FŒHN, Heft 13+14
Mai
1990

Die Vorläufer in der Geschichte

Wie in der deutschen Geschichte der Wille zur Unterwerfung Österreichs Geschichte hat, so hat in der österreichischen Geschichte der Wille zur Unterwürfigkeit unter Deutschland Geschichte. Die Gier der deutschen Wirtschaft nach Österreich in diesem Jahrhundert haben wir im letzten Heft breit dokumentiert. Hier geht es ums entsprechende Gegenstück, die hundertjährige Feilbietung Österreichs, die zum deutschen Anspruch ge­hört wie das Echo zum Schall.

Die „Argumente“ von damals gleichen hüben wie drüben denen von heute aufs Haar. Die Anlehnung an Deutschland hat Österreich in einen 1. Welt­krieg und hat Österreich in einen 2. Weltkrieg geführt. Unsere Eltern und Großeltern waren dabei aber genauso wenig die Opfer des deutschen Kai­sers und Hitlers, sondern des österreichischen Kaisers und Schuschniggs, wie wir heute nicht die Opfer Brüssels oder Bonns sind.

Schon vor hundert Jahren schrieben ausländische Zeitungen über die öster­reichische Politik:

Es kann dem Kaiser von Österreich nicht entgangen sein, daß das einst so mächtige Wiener Kabinett zur Berliner Filiale geworden, daß die österreichische Armee von dem preußischen Generalstab dirigiert wird; daß die Berliner officiösen Blätter Einfluß auf die inneren Angelegenhei­ten Österreichs ausüben wollen und daß aus den höchsten politischen Sphären in Berlin den österreichischen Staatsmännern in demonstrativer Weise bald eine Anerkennung, bald ein Tadel zu erkennen gegeben wird

(Friedrich Heer, Der Kampf um
die österreichische Identität, S. 254)

Mit fast denselben Worten kann man die heutige österreichische Politik, die in vielem ein bloßer Reflex auf deutsche ist, beschreiben. (Noch 1990 haben wir einen Offizier der Deutschen Wehrmacht als obersten Befehls­haber des österreichischen Bundesheeres.)

Unser kleiner Stammbaum der österreichischen Österreich-Feinde zeigt, wie reich unsere Geschichte an Krejcis und Mocks immer schon war:

1862: Kaiser Franz Joseph: „Ich bin vor allem Österreicher, aber entschie­den deutsch und wünsche den innigsten Anschluß Österreichs an Deutschland.“

1887: Kaiser Franz Joseph: „Ich betrachte die genaueste Verständigung und das engste Zusammengehen mit Deutschland in allen politischen und militärischen Fragen als den Leitstern unserer Politik.“

Friedrich Heer bezeichnet Kaiser Franz Joseph als den „Erzvater des Anschlusses Österreichs an Deutschland“ und der deutsche Historiker Golo Mann sagt über das alte Österreich: „Die Monarchie war seit 1866, seit 1871 ein Gefangener Deutschlands.“

Weiter. Nach der Kaiserzeit kommt die Republik. Nach dem großen Öster­reich das kleine:

1919: O. Bauer, Außenminister (SPÖ): „Kommt der Anschluß nicht zu­stande, so wird Österreich ein armseliger Bauemstaat, in dem Politik zu machen vielleicht der Mühe nicht wert sein wird.“ (Monatszeitung, Februar 1990)

1919: Fr. Austerlitz, Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung und Abgeordneter der SPÖ: „Selbständigkeit vor der deutschen Mutternation wäre nur ein Hohn auf dieses Wort, ein lächerlicher Spott“. (Fr. Heer, S. 339)

1925: I. Seipel, Bundeskanzler: „Das österreichische Volk hat deshalb die ihm aufgezwungene Selbständigkeit niemals als Freiheit empfunden und sein Vertrauen unerschütterlich darauf gesetzt, daß sich früher oder später die politische und ökonomische Vernunft durchsetzen werde.“ (Europäische Revue, Dezember 1925)

Plakat der Tiroler Handelskammer 1988:

... Wer nicht dabei ist, wird es schwerer haben. Als Ausgesperrte wären wir wohl kaum lebensfähig.

Vollversammlung der Tiroler Handelskammer 1925: „Im Anschlusse erklärt KR Herold, daß zur endgültigen Sanierung des tirolischen Wirtschaftslebens der Anschluß an ein größeres Wirtschaftsgebiet unerläßlich sei; er schlägt deshalb unter allgemeiner Zustimmung vor, den Wunsch nach Zusammenschluß mit Deutschland der im Herbst ds. Js. neu zu wählenden Kammer als Vermächtnis zu hinterlassen.“ (Auszug aus dem Protokoll vom 31. Juli 1925)

1926: K. Renner, Abgeordneter der SPÖ: „Der Anschluß an Deutschland ist eine ökonomische Notwendigkeit, Österreich kann sich nicht tibetani- sieren lassen!“ (H. Molt, „Wie ein Klotz inmitten Europas“, S. 22)

1928: K. Renner, Abgeordneter der SPÖ: „Die besondere Nation des Österreichers, wirtschaftlich, politisch und kulturell gesehen, ist eine Illu­sion und eine traurige dazu.“ (F. Heer, S. 337)

Und so weiter. 1930 hieß ein Wahlkampf-Slogan der SPÖ: „Wer den An­schluß will, der wählt sozialdemokratisch.“ Und der Heimwehrchef, Innenminister und spätere Vizekanzler Starhemberg bezeichnete 1930 die Schaffung von Großdeutschland als Ziel und lehnte die Existenz eines un­abhängigen Österreich als „Ungeheuerlichkeit“ ab. Beispiele aus der Zeit des faschistischen Österreich, das von seinen Führern gerne Deutsch-Österreich genannt wurde, können wir uns sparen. Im Guido-Schmidt-Pro­zeß, der 1947 gegen den ehemaligen engsten Mitarbeiter Schuschniggs, den seinerzeitigen Staatssekretär und Außenminister (1936-1938) wegen Hochverrates geführt wurde, charakterisierte der Staatsanwalt in seiner Anklage die maßgeblichen Männer jener Zeit so:

Es war nur eine ganz kleine, ganz dünne Schicht in unserem Volk, aber diese Schicht war einflußreich, sie umfaßte vor allem Personen, die in wirtschaftlich wichtigen Schlüsselpositionen saßen. Diese Leute waren nicht nur Nichtösterreicher, sie waren weit mehr, sie waren die Toten­gräber Österreichs.

Dieser ständige Kampf von oben gegen ein selbständiges Österreich war 1945 zugleich mit dem neuen Österreich wieder da. Er wird ohne Unterlaß gekämpft, von der unmittelbaren Nachkriegszeit an, wo sich die führenden SPÖ- und ÖVP-Politiker (heute historisch belegt) massiv gegen eine Neu­tralität zur Wehr setzten und die Übergabe österreichischen Eigentums an ausländische Konzerne betrieben, bis heute, wo das Komplizentum mit Deutschland zu neuer Höchstform aufläuft.

Nie, in der Kaiserzeit nicht, in der Ersten Republik nicht, in der Zeit der fa­schistischen Diktatur schon gar nicht und in der Zweiten Republik wieder nicht, wurde Österreich selbständig regiert. Sogar über Bruno Kreisky hieß es einmal:

Regelmäßig telefoniert der deutsche Regierungschef (Schmidt) mit Öster­reichs Bundeskanzler Bruno Kreisky, der seinen Bonner Vertrauten vor je­der wichtigen innen- und wirtschaftspolitischen Entscheidung konsultiert. Ein Beamter aus dem (deutschen) Auswärtigen Amt: „Kreisky regiert Österreich innenpolitisch wie ein deutscher Ministerpräsident sein Bundesland“.

(Spiegel, 30.4.1973)