Grundrisse, Nummer 13
März
2005

Grundeinkommen als Recht in einer nachkapitalistischen Gesellschaft

Eine andere Welt ist möglich – aber wie soll sie aussehen? In diesem Artikel, der auch als Fortsetzung meiner Arbeit „Grundeinkommen jetzt!“ gelesen werden kann, möchte ich begründen, warum auch in einer nachkapitalistischen Gesellschaft das Grundeinkommen als unabdingbares Recht eingeführt werden sollte. Wenn das Grundeinkommen in erster Linie keine Methode der Armutsbekämpfung darstellt, sondern vor allem mehr Freiheit bewirken soll, dann muss dieses Prinzip in einer nachkapitalistischen Gesellschaft um so mehr gelten.

So manche mögen nun einwenden, warum der Umweg über das Grundeinkommen, warum nicht gleich Sozialismus auf die Fahnen schreiben? Dieser sehr summarische Streifzug durch Theorie und Praxis nachkapitalistischer Gesellschaften soll jedoch zeigen, dass wir heute über keinerlei Modell verfügen, das wir als klares Ziel formulieren können. Umgekehrt: Wir können auf Grund der historischen Erfahrungen bestimmte Konzepte als nicht emanzipatorisch ausschließen. Das Grundeinkommen kann kein Ersatz für die gescheiterten staatsplanwirtschaftlichen Modelle sein, und löst auch keineswegs die Probleme einer zukünftig möglichen sozialistischen Gesellschaft. Es könnte jedoch eine der neuen Institutionen werden, die die konkrete Emanzipation zugleich ausdrücken wie ermöglichen.

Marx: Verteilung beruht im Sozialismus auf ökonomischen Größen

Die kurze Schrift „Zur Kritik des Gothaer Programms“ zählt wohl zu dem am breitesten rezipierten Arbeiten von Marx. Seine dort getroffene Unterscheidung zwischen einer „ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft“, die noch durch Missstände und begrenztes bürgerliches Recht gekennzeichnet sein soll, und einer „höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft“, in der alle Mängel überwunden sein sollen und die „auf ihre Fahne schreiben [kann]: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ (MEW 19; 21), wurde unzählige Male interpretiert und wiederholt. Marx geht davon aus, dass in der ersten Phase das bürgerliche Recht noch in Geltung sein wird. Recht sei, so Marx, per definitionem gleiches Recht für ungleiche Menschen und er schlussfolgert: „Es ist daher ein Recht der Ungleichheit, seinem Inhalt nach, wie alles Recht.“ (MEW 19; 21) Daraus zu folgern, das Weiterbestehen des bürgerlichen Rechtes sei ausschließlich als Mangel zu verstehen, bedeutet, die Aussagen von Marx radikal zu verkürzen. Der entstehende Staats- und Parteimarxismus hatte an einer derartigen Fehlinterpretation höchstes Interesse. Zum einen konnte das formale, bürgerliche Recht oberflächlich als minderwertig, ja ungerecht diffamiert und der Rückfall in unmittelbare Gewalt- und Machtausübung geradezu als Überwindung des bürgerlichen Rechtshorizonts gefeiert werden. Zum anderen diente die Marxsche Rede von den unvermeidlichen Missständen während der ersten Phase oder von den Muttermalen der alten Gesellschaft als universale Entschuldigung für die krasseste Fehlpolitik. Zugleich ermöglichte die Marxsche Idee einer höheren Stufe des Sozialismus ausuferndes Schwadronieren über zukünftige Paradiese, allerdings nur mit dem Resultat, tatsächliche Probleme und Konflikte mit Vorgriff auf das Zukünftige zu relativieren. Wäre die Orthodoxie, allen voran Lenin, tatsächlich so texttreu und philologisch akribisch verfahren, wie sie vorgab, hätte sie folgende Passage akzeptieren oder sich direkt dazu äußern müssen, die ich hier in ganzer Länge zitieren möchte: „Womit wir es hier zu tun haben, ist eine kommunistische Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eignen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt. Demgemäß erhält der einzelne Produzent – nach den Abzügen – exakt zurück, was er ihr gibt. Was er ihr gegeben hat, ist sein individuelles Arbeitsquantum. Z.B. der gesellschaftliche Arbeitstag besteht aus der Summe der individuellen Arbeitsstunden. Die individuelle Arbeitszeit des einzelnen Produzenten ist der von ihm gelieferte Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags, sein Anteil daran. Er erhält von der Gesellschaft einen Schein, dass er soundso viel Arbeit geliefert (nach Abzug seiner Arbeit für die gemeinschaftlichen Fonds), und zieht mit diesem Schein aus dem gesellschaftlichen Vorrat von Konsumationsmitteln soviel heraus, als gleich viel Arbeit kostet. Dasselbe Quantum Arbeit, das er der Gesellschaft in einer Form gegeben hat, erhält er in der andern zurück.“ (MEW 19; 20)

Durch die eigentümliche grammatikalische Form ist die Auffassung von Marx leicht zu überlesen. Marx sagt also klipp und klar: In einer sozialistischen Gesellschaft wird das Maß der Verteilung keineswegs durch politische Entscheidungen, sei es durch eine Partei, sei es demokratisch durch Räte oder ähnliches, sondern aus der geleisteten Arbeit mittels Stundenzettel bestimmt. Die individuelle Konsumation kann keine Plangröße sein, sondern resultiert aus der individuell geleisteten Arbeit. Im gesamten sogenannten orthodox-leninistischen Schrifttum und ebenso in deren damit legitimierten Praxis wurde diese Forderung, die Marx offenbar für so selbstverständlich hielt, dass er ihr die Form einfacher Aussagesätze gab, vollständig ignoriert. Damit wurde weiters ignoriert, dass Marx die Distribution auf Basis einer objektiven Rechengröße explizit als Recht formuliert. Nicht politische Entscheidung, nicht der Bezug auf einen Solidarzusammenhang, sondern eine Rechengröße als Basis eines Rechtsanspruches, so und nur so konnte Marx sich die nachkapitalistische Gesellschaft in ihrer ersten Phase denken. In keiner Phase im so genannten realen Sozialismus, sei es in der Sowjetunion, sei es in China, wurde bei der Distribution der Güter an eine messbare Größe gedacht.

Marx und die Stundenzettelökonomie

Die Thematik der Stundenzettel taucht keineswegs erst in der „Kritik des Gothaer Programms“ auf. Marx diskutiert sie ausführlich in den „Grundrissen“, aber auch im ersten Band des „Kapitals“ bezieht sich Marx auf das Konzept der Stundenzettel. Ein wenig relativiert er hier seine eigenen Aussagen, in der er mit der Wendung „nur zur Parallele mit der Warenproduktion“ einsetzt, dann konstatiert er aber recht eindeutig, dass die geleistete Arbeitszeit eine doppelte Rolle im Sozialismus spielen wird. Die Gesellschaft müsse die gesamte Verteilung der verfügbaren Arbeitszeit auf die verschiedenen Produktionszweige bestimmen, eine gesamtgesellschaftliche Arbeitszeitrechnung sei also notwendig. „Andrerseits dient die Arbeitszeit zugleich als Maß des individuellen Anteils des Produzenten an der Gemeinarbeit und daher auch an dem individuell verzehrbaren Teil des Gemeinprodukts.“ (MEW 23; 93) Auch im „Kapital“ sagt Marx also klar, dass in einer nachkapitalistischen Gesellschaft es ein objektives Recht auf Konsum nach Maßgabe der geleisteten Arbeitszeit – also einem objektiven Faktum – geben wird. Marx wiederholt in der „Kritik des Gothaer Programms“ also nur eine früher bereits formulierte Ansicht.

In den „Grundrissen“ steht die Thematik „Stundenzettel“ eng im Zusammenhang mit seiner Kritik an Proudhon. Proudhon, so Marx kritisch, wolle mit den Stundenzetteln die kapitalistische Produktionsweise quasi überlisten. Marxens Argumentation läuft zusammengefasst darauf hinaus, dass jene zentrale Bank, die die Stundenzettel ausgibt, im Grund die gesamte Wirtschaft planmäßig organisieren müsste, soll die auf den Stundenzettel ausgewiesene Arbeitszeit diese auch tatsächlich repräsentieren. Diese Bank „müsste die Arbeitszeit bestimmen, in der die Waren hervorgebracht werden können, mit den Durchschnittsmitteln der Industrie, die Zeit, in der sie hervorgebracht werden müssen. (…) Sie hätte auch die Zeit zu bestimmen, in der ein gewisses Quantum Produkte hervorgebracht werden muss, und die Produzenten in solche Bedingungen zu setzen, dass ihre Arbeit gleich produktiv ist (…), sie hätte auch die Quanta Arbeitszeit zu bestimmen, die auf die verschiednen Produktionszweige verwandt werden soll.“ (MEW 42; 89) Sollen die Stundenzettel funktionieren, so könne dies nur durch eine absolut zentralistische „despotische Regierung“ bewerkstelligt werden, und eine solche sei mit der kapitalistischen Produktionsweise nicht ohne weiteres vereinbar. Marx selbst fügt an seine Kritik des Konzepts von Proudhon folgenden höchst interessanten Satz an: „In der Tat wäre sie [die Bank, die die Stundenzettel ausgibt, K R.] entweder die despotische Regierung der Produktion und Verwalterin der Distribution, oder sie wäre in der Tat nichts als ein board, was für die gemeinsam arbeitende Gesellschaft Buch und Rechnung führte.“ (MEW 42; 89)

Gegen das Konzept der Stundenzettelökonomie müssen einige Einwände erhoben werden. Der einfachste und unmittelbar ins Auge springende ist jener der Messbarkeit. Es muss nämlich nicht nur die individuell geleistete Arbeit, sondern auch die zur Produktion eines bestimmten Gutes geleistete Arbeitszeit bestimmt werden und beide müssen gesamtgesellschaftlich gleiche Größen ergeben, sonst kommt es zu einer de facto Ab- oder Aufwertung der Stundenzettel. [1] Sollen Stundenzettel tatsächlich funktionieren, sind „die Quanta Arbeitszeit zu bestimmen, die auf die verschiednen Produktionszweige verwandt werden“, wobei die einzelnen Produktionszweige in adäquaten Proportionen zueinander stehen müssen. Doch welche Arbeit hat Marx eigentlich im Blick, wenn er für Produktion wie Distribution Stundenzettel fordert? Es ist wohl zulässig, die durch Stundenzettel zu entlohnende Arbeit in der „Kritik des Gothaer Programms“ mit der ehemaligen Lohnarbeit der früheren kapitalistischen Ökonomie gleichzusetzen. Was sich 1875 gesellschaftlich in gewissem Grade rechtfertigen ließ, nämlich der strikte Fokus auf die offizielle Lohnarbeit, die in der Übergangsgesellschaft auf Stundenzettelbais organisiert werden soll, ist 2005 unmöglich. Nicht zufällig habe ich im ersten Teil dieser Artikelserie das Grundeinkommen mit der Auflösung der Fabrik in die Gesellschaft, dem Aufweichen der Trennungen zwischen Arbeit und Freizeit, kurzum mit dem Verflüssigen der ehemals fordistischen Schranken und Grenzen begründet. Gerade in einer sozialistischen Gesellschaft ist jede Art von Arbeit anzuerkennen. Wenn sich Arbeit jedoch von unserer allgemeinen gesellschaftlichen Tätigkeiten wohl unterscheiden, aber nicht wirklich klar trennen lässt, wird die Bestimmung der Arbeitszeit nochmals erschwert.

Doch hinter diesen technisch anmutenden Problemen steht ein sehr fundamentales Defizit der Marxschen Sozialphilosophie. Diese Schwäche lässt sich am kürzesten durch die Formel der sachlichen Verwaltung von Sachen auf den Begriff bringen, die Marx immer wieder für eine zukünftige Gesellschaft verwendet. So spricht er, wie zitiert, von einem „board“, das für die gesamte Gesellschaft Buch führen soll. Auch im II. Band des „Kapitals“ meint er, eine nachkapitalistische Gesellschaft bedürfe bloß einer „Buchführung als Kontrolle und ideeller Zusammenfassung“ (MEW 24; 137) der Produktion. Marx dürfte also der Ansicht gewesen sein, eine sozialistische Gesellschaft beruhe auf rein objektiv-sachlichen Grundlagen, auf jederzeit problemlos objektivierbaren Faktoren, wie etwa der geleisteten und durch Stundenzettel messbaren Arbeitszeit. Ein „Verein freier Menschen“ benötige also bloß eine buchführende Stelle, als Ort der Aufzeichnung, Kontrolle und Koordination. Ob in einer fernen Zukunft ein derartiger Zustand denkbar ist, müssen wir nicht entscheiden. Für eine unmittelbar aus dem Kapitalismus hervorgehende Gesellschaft ist dieses Konzept völlig untauglich. Damit werden die Probleme der Institutionen, der Form der Selbstreflexion der Gesellschaft über sich selbst übersprungen. Bei Marx finden wir daher ein sehr geringes Problembewusstsein und kaum Begriffe, die Konflikte und Fragen zukünftiger Gesellschaften darstellbar und diskutierbar machen.

Gesellschaftliche, politische Entscheidungen können nicht durch neutrale, sachliche Faktoren ersetzt werden. Das ist letztlich der entscheidende Einwand gegen die Stundenzettelökonomie. (Schon die Frage, ob jede Arbeit gleich bewertet werden kann oder ob für eine Übergangsphase verschiedenen Tätigkeiten Stundenzettel in verschiedener Höhe zugeordnet werden müssen, da, wie Marx unmissverständlich feststellt, die einzelnen Arbeiten unterschiedlich produktiv sind, stellt die strikte Sachlichkeit der Messung in Frage.) Zugleich ist die Perspektive, aus der Marx das Konsumationsrecht entwickelt, allen späteren Praxen des Staats- und Parteimarxismus vorzuziehen. Marx geht bei der Bestimmung der Konsumation vom Individuum und seinen geleisteten Stunden aus. Das heißt, er geht vom Individuum aus und keineswegs von den Erfordernissen des „Aufbaus des Sozialismus“, denen sich die Einzelnen unterzuordnen hätten. Damit kehrt ein Motiv aus der „Deutschen Ideologie“ wieder, in der er die Hemmung der Individualität durch die kapitalistischen Verhältnisse kritisiert und die Durchsetzung der Persönlichkeit als ein wesentliches Ziel der gesellschaftlichen Umwälzung angibt. (Vergl. MEW 3; 77)

Das Ausmaß der individuellen Konsumation wäre, so Marx, durch bürgerliches Recht zu sichern, das in dieser Phase nicht überwunden werden kann. Wenn wir das Konzept der Stundenzettel ablehnen, dann stellt sich die Frage, wodurch können sie ersetzt werden? Eine mögliche Antwort ist das Grundeinkommen in maximal möglicher Höhe. Während die Stundenzettel auf einer scheinbaren Objektivität beruhen, besteht kein Zweifel, dass das Grundeinkommen, als Institution selbst und ebenso in seiner Höhe, einer gesellschaftlichen Willensentscheidung bedarf. Zugleich kann es nur in Rechtsform verwirklicht werden.

Das Grundeinkommen kann sich nicht aus Marktverhältnissen entwickeln. Es muss bewusst politisch institutionalisiert werden. Es wäre also durchaus vorstellbar, dass für eine Übergansphase beides nebeneinander existiert: einerseits noch die Lohnform, die jedoch in dem Maße relativiert wird, in dem das Grundeinkommen erhöht wird, andererseits eben das Grundeinkommen, dass den Warenstatus der Arbeitskraft überwindet und allen ein unmittelbares Recht einräumt, in einem bestimmten Ausmaß individuell zu konsumieren. Während die Lohnform den noch weiterbestehenden Warenverhältnisse entspricht, anerkennt das Grundeinkommen die allgemeine gesellschaftliche Existenz des Menschen und seinen nicht messbaren Beitrag zur Gesellschaft.

Der Prozeß der Emanzipation, und daran lässt Marx keinen Zweifel, muss selbstverständlich bereits im Kapitalismus beginnen. Die Elemente der neuen Gesellschaft müssen bereits in der alten entstehen. Im Gegensatz zur Stundenzettelökonomie, die, soweit ich sehe, aktuell von niemandem favorisiert wird, wird das Grundeinkommen von den verschiedensten Kräften eingefordert. Das Bedürfnis, den Kapitalismus zu überwinden, kann nur die Kehrseite des Bedürfnisses sein, die Elemente der Emanzipation und Befreiung, die immer auch die eigene Veränderung mit einschliesst, auszubauen, weiterzuführen und zu verstärken. Emanzipatorische Transformation ist Prozeß in der Zeit.

Staatsplanwirtschaft – Weichenstellung bei Engels

Die Schrift „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft“, besser bekannt als „Anti-Dühring“, stellt einen der meistverbreiteten Texte von Engels dar. Diese Arbeit kann als Rezeptbuch für alle Fragen, Gesellschaft, Ökonomie, Wissenschaft, Politik und Revolution betreffend, gelesen werden. In der Tat bietet uns Engels eine Summe von Formeln an, die bis zur Gegenwart als Grundlage des Marxismus verbreitet werden. Sehen wir uns den Text genauer an, so erkennen wir eine ganze Reihe von Brüchen, Ungereimtheiten und Unklarheiten. Aber beschäftigen wir uns erstmals mit den offiziellen Seiten dieser Arbeit.

Engels nimmt darin eine ganz entscheidende Weichenstellung vor, die ausgesprochen rezeptionswirksam war und noch immer ist. Er postuliert einen prinzipiellen Gegensatz zwischen dem Wertgesetz und der bewussten Planung. Das Wertgesetz, also die Tatsache, dass die Waren durchschnittlich zu ihren Werten verkauft werden, muss notwendig zu immer wiederkehrenden wirtschaftlichen Krisen führen. Engels spricht oftmals von der Anarchie der kapitalistischen Produktionsweise, um das „hinter dem Rücken der Produzenten“ Wirkende zu betonen. Gewissermaßen sei die Gesellschaft dem Wertgesetz ausgeliefert. Nicht die Menschen beherrschen die Ökonomie, die ökonomischen Gesetze beherrschen die Menschen. Dem gegenüber setzt Engels den Plan. In einer Gesellschaft, in der die Produzenten bewusst die Ökonomie planen würden, sei dieses Verhältnis umgekehrt. Nun bestimmten nicht mehr anonyme Gesetze den Lauf und Gang der Ökonomie, sondern die bewussten Produzenten. An euphorischen Worten lässt es Engels nicht fehlen, um die geschichtliche Bedeutung dieses Gegensatzes herauszustellen: „Die Anarchie innerhalb der gesellschaftlichen Produktion wird ersetzt durch planmäßig bewusste Organisation. Der Kampf ums Einzeldasein hört auf. Damit scheidet der Mensch, in gewissem Sinne, endgültig aus dem Tierreich, tritt aus tierischen Daseinsbedingungen in wirklich menschliche.“ (MEW 20; 264) Mehr als hundert Jahre und zahllosen Erfahrungen später ist es leicht, klüger als Engels zu sein. Heute sehen wir klar, dass an dieser Konzeption alles falsch und schräg ist, was nur falsch sein kann. Zum einen sind die periodischen Wirtschaftskrisen nur ein Moment dessen, was der Kapitalismus den Menschen antut. Die Unterdrückung auch und gerade in weitgehend krisenfreien Perioden verliert Engels weitgehend aus dem Blick. Sein Krisenbegriff ist sehr äußerlich, die Universalität der Unterdrückung, die ständig in den Poren des Alltags stattfindet, tritt hinter Phänomenen wie Überproduktion, Arbeitslosigkeit und Inflation zurück. Aber vielleicht noch problematischer ist der zweite Aspekt dieses Schemas. Der Plan gewinnt quasi ontologische Weihen, er tritt genau genommen an die Stelle des Prozesses der Befreiung und Emanzipation. Ihm werden Qualitäten angedichtet, die er nicht haben kann und auch nicht hat. Nicht nur, dass im Plan die Möglichkeit der Fehlplanung liegt. Planung hat im realen Sozialismus mehrfach zu Desastern geführt. Dass dafür nicht das Wirken des Wertgesetzes die Ursache war, mag für die Betroffenen ein schwacher Trost gewesen sein. Weiters: Auch der Kapitalismus kennt selbstverständlich den Plan. Staaten planen, Konzerne planen, die EU plant, ganz Städte wurden ebenso geplant wie weltumspannende Kriege. Ich kann auf weitere Bespiele wohl verzichten.

Das Problem ist, dass in der Engelsschen Euphorie über den Plan der entscheidende Unterschied zwischen Planungen innerhalb der Gesellschaft und die Planung der Gesellschaft selbst verwischt wird. Die Vorstellung, die gesamte Gesellschaft könne umfassend geplant werden, ist nichts als ein größenwahnsinniger Alptraum. Es ist eine Sache, einen möglichst weit ausgedehnten ökonomischen Plansektor innerhalb der Gesellschaft einzuführen – und dass dies unter bestimmten Umständen durchaus gut funktioniert, hat die Geschichte bewiesen –, etwas anderes ist es zu meinen, Gesellschaft selbst sei einem intervenierendem, planenden Zugriff zugänglich. Wenn jedoch zugestanden wird, dass eine umfassende Planung der Gesellschaft unmöglich ist, ist der von Engels postulierte Gegensatz von Wertgesetz und Plan relativiert.

Bevor wir uns weiter mit Engels beschäftigen, ein kurzer Zwischenblick zum eigentlichen Thema, zum Grundeinkommen. Ob maximales Grundeinkommen oder Stundenzettelkonzept, das individuelle Recht auf Konsumation kann durch den Gegensatz von Wertgesetz und Plan gar nicht formuliert werden, es hat darin keinen Platz. Wenn wir das Konzept der umfassenden Gesellschaftsplanung als letztlich repressive Utopie zurückweisen, müssen wir sogar sagen, das Konzept der Revolution als Prozeß der Emanzipation und Befreiung hat darin keinen Platz. Ich werde im Lauf dieses Artikel noch zeigen, wie der Plan zum Fetisch wurde, mit dem die Frage nach Befreiung, ja nach der bloßen Lage der ArbeiterInnenklasse vom Tisch gefegt wurde.

Auch im Kapitalismus wird geplant, war soeben zu lesen. Das war Engels nicht nur bewusst, er baut auch eine ganze Reihe von Überlegungen auf. Tatsächlich produziert die gesamte Gesellschaft, so Engels, der Form nach findet diese Produktion jedoch privat statt. Dieser Widerspruch wächst analog zum Wachstum der kapitalistischen Wirtschaft, insbesondere der großen Industrie. So versteht Engels den Widerspruch zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen. Engels interpretiert nun die Marxsche Position, dass bereits im Kapitalismus die Elemente einer neuen Gesellschaft entstehen müssen, auf höchst einseitige aber sehr rezeptionswirksame Weise, an die Lenin später unmittelbar anknüpfen konnte. Es sind nicht die Momente der Kompetenz, der Befreiung, des erkämpften Freiraumes, der durch den Fortschritt der Produktion bewirkten Bildung des Proletariats, mit einem Wort, es sind nicht die sozialen und gesellschaftlichen Bedürfnisse und Beziehungen der ArbeiterInnenklasse, an denen die Konturen einer neuen Gesellschaft sichtbar werden, sondern es ist das Faktum der Verstaatlichung großer Industrieunternehmungen. „Auf einer gewissen Entwicklungsstufe genügt diese Form nicht mehr: Der offizielle Repräsentant der kapitalistischen Gesellschaft, der Staat, muss ihre Leitung übernehmen. Diese Notwendigkeit der Verwandlung in Staatseigentum tritt zuerst hervor bei den großen Verkehrsanstalten: Post Telegraphen, Eisenbahnen.“ (MEW 20; 259) Mit der Verbindung Staat – Plan ist jene Achse hergestellt, die, so meine ich entschieden, wir endgültig überwinden müssen. Auch wenn die leninistische Orientierung auf Machtergreifung plus Staatsplan kaum hegemonial ist, tritt uns diese Methodik in der sozialdemokratisch domestizierten Form entgegen. Die Perspektive der Überwindung des Kapitalismus hat die Sozialdemokratie selbstredend aufgegeben, aber dass die verstaatlichten Sektoren der Gesellschaft „irgendwie“ den privatkapitalistischen vorzuziehen seien, das können wir heute täglich aus dem sozialdemokratischen Umfeld, insbesondere von ihren linken Flügeln, vernehmen.

Zu Ehrenrettung von Engels ist allerdings zu sagen, dass seine Position keineswegs so simpel und wasserdicht ist, wie es erscheinen mag. Zwar nur in einer Fußnote, aber immerhin verwehrt sich Engels dagegen, jede Verstaatlichung als Antizipation des Sozialismus zu interpretieren. Er unterscheidet zwischen Verstaatlichungen, die „ökonomisch unabweisbar geworden“ seien, und so genannten unechten Verstaatlichungen. „Es ist aber neuerdings, seit Bismarck sich aufs Verstaatlichen geworfen, ein gewisser falscher Sozialismus aufgetreten, und hier und da sogar in einige Wohldienerei ausgeartet, der jede Verstaatlichung, selbst die Bismarcksche, ohne weiteres für sozialistisch erklärt.“ (MEW 20; 259 FN) Da es Engels jedoch nicht gelingt, diesen Unterschied plausibel durchzuargumentieren, wurde diese versuchte Unterscheidung auch rasch verdrängt. [2] Ähnlich zweideutig ist seine Haltung zur Übernahme der Staatsmacht. „Das Proletariat ergreift die Staatsgewalt und verwandelt die Produktionsmittel zunächst in Staatseigentum.“ (MEW 20; 261) Das steht so schwarz auf weiß und noch dazu hervorgehoben im Text. Allerdings glaubt Engels daran, dass der Staat im Moment der Machtübernahme durch das Proletariat gleichsam wie eine Silvesterrakete verglüht. Im Grunde, so Engels, wird der Staat nur für einen engen historischen Moment existieren. Er ist bloßer Durchgangspunkt der Revolution, sofort verlöschendes und verschwindendes Moment. „Der erste Akt, worin der Staat wirklich als Repräsentant der ganzen Gesellschaft auftritt – die Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft – ist zugleich sein letzter selbständiger Akt. (…) An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen.“ (MEW 20; 262) Während bei Marx die Tendenz vorherrscht, das Problem der Konstitution neuer gesellschaftlicher Institutionen zu überspringen oder sie durch die hoch abstrakte Formel des „Vereins freier Menschen“ zu relativieren, identifizierte Engels den Staat für einen sehr kurzen historischen Augeblick als tragende Institution der Transformation – und danach sollte der Kommunismus beginnen? Und im Gegensatz zum utopischen Sozialismus, der noch genötigt war, „sich die Elemente einer neuen Gesellschaft aus dem Kopfe zu konstruieren“ (MEW 20; 247), vermeinte Engels, diese Elemente in der kapitalistischen Staatswirtschaft erkennen zu können. [3] Engels greift allerdings auch auf die Kritik der Arbeitsteilung zurück, die er und Marx bereits in der „Deutschen Ideologie“ entwickelt haben. „Indem die Arbeit geteilt wird, wird auch der Mensch geteilt.“ (MEW 20; 272) Auch hier vermeint er, in der stattfindenden Entwicklung Momente der Überwindung der Arbeitsteilung zu erkennen: „Während aber die kapitalistische Anwendungsweise der Maschinerie die alte Teilung der Arbeit mit ihren knöchernen Partikularitäten weiter fortführen muss, trotzdem diese technisch überflüssig geworden, rebelliert die Maschinerie selbst gegen diesen Anachronismus.“ (MEW 20; 274) Allerdings steht das Thema der Arbeitsteilung recht zusammenhanglos neben dem Thema der Verstaatlichung. Das ist freilich kein Zufall, Verstaatlichung war Realität, die Überwindung der Arbeitsteilung reine Möglichkeit. Die über den Kapitalismus hinaus weisenden Tendenzen, die Engels vermeinte erkennen zu können, lagen also auf unterschiedlichen Ebenen.

Lenin als Nachfolger Engels

Lenins berühmte und viel diskutierte Imperialismusschrift interessiert uns jetzt vor allem unter den Aspekten der Fetischisierung des Plans und der Ignoranz gegenüber der tatsächlichen Lage des Proletariats. Als Beschreibung des Gesichts der kapitalistischen Produktion des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist Lenins Arbeit durchaus zutreffend, gigantische Trusts, sich bildende Monopole, die umfassende Planungen benötigten, massive Staatsplantendenzen, alle diese Phänomene lagen im Grunde auf der Hand – Lenin verfasste den Text 1916, also während des 1. Weltkrieges. Die in der linken Literatur üblichen Einwände und Kritikpunkte möchte ich ausklammern, denn sie führen zumeist an dem eigentlichen Problem vorbei. Lenin gibt nämlich der marxschen These, die Elemente der neuen Gesellschaft müssten in der alten entstehen, ansonsten „wären alle Sprengversuche Donquichoterie“ (MEW 42; 93) eine ganz entscheidende Wendung, die bis heute das Verständnis vieler Linker mitbestimmt. Plan, Verstaatlichung und Monopole sollen bereits objektiv nachkapitalistische Verhältnisse antizipieren. „Die Konkurrenz wandelt sich zum Monopol. Die Folge ist ein gigantischer Fortschritt in der Vergesellschaftung der Produktion.“ (Lenin AW I/783) Anstatt angesichts der massiven Verknüpfung von Monopolen, Staat und Planung, auf deren Basis die imperialistischen Mächte die Massen in den Krieg hetzen, Zweifel zu bekommen, ob hinter der Fratze der imperialistischen Kriegswirtschaft (die natürlich nur einer Weiterführung der Friedenswirtschaft war) sich tatsächlich das liebliche Gesicht des Sozialismus verbergen konnte, eliminierte Lenin Themen wie die mögliche Überwindung der Arbeitsteilung durch die Entwicklung der Industrie völlig. Was bei Engels noch in Schwebe war, wurde einseitig gelöst. Mit keiner einzigen Zeile geht Lenin in seiner Imperialismusschrift auf die Frage ein, ob und inwieweit die Monopolphase die reale Lage des Proletariats verändert hätte. Vergrößert oder vermindert das Monopol (um bei der Terminologie Lenins zu bleiben) die Kompetenzen, die Fähigkeiten, das Selbstbewusstsein, kurzum die realen sozialen Beziehungen innerhalb und außerhalb der Produktionssphäre? Stiegen oder sanken durch das Monopol die Chancen für die Überwindung der Arbeitsteilung? Und wie verändert das Monopol das Geschlechterverhältnis, ein Thema, das dem viel gescholtenen Engels immerhin stets wichtig war?

Lenin ignorierte solche Fragestellungen nicht nur. Im Gegenteil, er erklärte die Selbstbefreiung des Proletariats für eine schiere Unmöglichkeit. Dass sich das Proletariat durch sein Streben nach Befreiung und nach Emanzipation aus der kapitalistischen Verwertungsmühle selbst befreien könnte, war für Lenin undenkbar. Die These von der Unfähigkeit zur Selbstemanzipation formulierte Lenin schon sehr früh, spätestens 1902 in der Schrift „Was Tun?“. Die Begründung erfolgt auf mehren Ebenen; einerseits argumentiert Lenin mit der besonderen Situation in Russland, andererseits meint er, sehr allgemeine Überlegungen sprächen für sein Konzept einer Organisation von Berufsrevolutionären. Als konjunkturelle Faktoren führt Lenin das Zirkelwesen [4] sowie die Illegalität [5] an. Prinzipieller ist das Argument der Bildungskluft zwischen ArbeiterInnen und Mittelschicht. Auf der empirisch-soziologischen Ebene war es sicher richtig, dass um die Jahrhundertwende Bildung ein Privileg der bürgerlichen Schichten war, erst im Postfordismus beginnen diese Grenzen zu verschwimmen. So simpel soziologisch das Faktum auch war, so simpel führt es Lenin auch an: „Der Träger der Wissenschaft ist aber nicht das Proletariat, sondern die bürgerliche Intelligenz, in einzelnen Mitgliedern dieser Schicht ist auch der moderne Sozialismus entstanden und durch sie erst geistig hervorragenden Proletariern mitgeteilt worden, die ihn dann in den Klassenkampf des Proletariats hineintragen, wo die Verhältnisse es gestatten.“ (Lenin AW 1; 174) Diese Worte sind von Kautzky und Lenin zitiert sie mit Begeisterung. Zwischen diesem Faktum und dem eigentlichen, oftmals zitierten, berühmten Argument: „Wir haben gesagt, dass die Arbeiter ein sozialdemokratisches Bewusstsein gar nicht haben können. Dieses konnte ihnen nur von außen gebracht werden.“ [6] (Lenin AW 1; 166), klafft freilich eine gigantische Lücke. Nur durch eine mehrstufige Ableitung wird ein Zusammenhang erkennbar. Lenin übernimmt zum einen die szientistischen (wissenschaftsgläubigen) Tendenzen bei Marx und kappt jedes Verhältnis zwischen realer, gesellschaftlicher Lage und geistiger Orientierung. Wissenschaftliche Erkenntnisse könnten nur über die Kanäle der Wissenschaft weitergegeben werden. Die Wissenschaft wiederum könne nicht den Erfahrungen im Alltag, der Klassenauseinandersetzung entspringen, noch mehr, auch die Reflexion und Verarbeitung von Erfahrungen führe nur in die Sackgasse des „trade-unionistischen Bewusstseins.“ Inwieweit bereitet bürgerliche Bildung den Boden für die Ausbreitung und Aufnahme marxistischer Analysen? Gerade die Leninisten wurden niemals müde, den prinzipiell „idealistischen“ Charakter der bürgerlichen Wissenschaft herauszustreichen. Stalin zog die Schraube noch ein wenig mehr an: Bürgerliche und proletarische Ideologie, das sei ein unversöhnlicher Widerspruch, wurde hinausposaunt. Gerde im leninistischen Denksystem muss es unbegreiflich bleiben, wieso idealistische, bürgerliche Bildung und Ideologie besonders zur Rezeption des Marxismus prädestinieren müsse. Ein systematisches Argument ist in „Was Tun?“ auch nicht zu finden. Es sei eben so. Sowohl in Deutschland als auch in Russland, die MarxistInnen entstammten eben soziologisch gesehen der bürgerlichen Intelligenz und nicht dem Proletariat. [7] Wie dünn die Suppe ist, zeigt auch das Argument, warum das Proletariat, von der Avantgardepartei allein gelassen, nicht aus dem bürgerlichen Bewusstsein herausfinden könne. Adorno- und Lukacs-LeserInnen würden wohl einen Hinweis auf das Fetisch-Kapitel im Kapital, oder auf das Faktum der Verkehrung der tatsächlichen Sachverhalte durch die Preis- und Profitform erwarten. Für Lenin ist die Sache freilich etwas einfacher: „Warum aber, wird der Leser fragen, führt die spontane Bewegung, die Bewegung in der Richtung des geringsten Widerstandes, gerade zur Herrschaft der bürgerlichen Ideologie? Aus dem einfachen Grund, weil die bürgerliche Ideologie ihrer Herkunft nach viel älter ist als die sozialistische, wie sie vielseitiger entwickelt ist, weil sie über unvergleichlich mehr Mittel der Verbreitung verfügt.“ (Lenin AW 1; 176)

Dass die Zentralisation und teilweise Verstaatlichung der Produktion sozialistische Verhältnisse vorwegnähme, hat bereits Engels formuliert. Lenin baut diesen Gedanken in seiner Imperialismusschrift systematisch aus. Durch seine Parteitheorie erfährt diese Konstruktion eine bedeutende Verschiebung, denn plötzlich wird die Macht zu einem ganz entscheidenden Faktor. Bei Marx ist Macht und Gewalt eine notwendige und unvermeidliche Begleiterscheinung gesellschaftlicher Umwälzungen. Bei Lenin verändert sich diese Sichtweise vollkommen, Machtausübung gewinnt einen unmittelbaren Klassenindex. Denn die Partei der Berufsrevolutionäre, die die ArbeiterInnenmassen aufzuklären haben, will nicht bloß Avantgarde im Wortsinne des Voranschreitens einer Vorhut sein. Sie will im Grunde das politisch handelnde und intervenierende Proletariat selbst sein und dazu bedarf sie der Macht. In Form der Partei betritt das Proletariat die gesellschaftliche Bühne. Die Nutzanwendung der Hegelschen Kategorien des „an sich“ (das existierende Proletariat) und „für sich“ (die Partei) lag natürlich auf der Hand. [8]

Von diesem Selbstverständnis ausgehend kann Lenin die Vorwürfe, die Bolschewiki würden statt der Diktatur des Proletariats eine Diktatur über das Proletariat errichten, nicht einmal wirklich verstehen. „Schon allein die Fragestellung, Diktatur der Partei oder Diktatur der Klasse? – Diktatur (Partei) der Führer oder Diktatur (Partei) der Massen?, zeugt von einer ganz unglaublichen und uferlosen Begriffsverwirrung.“ (Lenin GW 31; 26) Da Lenin nicht einmal im Traum am Repräsentationsprinzip zweifelt [9] – irgendwer muss das Proletariat repräsentieren; es muss sich in irgendeiner Kraft artikulieren –, interpretiert er diese Kritik wiederum im Sinne seiner Parteitheorie. Wer die Bolschewiki der Diktatur über die Klasse bezichtigt, will in Wirklichkeit deren Stelle einnehmen, so Lenins halb ausgesprochene Schlußfolgerung, die wiederum nicht ganz von der Hand zu weisen war. Doch dieser Umstand konnte nur zur weiteren Verdeckung der Repräsentationsproblematik führen. Zudem führte Lenin einen völlig neuen Stil der Polemik und Auseinandersetzung ein. Marx und Engels behielten den Stil des linkshegelianischen Nachfolgestreits bei. Letztlich galt es nachzuweisen, dass der andere ein Wirrkopf und seine Ausführungen weitgehend undurchdacht seien. Lenin hingegen zielt auf Verurteilung ab, der andere ist nicht nur dumm, er ist schuldig.

Manche werden nun bemerken, wir sind recht weit vom Thema abgewichen. Anstatt über das Grundeinkommen oder das Konzept der Stundenzettel zu schreiben, skizziere ich einige grundlegende Elemente der Leninschen Konzeptionen. Nun, genau darin liegt das Problem. Als die Bolschewiki nach 1917 tatsächlich die Macht errangen, war weder von der Selbstverständlichkeit objektiver bürgerlicher Rechtsansprüche des Proletariats auf Einkommen die Rede, noch von der doppelten Funktion der realen Arbeitszeit, wie Marx es mehrmals angedacht hatte. „Demgemäß erhält der einzelne Produzent – nach den Abzügen – exakt zurück, was er ihr gibt.“ So dachte sich Marx die Wirklichkeit in einer sozialistischen Gesellschaft, zumindest während ihrer ersten Phase. Von dieser Gleichheit des Gebens und Nehmens als verbrieftes Recht konnte 1917 und in den Folgejahren keine Rede sein.

Pragmatik der Machterhaltung

Auch wenn es uns die Legenden der Orthodoxie anders berichten, die zumeist aus jahrelangem Exil zurückgekehrten bolschewistischen Kader waren natürlich nach der Machtergreifung völlig überfordert. Die unmittelbare Lage nach dem Oktober 1917 dürfte wohl bekannt sein: ein beginnender Bürgerkrieg, eine praktisch zum Stillstand gekommene schwache Industrie, ein schmales, durch Entbehrungen und Hunger geschwächtes Proletariat, eine gigantische, schwankende Bauernschaft. War es wirklich verwunderlich, dass die mit dem Grundeinkommen in Zusammenhang stehenden Themen zumindest in der offiziellen bolschewistischen Debatte keinen Platz hatten, da es erstmals ums politische Überleben ging? Selbst die Gegenüberstellung von Plan und Wertgesetz hatte für die realen politischen und ökonomischen Maßnahmen der Bolschewiki kaum eine Bedeutung. Damit ist nicht gesagt, dass es diese Diskussionen nicht gegeben hat. Angeblich gab es um 1919 und 1920 eine Debatte um ein alternatives Maß der Wirtschaftsplanung, welches das Geld ersetzen sollte. Eine unmittelbare Verwendung von Stundenzettel wurde offenbar als nicht zielführend erachtet. Nicht zufällig wissen wir von dieser Diskussion kaum etwas. Joseph Green erwähnt als beteiligte Diskutanten Chayanov, Klepikov, Shmelev und Strumilin, [10] doch nur hoch spezialisierten HistorikerInnen werden diese Namen etwas sagen. Wäre Lenin auf diese Diskussion eingegangen, wäre sie durchaus bekannt. Aber offenbar hat sie ihn kaum interessiert.

Lenins Charakter zeigt einen Zug, der durchaus schätzenswert ist, er beschönigte niemals die realen Verhältnisse und zögerte nicht, Probleme zuzugeben. Wer die Schriften Lenins nach 1917 aufmerksam liest, wird erkennen, dass er die Frage, was denn am nachrevolutionären Rußland eigentlich sozialistisch sei, sehr offen und klar beantwortet: Nichts, abgesehen von der Macht der Partei! Das sozialistische Element gründe letztlich allein im festen Willen, den Sozialismus aufzubauen. „Kein einziger Kommunist hat wohl auch bestritten, dass die Bezeichnung ‚Sozialistische Sowjetrepublik‘ die Entschlossenheit der Sowjetmacht bedeutet, den Übergang zum Sozialismus zu verwirklichen, keineswegs aber, dass die jetzigen ökonomischen Zustände als sozialistisch bezeichnet werden.“ [11] (Lenin GW 32; 342) Aufbau des Sozialismus bedeutete praktisch Aufbau einer Staatsplanwirtschaft, die Lenin wiederum recht offen als Staatskapitalismus bezeichnet. Aufbau einer industriellen Staatsplanwirtschaft und Erhaltung der Staatsmacht angesichts von Bürgerkrieg, Unruhen und Aufständen, diese beiden miteinander verflochtenen Themen kennzeichnen primär die theoretischen, auf die Situation in Russland selbst bezogenen Überlegungen Lenins. Lenin verstand es offenbar sehr gut einzuschätzen, wann Diskussion und Annahme von Kritik, wann hingegen offene Repression angesagt sei. Ein berühmtes Beispiel ist die sogenannte Gewerkschaftsfrage. Trotzki plädierte für die rasche Umwandlung der Gewerkschaft in eine Arbeitsarmee und die Militarisierung der Arbeit. Umgekehrt vertrat die so genannte Arbeiteropposition die Notwendigkeit des Weiterbestehens unabhängiger Gewerkschaften. Lenin entschied sich in diesem Falle für eine sanfte Gangart. Selbst der Staat habe durchaus noch bürgerlichen Charakter und zeige bürokratische Züge: „Unser heutiger Staat ist derart beschaffen, dass das in seiner Gesamtheit organisierte Proletariat sich schützen muss, wir aber müssen diese Arbeiterorganisationen zum Schutz der Arbeiter gegenüber ihrem Staat und zum Schutz unseres Staates durch die Arbeiter ausnutzen.“ (Lenin GW 32; 7) Aber letztlich war das imaginäre Proletariat in Form der Partei dem realen Proletariat vorzuziehen. Bereits in Juli 1919 wurde den ArbeiterInnen der Ortswechsel in Russland verboten und damit jener Freiraum, den die Revolution geschaffen hatte, wieder zurückgenommen. „Da ein großer Teil der Arbeiter auf der Suche nach besseren Lebensverhältnissen, nicht selten auch zu Spekulationszwecken, die Betriebe eigenmächtig verlässt und von Ort zu Ort zieht (…) erklärt der Parteitag für eine der dringendsten Aufgaben der Sowjetmacht und der Gewerkschaftsorganisationen, den planmäßigen, hartnäckigen, rücksichtslosen Kampf gegen die Arbeiterdesertion, insbesondere durch Veröffentlichung von Deserteur-Straflisten, durch Bildung von Strafarbeiterkolonien aus Deserteuren und endlich durch Einsperren in Konzentrationslager.“ (Lenin GW 25; 670, zitiert nach Bettelheim 1974) Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt, nach und nach wurde die Schraube immer mehr angezogen, bis schließlich unter Stalin das russische Proletariat immer brutaler ausgebeutet und ausgepresst wurde.

Fetische: Plan und Wertgesetz

Mit etwas ironischem Augenzwinkern könnte gesagt werden, der eigentliche Begründer des Trotzkismus sei Eugen Preobraschenski gewesen. Ohne es tatsächlich zu wollen, legte er in seiner 1926 verfassten Schrift „Die neuen Ökonomik“ die Grundlage für die Fetischisierung der Staatsplanwirtschaft, die Trotzki später zu seiner Theorie des deformierten Arbeiterstaates ausbauen sollte. Prinzipiell fügte sich diese Arbeit völlig in das von Lenin formulierte Paradigma: Aufbau des Sozialismus und Festigung der Parteiherrschaft erfordere den raschen Aufbau einer potenten Staatsindustrie, die nach der Revolution fast vollkommen zum Erliegen gekommen war. Preobraschenskis Buch ist zum einen bloß ein Vorschlag für eine Staats- und Parteispitze, die Staatsindustrie entschlossen zwischen Landwirtschaft und Weltmarkt zu positionieren und durch Abschöpfung des Mehrprodukts systematisch diesen Staatsplansektor auszubauen. 1926 zeichnete sich aber bereits die kommende Niederlage der Linksopposition klar ab. Preobraschenski reagierte mit einer objektiven Bewertung des Staatsplansektors, dessen an sich fortschrittlicher Charakter nicht mehr an die Politik der Führung gekoppelt wurde, schließlich hieß der Vorsitzende 1926 schon länger Stalin. Wenn die Staatswirtschaft bereits im Kapitalismus objektiv den Sozialismus vorbereite, um so mehr müsse das für einen Staatssektor gelten, den erst die Revolution geschaffen habe, der Staatsplansektor sei „historisch gesehen die Fortsetzung und Vertiefung der Monopoltendenzen des Kapitalismus“. (Preobraschenski 1971; 181) Die grundlegende Aufhebung des Wertgesetzes argumentiert der Autor mit der politischen Möglichkeit, einerseits die Bauern- und Kleinwirtschaft vom Weltmarkt abzuschneiden, um Preisdifferenzen auszunutzen, und vor allem mit der kostenlosen Aneignung eines Teiles des landwirtschaftlichen Produktes. Gelte umgekehrt das Wertgesetz, könne die ursprünglich sozialistische Akkumulation nicht vor sich gehen, die er folgendermaßen definiert: „Ursprüngliche sozialistische Akkumulation andererseits ist die Akkumulation materieller Hilfsquellen in den Händen des Staates, aus Quellen, die teilweise oder hauptsächlich außerhalb der Staatswirtschaft liegen.“ (Preobraschenski 1971; 108) Es ist zwar nicht falsch, wenn er die Wirtschaft der imperialistischen Staaten während des 1. Weltkrieges wie Lenin folgendermaßen charakterisiert: „Die Produktion, die formal Warenproduktion blieb, wurde de facto in den wichtigsten Industriezweigen zur geplanten Produktion. Die freie Konkurrenz wurde abgeschafft, und die Wirkung des Wertgesetzes wurde beinahe vollständig durch das Planungsprinzip des Staatskapitalismus ersetzt.“ (Preobraschenski 1971; 196) Da er offenbar das Planungsprinzip als solches als sozialistisches Element missversteht, rechtfertigt sich der Begriff Fetischismus. Damit soll auch die geradezu scholastische Diskussion relativiert werden, die bis in die 70er Jahre hinein innerhalb der Linken über den „Klassencharakter“ der Sowjetunion auf Basis Wertgesetz oder Plan geführt wurde. Ein genauerer Blick auf seine Arbeit zeigt zahlreiche Unsicherheiten bezüglich dieser Fragen. Welche Rolle spielt der ökonomische Druck der Weltwirtschaft und der Landwirtschaft auf die Staatswirtschaft? Ist der Rubel bloße Verrechnungsgröße oder doch Geld? So meint Preobraschenski zur Frage, ob „in der staatlichen Industrie Mehrwert oder Mehrprodukt existiert“, dies sei „eine harte Nuß“ und keineswegs einfach zu beantworten. (Preobraschenski 1971; 234) Ich vertrete überdies die These, dass die Debatte um Ausmaß der Geltung des Wertgesetztes in der Sowjetunion in dem Maße einsetzte, in dem die Zweifel am sozialistischen Charakter unabweisbar wurden.

Preobraschenski schrieb also aus der Situation der Opposition gegen das damalige Führungsduo Stalin - Bucharin. Schon diese Konstellation musste dazu führen, „die Entschlossenheit der Sowjetmacht (…), den Übergang zum Sozialismus zu verwirklichen“, zu relativieren und das objektive Bestehen der Staatswirtschaft aufzuwerten. Die vernichtende Niederlage im Fraktionskampf, die nachfolgenden Moskauer Prozesse veranlassten Trotzki, diese Sichtweise noch zu verschärfen. In seiner zentralen Kritik am Stalinismus, im Buch „Verratene Revolution“, schildert Trotzki die Ausbeutung und Rechtlosigkeit der russischen ArbeiterInnen in den glühendsten Farben, was ihn jedoch keineswegs daran hindert, die Sowjetunion als historischen Fortschritt zu preisen. Seine Argumentation ist im Grund sehr einfach: Die Staatsplanwirtschaft stellt prinzipiell den Modus einer sozialistischen Vergesellschaftung dar. Auch wenn die herrschende Bürokratie die ArbeiterInnen ausbeute und völlig entrechte, ist die Bürokratie auf diesen Staatsplansektor angewiesen. Sie kann die Staatsplanwirtschaft nicht aufgeben, ohne sich selbst aufzugeben. „Sie ist gezwungen, das Staatseigentum als Quelle ihrer Macht und ihrer Einkünfte zu verteidigen. Von dieser Seite ihres Wirkens her bleibt sie immer noch ein Werkzeug der Diktatur des Proletariats.“ (Trotzki 1979; 243) Auf das Thema des Wertgesetzes und des Ausmaßes seiner Überwindung geht Trotzki kaum ein, offenbar waren solche Fragen nicht seine Stärke und er zu einer systematischen Bearbeitung gar nicht in der Lage. Seine diesbezügliche Aussagen sind unausgereift und widersprüchlich. So behauptet er, dass gerade angesichts der Verstaatlichung der Produktionsmittel „die elementaren Funktionen des Geldes als Wertmesser, Tausch- und Zahlungsmittel nicht nur erhalten [bleiben], sondern bekommen auch ein viel breiteres Wirkungsfeld als unter dem Kapitalismus“. (Trotzki 1979; 68) Doch Wert ist ja nur eine scheinbare Dingeigenschaft und reflektiert letztlich ein Klassenverhältnis. Wie passt also die Existenz des Werts zur These, die Sowjetunion sei keine Klassengesellschaft, sondern bloß von einer Bürokratie beherrscht? An anderer Stelle fordert er die Einführung des Goldrubels zur Bekämpfung der Inflation. Kurz gesagt: Die Frage, inwieweit die Sowjetwirtschaft durch den Wert bestimmt wird und inwieweit nicht, diskutiert Trotzki eigentlich gar nicht. Ihm genügt die Existenz einer Staatsplanwirtschaft, die durch politisches Kommando und nicht Verwertungsbedingungen geleitet wird. Ob in scheinbar rein politischen Entscheidungen sich nicht doch das Wertgesetz geltend macht – derartige Probleme werden ignoriert. Daher kann Trotzki den Begriff Staatskapitalismus auch in drei Seiten erledigen. Sein Argument ist unwiderlegbar: „Die in der Geschichte erstmalige Konzentrierung der Produktionsmittel in den Händen des Staates wurde vom Proletariat mit der Methode der sozialen Revolution verwirklicht, und nicht vom Kapitalisten mit der Methode der staatlichen Vertrustung.“ (Trotzki 1979; 241) Zweifellos, ohne Russische Revolution wäre 1936 Stalin wohl kaum an der Spitze einer Staatswirtschaft gestanden ... [12]

Kritik der Internationalen Kommunisten Hollands

1930 veröffentlichte die Gruppe Internationaler Kommunisten Hollands, deren bekanntester Aktivist wohl Anton Pannekoek war, die Schrift „Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung.“ Die Arbeit wurde vor allem von Jan Appel und Henk Canne Meijer nach längeren Diskussionen geschrieben. Der Text stellt eine rätekommunistische Kritik an der sowjetischen Staatswirtschaft dar. Interessant ist, dass die Autoren sich wortwörtlich an die Marxschen Ausführungen halten und auf Basis der Stundenzettel ein Konzept für eine Gesamtwirtschaft entwerfen. Damit ist zugleich die Stärke wie die Schwäche dieser Arbeit gegeben.

Die Stärke sehe ich in den grundlegenden Prinzipien, die sie ihren Ausführungen zu Grunde legen, die Schwäche darin, dass sie offenbar meinen, die Verwirklichung dieser Prinzipien könne einzig und allein nur durch ihr sehr konkretes Modell und kein anderes erfolgen. Aber sehen wir uns dieses Modell ein wenig näher an.

Als Maßstab sowohl der Produktion wie auch der Distribution schlagen sie wie Marx die konkret geleisteten Arbeitsstunden vor. Die Berechnung der tatsächlich verwendeten Arbeitszeit sei kein Problem, da sie jeweils in den Betrieben von den dort Beschäftigten selbst vorgenommen werden soll. Die benötigte Arbeitsstundenzahl ergäbe sich aus der Summe der geleisteten Arbeitszeit plus jener Arbeitszeit, die zur Produktion der Maschinen und Rohstoffen aufgewendet worden sei. (Der Unterschied zwischen Rohstoffen, die ganz, und der Maschine, die nur teilweise in den Stundenaufwand eingeht, wird sehr wohl berücksichtigt, er kann hier jedoch vernachlässigt werden.) Als nächstes gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass die Produktivität in den einzelnen Betrieben ungleich ist. Es müsse also ein Branchendurchschnitt von allen dazugehörigen Betrieben berechnet werden. Wenn also die gesamte Arbeitzeit der Schuhfabrikation, so ihr Beispiel, addiert und durch die Anzahl der Schuhe dividiert werde, erhalte die Gesellschaft eine exakte Größe, eben die Stundenanzahl, die es erfordert, ein Paar Schuhe zu produzieren. Dazu sei keine zentrale Planstelle nötig, sondern die freie Assoziation aller SchuherzeugerInnen könne dies durchaus sehr genau errechnen.

Wenn die Stundenzahlen aller Produktionsstätten zusammengerechnet würden, können also die Arbeitsstunden der gesamten Gesellschaft (etwa eines Monats) genau berechnet werden. Diese Art und Weise der Produktion bestimme nun auch die Distribution. Das Gesamtprodukt lasse sich aufgliedern in x verbrauchte Arbeitsstunden in Form von Maschinen und Rohmaterial und y zusätzlichen, in der Produktion aufgewendeten Arbeitsstunden, in Summe also x + y. Im einfachsten Falle könnten nun die Betriebe für den neuen Produktionszyklus Produkte im Ausmaß von x Arbeitsstunden aus dem Gesamtprodukt entnehmen, die ProduzentInnen Produkte im Ausmaß von y Arbeitstunden, wobei jedes Individuum tatsächlich nur so viel entnehmen kann, als es Arbeitsstunden geleistet hat. Ihr Konzept entspricht daher buchstäblich der Aussagen von Marx im Kritik des Gothaer Programms: „Was aber die Verteilung der letzteren unter die einzelnen Produzenten betrifft, herrscht das selbe Prinzip wie beim Austausch von Warenäquivalenten, es wird gleich viel Arbeit in einer Form gegen gleich viel Arbeit in einer andern ausgetauscht.“ (MEW 19; 20) Klarerweise ist durch dieses Recht die Arbeitskraft keine Ware mehr. Komplexer wird dieses Modell, wenn zwei weitere Faktoren hinzutreten. Erstens müssten die „ökonomischen Kongresse der Betriebsräte“ (GIK 78) einen Akkumulationsfonds bestimmen, der aus der je individuellen Konsumation abgezogen und den Betriebsmitteln zugeschlagen werde. Zweitens gäbe es Betriebe, die kein unmittelbar messbares und verteilbares Produkt herstellen würde. Als Beispiel nennen sie das Schulwesen, die Krankenpflege, weiters allgemeine kulturelle und soziale Einrichtungen. Diese AGA-Betriebe (Betriebe für allgemein gesellschaftliche Arbeit) müssten das Recht haben, aus dem gesellschaftlichen Gesamtprodukt das zu entnehmen, was sie eben benötigen würden. Das tatsächlich individuell zur Verteilung gelangende Produkt würde sich also aus dem gesellschaftlichen Gesamtprodukt, abzüglich der Größen für Reproduktion, Akkumulation und die Aufwendungen der AGA-Betriebe, errechnen und sich letztlich in einem Abwertungsquotienten der individuell geleisteten Arbeitsstunde manifestieren. Auch dieses Abzugsverfahren formulierte Marx recht detailliert in der Kritik des Gothaer Programms. [13]

Um ihr Modell etwas plastischer darzustellen, noch einige Erläuterungen zum Modus der betrieblichen wie individuellen Konsumation in ihrem Modell. Einheit und zentraler Knotenpunkt ist der Betrieb: „Das Geheimnis ist, dass jeder Betrieb – geleitet und verwaltet von seiner Betriebsorganisation – als selbständige Einheit auftritt, gerade wie im Kapitalismus.“ (GIK 49) Die Betriebe errechnen einerseits die Stundenmasse ihres Gesamtprodukts, andererseits können sie von anderen Produktionseinheiten nur Güter in jenem Ausmaß beziehen, das sich aus der oben skizzierten komplexen Berechnung (Betriebsprodukt minus individuelle Konsumption, minus Anteil für die AGA-Betriebe, plus Akkumulationsfaktor) ergibt. Eine gesamtgesellschaftliche Berechnung ist dazu unbedingt notwendig. Die Arbeitszeitmengen werden jeweils auf Konten aufgezeichnet. „Das kommunistische Betriebsleben kennt keinen Geldverkehr und keinen Markt, es leitet den Strom der Verrechnungen durch das Girokonto.“ (GIK 103) Diese Verrechnungsmethode würde andere ökonomische Einheiten, die noch außerhalb dieses Zusammenhanges arbeiten würden, dazu zwingen, sich dem Modell anzuschließen. Denn, so die Autoren, Güter könnten nur dann von Betrieben angefordert werden, wenn sich die ökonomische Einheit der Arbeitszeitberechnung unterwerfen würde. Den Individuen hingegen wären Stundenzettel zu übergeben, in dessen Ausmaß sie Güter und Dienstleistungen konsumieren könnten.

Soweit, in aller gröbsten Zügen, das positive Resultat ihrer Kritik an der stalinistischen Staatsplanwirtschaft. Bevor ich auf einige Schwächen und Probleme zu sprechen komme, einige mir sehr positiv erscheinende Momente: Den Holländischen Linkskommunisten war offenbar völlig klar, dass Plan, Staatsplanwirtschaft und Ausschaltung des Wertgesetzes keinerlei emanzipatorischen Eigenwert besitzen. Das kann ich nur mehrmals unterstreichen. Es kann nur um die tatsächliche Verfügungsmacht der ProduzentInnen über die Produktionsmittel und das Arbeitsprodukt gehen. Die konkreten Arbeitstunden erfüllen diese Bedingungen. Nur weil sie – so zumindest die Annahme von Marx und den Internationalen Kommunisten Hollands – streng objektivierbar sind, kann ein Rechtsdiskurs geführt werden, das heißt unter anderem die Frage aufgeworfen werden, ob ein Fall von Betrug und Fälschung vorliegt.

Eine Schwäche sehe ich im Zuschnitt auf eine industriell fordistische Gesellschaft, in der mittlere und große Industriebetriebe das Zentrum der Ökonomie bilden; ein Fokus, der 1930 wohl nicht falsch war, sich gegenwärtig jedoch anders darstellt. Ihrem Modell liegt eine klar erkennbare Trennung zwischen der Arbeits- und der Privatsphäre zu Grunde. Anstatt die gesamte Gesellschaft als produktiven Zusammenhang zu erkennen und anzuerkennen, reduzieren sie die produktiven Zusammenhänge auf industriell organisierte Teilbereiche der Gesellschaft. Wenn Arbeit jedoch weit über den fordistischen Industriesektor hinausreicht, wie dann die Arbeitszeit berechnen? Diese damals wohl korrekte, heute jedoch problematische Unterscheidung zwischen Produktionssektor und gesellschaftlichem Leben spiegelt sich im zweifachen Verteilungsmodus.

Selbst wenn das Konzept der Stundenzettel funktioniert – was a priori nicht zu hundert Prozent auszuschließen ist –, müssen sich diese Stundenzettel nicht in Geld und die unabhängigen Betriebe in unabhängige ProduzentInnen verwandeln? Bevor wir auf diese Frage näher eingehen, empfiehlt sich ein Blick auf das Werk von Charles Bettelheim.

Charles Bettelheim und der ökonomische Kalkül

In diesem Zusammenhang darf ein Autor nicht unerwähnt bleiben: Charles Bettelheim. Er studierte die planwirtschaftlichen Versuche vor Ort sowohl in der Sowjetunion als auch in Cuba und in China. Ursprünglich Stalinist, weitete er seine Kritik am Stalinismus immer mehr aus, um schließlich mit der Arbeit „Die Klassenkämpfe in der UdSSR 1917 – 1923“ die äußerste noch mögliche linksmaoistische Position einzunehmen. Eigentlich ist genanntes Werk eine vernichtende Kritik an der Herrschaft der Bolschewiki, doch sein Beharren auf der leninistischen Parteitheorie bewahrt ihn vor einem totalen Bruch mit dem Leninismus. Zur leninistischen Partei existiere keine Alternative – dieses Postulat hinderte ihn daran, aus seiner eigenen akribischen und sehr genauen Kritik weitere Konsequenzen zu ziehen. Seine Offenheit für die tatsächlichen Bedingungen, [14] insbesondere für die „tatsächliche Teilnahme der Massen“ (Bettelheim 1970; 54) zwang in dazu, ständig zwischen zwei Gesichtspunkten zu oszillieren: Einerseits zählt für ihn nur die tatsächliche Situation der Massen. Daraus kann er eine klare Kritik am Fetisch Planwirtschaft oder gar des Staatseigentums gewinnen. Andererseits erfordere der Ausbau des Sozialismus – dass die Verhältnisse sowohl in China als auch der UdSSR weit davor entfernt waren, zu Recht sozialistisch genannt zu werden, war für ihn selbstverständlich – die führende Rolle der Partei. Teilweise löst Bettelheim dieses Problem, in dem er, umgekehrt wie der Trotzkismus, Politik und Gesinnung fetischisiert. So preist er die Appelle Lenins, unbezahlte Arbeit am Samstag zu erreichten – die so genannten Subbotniks –, in den höchsten Tönen. Andererseits zeigt er selbst auf, dass die Säuberungswellen in der Partei in den Jahren nach der Revolution keinerlei greifbares Ergebnis brachten, sondern nur den stalinistischen Terror vorbereiteten. Die tatsächlichen Verhältnisse in Produktion und Gesellschaft einerseits, die richtige, revolutionäre Gesinnung in der Partei andererseits, Bettelheim kann sich nicht entscheiden, welchem Faktor er Priorität einräumen soll und setzt in verschiedenen Texten durchaus verschiedene Akzente.

Für unsere Diskussion ist vor allem sein Buch „Ökonomischer Kalkül und Eigentumsformen“ interessant. Diese Arbeit ist nicht einfach zu lesen, zumal Bettelheim seinen in sich widersprüchlichen Linksmaoismus in strukturalistische Terminologie kleidet. Ich werde jedoch versuchen, einige mir wesentlich erscheinende Momente herauszuarbeiten.

Bettelheim setzt an den Beginn des zweiten Teils seines Buches seine These von der „doppelten Trennung“ in der kapitalistischen Produktionsweise, die ja durch eine sozialistische abgelöst werden soll: „die Trennung der Arbeiter von den Produktionsmitteln (deren Gegenstück der Besitz der Produktionsmittel durch die Unternehmen ist, das heißt faktisch durch ihre Leiter) und die Trennung der einzelnen Unternehmen untereinander.“ (Bettelheim 1970; 72) Die erste Trennung betrifft also das Verhältnis zwischen den Betrieben, die keineswegs, wie etwa Abteilungen in einer Fabrik, durch einen übergreifenden Arbeitsprozeß verbunden waren. Die zweite Trennung betrifft die Kluft zwischen den Werktätigen und den Produktionsmitteln. Letztere standen in der Verfügungsgewalt der Betriebsleiter. Ebenso wie im Kapitalismus ist zwischen formalen Eigentum (Staatseigentum, Aktienbesitz) und realer Verfügungsgewalt (Betriebsleiter, Manager) zu unterscheiden. Verstaatlichung und Staatsplan bilden nur formale Mittel, um diese beiden Trennungen zu überwinden, sagen jedoch über das reale Ausmaß nichts aus. Im Gegenteil, der Staatsplan kann eine Form sein, in der diese Trennungen, statt überwunden, nur verschleiert werden. In der Sowjetunion seien diese Trennungen, so Bettelheim, niemals überwunden worden, sondern eben nur durch das formale Staatseigentum und die Fünfjahrespläne verschleiert worden.

So ermöglicht die These der doppelten Trennung eine Debatte auf zweifacher Ebene. Sie kann auf die Ebene der Fabrik, der Produktionsstätten fokussiert werden. Hier sind sogar Veränderungen innerhalb des Kapitalismus möglich. Eine besetzte, selbstverwaltete Fabrik ist zwar nicht im formal juridischen Eigentum der dort Tätigen, aber de facto in ihrem Besitz. Aber eine solche Fabrik produziert innerhalb eines kapitalistischen Milieus, sie ist also über Warenbeziehung mit anderen privaten Produktionsstätten verbunden. Eine sozialistische Ökonomie erfordert auch die Aufhebung der zweiten Trennung, allein hier kommt ein gesamtgesellschaftlicher Wirtschaftsplan ins Spiel. Ein allgemeines Staatseigentum mag zwar Vorbedingung für die tatsächliche Überwindung der Trennung zwischen den Produktionseinheiten sein, aber: „Sie ist nicht identisch mit der Errichtung einer gesellschaftlichen Fähigkeit und Macht, die Produktionsmittel in Bewegung zu setzen und über die Produkte zu verfügen.“ (Bettelheim 1970; 67) Der Autor zeigt sehr genau, dass die russischen Betriebe keineswegs durch einen gemeinsamen und übergreifenden Arbeitsprozeß verbunden waren wie etwa Abteilungen innerhalb einer produzierenden Einheit. In Wirklichkeit sei die Willkür bei der Festsetzung von Planpreisen, die die Beziehungen zwischen den Betrieben regelte, keineswegs so willkürlich, wie es scheinen mag. Gerade am Beispiel der Planpreise lasse sich zeigen, dass der Staatsplan Ort der Verschleierung sein kann; ebenso wie es scheint, dass im Kapitalismus die Preise durch Angebot und Nachfrage bestimmt würden, so scheint es, dass eine Staatsplanwirtschaft gewissermaßen Angebot und Nachfrage durch willkürliche, politisch Entscheidungen ersetzen könne.

Die nach 1989 folgende Entwicklung hat Bettelheim einerseits glänzend bestätigt. Die praktisch reibungslose Widereinführung des Kapitalismus war nur deshalb so problemlos möglich, weil nur die bereits bestehenden Trennungen sowohl zwischen den Betrieben als auch (und vor allem) die Trennung innerhalb der Betriebe und Institutionen nur weitergeführt und schlichtweg legalisiert werden mussten. Die Entwicklung in der Volksrepublik China zeigt freilich, dass auch Bettelsheims linksmaoistischer Leninismus eine Illusion darstellt. Die oben angeführte Zweideutigkeit lässt sich sehr leicht an seinem Text dokumentieren. Wenn er nämlich von der „Herrschaft der Arbeiterklasse über die Produktion“ spricht, so kann dies zweierlei bedeuten. Entweder die reale Situation in den Betrieben und Institutionen, oder aber die Herrschaft der leninistischen Avantgardepartei. Nicht, dass Bettelheim das einfach gleichsetzen würde. Keineswegs. Aber das schöne Wechselspiel zwischen Parteipolitik und realen Verhältnissen ging nicht so auf, wie er es sich offenbar erhoffte. In letzter Instanz, und bei einem sich an Althusser sich orientierenden Autor darf diese Wendung wohl gebraucht werden, hat Bettelheim für die Wiederkehr des Kapitalismus in der Sowjetunion eine sehr leninistische Erklärung parat: „Wenn eine solche Avantgarde nicht existiert, insbesondere wenn die führende Arbeiterpartei nicht oder nicht mehr die Merkmale besitz, die sie zu einer Avantgarde der Arbeiterklasse machen, existieren die politischen und ideologischen Voraussetzungen, die die Vorherrschaft von Planverhältnissen über die Warenverhältnisse erlauben, nicht.“ (Bettelheim 1970; 95) Für China ist er uns eine solche Erklärung schuldig geblieben.

Sein Buch beginnt, umgekehrt zu meiner kleinen Skizze, mit dem Begriff „ökonomischer Kalkül“. Ökonomischer Kalkül meint, dass auch eine nachkapitalistische Wirtschaft eines in Zahlen darstellbaren Maßes bedürfe. Stundenzettel werden von ihm rundweg abgelehnt. Sein Argument ist einfach: das Messen der verbrauchten Stunden sei angesichts komplexer Arbeitsprozesse, die wiederum nur Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit seien, einfach nicht durchzuführen. [15] Ebenso wie die durchschnittlich gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit der kapitalistischen Produktionsweise sei die notwendige Arbeitszeit im Sozialismus zwar als theoretischer Begriff notwenig, was jedoch keineswegs bedeute, dass diese Begriffe auch konkret gemessen werden könnten. Statt dessen schlägt er anknüpfend an eine Passage bei Engels [16] vor, die Messung an den Nutzeffekten der Gebrauchswerte durch die Art ihrer Substituierbarkeit vorzunehmen. „Das besagt: es bleibt das System von Begriffen und Verfahrensweisen explizit zu klären, die es ermöglichen sollen, den gesellschaftlichen Nutzen der verschiedenen Arbeiten und Produkte zu messen, um auf Grundlage dieser Messungen die Verteilung der Arbeiten unter die verschiedenen Produktionsbereiche vorzunehmen.“ (Bettelheim 1970; 21) Auch wenn ich noch mehr Passagen zitieren oder zusammenfassen würde, Konkreteres ist dem Text nicht zu entnehmen.

Bettelheim stellt nun den „ökonomischen Kalkül“, also seine modifizierte Form der Stundenzettelökonomie, dem monetären Kalkül gegenüber. Unter letzterem versteht er einfach das sich in Preisen ausdrückende Wertgesetz der kapitalistischen Ökonomie. Eine Gesellschaft im Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus sei durch den Gegensatz zwischen diesen beiden Kalkülen gekennzeichnet. Welcher Kalkül sich jedoch durchsetze, das könne nicht durch die bloße Existenz einer Staatsplanwirtschaft oder des Staatseigentums entschieden werden, sondern hänge von der Art und Weise ab, ob und wie weit die beiden Trennungen (der Betriebe voneinander, der ArbeiterInnen von den Produktionsmitteln im Betrieb) real überwunden werden.

Es existiert allerdings ein Faktum, das Bettelheim nur am Rande erwähnt und nicht wirklich ausformuliert, da sich sein maoistischer Politizismus darüberlegt und dieses Faktum verdeckt. Egal ob simpler Stundenzettel oder komplexer ökonomische Kalkül, beiden ist ein Wesenszug mit dem Geld gemeinsam, es ist klar, dass „ein solches Maß immer aus einem Abstraktionsprozeß hervorgeht, der insgesamt und von Anfang an die Eigenschaften eliminiert.“ (Bettelheim 1970; 19) Die Gebrauchswerte, so Marx, seien qualitativ wie quantitativ völlig verschieden, sie besitzen nichts Gemeinsames. Durch die doppelte Trennung müsse das Arbeitsprodukt Waren- und folglich Wertform annehmen. Das Gemeinsame sei dann die abstrakte Arbeit, die im Geldmaß ihren Ausdruck findet. (Ich verkürze jetzt die Zusammenhänge natürlich radikal.) Eine sozialistische Gesellschaft könne jedoch nur auf einer reinen Gebrauchswertökonomie beruhen. Wenn aber die Arbeitsprodukte so verschieden sind wie die Arbeiten, die sie hervorbringen, dann verfügt eine nachkapitalistische Ökonomie jedoch über keinerlei Plangrößen. Wo es nichts Gemeinsames gibt, kann auch nichts Gemeinsames gemessen und in Zahlen ausgedrückt werden. Genau das schwebt Marx mit der berühmten Formel „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ vor. Castoriadis hat zu Recht erkennt, dass hinter dieser Formel die Verstellung steht, es gebe kein allgemeines Maß, daher auch kein Problem der Messung und vor allem der gerechten Zuteilung mehr. [17] Das möge in einer utopisch zukünftigen kommunistischen Gesellschaft verwirklichbar sein. Wir müssen uns jedoch mit der nächsten Phase beschäftigen. Auch wenn in einer nachkapitalistischen Gesellschaft die Bedingungen für Warenproduktion (bleiben wir jetzt bei den zwei Trennungen Bettelheims) verlöschen, so keineswegs von einen Tag auf den anderen, sondern eine sozialistische Ökonomie kann nur „das progressive Werk der Zeit sein“. (MEW 17; 546)

Worauf möchte ich hinaus? Es ist innerhalb theoretischer Konzeptionen möglich, Stundenzettel oder ökonomische Kalkülzahlen von Geld abzugrenzen, in der Realität wird dies keinesfalls so einfach möglich sein. Dürfen die Stundenzettel, die Marx in der Kritik des Gothaer Programms vorschlägt verborgt, vererbt, gegen Zinsen verliehen werden? Wenn die Betriebe in der Konzeption der Internationalen Kommunisten Hollands untereinander nur über Konten verrechnen, welchen Unterschied macht es, ob die Stundeneinheiten auf gedrucktem Papier oder nur auf Listen geführt werden? Weiters: Kann die Belegschaft mit ihren Stundenzetteln zusätzliche Güter für die gemeinsam besessene Fabrik erwerben? Hinter dieser Frage verbirgt sich freilich ein tieferes Problem. Sind diese Stundenzettel nicht doch verborgenes Geld? Dass sie – nach dem Modell der Internationalen Kommunisten – zwischen den Betrieben nicht als Papiermarken zirkulieren, sondern nur auf Konten geführt werden, ändert wohl nichts an der Tatsache, dass alle Produkte in den Stundenzettel ihr allgemeines Äquivalent finden.

Wenn wir hier und heute in Österreich diese Fragen diskutieren, so kann es natürlich nicht darum gehen, ausgeklügelte Modelle zu entwerfen. Derartige Konzepte existieren durchaus und nicht zufällig werden sie kaum beachtet. Mehr als eine prinzipielle Orientierung, in die selbstredend die Erfahrungen mit der Staatsplanwirtschaft einfließen müssen, können wir heut nicht entwickeln. Die von Bettelheim getroffene Unterscheidung der zwei verschiedenen Trennungen (diese Unterscheidungen fassen im Grund bloß die Marxsche Kapitalanalyse zusammen) erscheint mir als sehr sinnvoller Ausgangspunkt für weiter führende Diskussionen. Ich meine nämlich, dass diese Trennungen bezüglich Emanzipation und Überwindung des Kapitalismus keineswegs gleichwertig sind. Denn die tatsächliche Herrschaft der ProduzentInnen über den Produktionsprozeß und ihr Produkt setzt nicht nur am unmittelbaren Arbeitsprozeß an, sondern ist in besetzten und selbstverwalteten Betrieben tendenziell schon gegenwärtig verwirklicht. Auch Marx scheint für die Übergangsperiode an lokale, abgegrenzte Einheiten, die auch eine Rechtsform besitzen, gedacht zu haben: „Sind die sachlichen Produktionsbedingungen genossenschaftliches Eigentum der Arbeiter selbst, so ergibt sich ebenso eine von der heutigen verschiedne Verteilung der Konsumationsmittel.“ (MEW 19; 22) In letzter Instanz geht es doch darum, dass die soziale Existenzform des Proletariats aufgehoben wird, das Marx bekanntlich durch das Fehlen von Mittel definiert, den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Von der Textlage bei Marx ist die Sache sonnenklar: Proletariat bezeichnet keineswegs „lohnarbeitende“ Menschen, sonder bezieht sich auf einen Mangel, auf eine Nicht-Verfügung, auf eine Zwangssituation, nämlich jene, die Arbeitskraft verkaufen zu müssen. Die Überwindung dieses Status erscheint mir der entscheidende Punkt. Betriebe in der Verfügung der dort Arbeitenden ist dazu ebenso ein Mittel wie ein garantiertes Grundeinkommen für alle. Demgegenüber erscheint die Entwicklung und gesellschaftliche Durchsetzung des ökonomischen Kalküls wesentlich schwieriger, aber auch für die unmittelbare Emanzipation sekundärer. Denn bei der Entwicklung von gesellschaftlich umfassenden Planstrukturen stoßen wir sofort auf die Existenz des Weltmarktes.

Alle diese sehr komplexen Fragen bedenkend, scheint der Einwand, das Grundeinkommen würde am Geldfetisch fixiert bleiben, doch recht verkürzt. Ich meine, dass ein derartiger Einwand letztlich sehr stark von der gegenwärtig recht beliebten Lesart des Kapitals motiviert ist, die darauf hinausläuft, die Lektüre nach dem ersten Abschnitt abzubrechen und die Klassenanalyse bei Marx durch eine Fetischanalyse des Werts und des Geldes zu ersetzen. Oder, um nochmals mit Bettelheim zu sprechen: Die Trennung zwischen den Produzenten der Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln so radikal vorzuordnen, dass die zweite Trennung überhaupt aus dem Blickfeld verschwindet. Ich plädiere für eine umgekehrte Sichtweise. Bezüglich des Warenstatus bedeutet dies, dass die Emanzipation aus kapitalistischen Verhältnissen an der Überwindung des Warenstatus der Arbeitskraft ansetzen muss. Das Grundeinkommen wäre dazu ein Mittel.

Verzeichnis der Siglen:

  • GIK 1971 = Gruppe Internationaler Kommunisten Hollands, „Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung“
  • Lenin AW = W.I. Lenin, Ausgewählte Werke in 3 Bänden, Berlin 1961
  • Lenin GW = W.I. Lenin Gesammelte Werke, Berlin 1962
  • MEW = Marx Engels Werke in 43 Bänden, Berlin

Im Text zitierte Literatur:

  • Bettelheim, Charles (1975), „Die Klassenkämpfe in der UdSSR, Band 1“ Berlin 1975
  • Bettelheim, Charles (1970), „Ökonomischer Kalkül und Eigentumsformen. Zur Theorie der Übergangsgesellschaft“, Berlin
  • Engels, Friedrich, „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft“, In: MEW 20
  • Gruppe Internationale Kommunisten Hollands (1971); „Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung“, Reibeck bei Hamburg
  • Lenin, Wladimir Iljitsch, „Was Tun? Brennende Fragen unserer Bewegung“, In: AW I
  • Lenin, Wladimir Iljitsch, „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Gemeinverständlicher Abriß“, In: AW I
  • Lenin, Wladimir Iljitsch, „Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus“, In: GW 31
  • Lenin, Wladimir Iljitsch, „Über die Gewerkschaften“, In: GW 32
  • Lenin, Wladimir Iljitsch, „Über die Naturalsteuer“, In: GW 32
  • Marx, Karl, „Kritik des Gothaer Programms“, in: MEW 19
  • Marx, Karl, „Das Kapital Band 1“, In: MEW 23
  • Marx, Karl, „Das Kapital Band 2“, In: MEW 24
  • Marx, Karl, „Der Bürgerkrieg in Frankreich. Adresse des Generalrates der Internationalen Arbeiterassoziation“, In: MEW 17
  • Marx, Karl, „Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie“, In: MEW 42
  • Preobraschenskij, Eugen (1971); „Die Neue Ökonomik“, Berlin
  • Trotzki, Leo (1979), „Verratene Revolution. Was ist die Sowjetunion und wohin treibt sie?“, Dortmund

[1Marx selbst hatte offenbar gewisse Zweifel, ob die individuelle Arbeitzeitmessung so einfach durchzuführen wäre: „Die Arbeitszeit, die in ihr enthalten ist, braucht nur authentisch verifiziert zu sein, (was nebenbei nicht so leicht ist, wie die Feinheit und das Gewicht von Gold und Silber erproben.)“ (MEW 42; 87) Die Internationalen Kommunisten Holland, die vehement das Stundenzettelmodell favorisierten, meinten, dass aus der Kommandohöhe einer Staatswirtschaft sich die Arbeitszeit keineswegs, an der Basis der Produktion jedoch ohne Probleme feststellen ließe: „Was Kautsky von seiner ökonomischen Zentrale aus nicht kann, nämlich feststellen, wieviel verdinglichte Arbeitszeit ein Produkt auf seinem lagen Weg der Teilarbeiten im Produktionsprozeß aufgenommen hat, das können die Produzenten selbst sehr gut.“ (GIK 1971; 49)

[2Auch die Abgrenzung zwischen der historisch-logischen Methode Hegels und jener Marxens (aus der Sichtweise Engels) scheint ihm nicht so recht zu gelingen. Dazu Backhaus: „Unschwer lässt sich ein geradezu beschwörender Ton heraushören: Man solle ja nicht glauben, dass die logische Entwicklung Marxens von der logischen Entwicklung Hegels sich nicht unterscheiden lasse – es handele sich sehr wohl um etwas anderes, wenn auch zugegeben sei, dass die positive Bestimmung nicht so recht gelingen will.“ Hans-Georg Backhaus, „Dialektik der Wertform“, Freiburg 1977, Seite 244

[3Interessant ist in diesem Zusammenhang die Stellung Engels zu Robert Owen. Im Grunde war Owen ein lupenreiner Anarchist. Hätten nicht Marx und Engels über Owen in den höchsten Tönen gesprochen, die Orthodoxie hätte seine gescheiterten Projekte höhnisch in der Luft zerrissen. In Wirklichkeit war seine genossenschaftlich konzipierte Kolonie New Harmony, die er ab 1825 in den USA zu verwirklichen versucht, keineswegs um Lichtjahre von den Wirtschaftskommunen des Herrn Dühring entfernt und Engels hat alle Mühe, die Owenschen Stundenzettel vom Dühringschen Konzept abzugrenzen. „Erstens wäre zu einem solchen Missbrauch der Owenschen Arbeitsmarken ihre Verwandlung in wirkliches Geld nötig, während Herr Dühring wirkliches Geld voraussetzt, ihm aber verbieten will, anders als bloße Arbeitsmarken zu fungieren. (…) Zweitens sind bei Owen die Arbeitsmarken nur eine Übergangsform zur vollständigen Gemeinschaft und freien Benutzung der gesellschaftlichen Ressourcen, nebenbei höchstens noch ein Mittel, dem britischen Publikum den Kommunismus plausibel zu machen.“ (MEW 20; 284f)

[4Der Marxismus war unter den Intellektuellen und den StudentInnen sehr verbreitet. Fast in jeder Stadt nahmen diese Kreise Kontakt zu den ArbeiterInnen auf, und agitierten gemeinsam gegen die kapitalistische Ausbeutung. Lokal entstanden, agierten diese Gruppen auch lokal, und so gab es eine ganze Reihe von Zeitungen und Flugschriften. Lenin bezeichnet diese Form der politischen Tätigkeit recht abfällig als Handwerkelei. Diese dezentralen Netze entzogen sich natürlich auch der Kontrolle und Leitung eines Zentrums, das allerdings Lenin unbedingt installieren wollte.

[5Die Illegalität erfordere eine Gruppe von straff organisierten Berufsrevolutionären, so Lenin.

[6Lenin war damals noch Mitglied der II. Internationale, „sozialdemokratisch“ steht also für revolutionär marxistisch. Eine weitere Formulierung dieser Grundthese findet sich weiter hinten im Text: „Das politische Klassenbewusstsein kann dem Arbeiter nur von außen gebracht werden, das heißt aus einem Bereich außerhalb des ökonomischen Kampfes, außerhalb der Sphäre der Beziehungen zwischen Arbeitern und Unternehmern.“ (LW 1; 211)

[7Damit diese Konstruktion etwas an Plausibilität gewinnt, verwendet Lenin die Unterscheidung zwischen Ökonomie und Politik, die er jedoch keineswegs problematisiert. Dass die Trennung dieser Sphären Ausdruck wie Produkt der bürgerlichen Gesellschaft selbst ist, die jede emanzipatorische Bewegung kritisieren muss, dieser Gedanke war Lenin völlig fremd.

[8Aus spinozistischer Sicht kann es eine Unterscheidung zwischen an sich und für sich gar nicht geben. Daher sind gegenwärtige Konzeptionen, vor allem jene von Negri und Holloway, in denen spinozistische Elemente enthalten sind, substantiell antileninistisch.

[9In folgender Passage zeigt sich die vollkommene Verständnislosigkeit Lenins für das Repräsentationsproblem. Da es recht lange ist, habe ich es aus dem Text herausgenommen, aber ich will es nicht vorenthalten, da sich darin auch die unerträgliche Plattheit manifestiert, die im allgemeinen seine theoretischen (im Gegensatz zu den politisch taktisch – strategischen Schriften) Arbeiten kennzeichnen. „Jedermann weiß, (…) dass die Klassen gewöhnlich und in den meisten Fällen, wenigstens in den modernen zivilisierten Ländern, von politischen Parteien geführt werden; dass die politischen Parteien in der Regel von mehr oder minder stabilen Gruppen der autoritativsten, einflußreichsten, erfahrensten, auf die verantwortungsvollsten Posten gestellten Personen geleitet werden, die man Führer nennt. Das sind alles Binsenwahrheiten. Das alles ist einfach und klar.“ (Lenin GW 31; 26)

[10http://home.flash.net/~comvoice/26cLaborHour2.html, zuletzt abgefragt am 22. 12. 04

[11Das Zitat stammt aus der Schrift „Über die Naturalsteuer“, 1921, wenige Wochen nach dem Aufstand von Kronstadt geschrieben. Lenin zitiert sich darin zweimal selbst; er reflektiert seine eigene Einschätzung der Revolution und bilanziert sie.

[12Durch die Kombination dieser zwei Elemente, der Staatsplanwirtschaft einerseits und der Herrschaft der Partei andererseits, lässt sich das Grundverständnis der drei großen Strömungen verständlich machen, in die der Leninismus nach Lenins Tod zerfallen ist, nämlich Maoismus, Stalinismus und Trotzkismus. Den maoistischen Blick auf Lenin hat vor allem Charles Bettelheim durch seine Anfang der 70er Jahre breit rezipierten Werk „Die Klassenkämpfe in der UdSSR“ vorangetrieben. Um die Kontinuität Lenin – Mao zu betonen, streicht er bei Lenin besonders jene Passagen und Maßnahmen heraus, in denen die Auseinandersetzungen nach der Oktoberrevolution als Klassenauseinandersetzungen verständlich gemacht werden. In dieser sehr realistischen Sichtweise wird betont, dass die Gesellschaft der Sowjetunion (ebenso wie jene Chinas) von sozialistischen Verhältnissen weit entfernt ist. Es gehe also um eine kluge Politik der Partei, die die Klassenwidersprüche verstehen und adäquat darauf reagieren soll. Diese These bedeutete zumindest indirekt eine Kritik an einem rein sozialtechnischen Zugriff auf die Gesellschaft. Der Staatsplanwirtschaft kommt kein Eigenwert zu, sondern erhält ihre Bedeutung allein aus der Gesamtpolitik der Partei. Der Stalinismus zeichnete sich durch eine ausgesprochene Primitivität aus. Sowohl die Staatsmacht als auch die gesellschaftlichen Verhältnisse wurden per Dekret kurzerhand als sozialistisch, ja sogar als kommunistisch erklärt. Da, wie Stalin verkünden ließ, die Klassen endgültig beseitigt seien, könne Kritik nur von Schurken, Spionen und Verbrechern geäußert werden. Das Ausmaß der Repräsentation wird auf die Spitze getrieben; die Partei repräsentiert das Proletariat nicht nur politisch und geschichtlich, sondern auch unmittelbar juridisch - was die mit dem Staat verschmolzene Partei besitzt, besitze auch das Proletariat. Da sich das Proletariat nicht selbst ausbeuten könne, sei Ausbeutung im realen Sozialismus undenkbar, so ein beliebter Kalauer, der bis in die 80er Jahre im Umkreis der KPÖ vertreten wurde. Im französischen Trotzkismus (Unter „französischem“ Trotzkismus meine ich die seinerzeit von Ernest Mandel repräsentierte Strömung, der bezüglich der Sowjetunion einfach die Argumente Trotzkis wiederholte. In Großbritannien hingegen beeinflusste Tony Cliff durch seine Arbeit „Staatskapitalismus“ sehr stark die Sichtweise der UdSSR innerhalb des trotzkistischen Milieus. Dieses Buch ist im Grunde sehr theoriearm und besteht in erster Line aus Statistiken und Berichten über die rechtlose Lange und die massive Ausbeutung der russischen ArbeiterInnen) wiederum wurde das Gewicht auf den vorgeblich objektiven Fortschritt durch die Staatsplanwirtschaft gelegt. Es versteht sich von selbst, dass alle darauf aufbauenden Prognosen über die zukünftige Geschichte der Sowjetunion wie ein Kartenhaus zusammenbrachen. (Ernest Mandel, „Nochmals zur Frage des Charakters der Sowjetunion“ in: Kritik der Politischen Ökonomie Heft 1, Berlin, 1973, Seite 119: „… es wird unmöglich sein, die Produktionsverhältnisse der geplanten Wirtschaft, wie sie aus der Oktoberrevolution entstanden sind, aufzulösen, ohne vorher den erbitterten Widerstand des Proletariats unterdrücken zu müssen.“) Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion manifestiert sich diese Sichtweise in modifizierter und etwas abgeschwächter Form. Insbesondere unter jenen trotzkistischen Kräften, die innerhalb der Sozialdemokratien arbeiten, tritt an die Stelle des Gegensatzes von Wertgesetz und Planwirtschaft der Gegensatz von Privatkapitalismus und Verstaatlichung.

[13Nehmen wir zunächst das Wort „Arbeitsertrag“ im Sinne des Produkts der Arbeit, so ist der genossenschaftliche Arbeitsertrag das gesellschaftliche Gesamtprodukt. Davon ist nun abzuziehen: Erstens: Deckung zum Ersatz der verbrauchten Produktionsmittel. Zweitens: zusätzlicher Teil für Ausdehnung der Produktion. Drittens: Reserve- oder Assekuranzfonds gegen Missfälle, Störungen durch Naturereignisse etc. Diese Abzüge vom „unverkürzten Arbeitsertrag“ sind eine ökonomische Notwendigkeit und ihre Größe ist zu bestimmen nach vorhandenen Mitteln und Kräften, zum Teil durch Wahrscheinlichkeitsrechnung, aber sie sind in keiner Weise aus der Gerechtigkeit kalkulierbar. Bleibt der andere Teil des Gesamtprodukts, bestimmt, als Konsumationsmittel zu dienen. Bevor es zur individuellen Teilung kommt, geht hiervon wieder ab: Erstens: die allgemeine, nicht direkt zur Produktion gehörigen Verwaltungskosten. Dieser Teil wird von vornherein aufs bedeutenste beschränkt im Vergleich zur jetzigen Gesellschaft und vermindert sich im selben Maß, als die neue Gesellschaft sich entwickelt. Zweitens: was zur gemeinschaftlichen Befriedigung von Bedürfnissen bestimmt ist, wie Schulen, Gesundheitsvorrichtungen etc. Dieser Teil wächst von vornherein bedeutend im Vergleich zur jetzigen Gesellschaft und nimmt im selben Maß zu, wie die neue Gesellschaft sich entwickelt. Drittens: Fonds für Arbeitsunfähige etc., kurz, für das, was heute zur sog. offiziellen Armenpflege gehört. Erst jetzt kommen wir zu der „Verteilung“, die das Programm, unter Lassalleschem Einfluß, bornierterweise allein ins Auge fasst, nämlich an den Teil der Konsumationsmittel, der unter die individuellen Produzenten der Genossenschaft verteilt wird. Der „unverkürzte Arbeitsertrag“ hat sich unterderhand bereits in den „verkürzten“ verwandelt, obgleich was dem Produzenten in seiner Eigenschaft als Privatindividuum entgeht, ihm direkt oder indirekt in seiner Eigenschaft als Gesellschaftsglied zugut kommt. (MEW 19:18f)

[14Eine Passage als Beispiel: „So entwickelt sich zwischen 1918 und 1921 ein Verfallsprozeß der Sowjetorgane. Diese bieten den Werktätigen immer weniger Möglichkeiten, ihre Kritik vorzubringen oder die Beamtenschaft zu kontrollieren. Der staatliche Verwaltungsapparat erfährt einen Verselbständigungsprozeß, einen Prozeß der wachsenden Trennung von den Massen. Die Rolle dieses Apparats hat darüber hinaus zur Folge, dass auch die bolschewistische Partei nur mit Mühe die Kontrolle und politische Führung über den Staatsapparat ausübt“. (Bettelheim 1975; 229)

[15Die Messung von Arbeitsquanten sei „weit davon entfernt, lösbar zu sein.“ (Bettelheim 1970; 29)

[16„Die Nutzeffekte der verschiedenen Gebrauchsgegenstände, untereinander abgewogen und gegenüber den zu ihrer Herstellung nötigen Arbeitsmenge, werden den Plan schließlich bestimmen.“ (MEW 20; 288)

[17„Man kann sich fragen, in welchem Maße diese Problemlösung nicht die Bedingungen tendenziell aufhebt, unter denen sich das Problem überhaupt stellt;“ Cornelius Castoriadis, „“Wert, Gleichheit, Gerechtigkeit, Politik Von Marx zu Aristoteles und von Aristoteles zu uns“, In: Durchs Labyrinth, Frankfurt am Main 1983; Seite 265

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