Gender Wars*
Obgleich es amüsant ist zu sehen, wie sich die Hierarchie der katholischen Kirche durch feministische Theorie hindurchquält, darf man dabei deren Strategie nicht übersehen, nämlich wie versucht wird, den Feminismus zu verteufeln, indem er in die Nähe des Kommunismus gerückt wird. Die Umstände, unter denen in den letzten Monaten in verschiedenen Staaten Lateinamerikas eine Debatte über gender ausbrach, belegen, daß die Sorge um Terminologie nur eine Kampagne gegen Frauen- und Homosexuellenrechte verschleiern soll.
Sozial konstruierte Differenz zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen
Seit 1960 bedeutet der Ausdruck gender im Feminismus die sozial konstruierte Differenz zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen. Diese Definition von gender wird in Lateinamerika von Kreisen, die der Kirche nahestehen, für einen gefährlichen Versuch gehalten, die natürlichen Beziehungen von Ehe und Fortpflanzung zu unterminieren. Würde man, solchen Kritikern des gender-Begriffs zufolge, akzeptieren, daß Unterschiede zwischen Mann und Frau sozial konstruiert sind und daher veränderbar, wäre damit die Straße geöffnet, die zur Legalisierung der Abtreibung, der Akzeptanz von Homosexualität, der Anerkennung von „irregulären“ Familien, und dem Zusammenbruch der Familienwerte führt.
Daß die Kirche in dieser Frage so heikel ist, muß als Reaktion auf die wachsende Zahl von Frauengruppen und den Einfluß des Feminismus verstanden werden. Vor zwanzig Jahren gab es in Lateinamerika gerade eine Handvoll feministischer Organisationen, heute definieren sich hunderte Frauenorganisationen als „feministisch“. Frauen wurden auch zu wichtigen Akteuren der sozialen Basisbewegungen. Während es zwischen diesen beiden Gruppierungen Unterschiede gibt, bestehen Bestrebungen, diese Differenzen zu überwinden. Bei einigen Sektoren der Basisbewegungen herrscht bereits große Aufgeschlossenheit gegenüber feministischen politischen Zielen, miteingeschlossen die Fortpflanzungsrechte. Die Kirche ist von diesem Trend alarmiert. Indem sie das Wort gender ebenso in Frage stellt wie jegliche alternative Definition von Familie, hofft sie, den Feminismus an seinen Wurzeln zu treffen.
Dabei scheint es, daß die katholische Kirche mit ihren Positionen unter Realitätsverlust leidet. So tritt sie unverändert gegen Geburtenkontrolle auf, obwohl die meisten Frauen Lateinamerikas irgendeine Form von Empfängnisverhütung befürworten. Eine Umfrage in Peru ergab, daß 95 Prozent der Bevölkerung an Gott glauben und 80 Prozent der Verwendung von Verhütungsmittel zustimmen. Zugleich hält die Kirche Abtreibung für eine schwere Sünde, trotzdem ist sie weitverbreitet, zumal Verhütungsmitteln kaum erhältlich sind. Jede zweite Schwangerschaft in Mexiko und jede dritte in Peru endet mit einer Abtreibung, die heimlich unter entsprechend schlechten medizinischen Bedingungen durchgeführt werden muß. 75 Prozent aller schwangerschaftsbezogenen Todesfälle in Kolumbien sind die Folge verpfuschter Abtreibungen.
„Familie“ ist die zweite heikle Frage, nicht nur wegen homosexueller und lesbischer Haushalte, sondern weil das kirchliche Ideal des verheirateten Ehepaars als tragende Säule der Gesellschaft für viele lateinamerikanische Frauen völlig unrealistisch ist. Gerade in den ärmsten Sektoren sind Frauen meist Alleinerzieherinnen. 40 Prozent aller Familien in Chile werden von einer unverheirateten Frau geleitet.
Vatikan diskreditiert Feminismus
Statt diese Realitäten zu erkennen, bemüht sich der Vatikan, den Feminismus zu diskreditieren. Dazu benützt die Kirche zeitgeistige Rhetorik in der der Feminismus mit Imperialismus gleichgesetzt wird. Die argentinische Bischofskonferenz erklärte vor kurzem, daß Abtreibung eine Form von „modernem biologischem Kolonialismus sei, die von mächtigen Nationen betrieben werde, die ihre Entscheidungen den schwächeren Völkern aufzwängen, welche ihre eigene Stimme nicht geltend machen könnten“. Die Gläubigen werden aufgerufen, sich gegen diesen „Kolonialismus“ zu wehren. Das Argument, daß der Norden seine Bevölkerungspolitik dem Süden aufzwingt, ist natürlich nicht falsch. Die Kirche versucht damit aber, sich den Menschen als alleinige Alternative darzustellen, wohl wissend, daß die Menschen des Südens ihre eigenen Vorstellungen von Bevölkerungspolitik haben, welche die Kirche mit dieser Taktik erst recht verhindern will. Die Kirche verdreht auch bewußt, daß für die lateinamerikanischen Frauen Abtreibung kein anzustrebender Wert, sondern bloß verzweifelte Abhilfe ist.
Gerade weil die kirchliche Position so unflexibel ist — weder Abtreibung noch Verhütungsmittel toleriert und so wenig realitätsbezogen ist, muß die Kirche um die Frauen mit anderen Mitteln buhlen. In einem Täuschungsmanöver unmittelbar vor der vierten Weltfrauenkonferenz in Peking richtete Papst Johannes Paul II einen „Brief an die Frauen“, in dem er ihnen für deren Hingabe dankte, und ihre Sendung als Mütter, Gattinnen, Töchter, Arbeiterinnen und Nonnen lobte.
In diesem Brief schrieb der Papst, daß er erkenne, wie oft Frauen marginalisiert worden seien, oftmals sogar zu Sklaven gemacht worden seien, und er drückt sein Bedauern aus, daß gewisse „Söhne der Kirche“ bei dieser Unterdrückung mitgeholfen haben. Er lehnt es aber ab, die Gründe dafür näher zu untersuchen, denn „es wäre nicht leicht, präzise Verantwortung dafür festzustellen angesichts der Stärke kultureller Stratifizierung, die über all die Jahrhunderte die Mentalität der Menschen geformt hat“. Was der Papst offenbar nicht wahrnimmt ist, daß er das Wort gender braucht, um diese kulturelle Stratifizierung zu erklären, die für jene Ungleichheit verantwortlich ist, die er selbst als Hindernis dafür bezeichnet, daß Frauen am sozialen, politischen und ökonomischen Leben nicht voll teilnehmen können.
Vatikan gegen Fortpflanzungsrechte
Es sind gerade die Weltkonferenzen, die die UNO organisiert, in denen der Vatikan besonders aktiv gegen Feminismus und Fortpflanzungsrechte Stimmung macht. Der Vatikan hat bei der UNO Beobachterstatus und kann daher an solchen Konferenzen teilnehmen, was keine andere religiöse Gruppe kann. Cecilia Olivares von GIRE (Informationsgruppe für die freie Wahl) in Mexiko, faßt es zusammen: „Obwohl im Vatikanstaat weder Frauen noch Kinder leben, und seine Bewohner kein Geschlecht haben und sich nicht vermehren, da sie den Zölibat geschworen haben, behindert der Vatikan, noch dazu als ein Staat, der nur Beobachterstatus hat, dringende Entscheidungen anderer souveräner Staaten über Sexualität und Fortpflanzung“. In der Planungsphase zur Umwelt- und Entwicklungskonferenz von Rio de Janeiro 1992, der Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung in Kairo 1994, und der vierten Weltfrauenkonferenz in Peking 1995, mischte sich der Vatikan massiv bei allen Fragen ein, die Familie, Ehe, Scheidung und Gesundheit im Zusammenhang mit Fortpflanzung betreffen. So übte die Kirche Druck auf lateinamerikanische Regierungen aus, damit sie nur Abtreibungsgegener als Delegierte nach Kairo senden. Sogar der argentinische Präsident Carlos Menem konnte für die Sache gewonnen werden; Menem versuchte am Treffen der lateinamerikanischen Staatschefs, das kurz vor der Konferenz in Kairo in Cartagena stattfand, eine gemeinsame Erklärung durchzudrücken, in der die Heiligkeit des Lebens vom Moment der Empfängnis an bestätigt wird. In Kairo selbst verband sich der Vatikan mit den islamischen Fundamentalisten, um Dokumente, die sich für Fortpflanzungsrechte aussprachen, zu Fall zu bringen. Als es nicht gelang, gewisse Passagen ganz zu streichen, erreichte der Vatikan immerhin, daß einzelne ungeliebte Phrasen wenigstens unter Gänsefüßchen kamen, zum Beispiel „Familiengruppe“ und „gender“.
Ideologischer Krieg gegen gender
Da die Kirche wegen ihres unsensiblen Verhaltens in Kairo herbe Kritik einstecken mußte, änderte sie ihre Strategie bei der Vorbereitung der Peking-Konferenz, wo sie dem Konzept des gender den ideologischen Krieg erklärte. Einer der Kriegsschauplätze war die „Draft Platform for Action“, ein Vorbereitungsdokument für Peking. Es handelt sich hier um ein äußerst komplexes Dokument, das sich mit einer Vielzahl von Frauenfragen beschäftigt, von Bevölkerungswachstum über die Feminisierung der Armut bis zur Gewalt gegen Frauen. Ein Einwand, den der Sprecher des Vatikans, Joaquin Navarro-Vals, erhob, war, daß das Wort gender öfter im Dokument vorkam als das Wort Mutter. Der Erzbischof von Tegucigalpa, Oscar Rodriguez, der zugleich Präsident der lateinamerikanischen Bischofskonferenz ist, behauptete, „das Ziel der PekingKonferenz sei es, fünf Typen von gender zu etablieren: männlich, weiblich, lesbisch, homosexuell und transsexuell“. Im genannten Vorbereitungsdokument findet sich kein Hinweis für diese Behauptung, vielmehr heißt es: „Es wird noch immer nicht anerkannt, daß die Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Errungenschaften und Tätigkeiten Konsequenz der sozial konstruierten gender-Rollen sind, und nicht unverrückbare biologische Unterschiede.“ Das natürlich war genau jene Definition von gender, die der Vatikan so besonders besorgniserregend fand.
gender brandmarken
Die Nachricht, daß das Wort gender inakzeptabel sei, machte in lateinamerikanischen Diskussionen schnell die Runde, noch bevor die Peking-Konferenz überhaupt begonnen hatte. In Chile versuchte Josefina Bilbao, die als Frauenministerin das offizielle Regierungsdokument für Peking präsentierte, in einem Interview mit »Politica y Sociedad« die Wogen zu glätten: sie definierte gender mit Hinweis auf das Wörterbuch der Royal Academy als „eine Gruppe von Lebewesen, die eine oder mehrere Eigenschaften gemeinsam haben“. In den späteren Diskussionen im Senat versuchte sie das Thema gender ganz zu umgehen und konzentrierte sich auf Armut, Erziehung, politische Partizipation, so wie sie es dann auch in Peking tat. Eine Gruppe konservativer Senatoren aber griff ihr Positionspapier an, indem sie den Gebrauch des Wortes gender brandmarkte. Die Senatoren beschwerten sich, daß „viele Leute das Wort ohne weitere Erläuterungen benützen und behaupten, daß männlich und weiblich bloße kulturelle und soziologische Konstruktionen seien, und nicht biologische Bedingungen, die die Psychologie von Mann und Frau bestimmen. Gemäß der Vorstellung von gender hätten die Geschlechtsunterschiede keinen natürlichen Ursprung, eine Ansicht, die Konsequenzen für das Individuum, für die Familie und für die Gesellschaft hat.“ Solche „unklaren Ideen“ wurden für inakzeptabel erklärt.
Essentielle Werte der tradition
Das von den Senatoren entworfene Alternativpapier, das zuletzt in der Abstimmung unterlag, illustriert, worum es beim Kampf um das Wort gender geht. Dort steht, daß jeder Chilene die konstitutionelle Pflicht habe, die „essentiellen Werte der chilenischen Tradition“ zu bewahren. Sie behaupteten, die Tradition gegen „werte-orientierten Totalitarismus“ (ein gängiges Codewort für Feminismus) zu verteidigen, der allerlei unnatürliche Praktiken erlauben würde. Familie sei ausschließlich die stabile Verbindung von Mann und Frau innerhalb der Ehe; jegliche Formulierung, die diese Familie bedrohe oder zulasse, daß auch Personen des gleichen Geschlechts eine Familie sein könnten, sei inakzeptabel. Senator Hernan Larrain Fernandez erinnerte Bilbao, daß sie selbst erklärt hatte, daß homosexuelle Familien nicht „Teil der chilenischen Realität“ seien. Larrain behauptete auch, daß Fortpflanzungsrechte eine Position darstellen, in der es um „einen rein animalischen Kontext gehe, um eine Dehumanisierung des Konzepts von Sex, und daß sie eine Hintertür zugunsten der Abtreibung wären“. Solche Rechte wären „höchst unangenehm und gefährlich“. Seine Argumente legen die Grundlage für einen möglichen Ausschluß von Homosexuellen und Lesben von der Staatsbürgerschaft und für die Kriminalisierung der Abtreibung.
Geburtenregelung
Die katholische Kirche legte es sich aber auch mit den multinationalen Kreditinstitutionen an, wegen deren Programmen zur Bevölkerungskontrolle. Weltbank und Interamerikanische Entwicklungsbank sehen darin einen Weg, die Armut zu reduzieren und es Frauen zu erleichtern, sich in den bezahlten Arbeitsmarkt zu integrieren. Die lateinamerikanischen Regierungen werden zwischen diesen Fronten aufgerieben: einerseits deren Befehl zu „modernisieren“ und andererseits die Opposition der Kirche und anderer konservativer Kreise zur Frage der Geburtenregelung und Abtreibung. Peru ist ein Beispiel für die Schwierigkeiten, mit denen neoliberale Regierungen konfrontiert sind. Am 28. Juli 1995 scherte Präsident Fujimori unerwartet aus der Haltung aller anderen lateinamerikanischen Staaten zur Frage der Geburtenregelung aus, als er in einer Rede erklärte, daß der Staat den Zugang zur Familienplanung für arme Familien erleichtern würde. „Wir waren immer und werden auch weiterhin eine pragmatische Regierung sein, die keine Tabus und heiligen Kühe kennt“, sagte er in einem spitzen Verweis auf die Kirche. „Peruanische Frauen müssen ihr eigenes Schicksal selbst in der Hand haben.“
Fujimori versuchte damit, sich bei den multinationalen Kreditinstitutionen beliebt zu machen. Weiters versprach er, daß bis zum Jahr 2000 die Armut halbiert sein würde, und daß 50 Prozent aller Sozialausgaben Frauen zugute kommen würden. Die Zeitschrift »Oiga« enthüllte daraufhin ein Regierungsdokument aus 1993, in dem das Ausmaß der Bevölkerungsexplosion detailliert beschrieben wird. So würden unter Anhalten der gegenwärtigen Wachstumsrate in 40 Jahren 8 Millionen Peruaner in absoluter Armut und Abhängigkeit leben und dem Staat zur Last fallen. Für diejenigen, die zu dieser Gruppe des „sozialen Überschusses“ gehören, empfahl das Regierungsdokument Zwangssterilisation durch Vasektomie bei Männern und Tubenligatur bei den Frauen. Es ist kaum überraschend, daß diese Sprache dazu führte, daß Fujimoris Programm zur Bevökerungskontrolle mit der „Endlösung“ der Nazis verglichen wurde. Die Kirchenführer brandmarkten den Vorschlag als „Verstümmelung“ der Männer und Frauen durch die Mächte der Finsternis.
Fujimori antwortete seinen Kritikern aus Peking, wo er sich selbst als „Bluejeans-Präsident“ beschrieb, der die zeitgemäßen Probleme kenne. Er kündigte ein „soziales Wunder“ an, das die Frauen von marginalem Überleben zur produktiven Entwicklung führen werde, und das aus seinem „ökonomischen Wunder“ resultieren würde. Diese Versprechen klingen allerdings sehr hohl angesichts der Tatsache, daß Fujimori viele Arbeiterrechte abgeschafft hat, darunter auch Gesundheits- und Sicherheitsbestimmungen für Frauen am Arbeitsplatz.
Kirche prolongiert gender-Debatte
Die Kirche Lateinamerikas setzt während dessen ihre Debatte über das Wort gender fort und attackiert jede Form von Fortpflanzungs- und Frauenrechten. Obwohl die Kirche da auf verlorenem Posten steht, hat ihre Kampagne tragischerweise die Diskussion der wirklichen Fragen verhindert. Die Konferenz von Peking mag in Wirklichkeit wenig ausgerichtet haben, aber
sie hat erreicht daß „Frauenfragen“ und die Menschenrechte für Frauen in der politischen Arena ein respektables Anliegen geworden sind. Multinationale Kreditinstitutionen und feministische Organisation unterstützen gemeinsam Programme zur sexuellen Aufklärung, wollen Verhütungsmittel für Frauen allgemein zugänglich machen und wollen Abtreibung entkriminalisieren. Es ist dabei jedoch klar, daß diese gemeinsamen Interessen auf gänzlich unterschiedlichen Absichten beruhen. Die lateinamerikanischen Feministinnen sehen darin vor allem eine Frage über das Recht von Frauen, ihr eigenes Leben zu kontrollieren. Weltbank und Interamerikanische Entwicklungsbank sind hingegen nur an Maßnahmen zur Bevölkerungskontrolle interessiert. Die durch illegale Abtreibungen bedrohte Gesundheit von Frauen spielt da kaum eine Rolle. Es sollte aber auch um Fragen der Bildung und Ausbildung von Frauen gehen, über deren Entwicklung und die Veränderung der Rollen in der Gesellschaft. Diese Debatten werden aber nicht geführt. Statt dessen kämpft man um das Wort gender.
*) Dieser Beitrag stammt aus: »NAC- LA-Report« 4/1996, (NACLA — Northamerican Congress on Latin America), er wurde aus dem Englischen von Martin POTSCHKA übersetzt.
