MOZ, Nummer 46
November
1989

Gleichheit und Differenz

Der 5. Oktober 1789 ist als „Tag der Weiber“ in die Geschichte der Französischen Revolution eingegangen. Zehntausende Pariserinnen marschierten nach Versailles, um vom König Brot und Menschenrechte zu fordern. Am 5. Oktober 1989 zogen an die zweitausend Frauen nach Frankfurt, um vier Tage lang über Freiheit und Gleichheit zu debattieren, die den Schwestern ob der Brüderlichkeit nun schon 200 Jahre vorenthalten werden.

Der rot-grüne Senat ließ sich nicht lumpen. 200 Jahre nachdem die Weiber von Paris sich in der Nationalversammlung ungebührlich breitgemacht hatten, durfte die feministische akademische Elite einen Abend lang höchst gebührlich die traditionsreiche Pauluskirche in Besitz nehmen, die in den Revolutionsjahren 1848/49 Sitz der Frankfurter Nationalversammlung war und heute ehrwürdigen Veranstaltungen als Tagungsstätte dient. In Versailles packten die Weiber in den Hallen der Herren ihr Jausenbrot aus, in Frankfurt standen den Damen nach dreistündigem Festprogramm dutzende Kellner und Kellnerinnen des Lufthansa-Partyservice mit Labung vom Feinsten zur Verfügung.

Die Selbstdarstelllung der Frauenbewegung ist bürgerlicher geworden, freie und gleiche Bürgerinnen sind die Frauen dennoch nicht. Ist die Frau ein Mensch? fragten die Frauen 1789 und fragen sie 1989 immer noch. Die französische Sprache antwortet ohne Umschweife: L’homme heißt beides — Mensch UND Mann. Ja, Frauen sind Menschen, aber irgendwie anders. Der wirkliche Mensch ist ein Mann. Die Französische Revolution ist für die Frauen eine Geschichte verlorener Hoffnungen, eine Geschichte ihrer schrittweisen Verdrängung aus den von ihnen aktiv miterkämpften bürgerlichen Grundrechten. Drei Jahre nach der „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ hatte Olympe de Gouges das Vertrauen in die Universalität der Egalität verloren. „Mann, bist du fähig, gerecht zu sein?“ begann sie ihre „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ — ein feministisches Manifest, entstanden aus der Einsicht, daß die sexuelle Differenz explizit benannt werden muß, wenn der Mensch nicht weiterhin Mann bleiben soll. Olympe de Gouges sprach von der Tyrannei des Mannes, der sie mit den Gesetzen von Natur und Vernunft begegnen wollte. Doch sie unterschätzte die emotionale Kontinuität des männlichen Herrschaftsanspruchs. Das angeblich so vernünftige Zeitalter der Aufklärung führte zur endgültigen Entmachtung der Frau. Olympe de Gouges war ein Skandal, denn ihre Priorität galt dem eigenen Geschlecht. Sie mußte guillotiniert werden.

Unter dem aufklärerischen Diktat von Vernunft und Empirie wurde die körperliche und sexuelle Differenz zwischen Männern und Frauen auf eine gesellschaftliche Dualität übertragen, die Frauen den immer noch wirksamen Part von Naturwesen auferlegte, zuständig für physische Reproduktion der Art und ästhetische Erbauung des Mannes. Je liberaler, also markt- und wettbewerbsorientierter die Gesellschaft, desto mehr benötigten die Männer im Hause eine festgefügte hierarchische Ordnung. Die beunruhigende Vereinzelung des männlichen Subjekts in der neuen Zeit suchte in der Frau ein Gefäß für Projektionen von verlorener Einheit und Geborgenheit.

Die Debatten der Frankfurter Konferenz standen im Zeichen der ungelösten Spannung zwischen Gleichheit und Differenz. Die feministische Theorie der Neuen Frauenbewegung hat sich aus dem Scheitern der am Modell Mann orientierten Gleichheit entwickelt. Denn unter den gegebenen patriarchalen Machtverhältnissen bedeutete Egalität für Frauen nicht Gleichwertigkeit in der Differenz, sondern Anpassung. Aber die Kritik an der Gleichberechtigung war stets gekoppelt an eine radikale Ablehnung der biologischen und sozialen Mann-Frau-Polarität. Die grüne und sozialdemokratische Frauenpolitik der letzten Jahre verleitet heute Teile der Frauenbewegung zu einer Sehnsucht nach weiblicher Differenz, die Gefahr läuft, althergebrachte Weiblichkeitsbilder unhinterfragt zu reproduzieren. Gleichheit und Differenz können beide zur Falle werden, können je nachdem fortschrittlich oder konservativ vereinnahmt werden.

Der Fehler, darüber waren sich die meisten Wissenschaftlerinnen aus den verschiedenen Disziplinen einig, liegt in der polarisierenden Fragestellung. Den Forderungen nach Gleichheit oder Differenz ist es nach Frigga Haug nicht von vomherein anzusehen, ob sie reformistisch oder revolutionär sind. Die Gleichheit als Anpassung und Unterordnung der ‚anderen‘ unter die Herrschenden ist nicht dasselbe wie das gleiche Recht der Frauen auf Freiheit UND Brot. Diese Forderung war für die bestehende Ordnung vor 200 Jahren in ihrer antipatriarchalen und antikapitalistischen Dimension ebenso bedrohlich, wie sie es heute ist, bedeutet sie nicht mehr und nicht weniger als den Umsturz der Gesellschaft. Wenn Frauen das Gleichheitsprinzip ernst nehmen und ihre Differenz massiv und unangepaßt in die Institutionen hineintragen, werden die am männlichen Lebenszusammenhang orientierten Organisationsformen drastisch verändert.

Ulrike Prokop sieht die Frauen und damit auch die Männer heute an einem Wendepunkt, vergleichbar mit der Zeit der Aufklärung. Die bürgerliche Familie löst sich auf, die Frauen werden als in sich zerrissene Einzelwesen in die Gesellschaft geschleudert, in der sie sich neu definieren müssen. Die Leidenschaft, mit der in Frankfurt gedacht, gelernt und debattiert wurde, scheint diese These zu bestätigen.

Mit dem Ertragen der Differenz in den eigenen Reihen hapert es allerdings noch. Mit einer Mischung aus Wut und Humor mußten sich die Vertreterinnen einer iranischen Frauengruppe ihre aktive Beteiligung erst erzwingen. Die frenetisch bekundete Solidarität wirkte aufgesetzt.

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