Café Critique, Jahr 2004
August
2004

Fahrenheit 9/11 — Der Kreuzzug des kleinen Mannes

Über den neuesten Avantgardismus in Sachen Antiaufklärung

Soviel stand bereits vor dem Filmstart in Europa bereits fest: Fahrenheit 9/11, der neueste Film von Michael Moore, ist ein Kassenknüller. Und es ist ebenfalls eingetreten, was man mit hoher Wahrscheinlichkeit prognostizieren konnte: das ressentimentgeladene Propagandawerk ist auch in Europa an den Kinokassen eingeschlagen.

Der Film setzt nahtlos da fort, wo Michael Moore bei „Bowling for Columbine“ und seinen journalistischen Büchern aufgehört hat. Keine Überraschungen also: Intimfeind Nummer eins ist George W. Bush, ein manchmal etwas tölpelhafter Typ, den Moore gern als Viehhüter aufgemacht zeigt, und der es trotz allem zu Geld und Macht gebracht hat. Der Film beginnt mit einem lahmen Versuch, die Rechtmäßigkeit dessen Präsidentschaft in Zweifel zu ziehen. Doch so sehr es Moore durch schnelle Schnitte und emotionalisierende Bilder zu verbergen versucht: Es ist offensichtlich, dass die Parteiführung der Demokraten, die rechtstaatliche Auseinandersetzung um die Anfechtung der Wahl im Jahr 2000 nicht bis zum letzten austragen wollte und so ihre eigenen Abgeordneten im entscheidenden Moment im Stich ließ.

Wie so oft lässt Moore diese entscheidende Information allerdings unter den Tisch fallen. Böse sind schließlich nur die Republikaner. Also wird rasch umgeschwenkt. Mit immer derselben Technik - markigen Sprüchen, rasanten Bildern und schnellen Schnitten - soll dem Zuschauer eingehämmert werden, was jeder ressentimentgeladene Alteuropäer immer schon wusste: George Bush war bereits vor dem 11. September ein mieser Präsident. Faul, arbeitsscheu und politisch ineffizient; kein Klischee ist zu platt, um sich damit nicht in Propaganda zu üben, aber Michael Moore belässt es keineswegs bei simpler Präsentation. Der gesamte Ausdruck ist seiner Feinderklärung unterworfen.

Seine Machwerke bestehen aus einem Berg von Filmschnipseln, die für sich genommen weder etwas besagen, noch etwas belegen. Er montiert seine Collagen aus Banalitäten und Halbwahrheiten solange um, bis die Video-Clipästhetik fast wie von selbst sich dem Auditorium einprägt, eine moderne „Ästhetik des Gerüchts“. Falls zufällig jemand im Publikum seiner Vernunft treu bleiben möchte und sich von den zusammengestöpselten und sequenzierten Pseudoskandalen nicht beeindrucken lassen will, dessen Verstand soll zumindest durch einen Bildersturm überrumpelt werden.

Schnitt. Der 11. September 2001. Nun gibt es kein Halten mehr. Moore tischt einen bizarren Plot auf, der in folgenden „Erkenntnissen“ kulminiert: Wegen enger geschäftlicher Beziehungen zwischen der Familie Bush und den Angehörigen von Ussama bin Laden sowie des saudischen Königshauses denkt die US- Regierung nach den Angriffen auf New York und Washington nicht mehr an das Wohl ihres Volkes, sondern überlegt nur mehr, wie sie es dem saudiarabischen Regime recht machen kann. Die stilistischen Mittel bleiben dabei immer die gleichen. Aus der Tatsache, dass die Geschäftswelt in manchen Bereichen eben mafiotisch organisiert ist, zaubert Moore durch seine Projektionen eine wasserdichte Verschwörungstheorie. In der kapitalistischen Selbstverständlichkeit, dass Saudis, die einen Haufen Geld besitzen, es gewinnbringend investieren wollen und dabei gerne profitable Anlagemöglichkeiten in den USA nutzen, sieht er gar eine kriminelle Handlung. Er suggeriert, dass die ökonomische Macht der saudischen Investoren die Souveränität der USA gefährdet, und dass der unpatriotische Bush ihnen auch noch zuarbeitet.

Die Wahnwitzigkeiten und Plattitüden häufen sich und spätestens hier beginnt man sich zu fragen, wer dieser „Argumentation“ noch ernsthaft folgen kann. Damit stellt man allerdings die falsche Frage. Moores Arbeiten sind eine geradezu instinktiv zusammengesetzte Mischung aus Lüge, Propaganda und Ideologie. Er weiß über die Konstitution seines Publikums genau bescheid und bietet ihm die Dramaturgie, von der es par tout nicht lassen kann. Den kulturindustriellen Widerspruch zwischen Aufklärung und Massenbetrug versucht er in seiner Ästhetik folgendermaßen aufzulösen: Den Massenbetrug präsentiert er einfach als Aufklärung, als „Dokumentation“, und setzt dabei auf die Renitenzlosigkeit und Dummheit seines Publikums. Antiaufklärung par excellence.

Wie sehr Moore ebendieser verpflichtet ist, zeigt sich auch an folgendem: Die Sequenzen, in denen er die US-Regierung als Marionette der saudischen Königsfamilie darstellt, kann man getrost als rassistisch bezeichnen, zumindest sind sie ein Appell an nationalistische Ressentiments. Auch sonst zeigt Moore arabische Menschen gerne so, wie es sich westliche Rassisten und islamistische Faschisten wünschen: als unzivilisierte, fanatische Fundamentalisten, die alles mit Gewalt lösen und erst dann zufrieden sind, wenn sie von antisemitischen und brutalen Autokraten unterdrückt werden.

Des weiteren hat der Film folgendes zu bieten: Moore zufolge dienten die Militäroperationen in Afghanistan und auch im Irak lediglich als Ablenkungsmanöver von den eben präsentierten „skandalösen Geschäftsverbindungen“. Seltsam allerdings, dass es dem saudiarabischen Regime, obwohl es doch angeblich die US-Politik so gut zu kontrollieren weiß, nicht gelang, den Krieg gegen das von ihm gestützte Taliban-Regime zu verhindern. Einerseits behauptet Michael Moore, dass der Kampf gegen al-Qaida in Afghanistan angeblich bewusst mit einer extrem geringen Truppenzahl geführt worden sei - und fordert damit natürlich implizit einen massiveren Militäreinsatz - andererseits missfällt ihm überhaupt, dass die amerikanische Regierung eine interventionistische Politik betreibt. Und natürlich darf auch der Klassiker der no globo Friedenspropaganda nicht fehlen: Afghanistan wurde lediglich besetzt, damit die amerikanische Ölindustrie eine Pipeline bauen kann. Der Konzern Unocal, der diesen Plan tatsächlich Mitte der neunziger Jahre verfolgte, hat jedoch mittlerweile kein Interesse mehr an dem Projekt, und auch andere US-Unternehmen mögen nicht einspringen.

Die Verwirrungen sind allerdings kein Hindernis für den Erzählstrang. Im Gegenteil; unter dem kulturindustriellen Diktat der Warenästhetik der Reklame wird vielmehr trockene Information selbst verdächtig. Konsistenz und Plausibilität sind im Spätkapitalismus kein notwendiges Kriterium für Information und Michael Moore weiß nur zu gut die gesellschaftlichen Bedingungen für seine Zwecke zu nutzen.

Die Auslassung unbequemer Fakten, die den Fluss seiner kleinen Erzählung stören könnten, führt in manchen Fällen zu beispielloser Geschichtsverzerrung. So mutiert bei ihm der Irak unter Saddam Hussein zu einer „souveränen Nation“, die „niemals einem amerikanischen Staatsbürger ermordet“ habe, aber dennoch wegen einer Laune von George W. Bush von den USA brutal vernichtet wurde. Kein Wort verliert Moore über den Terror des ba’athistischen Regimes und die angestrebte Demokratisierung des Irak, die auch die autokratischen Regimes in der Region vor ein Legitimationsproblem stellen sollte.

Moores Rolle bei all dem sieht folgendermaßen aus: Es genügt ihm, sich als Aufdecker angeblicher Skandale zu präsentieren. Dabei übt er sich, quasi als amerikanische Version eines Jörg Haider, als Dompteur der Ressentiments und als zwinkernder Führer einer Projektionsgemeinschaft. Er halluziniert Skandale - dass eine Berufsarmee Anwerber durch die Straßen schickt, um Mitglieder zu rekrutieren, ist einer davon - und ruft zum Aufstand des gesunden Volksempfindens gegen „die da oben“. So versucht Moore, Kongressabgeordnete bloßzustellen indem er sie dazu auffordert, ihre Söhne in den Irak zu schicken. Juristisch ist das gar nicht möglich, denn das Militär benötigt eine persönliche Bewerbung. Doch die Botschaft ist klar: Rechtspersonen gibt es für Moore nicht, lediglich den Sieg der Moral des “kleinen Mannes“.

Als Avantgarde modernster Anitaufklärung wiederholt sich das Schema. Wo Michael Moore vorgibt etwas zu erhellen, sind – wenig überraschend - „dunkle Mächte“ am Werk, welche nun –ebenso wenig überraschend- in antisemitischer Manier dargestellt werden. Um seine Gegner zu verunglimpfen bedient sich Moore fast aller Stereotype, die die Kulturgeschichte dieses Wahns gezeitigt hat. Bush und Co. zeichnet er als Grimassen schneidende, geschminkte, verweichlichte und unmännliche Knilche, als Diener des Mammon, welche das Blut unschuldiger junger Männer auf dem Altar ihrer Gier nach mehr Profit opfern. George Bush seniors Tätigkeit für ein Firmenkonglomerat, das u.a. Waffen für die US-Streitkräfte produziert, passt da nur recht ins Bild. Denn natürlich ist es immer der ganze Familienclan – bei Moore herrscht Sippenhaftung. Dasselbe gilt für die bin Ladens.

Man mag beispielsweise an der Entscheidung zweifeln, dass die Mitglieder dieser Familie und der saudischen Oligarchie nach dem 13. September 2001, also unmittelbar nach dem Ende des Flugverbots für den amerikanischen Luftverkehr- auch hier suggeriert Moore anderes-, angeblich ohne Befragung von Untersuchungsbehörden aus den USA ausgeflogen wurden. Doch anstatt aus der Projektion durch Recherche und Argumente einen begründeten Zweifel herzuleiten- oder möglicherweise genau dadurch die eigenen Projektionen zu entkräften- dienen diese Geschehnisse nur als Aufhänger um einmal mehr im Tümpel postfaschistischer Ideologieversatzstücke zu waten. Geld und politische Macht können sich Moore und seine Anhänger offenbar nur als Eigentumstitel von Personen vorstellen, nicht als systematische gesellschaftliche Synthesis, die Subjekte erst konstituiert. Angeblicher Missbrauch und angeblich rechtschaffener Gebrauch von Macht sind somit nur mehr dezisionistisch zu unterscheiden, Moral wird zur Frage der Gefolgschaft. Und wenn ihm, Michael Moore, die aktuelle Politik missfällt, dann darf er sie mit allen Mitteln attackieren. Wer ein Volksfeind ist, bestimmt er. Nicht ob rechtstaatlichen Regeln genüge getan wird, zählt, sondern ob sich der eigene politische Wille durchsetzen lässt. Die Nähe zum antietatistischen Konzept der Volksgemeinschaft, in der nicht der blutleere Rechtsstaat, sondern das gesunde Volksempfinden herrschen soll, liegt hier offen zu Tage. So wundert es auch nur wenig, dass die Hisbollah sich bereits angeboten hat, den Film im arabischen Raum zu verbreiten.

Als Schlusspunkt seines Projektionsfeuerwerks bringt Moore ein Zitat von George Orwell. Es suggeriert, dass die US-Regierung einen endlosen Krieg plant, der kein konkretes politisches Ziel verfolgt, sondern „die Struktur der Gesellschaft intakt“ halten soll. Doch die hier als Kronzeuge gegen Bush aufgerufene Orwell war kein Freund der Appeasementpolitik gegenüber dem rechtsextremen Terror. Er war nie Pazifist und kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg gegen den Faschismus und gegen des Sieg all dessen, was Moores Produkte beinhalten und befördern: Dummheit, Antiliberalismus, Kollektivgeist, Infantilität und Lügenpropaganda.

abgeändert erschienen in: Jungle World 32/04