Amelie Lanier, Transformation Osteuropas
November
2015

Der russische 3 Milliarden-Kredit vom Dezember 2013 an die Ukraine

Rußland vergab 2013 einen Notkredit an die Ukraine, noch unter der Regierung von Janukowitsch, der mit Dezember 2015 fällig würde. Der IWF überlegt jetzt, wie mit diesem Kredit zu verfahren sei. Die Ukraine hat das Geld nicht, um ihn zu tilgen. Da die Ukraine schon seit Jahren keinen Kredit mehr von privaten Finanzinstitutionen erhält, aber dennoch die vor 2013 aufgelaufenen Verbindlichkeiten bedienen muß, kommt als einziger Kreditgeber der IWF bzw. andere internationale, mittels staatlicher Kredite und Garantien finanzierte Institutionen in Frage.

Wenn der IWF der Ukraine dieses Geld leihen würde, so würde er damit einem eingestandenermaßen zahungsunfähigen Staat (gerade wurde von der ukrainischen Regierung eine Schuldenstreichung bzw. Umschuldung mit privaten Schuldnern vereinbart), der auch keine der IWF-Auflagen erfüllt, weiter Kredit geben. Damit wäre bereits eine deutliche Abkehr von bisherigen Praktiken in Kraft gesetzt. Man bedenke, daß Argentinien 2001, als es durch Verweigerung eines Kredites in die Insolvenz geschickt wurde, weitaus besser dastand als die Ukraine heute. Sogar die Griechenland-Kreditstützung ist an viel schärfere Kontrollen und Auflagen geknüpft als es ein solcher 3-Milliarden-Kredit an die Ukraine sein könnte. Und bereits gegen die Griechenland-Kredite gab es heftigen Widerstand innerhalb des IWF von Nicht-Euro-Staaten wie Kanada, Brasilien und China, die meinten, daß der IWF eigentlich nicht die Aufgabe habe, eine Weltwährung wie den Euro zu stützen, noch dazu mit unsicherem Ausgang, also möglicherweise als Dauerprogramm.

Wenn der IWF der Ukraine dieses Geld nicht leihen würde, so müßte die Ukraine Zahlungsunfähigkeit erklären, und das würde alle ihre bisherigen Schulden entwerten. Dadurch käme einerseits ans Licht, wer die Ukraine bisher alles kreditiert hat, also welche Verbindlichkeiten bei Staaten, Institutionen und privaten Finanziers (Banken, Fonds) aufgelaufen sind. Es würde die gesamten schiefgelaufenen ökonomischen und politischen Berechnungen, die sich seit der Unabhängigkeit auf dieses Land gerichtet haben, offenlegen, und ihre Nichtigkeit offenbaren. So ein Bankrott wäre also erstens politisch sehr brisant, weil er sowohl den Ehrgeiz als auch die Schwäche der westlichen Welt bei der Eingemeindung und Ruinierung der ehemals sozialistischen Ökonomien darlegen würde.
Das hätte zur Folge, daß die Geldbesitzer sich auch einmal fragen könnten, worauf eigentlich das Vertrauen in Staaten wie Polen, Ungarn oder der Slowakei beruht, und deren Vertrauenswürdigkeit unter die Lupe nehmen. Immerhin hat sich Polen in den letzten Jahren ökonomisch sehr in der Ukraine engagiert. Ein Bankrott der Ukraine könnte also einen Dominoeffekt auslösen.

Es wäre darüber hinaus ökonomisch noch einmal sehr haarig, weil sich zu den ohnehin schon toxischen Wertpapieren und faulen Krediten aller Art, die sich in westlichen, vor allem europäischen Bankaktiva ohnehin schon angesammelt haben, auch noch entwertete ukrainische Schuldtitel gesellen würden. Und über deren Umfang soll man sich keine Illusionen machen: Seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 und der gegen Null gehenden Zinsen auf fix verzinsliche Wertpapiere waren die ukrainischen Anleihen aufgrund ihrer höheren Verzinsung gefragt, vor allem seit dem IWF-Kredit von 2008, der der privaten Finanzwelt Sicherheit signalisierte. Die offiziell bekanntgegebene ukrainische Staatsschuld steigt nach 2008 rapide an, gibt aber keineswegs alle Verbindlichkeiten wieder, die sich seit 1992 aufgehäuft haben.

Die dritte Variante, die offenbar vom IWF in Erwägung gezogen wird, wäre, die Nicht-Zahlung des Kredites an Rußland zu genehmigen und die Ukraine dadurch nicht für bankrott zu erklären.

Diese Variante hätte die allerweitreichendsten Folgen.

Damit wäre zunächst ein Präzedenzfall gesetzt: es gibt Gläubiger, die man bedienen muß, und solche, die man nicht bedienen muß – gemäß IWF. Erstens wäre damit klargestellt, daß in Zukunft jeder Kredit unsicher ist, weil die Staatsgewalt, die ihn vergibt oder auf deren Territorium der Gläubiger ansässig ist, beim IWF in Ungnade fallen und damit seine Forderungen vom IWF für ungültig erklärt werden können.
Zweitens aber führt der IWF sich mit einem solchen Schritt vollends ad absurdum. Er hat damit eingestandenerweise aufgehört, Garant des internationalen Kreditwesens zu sein. Das heißt im Klartext: Ein IWF-Kredit gewährt keinem Gläubiger mehr Sicherheit, daß er in das betreffende Land Geld verleihen kann, und dieser Kredit dann bedient wird.
Was das für die Euro-Rettung hieße, liegt auch auf der Hand. Die Stellung des IWF in der Troika und den Austeritäts-Programmen wäre in Frage gestellt – was gilt die Kontrolle des IWF, was bringen die Sparprogramme zur Festigung einer Währung überhaupt noch? Der IWF würde zu einer Schönwetter-Institution verkommen, auf deren Geldvergabe-Politik niemand mehr vertraut, und der Euro würde wieder einmal in den Ruch eines gescheiterten Experiments kommen, das immer weniger ökonomischen Erfolg bei sich vereinigt, und immer mehr auf entwerteten Schuldtiteln beruht.

Um das noch etwas gründlicher darzustellen, muß man sich diesen Kredit, um den es geht, genauer anschauen: Rußland hat damals – im Dezember 2013 – ukrainische Anleihen gekauft, die zu 5% verzinst waren, gegenüber dem IWF-Kredit, der nur mit 4% verzinst war. Rußland nahm also höhere Zinsen als der IWF, aber niedrigere als die westliche Bankenwelt, die die Ukraine zu weitaus höheren Zinssätzen kreditierte.
Diese Anleihen werden am 20. Dezember 2015 fällig.
Sie sind Euro-Bonds, d.h. in Euro ausgegeben und werden auch in Euro verzinst. Das heißt, sie bedurften des Stempels irgendeiner Institution der Eurozone, um als solche zu gelten:

Die Platzierung der Anleihen erfolgte durch »VTB Capital«. Die Privatplatzierung von Anleihen mit einem Nennwert von 200.000 USD wurde an der Börse Irlands durchgeführt.

Abgesehen davon, daß sich nicht genau herausfinden läßt, ob nur diese 200.000 als Eurobonds über VTB Capital abgewickelt wurden und der Rest irgendwie damit einen Persilschein erhielt, oder ob es noch andere Verkäufe hinter verschlossenen Türen gab, um auf die 3 Milliarden zu kommen, ist die Ausstellungsform und der Austellungsort zu beachten. Wenn der IWF diesen Kredit platzen läßt, wirft das ein schlechtes Licht nicht nur auf den IWF, sondern auch auf die irische Börse und überhaupt auf den ganzen Eurobond-Markt. Auch Ungarn und andere Nicht-Euro-Länder der EU begeben Eurobonds über die Börsen von Euro-Ländern. Wenn jetzt eine Börse eines Euro-Landes sich als Rohrkrepierer vom Standpunkt des „Eurofizierungs-Stempels“ erweist, so könnte man ja einmal nachfragen, welche Sicherheit eine von Ungarn oder Rumänien ausgegebene Anleihe in Euro auf einer anderen europäischen Börse bietet, sogar auf der Frankfurter? Die Bindung des Forint, Zloty, Lei usw. an den Euro und der dabei gültige Wechselkurs beruhen aber zu einem guten Teil auf dem Gelingen dieser Eurobond-Emissionen.
Die irische Regierung war damals vermutlich froh, daß die Dubliner Börse Ort des Geschehens war, weil sich auf dieser Börse nicht allzu viel abspielt und durch solche Transaktionen Leben in die Bude kam.
Wenn jetzt der Deal nachträglich für ungültig erklärt wird, so könnte Irlands Staatskredit wieder ins Scheinwerferlicht gerückt werden und die Finanzwelt sich fragen, inwiefern dieses Land eigentlich Kredit verdient, wenn es nicht einmal die eigenen Börsengeschäfte im Griff hat.

Als vorläufige Bilanz all dieser Überlegungen kann man folgendes feststellen. DiejWnimmt an, daß das Nicht-Zahlen des Kredits und Nicht-Bankrott-Erklären der Ukraine eine US-Vorgabe an den IWF ist, und daß sie den Zweck hätte, „Moskau soll bluten“.

Es ist gar nicht auszuschließen, daß es die Vorgabe und den Zweck wirklich gibt, die Folgen wären jedoch ganz andere.

Rußland, das ist richtig, müßte die 3 Milliarden in den Rauchfang schreiben. Das könnte dieses Land verkraften.

Es sind jedoch der IWF und die EU, die sich diesen Schritt nicht leisten können.

Dieser Artikel wurde der Jungen Welt angetragen, als Antwort auf den hier verlinken Artikel. Es erfolgte keine Reaktion, es gab also kein Interesse von Seiten der Redaktion.

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