Gräber raus aus den Friedhöfen
„Marisella hat mir Pablo vorgestellt. Er darf aufbleiben, solange er will. Für ihn gibt es keine Sperrstunde! Pablo ist sehr lebendig und so klein. Am 25.2. wird er 2 Jahre.“ So beginnt dieser Briefroman, der die Briefe eines Erwachsenen an ein Kind beinhaltet. Diese Briefe sind zunächst eine Auseinandersetzung des Erwachsenen mit der eigenen Kindheit, den sogeahnten „Illusionen“, deren Verlust von der Seite der „Erwachsenendiktatur“ als „vernünftigwerden“ bezeichnet wird, mit gesellschaftlichen Zwängen und einem spielerisch-fröhlichen Infragestellen.
Die Briefe sprechen aber auch von der Verunsicherung des Erwachsenen, der sich plötzlich durch Kinderaugen beobachtet sieht: Wird der kritische Kinderblick ihn als „Scheißhäuslträger“ entlarven? Werden seine Belehrungen zu belehrend sein und er dadurch als (Be)Lehrer, also Besserwisser enttarnt? Ist er überhaupt ein „Besserwisser“?
Im Chinarestaurant wirft sich das Kind zu Boden, schreit: „Ich will Alles!“ Das erweckt Aufsehen, gehört aber immerhin zu den Erwartungen, die die Erwachsenen einem Kind entgegenbringen. Als sich aber der begleitende Erwachsene ebenfalls auf den Boden wirft, werden die Kellnerinnen ernst. Verständlich, sind doch Jobs im Gastgewerbe ohnehin schlecht bezahlt, und da mag es weder Spaß noch Sinn machen, an Interaktionen Kind-Erwachsener Interesse zu haben. Die Interaktion stellt dadurch den Mut zur spielerischen Überschreitung von Benimm-Dich-Regeln auf die Probe.
Die Briefe sind eine eindringliche Vermittlung der Weitsicht eines Künstlers. Der „Phantasiefreund“, wie sich der Briefschreiber mitunter nennt, ist Maler und steht den Ausweglosigkeiten und Zwängen im gesellschaftlichen und im Kunstbetrieb mit Ironie, aber auch mit Resignation gegenüber. Den Dichter Eibel-Erzberg, den er im Laufe seiner Geschichte kennenlernt, findet er jedenfalls „zu pessimistisch“.
Mir gefällt das Buch. Ich glaube, daß es Ein- und Ausblicke in und auf das Leben mit Kindern, die Vergangenheit und Unwiederholbarkeit der eigenen Kindheit und das Verständnis von Kindheit gibt.
Stephan Eibel-Erzberg: Gräber raus aus den Friedhöfen. Briefroman. Edition Splitter, 109 S., öS 340,—
