MOZ, Nummer 56
Oktober
1990
Gentechnologie:

Her mit den neuen Genen!

Die Schlüsseltechnologien des 3. Jahrttausends, Gen- und Fortpflanzungstechnologien, benötigen zur demokratischen Absicherung ihrer Existenz das politische und juristische Ja-Wort. Durch die Benennung von einigen wenigen Mißbräuchen wird der generelle Gebrauch dieser Technologien legitimiert.

Bild: MOZ Archiv / Wartha

Unter dem Motto „Lebensqualität“ startete die Europäische Gemeinschaft ein Gesundheitsprogramm mit dem verheißungsvollen Namen „prädikative Medizin“.

„In der westlichen Welt sind Infektionskrankeiten nicht länger die Hauptursache von Krankheit und Tod. Aber viele Krankheiten haben eine genetische Komponente, sei es in Form eines ererbten Ein-Gen-Defekts oder in Form der Interaktion von mehrfachen Gendefekten mit Umweltfaktoren. ... Zusammengefaßt zielt prädikative Medizin darauf ab, Personen vor Krankheiten zu schützen, für die sie von der genetischen Struktur her äußerst anfällig sind, und gegebenenfalls die Weitergabe der genetischen Disponiertheit an die folgende Generation zu verhindern.“

Zur Umsetzung dieses Vorhabens werden bereits konkrete Pläne präsentiert: Ob Ein-Gen-Defekt oder Mehr-Gen-Defekt, Voraussetzung ist die Entschlüsselung des menschlichen Genoms, d.h. die Gesamtheit aller Gene, die nach Meinung mancher das Leben schlechthin ausmachen. Ein ehrgeiziges Ziel, ist doch erst die Funktion von ca. 5.000 der 50.000 bis 100.000 Gene bekannt. Mit Hilfe von Genkarten, Genkoppelungskarten und Klonbibliotheken wird an der Verwirklichung dieses Vorhabens gearbeitet. Ansporn dazu geben weltweit laufende Projekte zur Sache in den USA, Japan, der Sowjetunion sowie anderen europäischen und außereuropäischen Ländern.

Natürlich werden von BefürworterInnen dieser Projekte auch ethische Überlegungen über die Folgewirkung der Erfassung des menschlichen Codes angestellt: Wem gehört die genetische Information? Wer hat Zugang? Wie werden sich Eltern in Anbetracht eines noch größeren Spektrums vorgeburtlicher Untersuchungsmethoden entscheiden? Gibt es ein Recht auf Wissen und Nicht-Wissen? Wie werden sich ArbeitgeberInnen und Versicherungen zukünftig verhalten? Die VerfasserInnen eines Berichts der ad hoc Kommission in der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Thema meinen, „die Akzeptanz des Gesamtprojektes wird daher entscheidend davon abhängen, ob befriedigende Antworten auf diese Fragen gegeben werden können“. Am Ende all dieser Überlegungen siegt jedoch die Vernunft: „... längerfristig kann das Programm prädikative Medizin (als) ein wertvoller Beitrag zu einem alternativen Ansatz beim Problem der ständig anwachsenden Kosten im Gesundheitswesen in der europäischen Gesellschaft angesehen werden.“ Heftige Proteste und Bedenken gegenüber diesem Vorhaben der EG hatten eine vorläufige Rücknahme des Projekts zur Folge, um es wenig später mit neuem Namen — „Analyse des menschlichen Genoms“ — wieder zu präsentieren. Kosten-Nutzen-Rechnungen im Gesundheitssektor werden schon seit einiger Zeit (wieder) angestellt. Besonders im Bereich der vorgeburtlichen Diagnostik rechnen Humangenetiker und Ökonomen die Kosten für ein behindertes Kind gegen die Kosten der pränatalen Untersuchungen auf. Und solange unsere Gesellschaft zumindest der Mehrzahl ihrer Mitglieder den Zugang zu medizinischer Versorgung gleichermaßen zur Verfügung stellt, geht die obige Rechnung natürlich zugunsten der vorgeburtlichen Untersuchung auf. Solange ...!

Wer hat Schuld?

Wird aber einmal tatsächlich behauptet, ein Gen für Herzinfarkt gefunden zu haben oder auch nur ein Gen, das für die Veranlagung zu Herzerkrankungen verantwortlich sein soll, stellt sich die Frage: Wer hat Schuld? Die Umwelt? Der Arbeitsplatz? Das Gen? Wie hieß es doch in der Präambel des Genomprojekts der EG: „Da es höchst unwahrscheinlich ist ... die umweltbedingten Risikofaktoren auszuschalten ...“! Übrig bleiben wird der Mensch, der über seine Veranlagung Bescheid wissen muß — was natürlich eine Untersuchung voraussetzt — und dann gegebenenfalls zur Verantwortung gezogen wird. „Mutwillige und wissentliche Zerstörung der eigenen Gesundheit“ könnte dann der Umstand genannt werden, auf Grund dessen ein Lungenkranker von der Versicherungsleistung ausgenommen wird. Hätte er nicht seinen Arbeitsplatz oder gar Wohnort wechseln können, oder war er gar ein Raucher?

Diesem neuartigen „Haftungs(un)wesen“ liegt die Vorstellung einer optimalen Freiheit und Selbstbestimmung infolge allumfassender Information zugrunde.

In einer Studie der OECD (Organisation für ökonomische Zusammenarbeit und Entwicklung), der auch Österreich angehört, wird eine neue Form der Vorsorgemedizin vorgestellt. Mit gentechnisch hergestellten, billigen Diagnostiksets könnten zu Haus im „do it yourself“-Verfahren Blutzuckerspiegel, Blutfette, Entzündungszeichen etc. gemessen und festgestellt werden. Das Erkennen von Krankheiten vor ihrem Ausbruch könne enorme Kosten sparen. Weiters wäre daran zu denken, solche Tests von den Krankenkassen — in Verbindung mit Beitragszahlungen — vorzuschreiben.

Im Rahmen der österreichischen Vorsorgeuntersuchungen „wird durch eine eingehende Befragung die Vor- und Familiengeschichte erfaßt sowie nach riskanten und gesundheitsbelastenden Lebensgewohnheiten gefahndet“. Das Untersuchungsprogramm soll ab dem 19. Lebensjahr durchgeführt werden, so „Medizin Populär“, Zeitung der österreichischen Ärztekammer im Februar 1990. Dieses oben angeführte medizinische Vorhaben bedürfte nur mehr einer juristischen Verwaltung, die die Strategie der genetischen Anpassung des Menschen an Umwelt und Arbeitsplatz als gesundheitsbewußte Selbstbestimmung tarnt.

Herr Landeshauptmann, darf ich mich fortpflanzen?

1982 mischten sich in Österreich zum ersten Mal erfolgreich zwei Gynäkologen beim fortpflanzungswilligen Verkehren der Geschlechter ein. Das daraus resultierende Retortenbaby — heute schon schulpflichtig — steht noch im juristischen Vakuum, was seine künstliche Zeugung betrifft.

Künstliche Insemination, Reagenzglasbefruchtung, Embryotransfer, Eizellenan- und -verkauf, Samenbanken und Leihmütterschaft — alles ist möglich im kleinen Österreich, derzeit noch ohne bürokratischen und juristischen Aufwand. Doch damit es die Mediziner nicht zu bunt treiben mit ihren Kinderwunschpatientinnen, Samenspendern und Embryonen, wurde die Fortpflanzungshilfe ein Thema auf ministerieller Ebene. Zahlreiche Enqueten wurden gehalten, die Rektorenkonferenz tagte im Auftrag des Wissenschaftsministeriums, das Justizministerium spuckte einen Entwurf über zivilrechtliche Folgen der künstlichen Fortpflanzung aus, Kommissionen wurden gegründet und Gesetzesinitiativen vorgelegt. Denn es ging um nichts Geringeres als um die Erzeugung von Menschen. Die Politiker zeigten sich euphorisch über die erstaunlichen Fortschritte der Wissenschaft, wenn sie auch keineswegs einig waren über gesellschaftspolitische Detailfragen der neuen Reproduktionstechnologien. Liberal abwartend bereitet man langsam die Paragraphenregelung der Fortpflanzung vor, denn auch unfruchtbare Ehepaare und ihr Nachwuchs aus der Petrischale sind potentielle WählerInnenstimmen. Nicht die offensichtlichen Intentionen der Technologien werden diskutiert (wie z.B. Rationalisierung der Fortpflanzung und Sexualität, Eugenik, Qualitätsverbesserung des Menschen ...), sondern die parteiideologische Einbettung der medizinischen Verfahren wird forciert. So läßt sich der Initiativantrag seitens der ÖVP für ein Verbot der Embryonenforschung damit erklären, daß sie eine einmalige Chance witterte, die Fristenlösung zu stürzen. Wenn die Ärzteschaft nicht an Embryonen manipulieren darf, ist auch der erlaubte Schwangerschaftsabbruch moralisch ein Fehlschlag. Panische Verteidigungsrufe aus dem Frauenstaatssekretariat waren die Reaktion auf Flemmings Embryoschutzmanöver. Egal, ob reaktionär oder liberal, künstliche Befruchtungstechniken werden gutgeheißen, dienen sie doch der Erfüllung des Kinderwunsches.

Johanna Dohnal wendet sich insbesonders gegen die kommerzielle Ausbeutung von Frauen (Leihmutterschaft, Gametenhandel). Sie betrachtet In-vitroBefruchtung nur als ultima ratio und fordert ein Verbot pränataler Genomdiagnostik und gentechnischer Eingriffe in die menschlichen Keimzellen. Für das Familienminsterium bleibt der Embryo das primäre Schutzobjekt, und das Justizministerium bezieht in seinem ersten Entwurf Stellung zu den erbrechtlichen Fragen der künstlichen Befruchtung. Ein Beschließungsantrag der Grünen zieht ein Verbot der künstlichen Befruchtung beim Menschen durch Invitro-Fertilisation, Embryoimplantation und Embryonenspülung in Erwägung. Die Begründung für die ungewöhnlich radikale Ablehnung liegt einerseits in der äußerst geringen Erfolgsrate (10-15%), der physischen und psychischen Belastung für Frauen und andererseits in der Möglichkeit des medizinisch-technischen Zugriffs auf den Embryo. Dieser Standpunkt des Verbots ist ein verwegener Luxus der kleinsten Parlamentspartei.

Nun liegt der neueste Bundesgesetzentwurf über die medizinische Fortpflanzungshilfe beim Menschen vor: der kleinste gemeinsame Nenner der Koalition. Die den neuen Reproduktionstechnologien innewohnende Sprengkraft traditioneller Familienmuster wurde radikal entschärft: Keine Babys für Lesben, keine Babys für alleinstehende Frauen. „Eine medizinische Fortpflanzungshilfe soll grundsätzlich nur mit Eizellen und Samen des Wunschelternpaares geleistet werden; nur die Insemination soll mit dem Samen eines Dritten zulässig sein. ... die Möglichkeit der Schaffung ungewöhnlicher persönlicher Beziehungen und die drohende Ausbeutung und Ausnutzung der Frau sprechen für ein Verbot solcher Verfahren.“ Mit anderen Worten: Künstliche Fortpflanzungshilfe wird nur dann verabreicht, wenn die Keimzelle des Staates in ihrer traditionellen Form nicht manipuliert wird. Nur ein genetisch eigenes Kind lohnt familienpolitisch gesehen den hohen Aufwand einer künstlichen Befruchtung. Die Erweiterung eugenischer Bestrebungen durch die Gentechnologie wird von diesem Gesetzesentwurf nicht behandelt, da Belange der Gentechnologie grundsätzlich ausgeklammert bleiben.

Jede Form der Mithilfe am Zeugungsakt unterliegt der Dokumentations- und Berichtspflicht sowie der Zulassung durch den Landeshauptmann. Besonders sorgfältige Dokumentationen müssen von den Ärzten bei der Verwendung von Samen Dritter erstellt werden, handelt es sich hierbei doch um die Schaffung „ungewöhnlicher Beziehungen“. In diesen Fällen möchte der Landeshauptmann jährlich, spätestens bis zum 31. März des folgenden Kalenderjahres, informiert werden. Ungewöhnlich erscheint viel eher die harmonische Beziehung zwischen Landeshauptmann, Mediziner und Jurist, die sich über die technologische Verwaltung der menschlichen Fortpflanzung geeinigt haben.

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