Feindbild Amerika
Amerika wird für die Folgen der dunklen Seite der Moderne haftbar gemacht; die USA werden zur notorischen Projektionsfläche abgespaltener Anteile von Selbsthass.
Dan Diner, S. 16, in Referenz auf Ludwig Marcuse
Bis auf das letzte Kapitel besteht das Buch aus einer Überarbeitung des 1992 erschienenen Werkes „Verkehrte Welten“. Damals publizierte Diner die ursprüngliche Fassung in Folge des 1991 stattgefundenen Golfkrieges, nun als Replik auf den nach dem 11. September grassierenden Antiamerikanismus.
„Feindbild Amerika“ stellt weniger eine systematische theoretische Ausarbeitung dieses Ressentiments dar, als einen historischen Abriss bis zurück ins 18. Jahrhundert, der verschiedene Quellen des Antiamerikanismus anreißt. Dadurch treten Kontinuitäten unterschiedlicher, großteils bekannter und weiterhin verwendeter Argumentationsmuster zu Tage, wobei linke wie rechte gleichermaßen berücksichtigt werden. So beschwerte sich etwa der Romantiker Nikolaus Lenau 1832 über das ausschließliche Interesse Amerikas an „merkantilen Fertigkeiten“. Ebenso tauchte die geläufige Unterstellung, dass die USA wirtschaftlich motivierte Kriege führen, bereits während des ersten Weltkrieges auf. In der Gegnerschaft zum 1924 erstellten Dawes-Plan bildete sich zum ersten Mal ein Lager übergreifender Antiimperialismus heraus, dessen Sorge dem vermeintlich vom amerikanischen Kolonialismus bedrohten Deutschland galt.
All diese Anschuldigungen griff der Nationalsozialismus auf und sprach den in ihnen angelegten Antisemitismus explizit aus, exemplarisch in Giselher Wirsings Aussage, dass mittels amerikanischer Machtentfaltung sich die Juden zur Weltherrschaft aufschwingen würden. Ein Vorläufer ähnlich lautender Vorwürfe an Israel heutzutage. Im ersten Kapitel erwähnt Diner direkt den in späteren Abschnitten angedeuteten Umstand der strukturellen Ähnlichkeit von Antiamerikanismus und Antisemitismus, nicht zuletzt auf Grund der Identifikation der USA mit Geld, Zins und Börse.
Auch der Vergleich Amerikas mit Nazi-Deutschland ist so neu nicht. Schon 1946 brachte Hermann Hesse in einem Brief an Thomas Mann seine Genugtuung zum Ausdruck, dass „in Deutschland [...] die Sadisten und Gangster nicht mehr die Nazis sind und Deutsch reden, sondern Amerikaner“. Charakterisiert werden derartige Zuschreibungen als Abspaltungen eigener Negativität.
Von Kritik an den Reaktionen zum 11. September über die Geschichte des Islamismus und dessen Verhältnis zur Technik bis zu den amerikanischen Idealen und Handlungen finden Fragmente diverser, diesen Anschlag betreffenden Themen im letzten Kapitel Eingang. Doch gerade dadurch wirkt dieses wie ein arbiträr erstelltes Flickwerk, welches eine adäquate Analyse der post-9/11-Ereignisse vermissen lässt.
Als überflüssig können die immer wieder auftauchenden Erläuterungen betrachtet werden, die berechtigte Kritik an den USA anführen sollen. Diese wirken geradezu als Versicherung, dass auch zulässige Kritik an Amerika existiert bzw. als Abwehr des Vorwurfes der Amerikaapologie.
Zusammenfassend kann das Buch als brauchbare geschichtliche Einführung bewertet werden, zumal bisher leider wenig zu diesem Thema in gebundener Form erschienen ist. Mit Spannung darf deswegen die für Juli angesetzte Erscheinung des Buches „Amerika, dich hasst’s sich besser“ von Thomas v. d. Osten-Sacken erwartet werden.
Dan Diner: Feindbild Amerika. Über die Beständigkeit eines Ressentiments, Propyläen Verlag, 2002
