehässigen Polemik gegen Gerhard Oberschlick, den Herausgeber des FORVM, genützt wird. Bernhard Kraller hatte Oberschlick und andere zu einer Stellungnahme aus heutiger Sicht zu Rudolf Burgers umstrittenem Aufsatz „Die Irrtümer der Gedenkpolitik“ (2001) eingeladen. Oberschlick verfaßte eine Schritt für Schritt behutsam vorgehende Autopsie des Burger-Textes, die aber um die Feststellung nicht herum kam, daß Burgers Argumentation letztlich auf die sattsam bekannte Forderung hinauslaufe, endlich einen Schlußstrich zu ziehen. Oberschlicks Stellungnahme hat Kraller offenbar missfallen, denn ihre zuerst ins Gespräch gebrachte Veröffentlichung findet in Krallers Wirkungsbereich jedenfalls nicht mehr statt. Dafür aber nimmt Kraller die Gelegenheit wahr, in Abwesenheit von Oberschlicks Text gegen diesen und seinen Verfasser vom Leder zu ziehen. Man mag Kraller gerne glauben, wenn er Oberschlicks Autopsie-Ergebnisse „ästhetisch und argumentativ ungenießbar“ findet. Doch von Interesse ist, was sich in Krallers Magen-Darm-Trakt als genießbar herausstellt, nur insofern, als Kraller mit dem Schwenk in die Genießbarkeit den Boden sachlicher Auseinandersetzung verläßt, zu einer Stil- und Geschmacksfrage macht, was rational zu erörtern wäre, von „toten Sätzen“ spricht, die an die „funkelnde Kraft“ Burger’scher Satzbildung natürlich nicht heranreichen, davon, dass Oberschlick „mehr Geist zeigen will, als er hat“, der er, Oberschlick, in seinem Leben auch schon einmal Buchhalter gewesen sei... Schopenhauers im Eifern gegen Hegel behauptete, im Stil sich zeigende „Physiognomik des Geistes“ darf auch nicht unzitiert bleiben. Krallers Suada gipfelt im Anathema über „diesen Oberschlick der Moral“ und dessen „Verlust der Vernunft“. Schimpflicheres scheint in Krallers Vorstellung nicht vorrätig. - Ich finde Krallers Verhalten einfach unanständig.

Rudolf Burger: Über Gott und die Welt und die Liebe. Gespräche und Interviews. Mit Beiträgen von Peter Strasser und Ernst Strouhal. Hg. von Bernhard Kraller. Wien: Sonderzahl 2021. 514 S.