Grundrisse, Nummer 16
Dezember
2005

Fordismus und Familiensystem

Weltweit gelten die 50er-Jahre als besonders konservative Phase im gesellschaftlichen Sinn. Die Ideologie der Kleinfamilie dominierte wie auch gesellschaftlicher Konservativismus in Bezug auf Sexualität und Autoritarismus. Das fällt zusammen mit einem Ende der revolutionären Hoffnungen in den Metropolen [1] und dem beginnenden sozialen Aufstieg im Wohlfahrtsstaat. Die Antwort auf die revolutionären Entwicklungen um 1917 waren nach Faschismus, Nationalsozialismus und Krieg eine Dominanz des Nationalstaates mit sozialen Elementen (Wohlfahrtsstaat), die Durchsetzung der Disziplinarnormen auf die ganze Gesellschaft und die Dominanz der Kleinfamilie (vgl. Foltin 2004, S. 18ff). Dieser Artikel versucht den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Geschlechterordnung mit Blick auf Fordismus und Kleinfamilie zu beleuchten.

Geschlechterordnung mit und ohne Kapitalismus

Da der Feminismus der zweiten Frauenbewegung zu maßgeblichen Teilen aus einer Kritik an der Linken entstand, bildete ein erster Strang der Diskussion der Geschlechterordnung die Kritik an den blinden Flecken des Marxismus (vgl. Knittler / Birkner 2005). So wurde etwa die operaistische Theorie in Italien durch die Forderung nach „Lohn für Hausarbeit“ weitergedacht (Dalla Costa 1978). Entwickelt wurde die Kritik am Marxismus auch durch die Analyse der Subsistenz- und Hausarbeit durch die „Bielefelderinnen“ (etwa Bennholdt-Thomsen et. al. 1983). Die Ignoranz der Linken gegenüber der Geschlechterordnung führte bei den meisten feministischen Strömungen immer mehr dazu, nur noch Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen zu analysieren und zu kritisieren, außerdem in konkreten Projekten bessere Lebensbedingungen für Frauen zu schaffen, den Kapitalismus also außen vor zu lassen.

Die (nicht nur marxistische) Linke bekämpfte anfangs den Feminismus, später ignorierte sie ihn. Die feministischen Forderungen und die Auseinandersetzungen mit der Geschlechterordnung wurden an die Frauen delegiert, Männer ersparten sich diese Diskussion. Mit den „neuen sozialen Bewegungen“, eine davon der Feminismus, und deren Institutionalisierung in NGOs und grünen wie alternativen Parteien, dominierte eine Orientierung am Staat: die Institutionen wurden kritisiert, Forderungen an den Staat in Richtung nicht diskriminierender Gesetze gestellt oder Subventionen für Projekte gefordert. Andere Teile der Linken, oft an der ArbeiterInnenklasse orientiert, verteidigten den Sozialstaat, ohne dessen Macht- und Disziplinierungsfunktionen zu beachten.

Die Kritik an den Machtverhältnissen führte zuerst zu einer Stärkung und Vervielfältigung von Identitätskonstruktionen. Die Identität unterdrückter Subjekte (Frauen, Schwule und Lesben, Indigenas, Minderheiten, Psychiatriebetroffene, Menschen mit besonderen Bedürfnissen, etc.) wurde durch diese Bewegungen gestärkt. Aber schon von Beginn an wurden diese Identitäten (durch die Feministinnen stärker als in anderen sozialen Bewegungen) als neuerlich diskriminierende erkannt (etwa in der Auseinandersetzung zwischen Lesben und Heteras, zwischen Müttern und Nichtmüttern, später besonders zwischen weißen und nichtweißen Frauen). Das führte zu einer Kritik aller feststehenden Identitäten innerhalb des Feminismus. Hatte es bis dahin noch einen unhintergehbaren Rest von Natürlichkeit als Frau gegeben, so wurde das besonders durch Judith Butler (1991, 1997) in Frage gestellt. Auch das natürliche Geschlecht (Sex im Gegensatz zum sozialen Geschlecht Gender) wird in unseren gesellschaftlichen Handlungen tagtäglich erzeugt und existiert so nicht von vornherein. Noch weitergehend, lotete die Feministin und Wissenschaftskritikerin Donna Haraway (1995) die Grenzen des Konzepts Mensch aus (Cyborg als Hybridwesen zwischen Maschine, Mensch und Tier).

Die sozialen Auseinandersetzungen (etwa der Feminismus und die Lesben- und Schwulenbewegung) veränderten den Kapitalismus in Richtung „Postfordismus“. In einer ersten Phase erfolgte diese Verschiebung durch die staatliche und institutionelle Unterstützung vielfältiger emanzipatorischer Projekte, dabei auch solcher, die aus den sozialen Machtstrukturen der Familie hinausführten. Die vorerst oppositionellen, gegen ein Establishment gerichteten Bewegungen wurden so Teil der herrschenden Institutionen. In einer nachfolgenden („neoliberalen“) Phase müssen sich diese Projekte auf dem Markt bewähren. Die Unterwerfung der vielfältigen Bedürfnisse unter den Kapitalismus läuft offensichtlich (fast immer) über eine Zwischenstufe einer Institutionalisierung: der Konsum durch den fordistischen Wohlfahrtsstaat, die Reproduktion der Arbeitskraft und der soziale Lebenszusammenhang durch die Familie, die Vielfältigkeit der Lebensformen durch eine Erweiterung finanzieller Alimentierung durch staatliche Institutionen. In einer zweiten Phase wird die Kontrolle durch die Institutionen durch den Zwang zur Verwertung ersetzt, direkter Teil des kapitalistischen Wettbewerbs. Die widerständigen Bewegungen mussten so immer wieder neu ansetzen. Die Integration der ArbeiterInnenbewegung in Staat und Kapitalismus provozierte 1968 und danach eine Flucht aus dem Kapitalismus in identitäre Bewegungen, die über gesetzliche Veränderungen und monetäre Unterstützung wieder herein geholt wurden. Die steigende Tendenz zur Verwertung rückte wieder den Kapitalismus in den Blick (vgl. auch Klein 2001), damit auch die Frage der Macht der Männer über die Frauen. Die globale Protestbewegung um die Jahrtausendwende war dann (in Teilen) antikapitalistisch, ohne dass sie die unterschiedlichen Bedürfnisse und Wünsche vereinheitlichen konnte und wollte.

Fordismus

Der Fordismus ist nach Henry Ford benannt, der mit der Produktion seines „Ford T“ die Weichen für die Leitindustrie des 20. Jahrhunderts stellte. Er dachte in Großstrukturen, aber nicht gesamtgesellschaftlich; das Leben sollte um die Fabrik organisiert sein. Bei der Produktion des Autos wollte er vorerst den schnellen und günstigen Transport seiner ArbeiterInnen in die Fabrik, noch nicht die Mobilisierung der ganzen Gesellschaft. Seine Ideen waren nichts neues: Wohnraum neben der Fabrik schufen schon die KapitalistInnen in 19. Jahrhundert, die Massenproduktion auch für die ArbeiterInnen als KonsumentInnen wurde schon in der Textilindustrie eingeführt, das Fließband entstand in den Schlachthöfen von Chicago.

Was aber nur als erweiterte Fabrik gedacht war, wurde auf die ganze Gesellschaft ausgebreitet (darum wird auch von der „Fabrikgesellschaft“ gesprochen). Lüscher (1988, S. 42) unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen dem „Fabrikfordismus“ und dem „sozialen Fordismus“. Die „Integration der Konsumtion in den Zyklus der Kapitalreproduktion“ (Lazzarato 1998, S. 53) bedeutete für die ArbeiterInnen die Zahlung hoher Löhne, aber auch die Absicherung der Reproduktion außerhalb der Fabrik: durch die Bezahlung eines „Familienlohns“ an den Ehemann als Abgeltung für die gratis geleistete Hausarbeit und die Gewährung von Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Krankengeld, Pensionen etc. für die nicht produktiven Lebensphasen. Verbunden war das mit einer steigenden Bedeutung der Freizeit, um neue Bereiche für den Konsum zu schaffen.

Das kapitalistische Regime des Fordismus (das noch nicht zu Ende ist, aber zu großen Teilen in Fabriken im Trikont verschoben wurde) hat spezifische soziale Auswirkungen (vgl. Lüscher 1988, S. 188ff): Am Fließband kommt es zu einer totalen Enteignung des ArbeiterInnenwissens, die ArbeiterInnen werden tatsächlich Anhängsel der Maschine. [2] Parallel dazu findet auch eine Requalifizierung statt: die Zerlegung der Arbeitsschritte und die Zusammensetzung der Produkte verlangt nach IngenieurInnenwissen, das auch durch Bildung zur Verfügung gestellt werden muss. Eine Rückkoppelung zwischen Konsum und Produktion ist notwendig, der Absatz muss durch immer wieder neu produzierte Wünsche gefördert werden. Ständig müssen mehr Waren verkauft werden. Gesättigte Märkte erfordern entweder kurzlebigere Produkte (der Ford T sollte ursprünglich das ganze Leben einer ArbeiterIn halten), neue Märkte oder neue Produkte. Die Nachfrage auf Subsistenzniveau genügt nicht mehr, sondern Verschwendung, Luxus für alle, ist das Ziel dieses Typs von Kapitalismus. Daraus entsteht ein permanenter Loyalitätskonflikt, die ArbeiterInnen wollen neue Farbfernseher, aber sie wollen nicht (oder nur wenig) dafür arbeiten. Der Lohn als Regulationsinstrument ist ein zu grobes Steuerungsmittel und so ist es nicht zufällig, dass der Fordismus mit seiner dauernder Umwälzung des Konsums (revolution of rising expectations) dazu führte, Lohnforderungen zu stellen bis es für den Kapitalismus nicht mehr erträglich war. Der notwendige Konsumwunsch untergrub das Leistungsdenken und die Arbeitsmoral.

Die Betrachtung des Lohns als Regulationsmittel hat mit der Utopie der Planbarkeit zu tun, wie sie in verschiedenen philosophischen und politischen Ideen der Moderne verbreitet war (mit starkem Einfluss auf die Sozialdemokratie). Der Fordismus brachte nicht nur die Fabrik hervor, auch Elemente staatlicher Organisation wurden durchgesetzt (zur Steuerung von Arbeitskräften und Konsum), und auf internationaler Ebene wurden durch „Bretton Woods“ die Geldströme gesteuert, der Wert des Dollars an den Goldstandard gebunden.

Provozierte der „ungeplante“ Kapitalismus die Entstehung der ArbeiterInnenbewegung und den Aufstieg der Sozialdemokratie, so produzierte die Antwort darauf, das fordistische Regime neuerlich Probleme und Widersprüche. Der Ausgleich zwischen Produktion und Konsum durch die Löhne war zu ungeordnet. Wie sollte der Widerspruch zwischen schnellem Spontankonsum und Sparen auf langlebige Konsumgüter verknüpft werden? Wie sollten Menschen in ihren unproduktiven Phasen in den Konsum einbezogen werden? Die monetäre Steuerung durch die Absicherung der Reproduktion war zu wenig sowohl für die Herstellung der Arbeitskraft wie für die aus den Widersprüchen entstehende Disziplinlosigkeit. Aber der fordistische Kapitalismus konnte auf ein ideologisches Modell zurückgreifen, das in der bürgerlichen Gesellschaft bereits als Ideal bestand, die Familie.

Die Familie als stabilisierender Faktor (vgl. Lüscher 1988)

Die Familie bringt einen stabilen Zeithorizont, sie schafft den Ausgleich zwischen Sparen und schnellem Konsum. Durch die lebenslange Perspektive, etwa den Erwerb eines Autos, eines Eigenheims, verschiedenster Haushaltsgeräte sollte das richtige Maß zwischen Ausgeben und Konsumzurückhaltung erreicht werden. Arbeits- und Konsumverlauf erscheinen synchronisiert, aber gerade in diesem Zusammenhang wird das Spannungsverhältnis zwischen Ausgeben und Budgetzwang in die Familie getragen. Die Liebe bewirkt, dass der Konflikt nicht in der Familie ausgetragen wird, sondern in der Hausfrau. Aufgrund der Machtverhältnisse kommt es zu einer Anschmiegung der Frauen an die Bedürfnisse und Wünsche des einzelnen Mannes (Lüscher 1988). Die Familie soll auch Spannungen abbauen, die durch die entfremdete Arbeit in der Fabrik entstehen. Der Ärger über schlechte Arbeitsbedingungen lässt sich nur begrenzt durch die Lohnhöhe ausgleichen. Der Haushalt soll ein Hort des Ausruhens und der Entspannung für den Mann sein. Da keine Identifikation mit den erzeugten Produkten stattfindet, wird die Familie zu einer alternativen Loyalitätsquelle. Das Familienleben erhält eine eigene Wertigkeit. Wenn Männer nicht für die Familie diszipliniert würden, brächte das Unruhe (vom Konsum von Alkohol [3] und Drogen bis hin zu wilden Streiks wie durch die migrantischen Männer (noch) ohne Familiennachzug in den 1960er und 1970ern).

Es ist offensichtlich, dass sich das Konstrukt der Familie in den 1940er und 1950ern durchsetzte. Das gilt sowohl für die Ideologien wie auch für die Wünsche der Menschen. Es drückte sich in einer Reihe von Symptomen aus: das Alter der Verheiratung sank, die Geburtenrate stieg seit Mitte der 1940er Jahre massiv an und zeigte damit eine Umkehrung eines zweihundertjährigen säkularen Trends (Tyler-May 1999, S. 583). Familien „funktionierten“ nach außen, manchmal auch als Idylle, aber wenn ich mich an meine Generation erinnere (mit der Kindheit in den 1950ern und 1960ern), dann kenne ich dieses Gefühl nicht. Nicht umsonst war ein Teil des Widerstands der 1968er gegen diese Art der Familie gerichtet.

Nachträglich lässt sich auch erkennen, wie kurzfristig dieses Phänomen war, was jetzt nicht heißt, dass es die Wünsche nach einer harmonischen Familie nicht heute noch gibt. Die Widersprüche des Fordismus wurden in die Familie hineinverlagert, die zeitliche Asynchronität erzeugte eine permanente Krise, die oft leidend ausgesessen wurde. Als die Familien durch die Bewegungen in Frage gestellt wurden, führte das zu den steigenden Scheidungsraten. Der Exodus der Jugendlichen aus den Familien, aber auch die „Wiederentdeckung“ und Neubewertung anderer Lebensformen durch Kommunen und Wohngemeinschaften wirkte sich verzögert aus, ebenso der Feminismus und die Lesben- und Schwulenbewegung.

Die Kleinfamilie war nur ein Durchgangsstadium zwischen vorkapitalistischer sozialer Organisation und den individualisierten Lebensformen des Postfordismus. Stabile Familien bestanden in größerer Zahl nur wenige Jahrzehnte (was Einzelfälle zu anderen Zeiten nicht ausschließt). Massenhaft beschränkt sich dieses Phänomen auf die Generation, die zwischen 1925 und 1950 geboren wurde. Lüscher (1988) meint, der Zerfall der Familien würde durch die weiter fortbestehenden geschlechtlich unterschiedlichen Lohnniveaus aufgehalten. Trotz des Profitierens der Männer von der Familienstruktur und den ungünstigen Bedingungen für Frauen in der Welt der Lohnarbeit, zerfiel das Familiensystem schneller, als zu erwarten war.

Die Familie als ausgleichende Struktur ist natürlich aus dem Blickwinkel des fordistischen Regimes zu sehen. Von Feministinnen wurde aufgeworfen, dass auch die Arbeitskraft, die durch den Kapitalismus vernutzt wird, erzeugt werden muss. Bis ins 19. Jahrhundert fand die Produktion von Leben einfach in vorkapitalistischen Verhältnissen statt. Die Wertschätzung von Kindern entstand in der bürgerlichen Gesellschaft erst im 19. Jahrhundert (vgl. Badinter 1984) und dieses Denken und Fühlen breitete sich mit der Integration der ArbeiterInnenklasse ins kapitalistische System auf die ganze Gesellschaft aus. Die ProletarierInnen wurden vorher einfach außerhalb produziert und von der Industrie vernutzt. Ähnlich ist es heute noch in den Weltmarktfabriken im Trikont. Die ArbeiterInnen arbeiten nur wenige Jahre, den Rest der Zeit (über)leben sie in ihren Dörfern von bäuerlicher Produktion oder in den Slums der Städte von Subsistenz zwischen Eigenarbeit, Kriminalität und KleinunternehmerInnentum.

In der Kleinfamilie wird die Produktion von Leben zur Reproduktion der Arbeitskraft innerhalb des kapitalistischen Proletariats. Die Familie hat also nicht nur die ausgleichende Funktion, sondern tatsächlich die Aufgabe der Herstellung des Lebens. Das ist das Gebären, die „Aufzucht“ und die Ernährung der Kinder, um sie als Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen, aber auch die Organisation des familiären sozialen Lebens. Für eine Phase von ein paar Jahrzehnten wird die Dominanz des sozialen Zusammenhalts in die Familie verlagert.

Erst mit Demokratie, Wohlfahrtsstaat und Fordismus wurde die gesellschaftliche Organisation des Kapitalismus auf alle StaatsbürgerInnen ausgedehnt. Im 19. Jahrhundert existierten die meisten Menschen außerhalb einer staatlichen Organisation unter persönlichen (feudalistischen) Herrschaftsverhältnissen, nur beachtet, wenn sie rebellierten oder bekämpft und kontrolliert werden mussten. Jetzt wurden sie als Teil des Staatsganzen anerkannt. Damit dehnten sich die Ideologien wie die der Familie auf alle BewohnerInnen einer Nation aus. Der in der Logik von Kauf und Verkauf existierende Kapitalismus konnte keinen Halt für die Bevölkerungen bieten, darum wurde die Familie zur „Keimzelle des Staates“. Die Aufwertung der Familie drückte sich nicht nur im Zurückdrängen von Frauen aus dem Arbeitsmarkt aus, sondern auch in einer veränderten Vaterrolle: im Gegensatz zum bürgerlichen Patriarchen, der nichts mit den Kindern zu tun hat, wird jetzt eine (nicht minder autoritäre) Fürsorge ideologisch aufgewertet. Väter dürfen nicht allein an eine Karriere denken, sondern sollen auch Familienmenschen sein (vgl. Tyler-May 1999, S. 587ff).

Die Kontinuität der männlichen Macht

Macht lässt sich sehr schwer darstellen, meist ist es eine Symbolik eines Oben und Unten. Sichtbar wird sie an einer Reihe von Phänomenen, die aber verschiedene Ausformungen haben können. Aus diesem Grund verwendet Foucault den Begriff des „Diagramms“ als eine Art Modell für die Machtausübung in einer gesellschaftlichen Phase. [4] Es ist klar, dass die Unterdrückung der Frauen eine länger andauernde Tradition hat als der Kapitalismus, aber die Erscheinungsformen sind unterschiedlich. Als Diagramm des Patriarchats lässt sich die Heterosexualität (oder heterosexuelle Matrix [5] im Sinne von Butler) sehen. Diese ist eng mit der geschlechteten Formung der Körper verbunden. Die Heterosexualität in der Gesellschaft drückt sich auf vielfältige Weise aus: immer ist es der im Zentrum stehende Mann, dem die weiblichen Körper zugeordnet werden. Frauen sind körperlich, schön und untergeordnet. Der Mann ist Macht, die Frauen repräsentieren diese Macht. Es sind attraktive Frauen (inzwischen auch schon schöne männliche Körper), die sowohl Politik wie auch Waren nach außen verkaufen. Frauen halten die repräsentative häusliche Sphäre sauber. [6] Sie müssen an ihrem Körper arbeiten, um attraktiv zu sein und das nicht nur verbunden mit dem sexuellen Begehren, sondern auch in ihrer gesellschaftlichen Funktion.

Die unterschiedliche „Funktion“ des männlichen und des weiblichen Körpers zeigt sich in der geschlechtlichen Arbeitsteilung. Überall wo Körper, Seele und Emotionen eine Rolle spielen, sind es weiblichen Jobs, insbesonders in den persönlichen Dienstleistungen, aber selbst in der Branchenverteilung drückt sich das aus. So war die Textilindustrie immer weiblich, obwohl es durch die Zerlegung der Arbeit keinen Grund gäbe, nicht Männer anzustellen (das Argument der zarteren Finger kann ja heute niemand mehr ernst nehmen). Es hat mit der Kleidung zu tun, die wichtig ist zur Produktion der Körperlichkeit. [7] Daselbe in der Chef-Sekretärin-Struktur: sie muss körperlich, schön, kommunikativ sein, organisatorisch fitter als der Chef und ist trotzdem untergeordnet.

Nicht zufälligerweise habe ich bei der Beschreibung von Elementen der heterosexuellen Matrix nicht den direkten Sex erwähnt. Es geht mehr um die allgemeine Beziehungsstruktur als den sexuellen Ausdruck. [8] Weil die verheiratete Frau vom heterosexuellen „Heiratsmarkt“ verschwunden ist, ist die Arbeit am Körper etwas weniger geworden, was ein zusätzliches Element der Anziehung der Ehe ist (es geht eben nicht nur um die „Doppelbelastung“ durch Lohnarbeit und Hausarbeit). Im Zerfall der Familie zeigt sich jetzt, dass Körperarbeit gerade bei älteren Frauen neuerlich gefordert wird (inzwischen aber teilweise auch bei Männern).

Das vorkapitalistische Patriarchat drückte sich durch den Ausschluss aus der politischen und intellektuellen Öffentlichkeit aus. Frauen durften nicht wählen und nicht gewählt werden, sie durften keine Bildung erwerben. Für große Teile der (bäuerlichen) Bevölkerung, die ja auch rechtlos waren, waren die Arbeitsteilung, aber auch die Verwandtschaftsbeziehungen (Heiratsregeln und Erbrecht) von Bedeutung, in Europa vor Beginn des Kapitalismus eindeutig patrilinear und patriarchal („Frauentausch“). Auch der rechtliche Status der Frauen in und außerhalb der Großfamilien wies unterschiedliche Möglichkeiten der Autonomie für Männer und Frauen auf (Züchtigungs- und Besitzrecht).

Die Industrialisierung im frühen Kapitalismus brachte eine Verwertung der Arbeitskraft, die in ihrer Grausamkeit unabhängig vom Geschlecht war. Aus dieser Zeit kommt die Grundüberzeugung der ArbeiterInnenbewegung, dass die fortschreitende Kapitalisierung und Proletarisierung zu einem Verdampfen aller Unterschiede führen wird. Tatsächlich setzte sich aber dort eine Arbeitsteilung nach Branchen durch, teilweise willkürlich und zufällig, teilweise mit angeblichen natürlichen Eigenschaften verbunden. So war die Textilindustrie zu großen Teilen weiblich, die Ziegelindustrie männlich. Die FacharbeitER waren männlich, weil die industriellen Strukturen aus männlichen handwerklichen Strukturen entstanden, aber auch weil die Aus- und Weiterbildung von Frauen verhindert wurde.

Der Aufstieg der ArbeiterInnenbewegung war verbunden mit Bewegungen der Emanzipation der Frauen (die erste Frauenbewegung), aber auch mit der aufklärerischen Entwicklung in Bezug auf Sexualität. So entstand neben den mit der Sozialdemokratie verbundenen sexuellen Reformbewegungen auch die erste Homosexuellenbewegung. Die Anerkennung der Frauen erfolgte dann als Anerkennung der weiblichen Reproduktionsarbeit, die – vom vorherigen patriarchalen System übernommen – durch die kapitalistische Proletarisierung abgewertet worden war, aber trotzdem gemacht werden musste. Die bürgerlichen Ideale der nicht arbeitenden Frau wurden übernommen, allerdings ohne die Möglichkeiten des Zurückgreifens auf Dienstbotinnen. Die Durchsetzung der Hausfrau erreichte ihr Ziel dann mit den steigenden Löhnen des Wirtschaftswunders, die einen Familienlohn erst möglich machten. Die Entstehung der Hausfrauen als Massenphänomen lief parallel mit der Einführung von Haushaltsgeräten (die allerdings die Arbeit für die Frauen nicht verringerten, vgl. Fischer-Kowalski 1980, S. 201), als Konsumgüter neben Autos und Unterhaltungselektronik.

Ging es vor dem Familiensystem nur um Gebote und Verbote, einer Regelung von außen, so blieben diese Gebote zwar weitgehend aufrecht, sie wurden aber durch die Diskurse über Sex und Gender ergänzt. [9] ExpertInnen mischten und mischen sich über Zeitschriften und populärwissenschaftliche Literatur in das Leben der Familien ein. Dort besteht die Vorstellung der Regulation der Begehren. Das wirkt sich aber widersprüchlich aus, (vgl. die Kinsey-Reporte, die in den 1940ern und 1950ern in den USA erschienen), und trägt auch den Keim der sexuellen Revolte in sich. [10]

Die zweite Frauenbewegung setzte dann genau am Sex / Geschlecht an, nach Foucault (1983, S. 140) das Scharnier zwischen Disziplinierung und Biopolitik. [11] Wurden in einer ersten Phase Symptome der männlichen Macht wie mangelnde politische Repräsentation, Ungleichheit in Gesetzen, in der Arbeit, oder die biopolitische Kontrolle über die weiblichen Körper in Zusammenhang mit der Abtreibung thematisiert, so radikalisierte sich der Feminismus an der Frage des Sexes. Das ganze System, etwa die „natürliche“ Begründung der Geschlechter, wurde in Frage gestellt,. Die biopolitische Funktion der Sexualität geriet ins Zentrum der Kritik, zugleich das panoptische Disziplinierungsverhältnis des männlichen Blickes. War die Flucht aus der Familie vorher nur das Ziel „radikaler Minderheiten“ (die etwa über Kommunemodelle diskutierten), so wurde durch den Feminismus das Familiensystem insgesamt in Frage gestellt.

Das Patriarchat nach dem Familiensystem

Als die Familie in den 1960ern und besonders in den 1970ern massiv angegriffen wurde, erschien sie als relativ stabil. Inzwischen hat der Zerfall auf unspektakuläre Weise stattgefunden. Die Scheidungsraten stiegen, die Menschen heiraten später, insgesamt werden weniger Kinder geboren. Ein lebenslanges Zusammenbleiben wird nicht mehr automatisch angenommen, es wird von LebensabschnittspartnerInnen und von Patchworkfamilien gesprochen. Homosexualität und andere Begehrens- und Lebensformen werden inzwischen akzeptiert, teilweise als Bereicherung der Lebenswelt gesehen (vgl. die Regenbogenparaden oder den Life Ball, auch dass es kein Problem mehr ist, wenn sich Prominente als homosexuell outen).

Die Unterwerfung unter den Kapitalismus ereignete sich sukzessive. Im frühen Kapitalismus wurde nur die Arbeitskraft ausgebeutet, mit geschlechtlicher Arbeitsteilung. Die Aufteilung der Arbeit innerhalb der Familie (Reproduktion) und außerhalb wurde durch den unterschiedlichen (Luxus)Konsum im Fordismus ergänzt. Mit der Unterwerfung aller Lebensäußerungen, einschließlich der Vielfalt des Begehrens gibt es kein außerhalb des Kapitalismus mehr. Alle bisherigen Formen verstärkten das duale Geschlechtersystem und die heterosexuelle Matrix, so auch der „postfordistische“ Kapitalismus mit dem Familiensystem. Die Vielfalt allein hat offensichtlich die patriachale Struktur, die heterosexuelle Matrix noch nicht beseitigt. Teilweise scheint es so, dass in der Werbung, bei den Sekretärinnen, den Dienstleisterinnen, auf der Straße die Produktion weiblicher Körper noch mehr dominiert als früher.

Aber auch das ist ambivalent und Ansatz für neue Widersprüche. In früheren Formen des Kapitalismus, etwa in der normierten Form des Fordismus, wurde (Hetero)sexualität als etwas außerhalb des kapitalistischen Ausbeutungsverhältnis befindliches, als Natürliches gesehen. Darum konnten ProtagonistInnen der „sexuellen Revolution“ meinen, Sexualität sei automatisch gegen das herrschende System gerichtet und nicht integrierbar. Im nachfordistischen Kapitalismus ist nicht nur die Heterosexualität, sondern die Vielfalt des Begehrens der Verwertung unterworfen, damit aber auch sichtbar, im Diskurs vorhanden. Nicht umsonst wagten es Transgenderpersonen in Österreich erst im letzten Jahrzehnt zu ihren Wünschen in Bezug auf Geschlechtlichkeit zu stehen (ermutigt durch die Lesben- und Schwulenbewegung). Mit der Sichtbarkeit der verschiedenen Variationen außerhalb der „normalen“ Sexualität wird endlich auch die Produktion der Körper, die „Natur“ des Geschlechts in Frage gestellt.

Literatur:

  • Atzert, Thomas (Hg) (1998): Umherschweifende Produzenten. Immaterielle Arbeit und Subversion. Berlin: ID-Verlag.
  • Badinter, Elisabeth (1984): Die Mutterliebe. Geschichte eines Gefühls vom 17. Jahrhundert bis heute. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.
  • Bennholdt-Thomsen, Veronika, Mies, Maria, Werlhof, Claudia (1983): Frauen, die letzte Kolonie. Hamburg: Rowohlt.
  • Butler Judith (1991): Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Butler Judith (1997): Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Dalla Costa, Mariarosa (1978): Die Frauen und der Umsturz der Gesellschaft. In: Dalla Costa, Mariarosa / James, Selma: Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft. Berlin: Merve.
  • Fischer-Kowalski, Marina (1980): Soziale Distribution von Zeit und ihre Inhalte. In: Fischer-Kowalski / Bucek (Hg): Lebensverhältnisse in Österreich, S. 190-212.
  • Fischer-Kowalski, Marina / Bucek, Josef (1980) (Hg): Lebensverhältnisse in Österreich. Klassen und Schichten im Sozialstaat. Frankfurt am Main, New York: Campus.
  • Foltin, Robert (2004): Und wir bewegen uns doch. Soziale Bewegungen in Österreich. Wien: edition grundrisse.
  • Foucault, Michel (1977): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Foucault, Michel (1983): Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Geiger, Brigitte / Hacker, Hanna (1989): Donauwalzer, Damenwahl. Frauenbewegte Zusammenhänge in Österreich. Wien: Promedia.
  • Haraway, Donna (1995): Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt / New York: Campus.
  • Klein, Naomi (2001): No Logo! Der Kampf der Global Players um Marktmacht. Ein Spiel mit vielen Verlierern und wenigen Gewinnern. Bertelsmann.
  • Lazzarato, Maurizio (1998): Verwertung und Kommunikation. Der Zyklus immaterieller Produktion. In: Atzert (Hg): Umherschweifende Produzenten, S. 53-66.
  • Negri, Antonio / Hardt, Michael (1997): Die Arbeit des Dionysos. Berlin: Edition ID-Archiv.
  • Lüscher, Rudolf M. (1988): Henry und das Krümelmonster. Versuch über den fordistischen Sozialcharakter. Tübingen: Konkursbuchverlag.
  • Marazzi, Christian (1998): Der Stammplatz der Socken. Die linguistische Wende der Ökonomie und ihre Auswirkungen in der Politik. Zürich: Seismo.
  • Prost, Antoine / Vincent, Gérard (Hg) (1999): Geschichte des privaten Lebens. 5. Band: Vom Ersten Weltkrieg zur Gegenwart. Augsburg: Bechtermünz.
  • Trumann, Andrea (2002): Feministische Theorie. Frauenbewegung und weibliche Subjektbildung im Spätkapitalismus. Stuttgart: Schmetterling.
  • Tyler May, Elaine (1999): Mythen und Realitäten der amerikanischen Familie. In: Prost / Vincent (Hg): Geschichte des privaten Lebens. 5. Band, S. 556-602.

[1Die revolutionäre Dynamik hat sich offensichtlich in die antikolonialen Kämpfe des Trikont verlagert. Überhaupt betrifft die Analyse von Fordismus und Familiensystem die Staaten des Westens (Nordamerika und Europa), selbst Japan scheint eine andere patriarchale Tradition zu haben.

[2Die reelle Subsumtion der Arbeitskraft unter das Kapital wird bei Marx als Proletarisierung und totale Entfremdung gesehen. So wurde die Diskussion um die TechnikerInnen in der Diskussion als teilweise Rücknahme der reellen Subsumtion in die formelle Subsumtion gesehen. Negri / Hardt (1997) verstehen unter reeller Subsumtion die Organisation von lebendiger Arbeit und Leben durch den Kapitalismus, was nicht zwangsläufig Entfremdung bedeutet, sondern die Reduktion des Kapitals auf ein leeres Kommando der Verwertung.

[3Nicht umsonst das sexistische Bild der mit dem Nudelwalker daheim wartenden Frau.

[4Das Panoptikon wird von Foucault (1977, S. 256ff) als Diagramm („Modell“) für die Disziplinargesellschaft vorgeschlagen. Es ist ein von Jeremy Bentham beschriebenes vielfältig verwendbares Gebäude mit einem Überwachungsturm in der Mitte und den Zellen der KlientInnen an der Peripherie, immer einsehbar. Vergleichbar ist das mit der Geschlechterordnung, Männer sind die unkörperlichen Betrachter, Frauen die sichtbaren Körperlichkeiten, durch Kleidung, Schmuck, Mode geformt, diszipliniert.

[5Ich wurde gefagt, was der Vorteil des Begriffes „heterosexuelle Matrix“sei, warum nicht einfach nur von geschlechtlicher Arbeitsteilung die Rede ist. Es ist allerdings so, dass unser Leben und unser Arbeitsalltag durch unser – hauptsächlich heterosexuelles – Begehren geprägt ist, durch die Unterwerfung unter den Kapitalismus die gesamte produktive Aktivität. Dadurch wird die Arbeit am Körper erfasst, die eben eine andere für Frauen und Männer ist, zugleich ist es dadurch auch das, was die Macht eines Geschlechtes über das andere mit der Produktion verbindet. Ein weiterer Einwand, dass homosexuelle Paare ja heterosexuelle Strukturen kopieren, widerspricht dieser nicht, sondern bestätigt die Dominanz der heterosexuellen Matrix, die eben nicht spezifisch mit dem sexuellen Akt verbunden ist, sondern die ganze Gesellschaft durchzieht.

[6Wie Christian Marazzi in „Der Stammplatz der Socken“ darstellt, geht das bis in die unterschiedlichen Ansprüche an Sauberkeit. Selbst wenn die Hausarbeit von Männern geleistet wird, sind die Ansprüche anders. So bügeln die meisten Frauen, wenn keine PartnerIn zur Verfügung steht, aber nur 44% der Männer. Das hat damit zu tun, dass die Kleidung das Werkzeug der Frau in der Gesellschaft ist (Marazzi 1998, S. 63).

[7Bezeichnenderweise sind dort, wo es um persönliche Anerkennung geht, wieder Männer am Werk: die großen Schneider und die großen Köche

[8Es ist aber nicht zufällig, dass in der Pornographie das gesellschaftliche Machtverhältnis in direkten Konnex mit dem Sex gebracht wird (Lehrer – Schülerin, Chef – Sekretärin, Arzt – Krankenschwester etc sind etwa solche Rollen).

[9Das ist im Widerspruch zu Foucault (1983), der eine ungebrochene Linie des Diskurses über Sexualität sieht.

[10Die aber ihre kulturelle Ausdrucksform im Rock’n’Roll fand, nicht in den relativ langweiligen sexuellen Eheberatungsdiskursen.

[11Der Biopolitik geht es um die Kontrolle der Bevölkerungen: Geburtenrate, Lebensdauer, öffentliche Gesundheit, Wanderung und Siedlung (Foucault 1983, S: 137ff).

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