Risse, Risse 4
Mai
2003

Gewalt, Ironie und Ohnmacht: Bruce Nauman in Basel

Der mittlerweile 60-jährige amerikanische Künstler Bruce Nauman hat sich mit seinen zahlreichen Werken bei Kritikern und Publikum bereits so etabliert, dass er schon beinahe wieder klassisch genannt werden kann. Eine Ausstellung, die kürzlich in Basel zu sehen war, bietet Gelegenheit sich mit Nauman einmal etwas eingehender zu befassen.

«Get out of my room!», brüllte die Stimme Naumans die Museumsbesucher an, die sich in das kleine, ganz weisse Kämmerchen vorgewagt hatten, das vor einigen Jahren im Kunsthaus Zürich zu sehen war, «Get out of my mind! Get out of this room!». Noch radikaler wirkt Naumans aus Monitoren und Wandprojektionen bestehende raumfüllende Videoinstallation «Anthro/Socio». Schon von weit her ist ein aggressiver, lautstarker Sprechgesang zu hören. Tritt man in den Raum ein, so dringt von allen Seiten der sich immer im Kreis drehende Kopf eines kahlköpfigen Mannes auf den Betrachter ein, der ununterbrochen die Textzeilen brüllt: «Feed me/Eat me/Anthropology//Help me/Hurt me/Sociology//Feed me/Help me/Eat me/Hurt me».

Die beiden Werke sind typisch für Naumans vielfältiges Schaffen. Aggression und Gewalt werden direkt erfahrbar thematisiert, ja dem Betrachter wird alle Möglichkeit der distanzierten Betrachtung genommen, gleichzeitig wird ihm aber auch jede Nähe zum Kunstwerk, jeder Versuch eines kontemplativen Zugangs verweigert. Die Interaktion zwischen Betrachter und Werk, die vom kreisenden Kopf autoritär als gewalttätige zusätzlich gefordert wird, ist gerade wegen der völligen Distanzlosigkeit, mit der einem Naumans Bilder und Töne entgegenschlagen und die keine Pause gönnt, unmöglich. Das Werk bleibt hermetisch, schliesst sich ab und drängt sich doch in einer Direktheit auf, die sich für ein Kunstwerk eigentlich doch so überhaupt nicht ziemt. Die (Selbst-)Ironie, die das ganze Arrangement prägt, verhindert das Aufkommen von Pathos, erschwert aber die Konsumierbarkeit der Werke nur noch zusätzlich: die Stimme, die einen da verjagt hat, der kreisende brüllende Kopf prägen sich ein, verfolgen einen; man weiss nicht, soll man sich aufregen, soll man lachen, das Ganze hinterlässt doch ein Gefühl der Befremdung, über das man nicht recht hinauskommen will.

«mapping the studio»

Dass Naumans Schaffen aber – zumindest oberflächlich gesehen – auch ganz andere Wege beschreiten kann, konnte man an der Ausstellung «Mapping the Studio» im Basler Museum für Gegenwartskunst sehen.

Gerade das namengebende Hauptwerk dieser Ausstellung scheint den ersten Eindrücken nach einen deutlichen Kontrast zu Naumans lauten, aufdringlichen, verstörenden Werken zu bilden. Sechs nächtliche Stunden lang hat der Künstler einige Ecken und Winkel seines Ateliers von mehreren Videokameras überwachen lassen. Die Ergebnisse sind von sieben Projektoren auf die Wände eines grossen Raumes projiziert in voller Länge zu sehen. Wir sehen allerlei herumstehende Utensilien, Abfälle, Materialien, so wie sie der Künstler am Abend zuvor eben zurückgelassen hat. Bewegung geschieht in den statischen Bildern einzig durch die ab und zu durch das Bild huschenden Mäuse und die umherschwirrenden Motten. Die rauschende Lautlosigkeit wird nur selten von einem leisen Hundegekläff durchbrochen. Ansonsten herrscht Stille und Bewegungslosigkeit. Doch gerade in der Ruhe und Ereignislosigkeit dieser asketischen Aufnahmen liegt etwas Bedrohliches und Beängstigendes. Was geschieht mit unserer vertrauten Welt, während wir schlafen? Und die Antwort, dass eben nichts geschieht, ausser dass Mäuse und Insekten ungestört von ihr Besitz ergreifen, ist nicht unbedingt beruhigend. Das sanfte Flimmern des Videobildes scheint bei längerer Betrachtung überdies zu einer Eigenschaft des gezeigten Raumes zu werden und gibt diesem so zusätzlich die gespenstische Atmosphäre der atmenden Stille. Indem so aber durch die Verschmelzung von Gegenstand und Aufnahmetechnik letztere mit in das Erscheinungsbild des Werks hineingezogen wird, ist die Vergewisserung, ob in unserer Abwesenheit wirklich alles beim Alten bleibt, nochmals in Frage gestellt. Was, wenn die Kamera, die als Stellvertreterin unseres Auges eingesetzt ist, nun auch noch aus ginge?

Am Rande des Banalen

Die anderen in Basel gezeigten Werke umfassen beinahe alle Schaffensperioden von Bruce Nauman. Neben älteren Videos, die ebenfalls die Ereignislosigkeit im Atelier zum Thema haben und damit aus der Not des Künstlers, der nicht mehr weiss, was er anfangen soll, eine Tugend zu machen versuchen, sind allerlei Zeichnungen, Neonröhreninstallationen, Skulpturen aus verschiedenen Materialien und einiges mehr zu sehen. Explizite Darstellungen von Gewalt und Repression («Shadow puppets and instructed mime» 1990), von Sexualität und Tod («Sex and death by murder and suicide» 1985) werden immer wieder von einer die Kunstproduktion und das Verhältnis zwischen Künstler, Kunstwerk und Betrachter reflektierenden Ironie durchbrochen. Naumans Wirken scheint nie zu verharren; pausen- und atemlos unternimmt er immer wieder neue Anläufe, zu einem Ausdruck zu gelangen, der sich dann doch immer wieder als ohnmächtig erweist. Darin ist sein Werk so vielfältig und breit, wie kaum ein anderes. Gerade das kann natürlich auch skeptisch machen. Allzu leicht scheint zuweilen der Wechsel von einem Medium zum anderen, von Materialien, Formen und Herangehensweisen zu gelingen. Allzu einfach auch kommt die Aussage einiger seiner Werke daher. Als Beispiel kann hier das 1968 entstandene Werk «Concrete Tape recorder Piece», in welchem Nauman einen auf Tonband aufgenommenen Schrei in einen Betonklotz eingemauert hat, dienen. Das Problem, das Nauman so darstellt, der stumme Schrei, der nach Mitteilung drängt, aber ungehört bleibt, ist eine Grundplobematik von Kunst, die sich immer zwischen Ausdruck und Ohnmacht bewegt. Trotzdem ist aber die einfache Illustration dieser Wahrheit, wie Nauman sie unternimmt, auch ziemlich banal. Und gerade das bleibt das Problem von vielen seiner Werke. Gut sind sie gerade dort, wo sie eben mehr sind, als die blosse Illustration einer formulierbaren Idee. Den Verdacht der Banalität können sie ansonsten nicht ganz ablegen.

Der Drang nach Ausdruck

Der rote Faden, der das ganze Werk Naumans durchzieht und es zusammenhält, sind die beiden grundlegenden Themen der Gewalt und der (Selbst-)Reflexion der Kunstproduktion und ihrer Bedingungen. Ihre konsequente Bearbeitung vermag seine Werke immer wieder der Beliebigkeit zu entreissen. Ständig drängt etwas in ihnen nach Ausdruck, nach Mitteilung, nach Interaktion mit dem Betrachter und scheitert dabei immer wieder ohnmächtig an den Bedingungen von Kunst. In diesem Scheitern liegt aber vielleicht gerade das, worüber auch alle Ironie nicht zu trösten vermag, was aber den Werken Naumans ihren Gehalt verleiht: die verzweifelte Hoffnung, es könnte auch anders sein, die sich immer wieder in neuen Anläufen Gehör zu verschaffen versucht, dabei von neuer Ohnmacht überwunden wird und doch wieder und immer wieder gegen diese ankämpft.

Naumans Kunst wirkt dort, wo sie den ursprünglichen Ideen des Autors entgleitet, wo das Kunstwerk eine eigene Dynamik, eine innere Notwendigkeit auszuspielen beginnt, die über die Autorintention hinausweist. Ohne es vielleicht so zu wollen, zeigt Nauman damit auch, dass Konzeptkunst letztlich nur dort funktionieren kann, wo Werke entstehen, die die Konzeptualität ihrer Konzeption zu übersteigen vermögen. Die Aura des Hier und Jetzt, deren Verfall Walter Benjamin für alle moderne Kunst prophezeit und gefordert hat, erweist sich so als wohl doch hartnäckiger und für Kunst überhaupt wesentlicher als es Benjamin dachte und es die Konzeptkünstler meinen.

Bruce Nauman: Mapping the Studio. Werke der Emanuel Hoffmann-Stiftung, der Öffentlichen Kunstsammlung Basel und eine neue Videoinstallation, Katalog zur Ausstellung im Museum für Gegenwartskunst Basel; Öffentliche Kunstsammlung Basel 2002 (32 SFr.)

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