Wurzelwerk, Wurzelwerk 38
April
1985
Militarismus-Kritik:

Horst Stowasser geht 35 Tage ins »Häfn«

Horst (rechts) während des Prozesses im Gespräch mit einem Sympathisanten (Ex-Fallschirmjäger)

Horst Stowasser, bundesdeutscher Anarchist und Mitarbeiter dieser Zeitung, wird demnächst eine 35-tägige Gefängnisstrafe antreten. Der Grund: in einem Kommentar hatte er geschrieben, eine Armee sei »organisierte Gewalt«, das Handwerk des Soldaten bestehe, im »Töten anderer Menschen« und ein Soldat sei ein »berufsmäßig ausgebildeter Mörder«. Im Wurzelwerk 11/84 haben wir ausführlich über den Prozess berichtet, der sich über insgesamt 4 Jahre hinzog und in dem nacheinander die Verteidigungsminister Hans Apel (SPD — er verlor den Prozeß) und Manfred Wörner (CDU — er gewann den Prozeß) als Kläger auftraten:

Mit diesem Urteil fällt die bundesrepublikanische Justiz hinter die von Weimar zurück. Noch 1932, am Vorabend des Faschismus, fand ein deutsches Gericht den Mut, Kurt Tucholsky freizusprechen. Er hatte in der »Weltbühne« des Friedensnobelpreisträgers Carl von Ossietzky just dasselbe gesagt, wie Horst Stowasser fast 50 Jahre später in dem von ihm herausgegebenen Alternativblatt »Lahn Dill Bote«.

Stowasser ist nicht Tucholsky und der Lahn Dill Bote nicht die Weltbühne ... Ob das der Grund dafür war, daß man eine offensichtliche Meinungsäußerung — ja, eigentlich eine nur banale Tatsachenfeststellung — als »Beleidigung« unter Strafe stellt? Jedenfalls war die Berufungsverhandlung im November letzten Jahres vor dem Landgericht in Limburg eine lehrreiche Justiz-Farce. Vor einem staunenden Publikum, einer anwesenden Schulklasse, Rundfunk und Presse tobte ein cholerischer Staatsanwalt, der meinte, er »kenne den Russen« und sei stolz auf »unsere Bundeswehr«. Normalerweise, so der Gesetzesmann, müsse mit solchen Menschen kurzer Prozeß gemacht werden: »So ein Fall müßte in 10 Minuten vom Tisch sein!« Diesen Gefallen taten Stowasser und sein engagierter Anwalt Günter Becker dem Gericht nicht. In einer mehrstündigen, leidenschaftlichen Verteidigungsrede machte Stowasser aus der Angeklagtenbank einen Ort der Anklage gegen Staat und Militär. Alle Beweisanträge — insgesamt über 20 — wurden vom Gericht mit der Begründung abgewiesen, sie hätten »nichts mit der Sache zu tun« darunter beispielsweise die Bitte, festzustellen, daß beim Zitieren des Artikels in den Gerichtsakten insgesamt 3 wesentliche Verfälschungen vorgenommen wurden ...

Besonders tragisch ist, daß der Prozeß mit den 35 Tagen Gefängnis für Horst Stowasser nicht zu Ende ist. Schon 1981 hatte er — trotz des damaligen Freispruches! — nach 10 Jahren seine Arbeit an der Volkshochschule verloren. Inzwischen hat er mit Anderen einen »Alternativbetrieb« aufgebaut. Nun soll er auch noch fast 10.000 DM »Prozeßkosten und notwendige Auslagen« bezahlen. Das würde für den Betrieb das »Aus« bedeuten, den wirtschaftlichen Ruin. Auch so wird nachhaltig diszipliniert!

In Deutschland und auch im Ausland läuft inzwischen die Solidarität an. Auch in Österreich wurde zu Spenden aufgerufen.

Die Kontonummer lautet: Wiener Rechtshilfegruppe, Stichwort »Horst Stowasser«, Creditanstalt Bankverein Kto.-Nr. 016 330 31 800

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