FORVM, No. 319/320
Juli
1980

Grün ist das schönste Gelb

Finish der K-Gruppen in der BRD

Ihr Erfolg brachte sie um. Die deutschen Maoisten wollten die Umweltschutzbewegung unterwandern und gruben sich dabei selbst das Wasser ab: die Roten, die Bunte werden wollten, wurden grün. Der Rest ist Sekte. M. S.

Aus der Geschichte Formeln lernen

In der Bundesrepublik ist die Kommunistische Partei Deutschlands seit 1956 illegal. Trotzdem, ganz legal führten noch vor kurzem fünf Organisationen das Prädikat „kommunistisch“ im Titel: KPD, KPD/ML, KBW, KB und die DKP. Ein Salat von Abkürzungen, die wie Talismane von den Eingeweihten gehütet werden. Hinter jeder dieser Kombinationen von Lettern steht der eifersüchtige und pathetische Anspruch auf ein historisches Erbe. Wer das Kürzel „KPD“ liest, muß erst aus dem Zusammenhang erraten. ob damit die Partei von Ernst Aust, die von Christian Semler oder eben diejenige KPD gemeint ist, die 1956 verboten wurde. In Wahrheit geht lediglich die Geschichte der DKP auf Liebknecht, Luxemburg und die Dritte Internationale zurück.

Die übrigen Gruppierungen — die sogenannten K-Gruppen — haben außerhalb Europas ihren moralischen Ursprung, im Fernen Osten: sie sind Nachwirkungen des Vietnamkrieges und der chinesischen Kulturrevolution. Wie plumper Etikettenschwindel mutet ihre Titulatur an: „Kommunistischer Bund“, „Kommunistische Partei" davon gibt es jeweils Stücker zwo. Insgesamt dürften die K-Gruppen zwischen 10.000 und 20.000 Anhänger gehabt haben. [1] Ihr Nimbus war stets größer als diese Zahl. Sie gerierten sich als Pioniere einer revolutionären Arbeiterpartei, die das Proletariat wieder zum Subjekt der Weltgeschichte macht.

Auf dem konstituierenden Parteitag der Grünen in Karlsruhe Jänner 1980 rief Rudolf Bahro den Neokommunisten zu, sie seien Symptome eben jener sozialen Krankheit, gegen die sie ankämpfen möchten. In heutiger Sicht erscheinen sie leicht als weltfremde und verbohrte Konventikel‚ die mit ihren anachronistischen Parolen Schaden anrichten. Zu Unrecht versinken sie so in den Orkus des Vergessenwerdens. Ihre Visionen sind die der Neuen Linken überhaupt gewesen, der die K-Gruppen in den siebziger Jahren den Stil der „proletarischen Disziplin“ und die Heilslehren des „Marxismus-Leninismus" aufgedrängt haben.

Das Jahr 1933 bezeichnet in diesem Weltbild die historische Zäsur. Kampf gegen den Faschismus — eine zentrale Parole — bringt automatisch die Neugeburt der Revolution mit sich. Ein Flutgraben, durch den der allzu lang eingedämmte Klassenkampf mit verdoppelter Gewalt strömt: darin haben die K-Gruppen ihre historische Mission gesehen. Diese Neokommunisten waren scharf darauf, waschechte Klassenkämpfer zu werden: Bolschewiki des Jahres 1917, Maos Soldaten auf dem Langen Marsch, zumindest griesgrämige Funktionäre Stalins. Innerhalb weniger Jahre spielten sie mit bestürzender Überzeugungskraft ein halbes Jahrhundert tragischer Geschichte der Arbeiterbewegung nach. Daß die Geschichte Lehrmeisterin der Menschheit ist, dieser Gemeinplatz wurde nie noch so ernst genommen. Fest entschlossen, auf das Reich der Zukunft energisch hinzuarbeiten, fesselten sie sich mit den Formen und Formeln der Vergangenheit. Wer unwiderruflich mit der bürgerlichen Gesellschaft bricht, so wurde argumentiert, der muß sich zur alternativen Tradition bekennen: und sei es die stalinistische.

Das Tätigkeitsfeld lag weitgehend im Imaginären. Mit dem Auftauchen der „Maoten“ feierten die historischen Symbole der kommunistischen Arbeiterbewegung, die Hülsen ihrer Theorie- und Organisationsgeschichte eine gespenstische Renaissance. Jede der Gruppen startete mit dem Anspruch, auf die Wurzeln zurückzugehen, den Werdegang der besiegten oder verratenen Revolution noch einmal von vorn anzufangen.

Vokabeln. Zeichen, Zitate — die K-Gruppen nährten sich von den Assoziationen, die der mit allen möglichen Bedeutungen geladene Ausdruck „Kommunismus“ im Publikum auslöst. Ohne das Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts gegen die alte KPD hätten sich die Gruppen anders genannt: „revolutionär“ vielleicht oder „proletarisch“, was ja auch gut klingt, aber weniger der Diskriminierung unterliegt. Die richtigen Kommunisten — die vom alten Schlag — sind vorsichtiger. Sie wählen bisweilen tarnende Bezeichnungen: „demokratisch“, „fortschrittlich“, „sozialistisch“. Nur die K-Gruppen bestehen darauf, unbedingt als „Kommunisten“ angesprochen zu werden.

Am Erfolg der eigenen Umweltbewegung gescheitert

Während das Zentralorgan der DKP den biederen Titel Unsere Zeitung trägt, heißen die Blätter der Neokommunisten unmißverständlich Rote Fahne oder Arbeiterkampf. Das Mißverständnis liegt natürlich in dieser Direktheit. Nicht zum erstenmal in der Geschichte der Linken wurde die Terminologie zur größten Sorge. Ein fanatischer Symbolismus, ein naiver und gutgemeinter Mißbrauch der Symbole, der die magische Macht der Sprache beweist und drastisch bestätigt, daß die Wörter wichtiger sind als die Sachen.

Wer aber legt heutzutage noch besonderen Wert darauf, „Kommunist“ zu heißen? Überdies ist der eine Kommunist für den anderen entweder „Chaot" oder „Revisionist”. 1977, im Sommer vor dem deutschen Herbst, schlug die CDU vor‚ die K-Gruppen amtlich zu verbieten. Ganz überflüssig! Drei Jahre später, am 9. März 1980, hat sich die KPD auf einem Parteitag im Ruhrgebiet mit Mehrheitsbeschluß freiwillig selbst aufgelöst.

Immerhin eine Organisation mit 5000 Mitgliedern und Aktivisten, die zahlenmäßig größte K-Gruppe, ihr Anführer Christian Semler ist ein bekannter Name aus der Zeit der außerparlamentarischen Opposition, Horst Mahler (Mitbegründer der RAF) war im Kerker zeitweise Mitglied. Die KPD löste sich mit dem Argument auf: „Unangemessenheit unserer Theorie und Praxis gegenüber der Wirklichkeit.“

Warum hat man das erst nach einem Jahrzehnt entdeckt? 1970, als die K-Gruppen ins Leben sprangen, war die Geburt der Revolution aus Lenin-Zitaten genauso unwahrscheinlich wie heute.

Was hat sich seither abgespielt? Sind die Avantgardisten des Proletariats das Opfer einer fürchterlichen Enttäuschung? Einer demoralisierenden Tendenzwende? Es sieht eher umgekehrt aus. Sie scheitern an den praktischen Resultaten ihrer Politik, an taktischen Erfolgen, von denen sie in eine andere als die programmierte Richtung gedrängt werden.

Im Zustand des Zerfalls scheinen sich gegenwärtig alle maoistischen Gruppen zu befinden. KB und KBW, die beiden „Kommunistischen Bünde“, erleiden umfangreiche Abspaltungen. die KPD/ML (für „marxistisoh-leninistisch“) ist eine „albanische“ Sekte, die unbeirrt an Enver Hodscha glaubt, in dem sie den würdigen ideologischen Thronfolger Maos erblickt. [2]

Derzeit scheint die Grüne Partei die Erbschaft der K-Gruppen anzutreten‚ ähnlich wie diese vor zehn Jahren die Protestbewegung aufgesogen haben. Nicht nur durch den Abfall von Aktivisten, sondern auch durch die Auflösung der moralischen Basis. Was sich auflöst, sind weniger die Organisationen, vielmehr das Dogma, auf dem sie fußen. Vom KBW, der wortradikalsten Gruppe, sind die „Komitees für Demokratie und Sozialismus“ abgefallen. Vom KB ist rund ein Viertel der Mitglieder zu den Grünen übergelaufen: die sogenannte „Gruppe Z“, ein Verband höherer Kader, der nunmehr dem Mutterverein scharfe Scharmützel liefert.

Die Ironie ist, daß gerade die K-Grüppler vor Jahren die grüne Wende eingeleitet haben und sich nun damit selbst das Grab schaufeln. 1976 und 1977 sind bei den militanten Demonstrationen in Brokdorf und Grohnde (um 100.000 Teilnehmer) KB, KBW und KPD führend dabeigewesen: Massenaktionen gegen den AKW-Bau und Bauplatzbesetzungen, die sich zum Kriegstheater der paramilitärischen Polizei (MEKS) ausweiteten.

Kampf & Krampf half der CDU

Es gab gravierende Folgen. Die schleswig-holsteinische Landesregierung unter Stoltenberg (CDU) kündigte den Staatsvertrag mit dem NDR, weil im Fernsehen die Schlachten um Brokdorf übertragen worden waren. Stoltenberg hatte das Schlachtfeld im Hubschrauber überflogen. Dank dieser Großkampftage mauserte sich der Komplex Atomstrom zu einem Kernthema der westdeutschen Politik.

Die K-Gruppen sind ihrem höchsten Ziel — dem „revolutionären Volkskrieg“ — damals nach am nächsten gekommen. Allerdings, sie marschierten in erster Linie gegen den bürgerlichen Staat und seine bewaffnete Macht, während sie das Atomkraftwerk an sich unter „sozialistischen Produktionsverhältnissen“ akzeptiert hätten. Ein feiner Unterschied, der auf die Dauer nicht zu halten war, weswegen die Luftschlösser des „Marxismus-Leninismus“ lautlos einstürzten. In der ökologischen Szene haben sich die Neokommunisten — anders als die DKP — fleißig engagiert.

Der KB beteiligte sich an der Bunten Liste Hamburg, die bei den Kommunalwahlen im Juni 1978 überraschende 3,5 Prozent erreichte: erstmals der Durchbruch einer ökologischen Kandidatur.

Erst danach trat Herbert Gruhl aus der CDU aus und gründete die „Grüne Aktion Zukunft“, den rechten Flügel der ökologischen Bewegung. Immer wieder bemühte si.ch der KB, in anderen Bundesländern den Hamburger Erfolg zu erneuern, was die Konkurrenten, bürgerliche und linke, auf den Plan gerufen hat.

Ohne den Konkurrenzkampf zwischen Gruhl und dem KB würden die Grünen schwerlich ihre jetzige Politik des Ausgleichs der Konservativen mit den Progressiven entwickelt haben. Die ökologische Thematik hätte auch eine Angelegenheit der Oberförster bleiben können. Lange genug schworen die bürgerlichen Umweltschützer: „Keine Homos, Knackis und Kommunisten!“

Um so grausamer der Undank, als die Grünen — inklusive ihrer marxistischen Fraktion — auf dem Gründungsparteitag in Karlsruhe die Maoisten im Stich ließen. Rudolf Bahro, der neue Wortführer der Linken, forderte die K-Gruppen auf, freiwillig von der Bühne zu verschwinden (die KPD folgte seinem Rat). Getrennt von der ökologischen Bewegung haben sie anscheinend kaum noch Chancen. Sie werden aus dem Zug rausgeschmissen, den sie in Gang gesetzt haben. Aber auch wenn aus der Grünen Partei nichts wird, sind die alten Organisationen dem Untergang geweiht.

Was fällt, das wird gestoßen. Der Zerfall der K-Gruppen hat interne Ursachen, die mit dem Anspruch zusammenhängen, den Kommunismus zu erneuern. Das Wort „Kommunismus“ enthielt ein grandioses Versprechen für die Zukunft. Tatsächlich brachte es das Unglück der Vergangenheit zurück. Sogar im Arbeiterkampf, dem Zentralorgan des KB, also der weitaus flexibelsten K-Gruppe, wurde in einer publizistischen Kontroverse über den spanischen Bürgerkrieg die Stalinsche Politik gegen anarchistische Kritiker verteidigt.

Ein Mitglied der Semlerschen KPD erzählt: „Ich kam angewidert vom Schulalltag an die Hochschule und hoffte auf die große Freiheit, suchte nach dem Sinn des Lebens ... Ich las Engels’ ’Ursprung der Familie’, las erste Sachen von Marx: das war verdammt einleuchtend. Ja, diese Gesellschaft muß verändert werden, und der Marxismus hat nachgewiesen, daß dies gesetzesmäßig so sein wird. Na klar, und organisieren muß man sich dann auch, nicht nur auch einleuchtend, sondern damals ein relativ einfacher Schritt, denn in Berlin waren es Hunderte, die so dachten, ich war nicht allein“ (Tageszeitung vom 25. März 1980).

Sind wir halt Kommunisten!

Eine halbe Generation hat so gefühlt und argumentiert, wenn auch nur eine Minorität die ernsten Konsequenzen zog. Wer in die ML-Szene ging, hatte schon früher das monotone Schimpfwort gehört: „Ihr seid ja Kommunisten!“ Warum nicht aus eigenen Stücken die Rolle spielen, die einem ohnehin von außen aufgedrängt wird? Wenn schon ein Kommunist, dann so einer, wie er im klerikalen Lesebuch steht. Ohne es zu wissen, gestalteten die K-Gruppen ihre Identität nach bürgerlichen Maßstäben.

Sowohl in ihrem inneren Milieu als auch im Auftreten in der Öffentlichkeit arteten die neokommunistischen Verbände in eine traurige Karikatur der autoritären Kaderpartei und des „demokratischen Zentralismus“ aus, lauter Sachen, denen doch zuvor die neue Linke leidenschaftlich abgeschworen hatte. Twens ahmten das Gehabe überreifer Manager nach: Aktenkoffer, Flugzeugreisen, hektischer Terminkalender, geistige Gleichschaltung, reduziertes Denken, organisierter Streß (siehe die Berichte ehemaliger KPDIer in dem Sammelband Wir warn die stärkste der Partein, Rotbuch Verlag, Berlin 1977).

Hier findet man das Geheimnis jenes „normativistischen Grundsatzkommunismus“, den die KPD auf ihrem allerletzten Parteitag an sich selbst beklagte, und der ebensoviel mit der Hierarchie von General Motors zu tun hat wie mit dem stalinistischen Politbüro. Die Übernahme bürokratischer Gebärden aus der Welt der Behörden und der Multis ist keineswegs auf, die K-Gruppen beschränkt geblieben. Auch die übrige Protestbewegung hat sich mehr oder minder unwillig ihrer verwalteten Umwelt angepaßt.

Nur sucht der Protest heute seine Identität woanders, nämlich in subjektivistischen Verhaltensformen: Naturpoesie, Homosexualität, Drogen, Makrobiotik, Stadtindianer, Landkommunen ... . Der neokommunistische Berufsrevolutionär wirkt langsam veraltet. Vor diesem Hintergrund ist das Aufblühen der Grünen zu sehen. Ihre Parolen konzentrieren sich auf den Schutz des Privatlebens. An den Jahrgängen der KB-Zeitung Arbeiterkampf läßt sich studieren, wie der Gewerkschaftsteil schrumpft, um den Serien über Feminismus, die Erotik der Kinder oder den Sadomasochismus Platz zu machen. Themen drängen sich vor, die doch dem „Marxismus-Leninismus“ ziemlich fern liegen.

Die K-Gruppe lieferte sich damit einer Zerreißprobe aus. 1978 veröffentlichte der Arbeiterkampf unter der Spitzmarke Wie geht’s weiter im KB? eine ausführliche Kontroverse über das barsche Klima in der Organisation. Auch das „Rödeln“ (sinnloses Agieren und Agitieren) kam zur Sprache. Im Verlauf dieser Debatte erfolgte die Abspaltung der „Gruppe Z“. Aber auf Umwegen!

Die Abtrünnigen, die dann bei den Grünen gelandet sind, appellierten am Anfang an die strengen Grundsätze des Leninismus, deren Aufweichung schwer gerügt wurde. Es ging gegen „Grauzonen des Feminismus“ im KB, generell gegen die Überbetonung privater Probleme. Eine paradoxe Geschichte. Sogar beim Abschied von der leninistischen Doktrin sichert sich der K-Grüppler zunächst mit einem doktrinären Zitat ab. Der ehrliche Frontalangriff auf die ML-Dogmatik scheint ausgeschlossen zu sein — Abweichler sind jedenfalls die anderen.

Ganz falsch, die K-Gruppen zu isolieren, sie als monströse Deformationen aufzufassen. Denn die autoritären nicht weniger als die antiautoritären Gestaltungen der Protestbewegung stammen aus derselben Quelle: aus der maoistischen Kulturrevolution der Jahre 1966 bis 1969. Sie hat ihre eigene Zwiespältigkeit auf die europäischen Bewunderer übertragen. Erst die Vorgänge in China verschafften der neuen Linken im Westen die Gewißheit, daß kommunistische Systeme nicht naturnotwendig despotisch sein müssen, daß sie vielmehr aus sich selbst heraus revolutionäre Methoden der Erneuerung entwickeln können.

Anarchist Mao

Zu den sowjetischen Usancen gehört die „Säuberung“ von oben, ein exklusiver Zirkel an der Spitze entscheidet alles. Hingegen hatte Mao im Streit um die Generallinie die Massen „von unten“ gegen den hierarchischen Apparat der Staatspartei in Bewegung gesetzt. Seither stellt „Jugend“ eine politische Kategorie dar, gleichbedeutend mit: ohne Bindung an die etablierte Ordnung. Verblüffend an der Kulturrevolution war, daß sich ein kommunistischer Machthaber einer anarchistischen Taktik bediente: „Bombardiert das Hauptquartier!“

Die Kulturrevolution wurde zum Ausgangspunkt der antiautoritären Schlagwörter. Einen Augenblick lang sah es so aus, als ob sich Bakunin und Marx, die in der Ersten Internationale als Todfeinde voneinander geschieden waren, wieder versöhnt hätten. Die Bürokratisierung erschien nicht länger wie ein unvermeidliches Schicksal. Das „Absterben des Staates" wurde aus einer rhetorischen Floskel unvermutet zur akuten Parole. Noch die Handwerkelei der Alternativszene von heute geht auf Maos „Volkskommunen“ zurück, auf die kleinen Hochöfen im Dorf, auf die praktizierte Einheit von Kopfarbeit und Handarbeit.

Der Maoismus besaß aber noch eine düstere Kehrseite, die das Schicksal seiner Plagiatoren katastrophal bestimmen sollte. Zwar haben die Chinesen gelehrig die Traditionen der westlichen Linken übernommen, doch willkürlich auf Zusammenhänge angewendet, in denen die großen Schismen, Feindschaften und Symbolismen aus der Geschichte der europäischen Arbeiterbewegung bis zur Lächerlichkeit verfremdet wurden.

Ein orientalischer Slapstick. auf den Freund und Feind hereingefallen sind. Es war so verführerisch! In Peking lebte eine Sprache wieder auf, die Moskau bereits vergessen hatte. Die Sprache kämpferischer Zeiten, der intellektuellen Debatten über die große revolutionäre Strategie. Ein Beispiel ist der Ausdruck „Revisionisten“ — diese innerparteiliche Wortschöpfung der alten deutschen Sozialdemokratie erhielt auf einmal weltpolitische Bedeutung. Chruschtschow und Breschnjew wurden so tituliert, im festen Glauben, es handle sich um Nachfahren des Eduard Bernstein, dieses Fans der britischen Demokratie.

Umgekehrt bezeichnete „Stalinismus“ dank der Chinesen auf einmal die kompromißlose Feindschaft gegen das sowjetische System, das sich angeblich erst nach dem Tod des großen Diktators aus einem Arbeiterparadies in eine Diktatur über das Proletariat verändert hat. Folgerichtig heißen im Sprachgebrauch der K-Gruppen und der ML-Szene die kommunistischen Parteien der Moskauer Observanz schlicht und einfach „Revisionisten“, die das Erbe Stalins schnöde verraten hätten.

Der Reiz der Sache liegt in der scheinbar strikt marxistischen Kritik am Realsozialismus, der mit seinen eigenen Waffen geschlagen wird. Was man sich dabei erspart, ist das eindeutige Urteil über das sowjetische Modell. Gewiß eine heikle Aufgabe, vor der sich die Trotzkisten freilich nie gedrückt haben. Der maoistisch Geschulte kann ganz bequem zugleich orthodoxer Stalinist und kämpferischer Antistalinist sein. Er bekämpft ja so oder so die „Arbeiterverräter im Kreml"!

Wie sich die maoistische Schlange in den Schwanz biß

Diese Superkommunisten (eine bedeutsame Ausnahme ist der KB) entwickelten einen Antikommunismus, der die Wertschätzung Stalins mit der Unterstützung für die Wehrpolitik der CSU in Einklang bringen konnte. Franz Josef Strauß, der beste Freund Maos. Die Parole der KPD: „Hauptfeind ist der sowjetische Sozialimperialismus.“ Ein maoistischer Theoretiker wie Charles Bettelheim konnte sich — bis zum Untergang der „Viererbande" — den Luxus leisten, an den Gesellschaften zwischen Elbe und Ussuri rundum lauter Abweichungen von der gültigen Linie des Marxismus-Leninismus anzuprangern. Der Eindruck entstand, die Zeit wäre im Jahr 1917 oder 1927 stehengeblieben.

Eben diese intellektuelle Arroganz, die zu nichts verpflichtet, hat zur Anziehungskraft der K-Gruppen beigetragen, deren theoretische Arbeit nie die Pflichtlektüre einiger Broschüren überstieg. Man braucht nur die Terminologie im K0pf zu behalten: wer „Revisionist" ist und wer keiner. Ein süßer Traum aller Studenten: nichts lernen und doch alles wissen!

Aber auch den Gegnern haben es die Marxisten-Leninisten leicht gemacht. Verglichen mit der KPD/ML in Dortmund-Hörde sieht die SPD tatsächlich wie eine „authentische Arbeiterbewegung" aus. Von der Kontroverse Maos mit Chruschtschow sank der Streit um die einzig „echte Partei“ zum Gezänk mitteleuropäischer Federknechte herab. Allerdings sind die K-Gruppen in der Bundesrepublik nie so weit nach rechts gerückt wie die ML-Vereine in anderen Ländern, die sich von den Chinesen willenlos manipulieren lassen.

Für die DKP und SED stellen die Neokommunisten höchst gefährliche Außenseiter der. „Maoten und Chaoten“, eine haßerfüllte Anspielung auf die ursprünglich antiautoritäre, anarchistische Komponente der Kulturrevolution. Unwillkürlich, unter dem Einfluß einer eingefahrenen Schematik, räumen die traditionellen Kommunisten ihren Rivalen einen ehrenvollen Platz ganz weit am äußersten linken Flügel ein (etwa so: „Die sind ja viel zu radikal“). Als ob die preußischgedrillten K-Grüppler Schüler Bakunins wären! Obzwar selbst vom Radikalenerlaß betroffen, gönnt die DKP den „Chaoten“ ziemlich unverhohlen das Leiden unterm Berufsverbot.

Kongresse der Jusos haben sich über der Gewissensfrage gespalten, mit welcher Sorte Kommunisten — „ordentlichen“ oder „chaotischen“ — man sich denn zusammentun dürfe. Eine Klausel im Statut der DKP verbietet jeden persönlichen oder politischen Kontakt zu den Maoisten. Deren Zeitungen melden regelmäßig brutale Schlägereien der „Revisionisten". Heute stellt sich aber heraus, daß die kommunistischen Organisationen, trotz tödlicher Feindschaften und Konkurrenzkämpfe, alle im selben Boot sitzen.

Es geht um den Verzicht auf Eigenständigkeit. Der Weltrevolutionär sieht die Welt durch die Brille seiner östlichen oder fernöstlichen Zentrale, deren Verhältnisse er wiederum aus dem Blickwinkel seines eigenen Landes beurteilt. Ein deutscher Maoist sieht China deutsch und Deutschland chinesisch. Den Intrigen der chinesischen Außenpolitik haben sich die meisten Neokommunisten sklavischer ausgeliefert als je die traditionellen KPs dem sowjetischen Politbüro. Peking führte seine Anhänger von der Kulturrevolution über den Stalinismus zur Rüstung gegen die Russen.

Ganz logisch, daß die Idee des „internationalen Klassenkampfs“ — also der „Weltrevolution“ — in Mißkredit gerät. Von der islamischen Internationale werden heute Revolutionen gemacht, Guerillakriege geführt. Ganz neue Symbolismen tauchen auf. International ist heute der Regionalismus, der lokale Dialekte, heimatliche Traditionen, unberührte Landschaften und ethnische Minderheiten vor den Raubzügen der Metropolen verteidigt.

Abdankung des Arbeiterdenkmals

Aus der antiautoritären und libertär gestimmten Protestbewegung sind überraschenderweise autoritäre Organisationen hervorgegangen, die sich stolz zu den finstersten Seiten der Revolution bekannten. Im nachhinein warnt eine ehemalige Funktionärin: „Eine KPD nach dem Muster der Parteien der Kommunistischen Internationale wird nicht die Organisationsform der Zukunft sein.“ Von den Dissidenten im Osten müsse man lernen (TAZ vom 25. März 1980).

Ein anderer KPD-Funktionär bemerkt, „daß im Namen einer Diktatur des Proletariats unterdrückerische Verhältnisse geschaffen worden sind“. Das Proletariat, so sagt der Kader, „war nicht in der Lage, eine Herrschaft im Interesse des ganzen Volkes auszuüben“ (Arbeiterkampf vom 5. Mai 1980).

Das sind ungewohnte Töne. Peking und Moskau fallen in denselben Topf. Der Clou der ML-Doktrin war ja, die Kardinalsünden des Realsozialismus aus dem bösartigen Verrat zu erklären, den die Nachfolger Stalins an der russischen Revolution und ihrer proletarischen Diktatur verüben. Nicht nur die K-Gruppen haben daran geglaubt, ein Gutteil der neuen Linken beschwichtigte sich damit. Auf diese Weise bleibt die Idee des Kommunismus unbefleckt von den Greueln seiner Praxis. Auch dieser feine Unterschied erwies sich als
weltfremd.

Eine andere Antwort „auf dieselbe Frage liefern die linken Ökologen, die den Marxismus mit der Rettung der Biosphäre beauftragen. Hier sucht und findet man das Übel in den mechanistischen Strukturen der Industriegesellschaft selbst, im Wachstum ihrer Großtechnologie, die an Zentralisierung und autoritären Staatsformen schuld sei. So versteht sich die Wirkung von Rudolf Bahros Buch Die Alternative, das ausdrücklich dem Proletariat die Vorrechte des revolutionären Subjekts abspricht.

Allerdings verschwindet damit auch ein historischer Anspruch der neuen (und alten) Linken. Hinter dem bombastischen und aufgedunsenen Vokabular der Neokommunisten steckte immerhin der Ehrgeiz, endlich der Arbeiterklasse das Bewußtsein ihrer Möglichkeiten zurückzugeben. Jetzt werden die Grünen von SPD-Politikern bezichtigt, sie würden die Produktionsverhältnisse ignorieren (als ob das eine Herzenssache der Sozialdemokratie wäre). Ein Vorwurf, den man den „Chaoten“ bestimmt nicht machen konnte. Lange Jahre konzentrierten sie sich auf die Fabriken und Betriebe, um in der Arbeitswelt oppositionelle Zellen zu organisieren.

Eine Strategie, die anscheinend über die Kräfte der K-Gruppen ging. Nicht nur der dubiose Anspruch auf „Avantgarde“ fällt zusammen, sondern auch das Selbstvertrauen, die ausgebeutete Klasse politisch mobilisieren zu können. Der Mittelstand nimmt das Heft in die Hand. Trotz aller Prognosen hat die Verbindung von Rationalisierung und Stagflation ihn eher nach links geschoben, während die Arbeiterschaft von der Angst um den Arbeitsplatz erpreßt wird. Manchmal erfolgen proletarische Eruptionen — die Generalstreiks in England und Schweden. Typisch für den Zeitgeist aber ist die österreichische Volksabstimmung über das AKW Zwentendorf im November 1978 gewesen: eine Koalition von Maoisten und katholischen Hausfrauen hat über die Gewerkschaft und die Industriellenvereinigung triumphiert.

Maos im FORVM

  • Kommunistischer Bund Österreichs: Kampfansage an die Bourgeoisie. Wahlprogramm 1975, FORVM September 1975
  • Michael Hopp: Maofiosi. Rezension des Buches Wir warn die stärkste der Partein, FORVM Dezember 1977
  • Michael Hopp: Unreine Jugend. TUNIX in Berlin, FORVM März/April 1978
  • Michael Hopp: Am Rand, am Rand, da gibt’s ka Schand, FORVM November/Dezember 1978

[1Der Verfassungsschutzbericht des BRD-Innenministers (damals: Werner Maihofer) gibt für die Jahre 1973, 1974 und 1975 12.000, 13.000 und 15.000 Mitglieder maoistischer Organisationen an. Zehn Prozent des politischen Spektrums links von der SPD (betrifft: Verfassungsschutz ‘75, Juli 1976, hg. vom Bundesministerium des Innern, Referat Öffentlichkeitsarbeit, Rheindorfer Straße 198, D-53 Bonn).

[2Vielleicht sollte man erwähnen, daß sich auch der Kommunistische Bund Österreichs (KBÖ) im Frühjahr 1980 gespalten hat. Red.

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