Grundrisse, Nummer 52
Dezember
2014
Reflexionen über die Entwicklung der Grundrisse (2001 – 2014)

Ende der Grundrisse und die Krise der Linken

Die Einstellung der Grundrisse ist eine traurige Nachricht. Damit endet ein pluralistisches linksradikales Projekt, das den Anspruch hatte strömungsübergreifend zu sein. Als ich vor zehn Jahren zu den Grundrissen ging, zog mich besonders der kontroverse Charakter der Redaktionssitzungen an: Fast alle Männer und Frauen waren „Ex-„: Ex-Autonome, Ex-TrotzkistInnen, Ex-MaoistInnen, Ex-StalinistInnen und hatten ein gewisses selbstironisches Verhältnis zur eigenen Vergangenheit. Denkverbote schien es nicht zu geben. Ein deutscher Anti-Deutscher-Ardonit nannte uns einmal „naive Wohlfühltruppe“. Das war für mich genau das Richtige, nachdem ich in meiner Jugend in diversen Gruppen die Konflikte der kommunistischen Weltbewegung der 1930er Jahre nachgespielt hatte, andere GenossInnen wegen „kleinbürgerlichen Individualismus“ ausschloss und schließlich selbst wegen „Antikommunismus“ ausgeschlossen wurde. Hätten mich die Grundrisse nicht in ihre offenen Arme aufgenommen, hätte ich nach diesen frustrierenden Erfahrungen die linke Szene vielleicht damals verlassen.

In den letzten drei Jahren zeigten sich allerdings Verfallserscheinungen: Mit der Zeit bildete sich bei den Grundrissen ein orthodox-marxistischer und post-operaistischer Flügel heraus. Wir kannten die Positionen der Anderen so gut, dass wir jede Redaktionssitzung mit verteilten Rollen hätten nachspielen können. Die jungen Frauen, die eher von post-strukturalistischen Unidiskursen geprägt waren, verließen schließlich die Gruppe. Wie es ein Genosse ausdrückte, wurde die Ehe zwischen Marxismus und Post-Strukturalismus im gegenseitigen Einvernehmen geschieden. Der spätere Versuch, mit der Superlinken eine größere linksradikale Strömung in Österreich aufzubauen, scheiterte. Die Mitglieder der einzelnen Kleingruppen konnte wohl auch keine weitere Arbeitsbelastung mehr tragen. Am Ende zerfiel sogar der harte Kern der Redaktion der Grundrisse. Aus einer Gruppe mit einem Umfeld von ca. 30 Menschen blieben eine Hand voll Menschen übrig. Am Ende war keine Frau oder Person unter 30 Jahren mehr dabei. Es ging noch einige Zeit weiter, weil immer noch genug Artikel (aus Deutschland) eingesandt wurden, um die vier Ausgaben im Jahr zu füllen. Es stand und fiel alles mit dem unermüdlichen Engagement von Karl Reitter, dass die Nummern noch in den Druck gingen.

Das generationelle Strukturproblem der linken Szene hat auch mit zum Ende des Projektes Grundrisse beitragen. In der linken Szene sind generell junge Menschen bis zum Alter von 25 Jahren aktiv und dann wieder ältere über 40. Die Generation dazwischen fehlt fast komplett, weil in diesem Alter viele vielleicht die Zeit für die eigene (Universitäts)karriere brauchen. Kleine Kinder zu haben, ist mit Aktivismus in der linken Szene oft unvereinbar, da Kinderbetreuung sehr zeitaufwendig ist. Besonders deutlich wurde die Bedeutung von Lebensabschnitten in der Szene bei der Auflösung des linken Wiener Projekts Perspektiven: Magazin für linke Theorie und Praxis im Jahr 2012. Einige Monate vor dieser Auflösung phantasierten ihre Mitglieder noch über die Gründung einer linksreformistischen Partei in Österreich. Die Gruppe verfiel fast zeitgleich mit den MA-Abschlüssen ihrer führenden Mitglieder, die dann entweder Wien verließen oder sich auf ihre akademische Kariere vor Ort konzentrieren mussten. Viele FreundInnen und Bekannte um die 30 Jahre in meinem Umfeld schaffen es doch an Universitäten oder ihrem Umfeld unterzukommen, wenn sie bereit sind auf dem gesamten europäischen Arbeitsmarkt zu suchen. Man sollte daher die weiter bestehende Integrationskraft des Systems nicht unterschätzen. Die Mobilität der Arbeitskraft ist eine große Herausforderung für eine ortsgebundene Szene. Auch ich verließ die Grundrisse kurz vor der Auflösung, da ich in ein anderes Land für die Universitätskarriere umzog.

Zwar bestehen linke Gruppen auch jenseits der politischen Konjunktur, trotzdem hat der Niedergang der Grundrisse vielleicht auch einige „objektive“ Gründe: In den ersten Jahren diskutierten wir mit Begeisterung die Bücher Negri/Hardt „Empire“ und John Holloway „Die Welt verändern ohne die Macht zu übernehmen“ als neue Perspektiven für die kommunistische Bewegung. Die Hoffnungen, die Negri/Hardt auf die „Anti-Globalisierungsbewegungen“ setzen, erfüllten sich jedoch nicht und die globalen Sozialforen wurden schnell langweilig. Meiner Meinung nach fiel Negri/Hardt und Holloway nach ihren großen theoretischen Würfen nicht mehr viel Neues ein und in späteren Büchern wurde Bekanntes recycelt. Wir hofften natürlich, dass wenn die Menschen global rebellieren werden, würde auch die Linke in Zentraleuropa an Zulauf gewinnen. Leider spielte selbst in den Aufständen des Arabischen Frühlings (2010-2012) eine radikale Linke keine große Rolle. Den Bewegungen gelang es nicht eine Agenda zu entwickeln, die über die bürgerliche Gesellschaft hinauswies oder gar die Eigentumsordnung in Frage stellte. Ein „Spill over“-Effekt auf das gute alte Wien gab es schon gar nicht.

Von der schwersten Wirtschaftskrise des Kapitalismus seit 1929 konnte die Linke in Österreich und Deutschland nicht profitieren. Die „Uni brennt“-Bewegung in Österreich (2009-2010) führte nicht zur Stärkung der linken Gruppen. Von einer der größten Studierendendenproteste in der Geschichte der Republik blieben nur einige AktivistInnen übrig. In Deutschland und Österreich gelang es den Herrschenden eine massenhafte Verarmung wie Ende der 1920er Jahre zu verhindern und Banken mit riesigen Hilfspakten zu retten. Für Bezieher von staatlichen „Hilfeleistungen“ und Flüchtlinge wurden die Zeiten härter. Der Angriff auf die Kernbelegschaften des öffentlichen Dienstes und der Schlüsselindustrien blieb allerdings aus. Das große Sparpaket kam (bis jetzt zumindest) nicht. In Österreich gelingt es der Sozialdemokratie auch weiterhin Kräfte vom Rechtspopulismus bis hin zum ex-trotzkistischen Jugendbewegten einzubinden und eine Abspaltung von Partei und Gewerkschaft in Form einer „Linkspartei“ wie in Deutschland zu verhindern. Die tägliche Propaganda der Presse, dass die „faulen Südeuropäer“ und ihr nicht zu zügelnder Ausgabendrang an der Krise Schuld seien, wird von Menschen der unterschiedlichsten Klassen geglaubt und hält die „Sozialpartnerschaft“ zusammen. Die nicht erfüllten Hoffnungen auf eine globale revolutionäre Offensive trugen vielleicht auch dazu bei, dass die Grundrisse der marxologischen Debatte, um die richtige oder falsche „Kapital“-Exegese einen immer größeren Raum einräumten, statt sich auf die aktuellen sozialen Bewegungen zu fokussieren. Außerdem waren Frauen nur schwer dazu zu bewegen Artikel einzureichen und feministische Theorien waren zu selten Thema.

Trotz allem möchte ich mich bei den Genossen und Genossinnen für die langjährige Zusammenarbeit bedanken. Wir können auf 52 Ausgaben der Grundrisse stolz sein. Zum Abschied fliegt sie in den grenzenlosen Himmel und wir werden eines Tages ausrufen: „Oh! Welch schöne rote Rakete!“.

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