Heft 1-2/2005
Mai
2005

Fassungslos

Ursprünglich wollte ich an dieser Stelle über meine ganz persönliche Familiengeschichte berichten. Unsere Vergangenheit, unsere Erlebnisse unter dem Regime Saddam Husseins, unsere Erinnerungen an Folter und Mord, an Verlust und Leid, wollte ich an dieser Stelle niederschreiben. Dies sollte gleichzeitig einen quasi-therapeutischen Zweck für mich erfüllen, dachte ich — doch ich kann nicht. Noch ist die Zeit offensichtlich nicht reif, um all das Erlebte detailliert zu Papier zu bringen. Ich habe das Gefühl, dass der Krieg, den Saddam Hussein gegen die Bevölkerung des Irak führte, nicht vorüber ist.

Zwar hat er seine Macht verloren, nicht er steuert heute den Wahnsinn, aber seine ehemaligen Komplizen, die Täter von damals, und islamistische Terroristen führen das Mörderhandwerk in seinem Sinne fort. Und sie sind dabei nicht weniger effektiv als es der staatliche Ba’th-Apparat vor ihnen war. Anschläge vor Schulen, Märkten, Moscheen und Polizeistationen, Kopfabtrennungen, Hinrichtungen, Vergewaltigungen von Frauen, deren Männer in der Polizei dienen: so schaut der Krieg aus und solange er im Gange ist, können wir IrakerInnen nicht ruhen und der schrecklichen Taten von Saddam Hussein gedenken, geschweige denn die Vergangenheit aufarbeiten. Wir müssen weiterkämpfen und für einen demokratischen Irak einstehen.

Der große Unterschied zu früher ist, dass nun auch Menschen außerhalb des Irak diesen Irrsinn mitbekommen. Früher erhielten wir ExilirakerInnen die Informationen über Massenhinrichtungen, Repressalien, usw. meist von Verwandten, Bekannten, Oppositionsgruppen oder von Menschrechtorganisationen wie Amnesty International.

Jetzt aber werden uns durch die zahlreichen neuen freien irakischen TV Sender die Morde direkt ins Wohnzimmer geliefert und die Auswirkungen dieser Bilder — auch auf meine Psyche — kann und traue ich mich gar nicht abzuschätzen.

Ich ertappe mich manchmal dabei, wie ich in gewissen Punkten um vieles radikaler wurde, dass ich immer weniger bereit bin mit EuropäerInnen, die diesen sogenannten „Widerstand“ verteidigen oder einfach mit ihm sympathisieren, über die Lage im Irak zu diskutieren. Ich bin früher etwas naiv von einer gewissen Ignoranz dieser Menschen ausgegangen, aber mittlerweile ist mir klar geworden, dass es ihnen eben nur darum geht, den eigenen Anti-USamerikanismus auszuleben. Menschenleben zählen dabei einfach nicht, was die europäischen FreundInnen des Terrors interessanterweise auch denjenigen vorwerfen, die uns vom Regime im April 2003 befreit haben: den Truppen der Koalition.

Europa muss erkennen, dass im Irak ein essenzieller Kampf ausgetragen wird: um das Recht auf Mitbestimmung von Bürgern und Bürgerinnen, Meinungsfreiheit, Frauenrechte, demokratische Wahlen, freie Medien, Minderheitenschutz, um nur einige Punkte aufzuzählen. Die IrakerInnen haben durch die Nutzung ihres Wahlrechtes unter massiven Todesdrohung bewiesen, dass sie den Kampf für diese Rechte führen wollen.

Wir werden es nicht dulden, dass die oben beschriebenen Freiheiten, von wem auch immer, eingeschränkt werden. Da können Zarkawi & Co uns noch so oft mit Kopfabschneiden drohen, sie werden uns nicht alle enthaupten können. Und selbst wenn sie hunderte oder tausende umbringen: die Bewegung für die Respektierung dieser Grundrechte hängt nicht von einzelnen Personen ab, der Samen der Demokratie ist aufgegangen und wird über die Landesgrenzen hinaus verbreitet.

In den letzten drei Wochen hat man zwölf Selbstmordattentäter unschädlich gemacht bevor sie sich in die Luft sprengen konnten und keiner dieser zwölf war Iraker. Dieses Faktum löst auch innerhalb der irakischen Bevölkerung einiges aus und es tritt das Gegenteil von dem ein, was die europäischen Medien immer wieder herbeischreiben: heute rücken die verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen im Irak näher zusammen weil sie alle von den Anschlägen betroffen sind und weil ein Großteil dieser Terroristen aus dem Ausland kommt. Ich reagiere mittlerweile ebenfalls allergisch darauf, wenn nach der Antwort „Ich bin Iraker“ die Frage „Aber was, Schiite, Sunnite oder Kurde?“ kommt.

Es vergeht kein Tag, wo nicht irgendwo im Irak ein Bombe hochgeht, kein einziger Tag, wo ich nicht von neuerlichen Enthauptungen höre, nicht ein Tag, wo ich nicht weinende Familien im irakischen Fernsehen sehe, die um ihre Lieben trauern, umgebracht von diesen Irren. Doch die letzten Tage domminierte nur ein Thema die europäischen Medien: „Guiliana Sgrena“. Es wird auf und ab berichtet von ihrer Entführung, ihrer Befreiung und dem Beschuss durch US-Truppen auf dem Weg zum Fughafen. Es wurden während ihrer Geiselhaft Demonstrationen in Rom für ihre Freilassung veranstaltet, seitdem ist ihr Name und ihre Geschichte permanent in den Medien. Als Iraker frag ich mich, warum das Interesse an Sgrena größer ist als an den 136 Todesopfern, die am 28. Februar 2005 vor einem Krankenhaus durch einen Selbstmordattentäter in den Tod gerissen wurden.

Als ich von der Befreiung Sgrenas erfuhr, war ich erleichtert. Als mich die Nachricht über 6 Millionen Dollar Lösegeld erreichte, war — und bin ich nach wie vor — schockiert. Das ist ein Alptraum, ich kann es nicht fassen, man weiß doch mittlerweile dass die Entführer Anhänger Saddam Husseins sind und was diese mit dem Geld machen werden: es fließt in die Kriegskasse der Terroristen. Waffen, Söldner und Selbstmordattentäter werden damit finanziert und Hunderte IrakerInnen werden ihr Leben lassen müssen, weil Sgrena freigekauft wurde. Ist ihr Leben mehr wert ist als das von Hunderten IrakerInnen? Es liegen unzählige Aussagen darüber vor, dass Selbstmordtäter vor ihrem Anschlag die Zusicherung erhalten, dass ihre Verwandten 5400 US$ bekommen. Terroristen werden pro getöteten Iraker bezahlt, 600 US$ pro Zivilsten, 800 US$ pro Polizisten/Soldaten und es sei den LeserInnen selbst überlassen sich auszurechnen, was mit 6 Millionen US$ finanziert werden kann.

Nach ihrer Entführung sahen wir das Video, in dem sie weint und um Hilfe fleht und ich empfand ehrliches Mitleid für sie und ihre Familie. Ich wünsche ihr aus ganzem Herzen diese Hölle zu überleben, auch wenn wir ihren politischen Äußerungen und Artikeln rein gar nichts abgewinnen können. Das Blatt, für das Sgrena schreibt, ist getrieben von Anti-Amerikanismus und nicht durch die Wahrheit, es ist unlesbar und eine Zumutung für irakische DemokratInnen und wir als Iraker sind es leid, dass wir herhalten müssen damit die ach so bösen Amerikaner eine politische Niederlage erleiden.

Ja, man kann oder besser gesagt man muss die Amerikaner im Irak kritisieren, wenn dort Fehler gemacht werden, aber Schwarzmalerei und Fantasiegeschichten helfen dem Irak sicher nicht.

Wir, die diesen neuen Irak wollten und für ihn einstehen, lassen uns nicht von FreundInnen des Terrorismus in eine Position drängen, wo es uns unmöglich gemacht wird, Positionen unserer derzeitigen PartnerInnen zu kritisieren.

Wenn Kritik angebracht ist, werden wir diese Kritik anbringen, so wie wir es bis jetzt auch immer getan haben, weder ich noch viele andere haben bei beim Abu Ghraib Skandal geschwiegen und wir werden weiterhin solche Aktionen anprangern.

Sgrenas Äußerungen nach der Befreiung aus der Geiselhaft sind einerseits befremdend, andrerseits wundert es mich auch nicht: sie bedankte sich bei ihren Entführern für die gute Behandlung und versichterte ihnen per Video-Botschaft ihren Kampf weiterhin zu unterstützen.

Solche Aussagen machen uns demokratische IrakerInnen vor allem eines: fassungslos. Wir bitten Guliana Sgrena nicht mehr in den Irak zu reisen. Nicht weil wir Angst vor ihren Artikel haben, sondern weil wir nicht wollen, dass sie wieder entführt wird und man wieder 6 Millionen US$ für ihre Befreiung zahlen muss.

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