MOZ, Nummer 51
April
1990

Ein Mann kriegt Auskunft

Die Staatspolizei deckt auf, und zwar sich selber: Eberhard Ultra, amtsbekannter Anarchist und renitenter Radikal-Randalierer, wollte mehr über sich erfahren — und erhielt prompt Antwort.

Sehr geehrter Herr Ultra!

In meiner Eigenschaft als Undercover-Spezialist für Bürgerservice und Öffentlichkeitsarbeit freut mich die Entscheidung unseres verehrten Herrn Innenministers, die Früchte unserer ebenso schwierigen wie schmierigen Arbeit einem breiteren Interessentenkreis zur Kenntnis zu bringen, natürlich ganz besonders.

Wie gut ist mir noch Ihr empörter Ausruf in Erinnerung, demzufolge die Zensur das lebendige Geständnis der Großen sei, daß sie nur verdummte Sklaven treten können! Und das gilt natürlich umso mehr für uns vermummte Sklaven von der Staatspolizei. Glauben Sie, werter Linksradikaler, es war uns ein Leichtes, unser Licht jahrelang unter den Scheffel zu stellen? Meinen Sie, es bereitete uns Vergnügen, die tausenden und abertausenden Akten, Karteien, Disketten und — unser ganzer Stolz — jene verfänglichen Fotografien unter ständigem Verschluß halten zu müssen? Wissen ist Macht, sehr geehrter Herr Staatsfeind, und will hinaus an die Sonne, ins Freie, lechzt nach Veröffentlichung und sollte doch keinesfalls in dunklen Aktenschränken verstauben. Endlich können wir also unser Top-Sekret über die Öffentlichkeit ergießen, und es ist mir eine große Ehre, daß gerade Sie, einer unserer treuesten Stammkunden, sich vertrauensvoll an uns wenden, um, wie Sie schreiben, Gedächtislücken in Ihrer politischen Biographie zu schließen.

Ist doch gerade Ihr Leben und Wirken geprägt von den allergrößten geistigen Verwirrungen, Liederlichkeiten, Vergehen gegen jedwede Sitte und Moral, kurzum: ein Musterbeispiel jener Gesinnung, die es — und das schreibe ich Ihnen als aufrechter Demokrat — unterm Hitler nicht gegeben hätte.

Nun aber zu den einzelnen Punkten Ihrer Anfrage:

1. Ihr Gedächtnisprotokoll bezüglich der Vorfälle anläßlich der ‚Opernballdemo‘ genannten anarchistischen Ausschreitungen stimmt nicht ganz mit den uns zugänglichen Aufzeichnungen überein. Keinesfalls kann es so gewesen sein, daß ein Sicherheitsorgan mutwillig sein Funkgerät auf Ihrem Kopf zertrümmert hat. Dem widerspricht allein schon die Tatsache, daß jeder Beamte über ein jährliches Kontingent von nur fünf dieser lebenswichtigen Apparate verfügt und sie daher — angesichts der um sich greifenden Angriffe gewalttätiger Demonstranten auf Knüppel, Schilder und andere Ausrüstungsgegenstände — hütet wie seinen Augapfel. Nach unseren Informationen sollen Sie, werter Anarchisten-Arsch, sich im Zustand totaler geistiger Verwirrung befunden, sich selbst für Hans Krankl und besagtes Funkgerät für einen Fußball gehalten haben, den oder das (je nachdem) sie in ein imaginäres Tor köpfeln wollten. Diese Schilderung des Unfallherganges scheint uns viel wahrscheinlicher, zumal Sie — nach dem ebenso unsanften wie bedauerlichen Zusammenprall zwischen Ihrem unwerten Schädel und dem wertvollen Walkie-Talkie — auf die Knie gefallen und „Tor, Tor!“ gebrüllt haben sollen.

2. Was Ihr Telefonat mit Ihrer Außen-Neben-Zweit-Beziehung Karin (1,72m, 63 Kilo, blond, Rhesus-Faktor positiv) vom 16. Juli 1986 angeht, so muß ich Sie zunächst dahingehend korrigieren, daß es sich bei diesem Tag um einen Mittwoch gehandelt hat und nicht um einen Freitag. Was ja auch klar ist, war das doch jener Wochentag, an dem Ihre Haupt-Offene-Zweier-Beziehung Renate (1,65m, 57 Kilo, dunkelbraun, Jesus-Faktor negativ) angeblich einen Dritte-Welt-Arbeitskreis zu besuchen pflegte (wenn Sie wissen wollen, was sie wirklich tat, diese marxistische Megäre: Wir haben da einige interessante Fotos!) und Sie, geehrtes stinkendes Schwein, zumeist um diese Zeit mit anderen Frauen telefonierten. Was haben wir uns damals um den Abhördienst gerissen! Sie sehen, Herr Ultra, daß uns auch miese Kanalratten, wie Sie eine sind, durchaus Freude und Vergnügen bereiten können. In besagtem Telefonat ging es übrigens nicht um Strategie und Taktik des revolutionären Kampfes in El Salvador, wie Sie uns großspurig weismachen wollen, sondern schlicht und einfach um die Frage, ob Ihre Praecox-Probleme größer oder geringer seien als jene Ihres Vorgängers. Einzelheiten aus diesem Gespräch zu zitieren, verbieten mir nicht die Gebote der Geheimhaltung, wohl aber jene des guten Anstands.

3. Nur noch kurz eingehen möchte ich auf Ihr sogenanntes ökologisches Engagement: nicht nur, daß Sie erst kürzlich mit einer Trommel voll des umweltschädlichsten Waschmittels gesehen wurden — Sie haben auch bei Ihrer ruhmreichen Au-Besetzung mehr Wald für Ihre blödsinnig-gemeinschaftsstiftenden Lagerfeuer verheizt, als unser allseits geliebter Staat für die Errichtung eines naturverbundenen Kleinkraftwerkes geopfert hätte. Und übrigens: vorgestern haben Sie schon wieder vergessen, die Stereo-Anlage abzudrehen, Sie Energie-Verschwender!

Und reinigen Sie endlich das Katzenklo, Sie Ferkel! Unser Mann in Ihrem Badezimmer hält den Gestank ja kaum noch aus. Und knallen Sie den Kühlschrank nicht so zu. Der Kollege in Ihrer Küche klagt permanent über Prellungen und Abschürfungen. Das haben wir gerne, Sie Oberheuchler: für eine humane Arbeitswelt kämpfen, und dann sowas! Und, wenn Sie schon Ihr Bett dauernd umstellen, wegen irgendwelchem Nonsens von Erdstrahlung und Wasseradern: könnten Sie nicht die unendliche Güte haben, dann auch unsere Video-Kameras dementsprechend neu zu justieren? Sollen wir denn alles selber machen, für Ihre Sicherheit, Sie Staatsfeind, Sie?

Mit der Hoffnung, Sie umfassend informiert zu haben, verbleibe ich

(Unterschrift mit Schrecktinte)

Wolfgang Beyer ist — wie uns die STAPO freundlicherweise mitteilte — Satiriker und Journalist.

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