ZOOM 6/1997
Oktober
1997

Eine Festung für die Polizei

Schengen ist zum Symbol für die Festung Europa geworden. Es ist eine gute Strategie zur Verwirklichung der kühnsten Polizeiwünsche ist, doch nur ein Teil in einer Vielzahl von Polizeikooperationen.

Kurz nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union konnte der Regierung die offizielle Eingliederung in die Festung Europa, deren Musterschüler sie schon jahrelang war, nicht schnell genug gehen. Der damalige Innenminister Franz Löschnak wurde dazu in einem Interview durch den Standard befragt, ob er den Beitritt zum Schengener Abkommen oder die Unterzeichnung der Konvention über die Schaffung der europäischen Polizei Europol für wichtiger halte. Die Antwort ist typisch für den Umgang mit den „Instrumenten der gemeinsamen inneren Sicherheit“ in der Öffentlichkeit. Er ist durchsetzt von Werbefloskeln, unexakten Definitionen und Falschmeldungen. Löschnak antwortete: „Aus der Perspektive des Bürgers ist wahrscheinlich Schengen das wichtigere, weil er davon den völligen Wegfall der EU-Binnengrenze erhoffen kann. Für den Innenminister ist beides gleich wichtig, denn ich will auch die Bekämpfung der internationalen Kriminalität.“

Sind die BürgerInnen der EU zu dumm, um die Gefahren der internationalen Kriminalität zu erkennen und deren Bekämpfung zu wollen, und benötigen sie daher einen fürsorglichen Minister, oder ist es der EU trotz zahlreicher Kampagnen über die Gefahren des organisierten Verbrechens noch nicht gelungen, den BürgerInnen das fürchten zu lehren? Oder wurde und wird das Thema gerade zur innenpolitischen Durchsetzung von Lauschangriff und Rasterfahndung gebraucht und man möchte den/die MedienkonsumentIn nicht mit Europol verwirren?

Der/die BürgerIn soll sich also auf den völligen Wegfall der EU-Binnengrenzen freuen und dazu braucht er/sie Schengen. Doch wozu brauchen wir den völligen Wegfall der Binnengrenzen, was ist damit gemeint? Geht es um die Niederlassungsfreiheit, also die Möglichkeit, innerhalb der EU zu wohnen oder zu arbeiten, wo man will? Diese ist bereits ganz ohne Schengen, meist durch Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), langsam ausgeweitet worden. Weder die Durchsetzung noch der Schutz dieser Freiheit, die einerseits in der Praxis nicht die Bedeutung hat, die ihr zugesprochen wird, und andererseits immer noch bedeutenden Einschränkungen unterliegt, benötigen eine streng kontrollierte Außengrenze, wie sie das Schengener Abkommen als einen der wesentlichen Punkte fordert. Gemeint scheint also der Wegfall der Grenzkontrollen zu sein. In der Realität bedeutet der „völlige Wegfall“ dieser Kontrollen auch dort, wo er nicht gerade wegen zwischenstaatlicher Streitigkeiten ausgesetzt ist (z.B. Drogenpolitik Holland–Frankreich), daß im Umfeld der Grenze stichprobenweise oder beobachtend kontrolliert wird („Schleierfahndung“). Angesichts dieses Faktums und der kuriosen Tatsache, daß man den BürgerInnen auf der einen Seite – zu einem guten Teil sichtlich erfolgreich – einzureden versucht, der/die gute BürgerIn brauche keine Angst zu haben, zufällig bei einem Lauschangriff oder einer Rasterfahndung mitregistriert zu werden, da er/sie ja nichts verbrochen hätte, und auf der anderen Seite den Wegfall von Kontrollen als wesentlichen Freiheitsgewinn beschwört, reduziert sich der Freiheitsgewinn anscheinend auf größtenteils zu vernachlässigenden Zeitgewinn. Am Flughafen spart man sich die Schlange vor der Paßkontrolle, eine Zeit die sowieso innerhalb der Eincheckzeit und Gepäckwartezeit liegt. Im Zug erspart man sich, nach dem Paß zu kramen und muß mit Wut mitansehen, wie z.B. dunkelhäutige Mitreisende kontrolliert werden. Und im Auto erspart man sich vielleicht einmal den Urlaubsgrenzstau, den man dann an der ersten Mautstelle nachholt.

Ist also Schengen ein großes Stauvermeidungsprojekt oder werden wieder einmal alle in medialer Eintracht für blöd verkauft?

Daß es sich bei Löschnaks Zitat nicht um eine unglückliche Verkürzung der Diskussion in einem wahrscheinlich noch gekürzten Interview handelt, läßt sich an der derzeitigen medialen Diskussion zur „vollen Schengenreife“ ablesen. Die Frage lautet auch hier: „Sind unsere Ostgrenzen dicht genug, damit auch die Deutschen dem Wegfall der Grenzkontrollen zwischen Österreich und Deutschland zustimmen?“

Dieser Zusammenhang zwischen Außengrenzenpolitik und der Schaffung des Binnenmarktes ist auch in zahlreichen weniger oberflächlichen und der Bewerbung der entsprechenden Politik verpflichteten Texten wiederzufinden. Selbst in kritischen Texten, die die entsprechende Politik der Schengen- bzw. EU- Länder als Festungspolitik anklagen, wird häufig nur auf die Gefahr verwiesen, daß polizeistaatliche Methoden zur „Außengrenzsicherung“ leicht auch auf EU-BürgerInnen zurückschlagen können. Damit wird aber indirekt die historische Darstellung der Sicherheitspolitiker bestätigt, derzufolge die Schaffung des Binnenmarktes mit seinen vier Freiheiten eine stärkere Zusammenarbeit der Polizei in Europa notwendig machte. Dieses Argument ist jedoch nicht nur aus den eingangs erwähnten Überlegungen anzuzweifeln, sondern auch aus historischen Gründen. Aus der Entwicklung der verschiedensten Instrumente der „gemeinsamen inneren Sicherheit“ läßt sich viel eher die These aufstellen, daß Modernisierungsbemühungen der Polizei und eine veränderte Kriminalitätsbekämpfungsstrategie der Auslöser für eine Entwicklung waren, die zivile und bürgerliche Freiheiten der Sicherheit zuliebe einschränkt. Das Schlagwort von den Binnenmarktfreiheiten und der notwendigen Außengrenzsicherung war nur ein ausgezeichnetes Mittel, die Wunschziele rascher zu verwirklichen. Die Gründung der Schengen-Gruppe beschleunigte die Entwicklung zusätzlich, indem sie die Zahl der Diskussionsteilnehmer, die zu einer Einigung kommen sollten, auf fünf reduzierte.

Interpol wurde zuwenig

Der informelle Prozeß zur Schaffung von Strukturen internationaler polizeilicher Zusammenarbeit ging von jenen Einheiten der Kriminalpolizei aus, deren innerstaatlich entwickelte Methoden die Strukturen von Interpol sprengten. Bereits in den 70er Jahren begannen europäische Polizeizentralen, bilaterale Kontakte zu nutzen, um über die im Rahmen von Interpol existierenden Möglichkeiten hinaus zusammenzuarbeiten. Einer Zusammenarbeit im Rahmen von Interpol waren vor allem drei wesentliche Beschränkungen auferlegt. Die technischen Möglichkeiten waren nicht schnell genug reformierbar, eine verdeckte Ermittlung über Interpol war kaum möglich und politische Straftaten konnten nicht verfolgt werden, was dem Hauptziel der Zusammenarbeit der 70er Jahre – der Bekämpfung des Terrorismus – große Schwierigkeiten bereitete.

Technische Beschränkung

Interpol begann sich nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer internationalen Organisation zu entwickeln. 1946 waren erst 17 Länder, davon 14 europäische, Mitglieder der „Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation“ (IKPO) mit dem Kürzel Interpol. 1971 hatte die Organisation bereits 107 Mitglieder, heute gehören ihr 171 Staaten an. Die Mehrzahl der Mitglieder sind Staaten der „Dritten Welt“. Trotzdem wird Interpol in erster Linie von europäischen Staaten genützt. Auf 20 % der Mitglieder entfiel 1974 70–80 % des gesamten Arbeitsaufwandes des Generalsekretariats, allein 12 % auf das deutsche Bundeskriminalamt. Die Bemühungen der europäischen Mitgliedstaaten, moderne Kommunikationstechnik anzuschaffen, wurde durch die finanzielle Situation der größtenteils armen Mitgliedstaaten gebremst. 1973 waren 59 der 117 Zentralbüros nicht einmal an das Morsefunknetz von Interpol angeschlossen und daher nur telefonisch oder postalisch erreichbar, während 1974 mit der Einführung von Fernschreibfunk-Verbindungen zu einigen wenigen Ländern begonnen wurde. (vgl. Heiner Busch, Grenzenlose Polizei, Seite 300ff)

Als Interpol in den 80er Jahren begann, in der Technisierung aufzuholen, bestanden bereits zahlreiche andere Institutionen polizeilicher Zusammenarbeit in Europa, wie TREVI oder der Wiener und der Berner Klub, in denen Italien, Frankreich, Schweiz, Österreich und die BRD vertreten sind.

Verdeckte Ermittlung

Die Arbeit von Interpol besteht in erster Linie in gegenseitiger Rechtshilfe der Mitgliedstaaten. Das heißt, nach einer/einem in einem Staat wegen Begehung einer strafbaren Handlung Gesuchten kann international gefahndet werden und dieseR kann in der Folge an den verfolgenden Staat ausgeliefert werden.

Für die nationalstaatliche Entwicklung in Hinblick auf eine vorbeugende Verbrechensbekämpfung war dies den meisten europäischen Polizeibehörden jedoch zuwenig. Trotz aller Veränderungen der Rechtshilfeverfahren und deren Verlagerung von justizieller auf polizeiliche Zusammenarbeit blieb die Bindung an ein strafrechtliches Verfahren unbestritten. Das Anliegen der Polizei in den 70er Jahren, die neu entwickelten Methoden der verdeckten Ermittlung im Vorfeld von Straftaten auch international anzuwenden, war über die Zusammenarbeit im Rahmen von Interpol nicht möglich. Besonders die Bekämpfung des Terrorismus in den 70er Jahren und die später dazugekommene Bekämpfung des Drogenhandels und der „Organisierten Kriminalität“ bauen jedoch in besonderem Maße auf die Ermittlung in Personenkreisen, gegen die noch kein konkreter Verdacht einer strafbaren Handlung vorliegt, geschweige denn ein Haftbefehl.

Verfolgung politischer Straftaten

Besonders die angestrebte Verfolgung des Terrorismus stieß auf eine weitere Schwierigkeit. Nach der Neugründung von Interpol nach dem Zweiten Weltkrieg bemühte sich diese um ein betont unpolitisches Profil. Im Gründungsvertrag wird die Aufgabe von Interpol auf die „gemeinen Straftaten“ beschränkt. Jede Betätigung oder Mitwirkung in Fragen oder Angelegenheiten politischen, militärischen, religiösen oder rassischen Charakters ist der Organisation strengstens untersagt.

Um international im Bereich des Terrorismus zusammenzuarbeiten, mußte man Terrorismus möglichst als gemeine Straftat definieren, während man in der nationalen Gesetzgebung bemüht war, eigene Anti-Terror-Gesetze zu schaffen, die politische Straftaten schufen, die meist von eigenen politischen Polizeieinheiten verfolgt wurden.

Es lag daher im Interesse der Polizei, neben der Zusammenarbeit über Interpol eigene Strukturen zu schaffen, die den oben genannten Beschränkungen nicht unterlagen.

Einige Gruppen der europäischen Kriminalpolizeien traten daher schon am Beginn der 70er Jahre für die Schaffung einer europäischen Polizeibehörde ein. 1974 erhob der Bund Deutscher Kriminalbeamter auf einer Konferenz unter dem Titel „Europäische Gemeinschaft – auch für die Kriminalpolizei“ diese Forderung erstmals offiziell. Die Utopien reichten sogar bis zu einer Europäischen Polizei mit exekutiven Befugnissen, die einer parallelen Staatsanwaltschaft unterstellt werden sollte. Diese Vorschläge stießen jedoch weder auf ungeteilte Zustimmung, noch waren sie auf der Basis der damaligen EWG-Verträge zu verwirklichen. Zur jetzigen Regierungskonferenz der EU wurden sie aber erneut und wesentlich konkreter von einer Vorbereitungsgruppe hoher Beamter eingebracht. Europol soll, obwohl das Abkommen zur Schaffung von Europol nach wie vor nicht ratifiziert ist, jetzt auch bei Polizeieinsätzen mitwirken oder die Führung übernehmen dürfen. (vgl. Statewatch March–April 1997)

Bereits 1971 und 1972 fanden intergouvernementale Treffen zum Thema Terrorismusbekämpfung statt. 1975 schließlich machte der britische Außenminister James Callaghan den Vorschlag, eine Konferenz der Innen- und Justizminister einzuberufen, um den Terrorismus in der EG zu bekämpfen. Mit der damals beschlossenen und 1976 verwirklichten Schaffung der Trevi-Gruppe wurde ein bedeutender Schritt in Richtung offizieller Polizeikooperation gesetzt.

TREVI

Diese multilaterale, nur sehr locker in die EU-Strukturen eingebundene Gruppe wurde nach ihren Hauptaufgabengebieten terrorism, radicalism, extremism und violence benannt. TREVI setzte sich bei der Gründung aus fünf Arbeitsgruppen zusammen, die jedoch nicht alle aktiv wurden.

Trevi 1 dient der Bekämpfung des Terrorismus und ist die einzige Arbeitsgruppe, die eine operative Rolle spielt. Die übrigen haben nur koordinierende Aufgaben. Trevi 1 erstellt Analysen, verschafft einen Überblick über Strategie und Taktik zur Abwehr des Terrorismus und schafft die Vorraussetzung für eine Kooperation der Spezialeinheiten.

Die Arbeitsgruppe Trevi 2 war verantwortlich für den Informationsaustausch über Polizeiausrüstung (inklusive Computer), öffentliche Ordnung und „football hooliganism“, Polizeiausbildung (inklusive Sprachausbildung), Information über Forschungsprogramme und für Vorschläge zur zentralen Sammlung von Informationen über Drogen, Sprengmittel, Fingerabdrücke und arabische Dokumente. 1987 übernahm die Gruppe die Führung bei der Errichtung eines Systems des permanenten Informationsaustausches unter den EG-Staaten in bezug auf internationale Bewegungen von Fußballfans.

Die Arbeitsgruppen 1 und 2 waren die einzigen der insgesamt fünf geschaffenen Gruppen, die sofort aktiv wurden. Trevi 3 wurde ursprünglich für Sicherheitsbestimmungen im zivilen Luftverkehr geschaffen. Dieser Bereich wurde später von Trevi 1 übernommen. Trevi 3 wurde erst 1985 aktiv, als am Trevi-Ministertreffen in Rom deren Aufgabe neu definiert wurde, indem die Gruppe mit der Bekämpfung schwerer organisierter internationaler Kriminalität beauftragt wurde. In der Folge beschäftigte sich die Gruppe mit Drogenkriminalität, bewaffnetem Raub, Autodiebstählen, Zeugenschutz, Scheck- und Kreditkartenbetrug und mit der Verbrechensanalyse sowie der Erarbeitung gemeinsamer Terminologie, Methoden und Technik. 1987 wurde beschlossen, Drogen-Verbindungsoffiziere in nicht EG-Länder zu entsenden. 1989 einigte man sich dann darauf, daß alle Mitgliedstaaten eine nationale Drogenpolizei gründen sollten, die später in eine Europäische Drogenpolizei integriert werden sollte. Diese European Drugs Intelligence Unit (EDU) wurde zum direkten Vorläufer der Europäischen Polizei Europol.

Von 1985 bis 1989 beschäftigte sich die Gruppe auch mit Immigrationskontrollen an den Grenzen, dann wurde dieser Bereich von der eigens zur Vorbereitung auf den Start des Binnenmarkts 1992 geschaffenen Gruppe Trevi 92 übernommen.

Die Arbeitsgruppen 4 und 5 für nukleare Sicherheit und Katastrophenschutz wurden nie aktiv.

Sicherung der Außengrenzen

Die Idee, den Personenverkehr an den innergemeinschaftlichen Grenzen zu erleichtern, wurde in den frühen 80er Jahren geboren. Sie entsprang dem Wunsch, etwas zur Förderung einer europäischen Identität zu unternehmen, und stand in einer Reihe mit Vorschlägen über eine europäische Hymne oder Flagge als Gemeinschaftssymbol. 1981 wurde der Paß nach einheitlichem Muster erfunden. 1984 setzte sich der europäische Rat das Ziel, alle Polizei- und Zollformalitäten an den innergemeinschaftlichen Grenzen im Personenverkehr abzuschaffen.

Ebenfalls 1984 gründeten Frankreich, Deutschland, Belgien, die Niederlande und Luxemburg eine Initiative mit dem Ziel, die Grenzkontrollen an den Binnengrenzen abzuschaffen. Als im Jänner 1985 der Richtlinienvorschlag der Kommission zur Erleichterung der Grenzkontrollen nicht angenommen wurde, preschte die Fünf-Staaten-Initiative vor und schloß bereits im Juni 1985 in Schengen ein „Übereinkommen zum schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen“ (Schengener Abkommen I). Auch dieses Abkommen hatte bereits einen Vorläufer in einem deutsch-französischen Abkommen zur Abschaffung der Grenzkontrollen. Dieser Alleingang ist wahrscheinlich nicht nur durch Ungeduld begründet, sondern könnte seinen Grund auch in dem Wunsch haben, sicherheitspolitische Interessen verstärkt mit der Binnengrenzabschaffung zu verknüpfen. Anders als in den Kommissionsvorschlägen ist im Schengener Abkommen die Idee des Abbaus der Binnengrenzkontrollen mit Bemühungen um eine verstärkte Kontrolle der Außengrenzen und eine intensivere polizeiliche Zusammenarbeit verknüpft. Schengen I stützt sich unter anderem auf die Erklärung des Europäischen Rates von Fontainebleau vom 25./26. Juni 1984 hinsichtlich der Abschaffung der Polizei- und Zollformalitäten an den Binnengrenzen für den Verkehr von Personen und Waren (siehe Präambel des Übereinkommens). In Artikel 17 heißt es: „Im Personenverkehr streben die Vertragsparteien den Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen und deren Verlegung an ihre Außengrenzen an. Zu diesem Zweck bemühen sie sich zuvor, soweit notwendig, die den Kontrollen zugrundeliegenden Gesetze und Vorschriften hinsichtlich der Verbote und Beschränkungen zu harmonisieren und ergänzende Maßnahmen zum Schutz der inneren Sicherheit sowie zur Verhinderung der unerlaubten Einreise von Personen, die nicht Angehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft sind, zu ergreifen.“ Die Schengener Gruppe entwickelte sich von nun an zum Vorreiter gemeinsamer Sicherheitspolitik. Neben der Verhinderung illegaler Einreise sollen auch die von den Trevi-Ministern formulierten Ziele von den Schengener-Vertragsstaaten vorangetrieben werden. Artikel 18 nennt Ausarbeitung von Vereinbarungen über die polizeiliche Zusammenarbeit im Bereich der präventiven Verbrechensbekämpfung und Fahndung, Verbesserung der Auslieferungsverfahren und die Prüfung neuer Mittel der gemeinsamen Verbrechensbekämpfung unter Berücksichtigung der vorhandenen Kommunikationsmöglichkeiten.

Im selben Jahr, in dem das Schengener Abkommen unterzeichnet wurde, legte sich die EG offiziell auf die Abschaffung der Binnengrenzen im Zuge der Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes fest. Im Jänner 1985 stellte Jacques Delors dem Europäischen Parlament seinen Plan zur Verwirklichung des Binnenmarktes bis 1992 vor. Im Dezember 1985 wurde die Zielmarke 1992 in der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) festgeschrieben. (Jacques Delors, Vorwort zum Cecchini-Bericht)

Die Schengengruppe, der erst nach Abschluß des zweiten Schengener Abkommens nach und nach fast alle übrigen EU-Staaten beitraten, wurde so zum Motor der europäischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der inneren Sicherheit. Die einzelnen Punkte des Schengener Abkommens wurden in die verschiedensten EU-Abkommen übernommen, das von den Schengen-Ländern aufgebaute Informationsnetz SIS soll von Europol für den Aufbau des eigenen Netzes genutzt werden.

Längst hat sich die polizeiliche Zusammenarbeit wieder von der angeblich so notwendigen Ausgleichsmaßnahme zur Abschaffung der Binnengrenzen gelöst. Zumindest dort, wo dieses Argument nicht mehr zu gebrauchen ist, steigt man auch wieder auf andere um. Die Expertenkommission „Grenzpolizeiliche Personenkontrollen“ in der Schweiz stellte auf einem Seminar fest, daß die Schweiz nach dem negativen Volksentscheid zum EWR eine Intensivierung der Sicherheitszusammenarbeit nicht mehr damit erwirken kann, daß sie sich auf die Erklärungen der Regierungen der EU-Mitgliedstaaten und der EFTA-Staaten über die Erleichterung der Grenzkontrollen beruft. Man werde die Argumentation in Hinkunft daher nicht mehr auf den Ausgleich der Sicherheitsdefizite stützen, die auf den Wegfall der Binnengrenzkontrollen zurückzuführen wären, sondern auf die Angst vor einer Isolierung im Sicherheitsbereich und die damit verbundene Gefahr, eine Hochburg der Kriminalität für international agierende Straftäter zu werden. (Ruth Wehner, Schengen und die Folgen, Bern 1995, S. 174)

Polizeiliche Kompetenzerweiterung

Die wesentlichsten Veränderungen im Aufgabengebiet der Polizei, die im Europolabkommen am weitesten verwirklicht sind, sind:

  • Die Polizei wird von einer Institution, die der Aufklärung konkreter Straftaten und der Abwehr konkreter Gefahren verpflichtet ist, zu einer Kontrollinstanz, die die staatliche Sicherheit durch Bekämpfung der Kriminalität gewährleisten soll. Wenn Rechtsnormen auf allgemeine Zwecke statt auf Rechtsbrüche oder konkrete unmittelbare Gefahren ausgerichtet werden – wie im Falle von Europol auf Gefahren und Vergehen aller Art – dann entgrenzen sie das polizeiliche Handeln und machen Kontrolle schier unmöglich. Zu den typischen polizeilichen Handlungen auf diesem Gebiet gehört die Vorfeldermittlung, d.h. Datensammlung in bestimmten „verdächtigen“ Milieus.
  • Die Grenze zwischen Geheimdienst undPolizei verschwimmt. Es kommt nicht nur zu einem regen Datenaustausch, sondern die Polizei selbst bekommt geheimdienstliche Befugnisse. Diese sind aber mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar, da diese die Kontrollierbarkeit von Macht voraussetzen. Um auf Grundlage der allgemeinen Gefahrenbilder einen konkreten Verdacht zu gewinnen, darf die Polizei unerkannt Straftaten provozieren und unter Umständen sogar begehen. Dabei werden bisweilen jene Kriminelle „geschaffen“, die man zur Verdeutlichung des Sicherheitsdefizits benötigt.
  • Durch die Schaffung einer eigenen Polizeieinheit auf europäisch zwischenstaatlicher Ebene konnte sich die Polizei staatlicher institutioneller Kontrolle (z.B. Datenschutzkommissionen, Parlamente, ... ) entziehen, ohne daß auf europäischer Ebene eine ähnliche Kontrolle ermöglicht wurde.

Schengener Abkommen

Das durchführende Schengener Abkommen (Schengen II) regelt die Details der im Schengener Abkommen I vereinbarten Gebiete der Zusammenarbeit. Die wichtigsten Abschnitte sind:

  • Asylrecht und Grenzkontrollrecht,
  • kriminalpolizeiliche Zusammenarbeit und
  • das Schengener Informationssystem.

Im Fremdenrecht sind die wichtigsten Punkte:

  • Einheitlicher Visumszwang für alle Nicht-EU-BürgerInnen,
  • Einreiseverweigerung auch aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung,
  • die Verpflichtung für Transportgesellschaften, die Einreiseberechtigungen zu prüfen und Zurückgewiesene unentgeltlich zur Abflugdestination zu transportieren und
  • verpflichtende fahndungstechnische Kontrollen an den Außengrenzen.

Als Voraussetzung für die Einreise werden gültige Reisedokumente, Visum, ausreichende finanzielle Mittel für Aufenthalt und Rückreise sowie keine Eintragung einer Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem genannt. Die Zusammenarbeit der Polizei regelt die Möglichkeit für PolizistInnen, bei Fahndungsaufträgen den Verdächtigen über die Grenze nachzueilen.

Schengener Informationssystem (SIS)

Im SIS werden folgende Daten gespeichert:

  • Personen zum Zweck der Festnahme mit dem Ziel der Auslieferung.
  • Drittausländer zur Einreiseverweigerung. Die Entscheidung kann auch aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung getroffen werden. Eine solche ist gegeben, wenn der Verdacht besteht, daß die Person Straftaten begangen hat, bzw. wenn Hinweise bestehen, daß sie solche zu begehen plant.
  • Vermißte oder Personen, die vorläufig in Gewahrsam genommen werden müssen.
  • Daten von Zeugen oder in einem Strafverfahren Angeklagter, wenn ein Gericht deren Aufenthalt ermitteln will.
  • Sachen, insbesondere gestohlene KFZ, Waffen, Blankodokumente.
  • Personen und Fahrzeuge zur verdeckten Registrierung. In diesem Fall werden zusätzlich zu den persönlichen Daten auch Begleitpersonen oder Insassen, das benutzte Fahrzeug und die Umstände des Antreffens der Person aufgenommen.
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