Streifzüge, Heft 44
Oktober
2008

Der Slang der Versprecher

Raffiniert: „Ein heißer Sommer!“

„Fairgeben“ und „Fairsorgen“. Der Kalauer ver-spricht, ohne auszusagen, hat aber weniger mit Satire als mit gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun. Die Werbesprache im öffentlichen Raum, der neoliberale Manager-Sprech, hat sich längst für den Kalauer entschieden. Die Branche der Promoters zieht mit ihrer Wortklitterung und Begriffsbastelei noch die letzte Sinnfälligkeit an den Haaren herbeiDie Ergebnisse, die von Homepages und Straßenplakaten witzeln, geben jedoch Mitteilung von der gesellschaftlichen Sprechsituation. Vorweg: Man sollte den Kalauer boykottieren. Und zwar solange, bis er abgespeckt hat und wendig genug ist, der Satire zu nützen. Als Germanistin hat die Autorin ihre persönliche Plage mit der Gallert-Sprache. Um der Dissoziation zu entkommen, muss ich die gesellschaftliche Aussage von den Lettern ablesen, die sich mir in die Sicht stellen. Um nur einmal selbst dem Doppelsprech zu verfallen: Der Werbekalauer ver-schreibt sich seinem Mieter, der damit nichts anderes ver-spricht als sich. So gibt er die Verhältnisse in der Vermarktungsgesellschaft getreu wieder, in der täglich ohne Verbindlichkeit ver-sprochen wird. In der Wirklichkeit bleiben die Inhalte ohne Worte bei den Regierten.

„Eau wie gut! “ (http: //www. bwb. de/content/language1/downloads/BWB-08_Blume.pdf ) werben die Berliner Wasserbetriebe auf ihren Plakaten und setzen für ihren kommerziellen Lobruf auf das Wasser Französischkenntnisse („Eau“ = Wasser, sprich: „O“) bei den BerlinerInnen voraus. Das Wortspiel und die irrsinnige Bebilderung (Blümchen klammert sich an Gießkanne fest) dürften diejenigen nicht zum Lachen bringen, die gegen die Geheimverträge bei der Teilprivatisierung des Wassers protestierten (http: //www. berliner-wassertisch. net/). Jämmerlich wirkt die Sprach-Schote vor dem Wissen, dass der Trinkwasserzugang für 1,1 Milliarden Menschen längst konkretes Problem ist. Witz und Irrwitz sind oft dasselbe in dem, was die Kapitalisten den Kundenmenschen noch mitzuteilen haben: Das ist nur mehr die Übertreffung des Wörtlichen durch das Wörtliche. Der Kalauer ist bestenfalls eine Brücke. Im Gleichlaut verbindet er zwei inhaltsfremde Wörter, oder Wort und Sache, und verweist von einem auf das andere. Die Ohren klingeln vom Echo der Dinge.

Mit jedem Bus oder Taxi bin ich „voll abgefahren“, weil es da drauf steht, in der U-Bahn versprechen mir Plakate eines Spracheninstituts, „besser anzukommen“, oder man lässt mich mit der Riester-Rente „besser fahren“. Der Kalauer ist flexibel wie ein zeitgemäßer Jobber. So macht man sich noch die Sprache zum Hire-und-Fire-Objekt. Mitgeteilt wird nichts als Assoziation von der Bewährung des Angepriesenen. Die Sinnanknüpfungen bilden eine fortgängige Nonsense-Landschaft, während der Alltag der JobberInnen, die darin herumlaufen, kaum noch Beständiges hat. Ist Sommer, wird raffiniert auf die Tatsache Bezug genommen, dass die Temperaturen hoch sind („Ein heißer Sommer – Preise für lau“, so ein Mobilfunkunternehmen). Ist EM, kann ich bei der Berliner Stadtreinigung BSR den „Einwurf“ in den Abfalleimer machen. Besonders die BSR klittert mit Wörtern, dass denen, die noch Lust haben, Buchstaben aufzulesen, Verb und Substantiv vergeht. Auf einem Reinigungswagen heißt es „We kehr for you“, auf einem anderen „Poliertesse“.

Wer soll wem „fairgeben“, und was?

Ein Flug- und Reiseportal kündigt, dank Verdinglichung der Sprache, „verflugt günstige“ Flüge an. Mir schwebt vor, ich wäre sieben Jahre alt, womöglich mit migrantischem Hintergrund, und hätte den deutschsprachigen Anforderungen dank Bologna-Korsett an der Schule nachzukommen. In dem Wissen, dass CDU und auch Teile der SPD die raschere Ausweisung für Migrantinnen und Migranten androhen, die ihre sprachliche „Integration“ nicht schnell genug hinkriegen, täte ich gut daran, mich in mein Kinderzimmer mit Büchern (in neuer deutscher Rechtschreibung) einzuschließen, und den Kauderwelsch auf der Straße toben zu lassen, der das Privileg der Firmenpromoter ist und bleibt.

„fairgeben. fairsorgen. fairteilen. Gottes Spielregeln für eine gerechte Welt.“ (http: //www. globaleslernen. de/coremedia/generator/ewik/de/03__Aktionen/Brot_20f_C3_BCr_20die_20Welt_20Adventsaktion.html) Das ist das diesjährige Motto von Brot für die Welt, um für Bepflanzungs- und Ernährungsprogramme in den Armutsländern zu werben. Der Tribut an den öffentlichen Lifestyle, ohne den nichts mehr geht, wird mit „Gottes Spielregeln“ erbracht, und EM und Olympia sind damit in die christliche Promotion eingetütet. Außerdem wird das neoliberale Sprachdenkmal der „Fairness“ erbarmungslos zu Wortkalauern verwurstet. Dass die reichen Industriestaaten, deren Regierungen auf Senkung der Importzölle, etwa in Afrika, drängen, durch individuelles Spenden der „Fairness“ genügen, ist so eine Gedankenassoziation, wie sie recht gut in den Konsens der Weltbankpolitik passt. Bleibt viel zu hinterfragen: Wer soll wem was „fairgeben“, wenn „Fairsorgen“ und „Fairteilen“ recht deutlich auf die abgebildeten afrikanischen Landesbewohnerinnen bezogen sind? Kann es denn eine Vergebung für die westliche Monopolpolitik in den Dritte-Welt-Staaten geben, oder, ganz anders: kann von einem „fairen“ Geben unter diesen Verhältnissen gesprochen werden? Politische Erörterungen lässt der Doppel-Slang nicht zu. Ihm ist alles im Lot, selbst „The Boat People“ haben jetzt ihren Platz in der sprachlichen Normalität eingenommen. Unter diesem Wort wirbt eine Segelschule in Berlin – zynisch und zeitgemäß: Die Komik über verheerende Sachverhalte ist die Absage an Änderung. Das sichert Erfolg.

Der Slang des Einverständnisses

So ist der Kalauer zwar nicht nur auf der Comedy-Bühne vertreten, doch diese macht den Rahmen augenfällig, in dem die Eliten Welt aufgefasst haben möchten.

Der Polit-Kalauer gehört zum Repertoire bei Lucky Strike: „Die Grünen sind jetzt käuflich“ – da klingt der Abklang der Polit-Satire, und zeigt sich die Etikette: Der Joke über den Rahmen bestehender Ordnung. In der Literatur, auch der Satire, haben Autoren der Doppeldeutigkeit aber immer ihren Platz zugewiesen. Einen Sonderstatus nimmt dabei zwar wohl Robert Gernhardt ein, der den Kalauer zu seiner bevorzugten Kunst machte, lange bevor die Promoter diesen entdeckten und auswalzten. Aber das weniger virtuose Nonsense-Spiel erlangte im kommerziellen Verschleiß klägliche Popularität und ist der Slang des Einverständnisses geworden. Da dürfte zutreffen, was Karl Kraus über die doppeldeutige Phrase schrieb:

Ein Volk, sage ich, ist dann fertig, wenn es seine Phrasen noch in einem Lebensstand mitschleppt, wo es deren Inhalt wieder erlebt. Das ist dann der Beweis dafür, dass es diesen Inhalt nicht mehr erlebt.

Allerdings war sein gesellschaftlicher Bezug dabei kein geringerer als der deutsch-österreichische Bündniskrieg, für den die Presse im Kalauer Stimmung schürte. „Ein U-Boot-Kommandant hält die Fahne hoch, ein Fliegerangriff ist zu Wasser geworden, “ zitiert der „Nörgler“ in Kraus‘ pazifistischem Monumentalstück „Die letzten Tage der Menschheit“ aus der Presseberichterstattung – und entgegnet diesem Wortspiel mit einem eigenen:

Papier brennt und hat die Welt entzündet. Zeitungsblätter haben zum Unterzünden des Weltbrands gedient. Erlebt ist nur, dass die letzte Stunde geschlagen hat. Denn Kirchenglocken werden in Kanonen verwandelt.

Das Wortspiel bei Karl Kraus – ein Werk des Hohns

Kraus übte per Stil eine hämische Verachtung der sinnleeren Doppelphrase. So erwidert er den Kalauer der Presse mit einem Wortspiel, das die gedankliche Metapher von der Verantwortung der schreibenden Zunft aufbürdet. Und er lässt es nicht beim Wortspiel bewenden. Der „Nörgler“ als einzige Urteilsstimme gegen den Krieg wird noch deutlicher, etwa wenn er von der Rolle der Kirche spricht: „Wohl, es kann von ihr nicht verlangt werden, dass sie Gottes Segen für die feindlichen Waffen herabfleht, aber zu einem Fluch für die eigenen hätte sie sich immerhin aufraffen können.“

Dennoch lebt sein Werk auch von den Wortspielen. Die sind, in einer Art Abtragungsarbeit am gesellschaftlichen Konsens, zumeist ein Werk des Hohns – „Dies Wiener Herz, es ist aus purem Gold / drum möchte ich es gern für Eisen geben!“. Oder: „Du großer Gott, vertreib mir diese Zeit! / Hilf mir zurück in meine Kindheit“ („Die letzten Tage der Menschheit“, Suhrkamp 1986).

Als Kalauer ist solches nicht zu bezeichnen: Wenn Kraus ein Wort doppeldeutig anwendete, beschwerte er es mit dem Gegenstand wieder, und bezeugte so die Kraftlosigkeit der Phrase. Seine Intention ist bekannt: Die verhasste Wiener Sinnfälligkeit anzugreifen und das Absoluturteil auszusprechen – wenig wortspielerisch und manchmal ausgesprochen bibellastig – gegen sein Umfeld, die moralistische Donaumonarchie, und gegen den inhumanen Zeitgeist.

„Blühende Neurosen“ betitelte etwa die Autorin Irmgard Keun (http://www.fembio. org/biographie.php/frau/biographie/irmgard-keun/) ihre Zeitsatire, in der sie die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft aufs Korn nahm. Der Inhalt lässt es nicht bei Kalauern bewenden, wenn Keun die Selbstgefälligkeit im marktwirtschaftlich hochstrebenden Deutschland schildert.

Sehr sprachwendig verfuhr etwa auch der Satiriker Walter Mehring. Wie pointiert immer er in seinen Reimen Zeitjargon bündelte, wäre er auf heutiger Poetry-Bühne doch wohl ausgepfiffen worden. Ein Motor ist der Kalauer in seiner Schreibe ganz und gar nicht. In seiner Dichtung gegen den manifester werdenden deutschen Faschismus bis zum Hitlerdeutschland, gegen das er vom Exil aus weiter anschrieb, verbindet er das Zeitgenössische mit Elementen aus der Welt der Spuk- und Meereslegenden, versucht, „das Unsägliche“ (laut Bloch) im nazistischen Zeitgeschehen mit Metaphern aus Natur und Mythen einzukreisen.

In seinen „Briefen aus der Mitternacht“ sucht er nach Entsprechungen für das erlebte Deutschland: „Was sich da tummelt, das verdammt / wer nicht dem braunen Schlamm entstammt, / nicht folgt der glitschigen Moral: / Bist du nicht Hai, sei glatter Aal.“

Noch der Mond, zu dem Verliebte hinaufsehen, erscheint dem Erzähler als Bild für den Gesinnungswahn der Zeitgenossen: „Der tausendfältige Kuppler ist / der Welt verdächtig als Trotzkist / Wenn Liebespärchen Radio hören, / um Linientreue sich zu schwören.“

Sein Doppelsinn, bald wetterleuchtend, bald trocken, spricht doch von einer Tatsache eindeutig: dass der Verfemte nicht aus seiner Haut kann – und es nicht will. Auch Kalauer begegnen – seltener: „Die Wache gab ihm einen Stoß. / Da stand der Mann im Staatenlos.“ („Mirakel des heiligen Bürokratius“) Wer sich am bloßen Reiz der Dopplung aufhält, mag über so etwas herzhaft lachen. Doch die Dichtung ist ungeeignet für Kabarett-Junkies in der abgeklärten Gegenwart. Der Exil-Bericht in den „Briefen aus der Mitternacht“, die Mehring 1937 bis 1941 schrieb, ist von der Suche nach Metaphern für den eigenen Abscheu, von Selbstbehauptung gegen die politische „Polarnacht“ und von persönlicher Verlassenheit auf der Flucht getragen. („Staatenlos im Nirgendwo“, claassen-Verlag 1981)

Der Positiv-Sound gibt die Richtung an

Die sich mit Standpunkten herumschlugen, haben den Kalauer bei Zeiten verschmäht. Wenn Eindeutigkeit uncool ist, gibt der Dauer-Kalauer jedoch seinen eigenen Aufschluss über gesellschaftliche Stagnation. Als Erzeugnis aus den Thinktanks begleitet er längst politische Veränderungen und wirkt suggestiv. Der Positiv-Sound gibt die Richtung an. Etwa, wenn die Schulumstrukturierungsprogramme der Bertelsmannstiftung für Public Private Partnership „Schule machen“. Die Slogans gehen rascher ins Hirn als die Erörterung der Inhalte. Und Gegner der gesellschaftlichen Vermarktung parierten dann in diesem Sommer: „Bildung ist Mehr Wert“ (http://www.gew-koeln.de/02/aktuell/themen/personalratswahlen/bk_pv_infoblatt_2008.pdf) – so das Motto der GEW zum Protest gegen die Sparpolitik an Schulen. Selbst Gewerkschaften können heute nicht anders – das zweideutige Label bedeutet nun Mehrheitsfähigkeit. Die GEW, die die Folgen (http://www.gew.de/Privatisierungsreports.html) der Privatisierung mit der wachsenden Abhängigkeit der Schulen von den kommerziellen Sponsoren und der Verknappung der Lernmittel dokumentiert hat, forderte eine bessere Personalausstattung. Verständigung im Protest gegen die kapitalistischen Gesellschaftsverwalter und ihre Regierung würde aber vielleicht noch bestärkt werden, wenn wir wieder so viel Vernunft aufwenden, einen Satz nicht zu verschmähen, nur weil er eindeutig ist. Überlassen wir den Kalauer ganz den Eliten und der Regierung – ihnen eignet die Unverbindlichkeit als Prinzip, und sie wird auch täglich in ihrer Politik praktiziert, wenn sie allein sich selbst verbindlich bleiben.

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