Grundrisse, Nummer 34
Mai
2010

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Wir freuen uns, euch eine Ausgabe mit dem Schwerpunkt Autonomie der Migration & antirassistische (Selbst)Organisierung vorlegen zu können. Am Beginn steht eine kurze Selbstdarstellung des in Wien aktiven Offenen Antirassistischen Treffens. Die 10 Thesen zur migrantischen Arbeit wurden aus dem Italienischen übersetzt und reflektieren das Selbstverständnis und die politische Orientierung der migrantischen Bewegung in Italien. Stefan Almer hat in Marseille mit zahlreichen MigrantInnen gesprochen. Aufbauend auf diesen Interviews zeichnet der Autor ein Bild der Situation der Sans Papiers, also der Menschen ohne Papiere und gültige Aufenthaltsgenehmigung, und beschreibt ihre Strategien des Lebens und Überlebens.

Von Sandro Mezzadra findet ihr die Transkription eines Vortrages, den er im Jänner 2010 in Wien gehalten hat. Darin beschreibt er den momentanen Stand der Debatte der Theorie der „Autonomie der Migration“ sowie unterschiedlicher damit in Verbindung stehender theoretischer Ansätze. Dabei werden vor allen die Grenzen und Probleme der Weiterentwicklung in den Blick genommen, und zwar immer auch hinsichtlich der real existierenden migrantischen Bewegungen. Der wahrscheinlich erste jemals in deutscher Sprache gedruckte Text zum Begriff der „Autonomie der Migration“ ist ein Interview mit Yann Moulier Boutang, zunächst 1992 auf Italienisch erschienen, ein Jahr später die deutsche Übersetzung in den „Materialien für einen neuen Antiimperialismus Nr. 5“. Wir fanden es aus zwei Gründen wichtig, diesen Text (gekürzt) in unserer lange unterbrochenen Serie „MIT NACHDRUCK“ zu bringen: Zum einen öffnet das Interview den Blick auf die Veränderungen der Theorie und Praxis der Migrationsbewegungen und bildet so den „Gegenpart“ zum Vortrag Sandro Mezzadras 18 Jahre später, zum anderen rückt er den Stellenwert der gesellschaftlichen Arbeitsteilung für eine angemessene Theorie der Migration in den Mittelpunkt, der heute auch in kritischen Migrationstheorien oft zu gering veranschlagt wird.

Außerhalb des Schwerpunkts ist der kleine Text von Moshe Zuckermann „Zertretener Wurm“ angesiedelt. Zuckermann hat diese kleine literarische Arbeit in Solidarität mit den Angeklagten im so genannten TierschützerInnenprozess geschrieben. Mehr Informationen über die skandalöse Anwendung des §278a auf politischen Aktivismus findet ihr auf: http://antirep2008.org. Tomasz Konicz ermöglicht uns durch seinen Artikel „Athens Schuldenkrise ist nicht Ursache, sondern lediglich Auslöser der neuesten Etappe einer seit Jahrzehnten schwelenden Krise“ präzise Einsichten in die Mechanismen, die Griechenland an den Rand des Staatsbankrotts geführt haben. Er zeigt, dass die Krise in Griechenland nur eine weitere Etappe der weltweiten Krise des Kapitals darstellt. Diese Krise wurde letztlich durch die wachsende Schere zwischen steigender Arbeitsproduktivität und stagnierendem bzw. sinkendem Masseneinkommen verursacht. Kompensiert wurde das fehlende Masseneinkommen durch Verschuldungen. Uneinbringliche Kredite führten zum Platzen der Immobilienblase, die wiederum in die weltweite Bankenkrise umschlug und nun die Form der Krise der Staatsfinanzen annimmt. Und last not least findet ihr, wie angekündigt, den zweiten und letzten Teil des Plädoyers von Robert Zion für „Eine spinozianische Grundlegung der Linken“. Den Abschluss bilden zwei Buchbesprechungen: Wir informieren über einen Sammelband zur 68er-Bewegung und – passend zum Schwerpunkt – über „Escape Routes“, in dem Migrationsströme theoretisch reflektiert werden.

In den grundrissen #32 brachten wir drei Texte von und zu Abahlali baseMjondolo, einer Basisbewegung von BarackenbewohnerInnen in den Vororten Durbans. Am 11. April konnten wir im HTU-Cinestudio gemeinsam mit den Wiener Grünen und der Grünen Bildungswerkstatt Wien den Film „Im Schatten des Tafelberges“ erstmals in Österreich vorführen. Der Film zeigt die Lebensverhältnisse der BewohnerInnen von Armenvierteln am Rande Kapstadts, aber auch die widerständigen Praxen der dortigen Schwesterorganisation von Abahlali baseMjondolo. Außerdem hatten wir nach der Vorführung des Filmes die Gelegenheit, sowohl mit den FilmemacherInnen als auch mit Ashraf Cassiem und Mne Twalo, zwei Aktivisten der Anti-Eviction-Campaign über ihre Kämpfe, internationale Solidarität und die Auswirkungen der Fußball-Weltmeisterschaft auf die Lebensverhältnisse der armen Menschen diskutieren. Wir empfehlen http://antieviction.org.za/ (dort kann mensch auch Geld spenden!) sowie die Homepage des Films ( http://dok-werk.com/ ) – weitere Aufführungen von „Im Schatten des Tafelberges“ in Österreich sind geplant!

transact!

Den grundrissen liegt diesmal die dritte Ausgabe der Zeitung „transact!“ bei. Das gleichnamige politische Projekt „transact!“ – ein Zusammenhang von AktivistInnen aus Berlin, Bremen, Hanau, Wien und London – versteht sich als Versuch, regionale, überregionale und transnationale soziale Kämpfe in produktiver Debatte miteinander zu verbinden. Wichtiger Bezugspunkt sind dabei die jährlich stattfindenden NoBorder-Camps: Die beigelegte Ausgabe behandelt die Erfahrungen am NoBorder-Camp in Lesvos vom Sommer 2009, will aber auch für zukünftige NoBorder-Aktivitäten mobilisieren. So beispielsweise für das antirassistische und antikoloniale Festival in Jena Anfang Juni, das „in Erinnerung an die Toten der Festung Europa“ veranstaltet wird. Ferner beinhaltet die beigelegte Zeitung ein fiktives Streitgespräch „über die Schwierigkeiten transnationaler Organisierung von unten“, in dem der Versuch unternommen wird, auszuloten, wie heute, 20 Jahre nach dem faktischen Ende der „Internationalismus-Bewegung“, globale Solidarität konkret aussehen kann. Der Veranstaltungskalender auf Seite IV der Zeitung ist umfangreich, wir empfehlen mit Nachdruck die Reise zu der einen oder anderen sommerlichen Veranstaltung!

1. Ratschlag „Für eine Linke mit gesellschaftlicher Dimension!“ am 19.6.2010

Zu guter Letzt wollen wir euch noch auf einen wichtigen Termin des Projekts SUPERLINKE aufmerksam machen. Am Samstag, den 19. Juni 2010, findet ab 14 Uhr in den Initiativenräumen des Wiener WUK (Währinger Straße 59, 1090 Wien) der 1. Ratschlag „Für eine Linke mit gesellschaftlicher Dimension!“ statt. Neben einem Resümee der bisherigen Diskussionen wird es inhaltliche Arbeitskreise zu verschiedenen Themen geben, außerdem Möglichkeiten zur Diskussion weiterer Perspektiven. Anschließend Chill-Out & Vernetzungs-Palaver mit Musik, Speis & Trank. Mehr Informationen findet ihr auf http://superlinke.blog.at/ . Anregende Lektüre und ein Ende des Regens wünscht

Eure grundrisse-Redaktion
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