Festung Europa auf der Anklagebank
Basso-Sekretariat Berlin (Hrsg.), Westfälisches Dampfboot, Münster 1995, 292 S, öS 145,—
Bis zuletzt bestand zwischen Deutschland und Österreich ein Streit um den Status als vollwertiges Mitglied beim Schengener Abkommen. Deutschland wollte Österreich diesen Status noch nicht zuerkennen, da die Ostgrenzen noch nicht „sicher“ genug seien. Was sich hinter diesem Wort „sicher“ verbirgt, ist eine seit Jahren betriebene Politik der Festung Europa. Das Basso-Sekretariat Berlin hielt vom 8.-12. Dezember 1994 eine symbolische Gerichtsverhandlung ab, in der die Asylpolitik der Europäischen Union, die bekanntlich in erster Linie von den Schengenländern vorangetrieben wird, angeklagt wurde.
In der vorliegenden Dokumentation des Tribunals kann man/frau die Anklage nachlesen, die sich am Bruch des internationalen Flüchtlingsrechts (in einem eigenen Beitrag dargestellt) und der Menschenrechte durch die gegenwärtige Asylpolitik orientiert. Die Anklage wird untermauert von Zeuginnenaussagen, teils von Flüchtlingen, teils von Mitarbeiterinnen von Hilfsorganisationen aus Frankreich, Spanien, Deutschland und der Schweiz.
Expertenberichte gehen den Ursachen von Flucht nach und analysieren die abschottenden Reaktionen der westlichen Länder.
Auch das Plädoyer der Verteidigung ist sehr aufschlußreich in bezug auf die aktuelle Flüchtlingspolitik. Sie betonte einerseits, daß die übermäßig restriktive Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention keinen Rechtsbruch darstelle, da sie sich im Rahmen der international üblichen Praxis bewege, und wies auf die Bemühungen der EU-Staaten hin, gegen Tendenzen des Rassismus vorzugehen. Eine strikte Asylpolitik sei gerade deshalb notwendig, um die Belastung der Bevölkerung in den einzelnen Ländern in Grenzen zu halten.
In seinem Urteil kommt das Tribunal zum Schluß, daß die Abschottungspolitik der EU- und EFTA-Staaten gegen internationales Recht verstößt, zu dem sich die Staaten verfassungsrechtlich verpflichtet haben, und systematisch die Rechte von Asylsuchenden und Flüchtlingen verletzt.
Abgerundet wird der Band durch einen Beitrag zum Asylrecht in Osteuropa und einen systematischen Überblick über die asylrechtlichen Standards in den EU-Staaten.
