Heft 7-8/2000
Dezember
2000

Immer wieder Hochmoos

Anmerkungen zum Ochs, der vor dem Berge steht

Mit einer aufwendigen Dokumentation hat der ORF am 26. Oktober den ÖsterreicherInnen zur Prime Time vorgeführt, woraus ihre Nation besteht: monumentale Größe, gewaltige Schwäche, erbärmliche Selbstermächtigung.

Menschen kamen im Hauptfilm zum Nationalfeiertag nur als Relation vor, nur um die „gewaltige, und gewalttätige Pracht“ der Natur zu dokumentieren und zu erfassen. „Erst dann, als wir die Menschen in ihrer Winzigkeit (...) sahen, spürte ich die wahre Größe“, erschauderte der Regisseur vor der Natur. „Sicher, sie kommen vor in meinem Film, die Menschen, aber wie klein sie sind, wie klein.“ [1]

Nun, dass der ORF den Nationalfeiertag mit einer Hommage an den Großglockner begeht, macht durchaus nationalen Sinn. Es gibt nichts Größeres, Erhabeneres, nach dem Ende des Kalten Krieges nichts Neutraleres, nichts Ewigeres in diesem Land. Mögen die FranzösInnen ihre Revolution feiern, die Deutschen ihre Wiedervereinigung, die ItalienerInnen der Befreiung gedenken — Österreich baut in nationaler Bedrängnis auf unbehaunen Fels, echte Natur, schwindelerregende Höhen und fürchterliche Abgründe. Nicht zum ersten Mal lehnt sich das kleine Österreich an den großen Glockner an: In den dreißiger Jahren war der höchste Berg der Identitätssockel für den „besseren deutschen Staat“, mit der Glocknerstraße erbaute sich der Austrofaschismus des kleinen Mannes wirtschaftliches Selbstbewußtsein. Und als das Land nach der Niederlage im Mai 45 zehn Jahre lang unter den Besatzungsmächten stand, regenerierte sich die geschunde österreichische Seele mit Heimatfilmen an den urtümlichen und ewigen Kräften seiner Gebirgswelt.

Wenig überraschend entstand die Avantgarde der letzten Welle berglerischer Regression im Umfeld der Ökologiebewegung. Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre tauchen hier eigenartige Wesen auf: sogenannte ÄlplerInnen, vom Alpenforscher Bätzing als TrägerInnen eines „neuen kulturellen Selbstbewußtseins im Alpenraum“ identifiziert, würden sich neuerdings für eine „positive Entwicklung ihrer Heimat einsetzen“. [2] Oder in ein mythisches Bild gesetzt: Die Alpen brennen wieder. Denn am zweiten Augustwochenende jeden Jahres besteigen zahlreiche ÄlplerInnen, organisiert in Bürgernitiativen, Alpenvereinen, Natur- und Umweltverbänden hunderte Berggipfel, um zum Zeichen ihrer Eigenart so genannte Alpen-Feuer anzuzünden. Wahrscheinlich gab es die neuen Bergmenschen vereinzelt ja schon vorher. Ihre Identität bewußt wurde ihnen offenbar aber erst, als sie in den Schein der weithin sichtbaren Flammen traten.

„Plötzlich kamen die Menschen in den Schluchten und Gräben dahinter, daß sie nicht allein waren, daß es hunderte wenn nicht sogar tausende ähnliche Aktivitäten im gesamten Alpenbogen gibt.“ [3] Begonnen hat alles Ende der 80er Jahre im Schweizer Kanton Graubünden. Mitte der 90er Jahre schreibt der Kärntner Alpenaktivist Gerhard Leeb in seinem Buch AlpenFeuer bereits von einer „alpinen Lawine“, die sich in Gang gesetzt hätte, um den „europäischen Alpenbogen als eigenständigen Kultur- und Lebensraum“ zu schützen. Wie innig die Verbundenheit mit den Bergen zelebriert wird, verblüfft dann aber doch: „Ein Anliegen und ein Gebot der Höflichkeit, nein, noch besser, der Demut ist es mir, die zahlreichen Ehrengäste zu begrüßen. Allen voran, sozusagen als Hausherrn den Dobratsch, mit ihm die Karawanken, die Karnischen Alpen, die Julischen Alpen und das von der Vernichtung bedrohte Gailtal, Rosental und den Roßkofel. Ja, unsere Ehrengäste sind insgesamt alle ausgebeuteten Berge und Täler von Nizza bis Wien“. [4] Die Essenz der älplerischen Identität begründet sich in der Gemeinschaft mit den Bergen, deren Ausbeutung die Form des Tätigseins des Älplers schon vorgibt: Widerstand! Gegen die Vernichtung der geheiligten Berge, für das „unversehrte Erhalten der Täler“ (27). Die vollkommene Harmonie in der sich die ÄlplerInnen mit ihren natürlichen Lebensbedingungen wähnen, hat natürlich einen Namen: Heimat. Die Suche nach dem Weg zu sich nach Hause ist bekanntlich nicht immer einfach. Identitätsbäcker verlassen sich dabei gerne auf gut erprobte Pfade. Wie oft in den Bergen verstellt ja der Nebel die Sicht, das Wesen verbirgt sich hinter einem garstigen Schleier. Abhilfe verschaffen kann da der ahnungsvolle Blick in eine weißgottwielange, auf ewig geltende Vergangenheit: die Beschwörung einer organischen Verbindung mit dem Boden, mit der Natur. Die Lebensweise der Neuerwachten entspricht denn auch „sowohl im Denken (…) als auch im Handeln (…) einer uralten bäuerlichen alpinen Tradition. (…) Nur sie verstehen etwas von dem Boden, der langsam wegzurutschen droht, von den Wäldern und den Menschen, die dahinsiechen und von den Tieren und Pflanzen, deren Lebensraum zusehends verschwindet“ (11). Das neue Selbstbewußtsein entstand so im Wiederfinden, im Zurückgewinnen der „Verwurzelung“; im überraschenden Triumph, zur wahren Natur des alpinen menschlichen Seins zurückgedrungen zu sein. Deswegen sei die Adaption des alten Brauches, auf Berggipfeln Warnfeuer anzuzünden, die adäquate Repräsentation der Erneuerung. „Er (baut) auf der Wurzel-Kultur: auf alten, uralten Symbolen und Kulthandlungen, auf Feuer und Stein.“ (11)

Aber wozu der ganze Schnick-Schnack? Was war passiert? Nichts als Entfremdung, Täuschung und Kolonialisierung. Straßen wurden gebaut, Brücken, Kraftwerke, Lifte, Hotelanlagen, alles im Dienste der Profitgier. „Von den ersten Jahrzehnten der sogenannten ‚Neuzeit‘ und von ihren Interessensvertretungen wurden sie überrumpelt. Jetzt haben sie sich gefangen. (…) Sie pflegen wieder ihre alten Sprachen, verweigern den Tourismusgewaltigen ihre Folklore und der EU ihre guten Produkte.“ (119) So finden sie ihre Identität mit dem eigentlichen „Mensch der Alpen“ wieder. Und den stellt sich Leeb, Träger des Kärntner Landesumweltpreises, in schlechtester Tradition von Schuldabwehr und Vedrängung als die reine Unschuld vom Lande vor: „Der Mensch der Alpen hat keine Kriege geführt. Er hat sich aber immer gewehrt. Gegen die Natur ebenso wie gegen Eindringlinge. Die Tradition dieser Wehrhaftigkeit ist ungebrochen.“ (8)

Feind der Berge

Wo die Harmonie der Berggemeinschaft in Unschuld und Geknechtetsein so vollendet ist, muß der Feind der Berge außen stehen. Mit traumwandlerischer Sicherheit findet der Älpler sein Gegenbild im verdorbenen Städter, in dessen arroganter „Überheblichkeit“ (119) und dekadentem Unverstand für die ehernen Gesetze der Natur. Seinem Einfluß auf die Einheimischen ist es zuzuschreiben, daß die Gipfel der Berge der „Profitgeilheit“ geopfert werden sollen und sich der Irrglaube verbreite, „das damit verdiente Geld in der Folge essen zu können.“ (50) Gegen die abstrakte Macht des Geldes, sich alles kaufen zu können, läßt Leeb die unverdorbene, konkrete, natur- und traditionsverbundene Handarbeit des Älplers antreten.

Politisch richtet sich der Zorn des neuen Selbstbewußtseins gegen die „Schreibtischtäter in Wien, Brüssel oder Rom,“ (21) die über die Köpfe der Älpler hinweg regieren und deren „Selbstbestimmungsrecht“ negieren. Die Älpler selbst „trennen keine Grenzen, keine weltanschaulichen oder politischen Gründe“. (118) Hier gibt es keine Politik, kein Parteiengezänk, keine Interessens-Gegensätze, nur ein geheimnisvolles Band der inneren Einheit, die nicht begründet sondern nur gespürt werden kann.. Kurz: Es herrscht das Primat der Natur, die die einzelnen zur Einheit der Erhabenen zusammenschweißt. Alle Gegensätze und Widersprüchlichkeiten werden aber ohnehin schon angesichts der apokalyptisch heraufbeschworenen alpinen Katastrophe irrelevant. Die gefährlichste Waffe des Bergfeindes ist das Geld. Es trägt eine ebensolche geheimnisvolle Macht in sich: nur die, die ist teuflisch. Nicht nur dient das Geld den blind vergnügungssüchtigen „Neureichen“ dazu, die Einheimischen zu demütigen. „Oben auf der Sonnenalpe vergnügen sich die Touristen. Dazwischen Kärntner Familien, die sich den einen Tag vom Mund absparen.“ (51) Schlimmer noch: Das Geld spaltet die naturwüchsige Gemeinschaft. Statt der mitgebrachten Jause wollen ihre Kinder lieber „‚ortsübliche‘ Pommes frites und Coca Cola“. (ebd.) Neben dieser heimtückischen Entfremdungsmacht hat das Geld darüber hinaus die Fähigkeit, die ehrliche Unmittelbarkeit des Alpenbewohners zu verfälschen — ihn zu kolonisieren. Zunächst maskiert der Geldgeist nur für die Dauer der Fremdenverkehrssaison die Gesichter der AlpenbewohnerInnen, nach und nach anverwandelt er sich aber die Ursprünglichkeit der Visagen: die falsche Freundlichkeit erstarrt zur Fratze — „ohne Leben, ohne Gefühl“. Das Gespür für das Leiden der Natur wandelt sich in eine „Angst vor dem Berg, vor dem Fluß“, einem bloß abstrakten Erkennen der Tatsachen ökologischer Zerstörung. Die Verwandlung des richtigen Gespürs in entfremdetes Denken hinterläßt seine Spuren auch in der Kunst. Keine Landschaftsbilder, keine Feldhasen gebiert der Künstler mehr. Wen wunderts, denn das Denken wird „abstrakt wie die Bilder an der Wand“ in der Galerie von Landeck. (49)

Typisch deutsch

Die älplerische Identitätskonstruktion entspricht einer Tradition von Reaktionsmustern auf die aufbrechenden Widersprüche der Moderne im deutschsprachigen Raum. Die Berge gaben seit dem Beginn der Moderne eine Projektionsfläche für die Sehnsüchte vor allem der Kleinbürger ab, die aus den unbegriffenen Widersprüchen der Entwicklungsdynamik kapitalistischer Vergesellschaftung resultieren. In ihrer monumentalen Größe, ihrem ewigen Gelten erscheinen sie als Garant und Bestätigung naturalistischer Welterklärungen. So kann man dem heutigen Kärntner Kulturberater Andreas Mölzer getrost zustimmen, wenn er genüsslich davon spricht, daß ein guter Teil der in den 80er Jahren sich formierenden Umweltbewegung in „typisch deutschen Traditionen des Naturbewußtseins denkt und fühlt.“ [5] Der Älpler, wie er uns bei Leeb entgegentritt, kann als ein zeitgenössischer Prototyp deutscher Naturverbundenheit bezeichnet werden, als eine romatische Ermächtigungsform, sich den Widersprüchen der moderner Gesellschaft zu entwinden. Seine Ewigkeit ist ein Mythos, die Anhimmelung der unverfälschten Berge entsteht erst dort, wo ihr Material zum Gegenstand von Kapitalisierungsprozessen wird.

Heimat-Kunst im lichten Hochland

Um die Jahrhundertwende etablierte sich im deutschsprachigen Raum die sogenannte „Heimat-Kunst“, die eine spezifische Zivilisationskritik formulierte. Wesentliche Elemente davon fließen in die Literatur des Austrofaschismus und Nationalsozialismus ein. Auch wenn die Heimat-Kunst ein breites Spektrum unterscheidbarer Richtungen ausprägte, einig war sie in „Abwehrtendenzen gegenüber der als wesensfremd empfundenen Moderne, die als ‚französisch‘ oder ‚jüdisch‘ mit negativen Eigenschaften konnotiert und diffamiert wird, eine(r) irrationale(n) Rückkehr zum Mythos sowie die entschiedene Großstadtfeindschaft“. [6] Bei Ludwig Ganghofer verdichtet sich die Großstadtfeindschaft in der „Hochland-Metaphorik“. Sie transportiert eine Ethisierung von Bewegungen, eine „gewollte Symbolik, die landschaftliche Formation und anthropologische Entwicklung in eines setzt (…)“. [7] „Hochland“ meint dabei nicht nur eine geographisch hochgelegene Region, sondern eine seelische Höhenbestimmung. Das erhabene Reich des deutschen Geistes liegt in den Bergen — im Gegensatz zu den Niederungen, wo die Moderne ihr Unwesen treibt. Ganghofer plädiert mit der Hochland-Metaphorik aber auch an die verkommenen Großstädter, sich ins Gebirge zu begeben, um an Leib und Seele zu genesen.

Die Bergbevölkerung verklärt er zu besseren Menschen, die den „Naturwillen“ tatsächlich leben und menschlich verkörpern. Die Natur und ihre Gesetze sind das Höchste, alles was dazu in einem positiven Bezug steht, stellt das Gute, das Elementare und Unverfälschte dar. Wer den Kontakt zur Natur verloren hat, wird schließlich von der Unbarmherzigkeit der Naturkräfte vernichtet. [8] Ganghofer trifft mit seinen Romanen die „alpinistische“ Befindlichkeit des städtischen Bürgertums des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Der durch die bürgerliche Gesellschaft eingeleitete Individualisierungsschub äußerte sich in einer Sehnsucht nach der Überwindung des eigenen isolierten Selbst. Eine entsprechende Entgrenzungserfahrung findet das Bürgertum über die Flucht in die „jungfräuliche“ Bergwelt, die gegenüber den unentrinnbaren Zwängen, der Fremdbestimmtheit des städtischen Alltags, zum Ort des Seins wahrer männlicher Freiheit wird. Diese Freiheit wird bezeichnenderweise im Jahrbuch des österreichischen Alpenvereines 1873 als ein Aufgehen im Ganzen der Natur und darin als vollendetes Bei-Sich-Sein beschrieben: „Die Lust und Empfänglichkeit für die Reize der Natur und insbesondere der Gebirgswelt verleiht dem Menschen die Weihe sittlicher Veredelung, in der frischen, reinen Bergluft fühlt er sich frei und erhaben über die Misere des irdischen Alltagslebens, auf den Bergen empfindet er wahre innere Freiheit.“ [9] Die Flucht in die geheiligten Berge wird denn auch als Beitrag zur Höherentwicklung des Deutschtums aufgefaßt, das im Unterschied zur verstandesmäßig ausgerichteten westlichen Zivilisation, auf intuitiver, „echter“ Erfahrung beruhend mehr als sie ist, nämlich Kultur. In den Heften der österreichischen und deutschen alpinen Vereine werden die Berge zu „heiligen Bergen“, zu „Altären des Lichts über dem Sumpf der Niederung“ stilisiert. [10] Die Berggipfel geraten nach und nach zur majestätischen Aussichstwarte auf die herbeigesehnte, auf ewig haltende Lösung der „deutschen Frage“, jener wahnhaften Vorstellung vom Befall des völkischen Heimatlandes durch ein jüdisches Unwesen.

Alpenvereine als Avantgarde des Antisemitismus und das Verschwinden der Berge

Kaum sind die Gipfelhöhen verlassen, vergeht das Empfinden vollendeter Harmonie. Zum Wiederholungszwang gesellt sich das Bedürfnis nach der ständigen Vergegenwärtigung der polaren Weltanschauung im gesellschaftlichen Alltag. Hier ist kein Verlaß auf die konkrete Tätigkeit, ihr Wert hängt nicht ab vom eigenen Wollen oder Können, sondern vom unbeherrschbaren Wirken anonymer, nicht dingfest zu machender ökonomischer Funktionsmechanismen. Selbst nur Funktion zu sein in einem Spiel, in dem man sich an Fäden hängend wähnt, widerspricht aber dem Pathos der bürgerlichen Emanzipation. Die simple Gegenüberstellung von Gut und Böse, die klare Identifikationsmöglichkeit von Ursache und Wirkung, die Verklärung der Natur, die Projektion vollendeter Freiheitserfahrung in die luftigen Höhen der Berge lassen Ganghofers Romane um die Jahrhundertwende größte literarische und gesellschaftliche Wertschätzung finden. [11] Sie versinnbildlichen nicht nur das Unbehagen, sondern bieten auch eine Alternative zu den „verlogenen“ Prinzipien bürgerlicher Emanzipation. Er präsentiert auf der Basis einer biologistischen Welterklärung den Triumph des natürlich Guten und des Natur-Schönen. In der gesellschaftlichen Wirklichkeit trifft der Bannstrahl des Unbehagens das Böse aber in Gestalt der Juden. „Für die Antisemiten wird ‚jüdisch‘ zum Signum der ‚schlechten Moderne‘, für Warenhaus und Börsenspekulation, amoralisches Großstadleben und Kulturverfall“. [12] Sie werden identifiziert mit dem unfaßbaren „Geist“ des Kapitalismus, der die konkrete Erscheinungswelt ständig und immer schneller verändert. Alle als negativ gewertete Komponenten der Moderne werden auf die Ausbreitung und Übermacht des „semitischen Geistes“ zurückgeführt, dem das deutsche Wesen und die mit ihm verbundene „ehrliche Arbeit“ unversöhnlich gegenüberstehe. In den Alpen haben Juden daher nichts zu suchen! 1905 wird in Wien die erste „rein-arische“ Sektion des Deutsch-Österreichischen Alpenvereines gegründet. Begründung: „Die Verjudung der großen DÖAV-Sektion Austria und der Mangel an Geselligkeit in ihr.“ Im Unterschied zur stillschweigenden Anerkennung des Arier-Paragraphen in vielen Sektionen hielt die DÖAV-Sektion Wien ausdrücklich fest: „Mitglieder können nur Deutsche arischer Abstammung werden!“. [13] Die Sektion „Donauland“ wehrte sich innerhalb des DÖAV am vehementesten gegen die Einführung von Arier-Paragraphen. Unter der faschistischen Parole „Durch Reinheit zur Einheit“ wird sie aber „als überwiegend jüdische Sektion“ schon 1923 aus dem DÖAV ausgeschlossen. 10 Jahre vor der Machtübernahme der NSDAP in Deutschland setzte der Alpenverein also schon Teile der antisemitischen Ideologie um. Rainer Amstädter beschreibt in seinem Buch Der Alpinismus. Kultur Organisation Politik akribisch die selbsttätige Vorbereitung des Alpenvereines auf den deutschen Krieg durch antisozialistische Propaganda, kämpferische, männliche Ideologisierung und die frühe Umsetzung einer Reihe von Maßnahmen, die der Vernichtung der europäischen Juden zumindest den Boden bereiten. Die Alpen bleiben aber nicht bloß Orte der deutschen Identitätsfindung. Der Alpinismus wird mit dem Nationalsozialismus zu einem der wichtigsten Mittel, „um die sittliche Kraft des deutschen Volkes wieder herzustellen (…) und zwar in der Form der bergsteigerischen Arbeit“. Stolz verweisen führende Protagonisten des Alpenvereines während des Krieges auf die soldatischen Leistungen der „aus dem Bergsteigergeist der Seilschaft geborene Kampfgemeinschaft der ostmärkischen Gebirgsjäger, vornehmlich aus der Steiermark und aus Kärnten (…)“. [14] Der Mensch der Alpen hat keine Kriege geführt? Alles nur Widerstand und Abwehrkampf!

Der verfemten westlichen Zivilisation war es schließlich zu verdanken, dass die Alpen als Trutzburgen mythischer Verklärung des deutschen Wesens zunächst einmal zum Verschwinden gebracht wurden. Dem Vorschlag des Salzburger Gauleiters sich in die Alpenfestung zurückzuziehen, um dort das deutsche Wesen zu verschanzen, konnte Hitler nicht mehr folgen. Denn, wie Arnold Zweig in seiner „Dialektik der Alpen“ so schön schrieb: „Britische Flieger haben die Alpen gleichsam zum Verschwinden gebracht“. [15] Die Höhen der Berge und die Tiefen der Täler waren ihnen und den Bomben, die sie warfen einerlei.

Das Nachkriegsösterreich im Hochmoos

Kaum waren die Flieger weg, fingen die Berge in den Köpfen wieder an zu wachsen. Die alpine Ideologie feierte nach dem Krieg in einem wahren Reigen einschlägiger Kinofilme fröhliche Urständ, zum Publikumshit avancierte der Streifen Echo der Berge, besser bekannt unter seinem deutschen Verleih-Titel Der Förster vom Silberwald. Der Film sollte nach dem Wunsch der Produzenten den Naturschutz propagieren und die Naturverbundenheit eines Herrenjägers zeigen.

Echo der Berge bringt eine ganze Reihe von Gegensätzen, die an die Heimat-Kunst der Jahrhundertwende, an die austrofaschistische Literatur, die mythische Verklärung der Berge im Alpinismus anknüpfen und sich auch in der manichäischen Konstruktion des Älplers jüngster Prägung wiederfinden. Den ganzen Film durchzieht die strikte Gegenüberstellung von Land und Stadt. Die Charakterisierung der Pole wird durch weitere Gegensätze genauer konturiert: Die Stadtbewohner folgen der Geldlogik, die „echten“ Dörfler dem ehernen und natürlichen Gesetz von Ehre und Sittlichkeit; die einen konsumieren abstrakte städtische Kunst, die anderen laben ihre Seele an der konkreten Schönheit der Natur, die einen sind böse, die anderen gut. Besondere Abscheu erntet ein Künstler für eine Reise nach Paris, in die Ausgeburt städtischer Dekadenz. In Bewegung kommt der Gegensatz allein in der ganghoferschen Gesundung der Städterin Liesl, als sie dem Reiz der Berge, personalisiert im Naturbursch Hubert, erliegt, und in dem verwerflichen Interesse des Gemeinderates von Hochmoos, aus reiner Profitgier den Silberwald, die Seele der filmischen Bergwelt, zu verkaufen. Noch einmal gelingt es im Film, das drohende Unheil abzuwenden. Zwar wird die Natur auch schon in Filmen über die Errichtung des Tauernkraftwerks Kaprun entzaubert, der Tourismus der 60er und 70er Jahren degradiert die Berge dann aber gänzlich zur Kulisse einer halblustigen Badeseegesellschaft.

Die Bösewichte der Städte haben zunächst also gesiegt, die Gesetze der Natur mißachtet und den BergbewohnerInnen durch das trojanische Pferd des Tourismus einen ihnen fremden Geld- und Profitgeist injiziert. Doch der Mensch der Alpen beginnt sich — wie wir wissen — zu wehren und zwar im Bunde mit der Naturgewalt. „Es ist ein Wehren, gegen das es keine Gegenwehr gibt“, phantasiert sich Leeb in einen veritablen Almrausch. Die zahllosen älpischen Puzzlesteine werden sich „langsam zu einem einzigartigen Großen zusammenfügen“. [16] Aus den Trümmern der geschundenen Berge basteln die Alpenfans voller Leidenschaft neue Natur-Ankerplätze für ihre kleinbürgerliche Seelen. Ironischerweise benötigen sie für ihre Heilung offenbar genau jene Muster der Projektion, die die städtische Vergötterung der Berge bis weit in das späte 20. Jahrhundert getragen haben. Was sie neu wähnen, ist nichts als jene von antisemitischen Stereotypen durchsetzte aufgewärmte alte Scheiße, die anscheinend jede „natürliche“ Zivilisationskritik auszuscheiden pflegt. Ob wir uns tatsächtlich schon in jener „alpinen Lawine“ befinden, die hier beschworen wird, kann getrost bezweifelt werden. Was aber offensichtlich existiert, ist eine projektive Verklärung der Alpen und ihrer BewohnerInnen in einem neuen Bergbewußtsein. Einmal davon besessen, müssen die Ideologen nur lange genug hinsehen, um die alpine Lawine überall zu erkennen. Deutsch ist, so schrieb Theodor W. Adorno einmal, ein Mensch, der keine Lüge aussprechen könne, ohne sie tatsächlich zu glauben.

Nachdem die traute Seligkeit der 60er und 70er Jahre mit der Hoffnung, durch Fleiß und Anstrengung ließe sich ein sorgenfreies Dasein ein-für-allemal erreichen, versinnbildlicht in der filmischen Vereinigung von Berg und See, steigen und segeln, vergangen ist, beginnen in der Leere der 90er Jahre die Berge also wieder zu wachsen. Im Parlament kraxelt eine Seilschaft aus einem furchtlosen Tiroler und einem Simmeringer, der lieber ein Kärntner wäre. Im Kutscherhof regiert ein Naturbursch, der echrt, ärrlich, einfrch und Trroler ist. Und der nationale Aufbruch formiert sich als Berggemeinschaft: Schüssel und Haider bilden eine Alpenkoalition, die zumindest von der Inszenierung her der psychischen Disposition des eingezwängten Älplers entgegenkommen. Schüssel medialisierte die ÖVP-Klausuren seit Jahren alsWandertage in der Waldheimat, als erquickendes Lustwandeln in Bergwäldern und Almwiesen nach ehrlich und national getaner Polit-Arbeit. Angesichts der trauten Einigkeit, die die sanft gemalten Bilder versprühen, läßt man sich gerne in den nationalen Schulterschluß zurückfallen, während der Gipfelstürmer Haider die Sehnsucht nach Stärke und Entschlossenheit, nach jenen nationalen Höhen bedient, die einen Ausblick auf eine ganz andere, selbstbewußte und von äußeren Zwängen befreite Nation verspricht. Am besten eine, die ist wie der Großglockner: hart, stark und schön — ein Naturereignis eben; ein Wehren, gegen das es kein Gegenwehren gibt.

[1Der Standard, 20.10.2000

[2Bätzing, Werner, zit. nach Leeb, a.a.O., S.112

[3Leeb, Gerhard 1995: AlpenFeuer, Graz, S. 20. Alle in Klammer gesetze Seitenangaben beziehen sich auf Artikel in diesem Buch.

[4So der Villacher Journalist Peter Umlauft in seiner Eröffnungsrede eines AlpenFeuers am Dobratsch, in: Leeb, a.a.O, S. 27

[5Mölzer, Andreas 1995: Grün ist heimatverbunden, in: Grenzlandjahrbuch, S. 70

[6Steiner, Gertraud 1987: Die Heimat-Macher. Kino in Österreich 1946-1966, Wien, S. 28

[7Klotz, Volker, zit. in: Steiner, Gertraud 1987: Die Heimatmacher. Kino in Österreich 1946-1966, Wien

[8vgl. dazu Steiner, a.a.O., S. 35f

[9zit. in: Ammerstädter, Rainer 1996: Der Alpinismus. Kultur, Organisation, Politik, Wien, S. 32

[10ebd., S. 136

[11Stand der Gesamtauflage der 70 Ganghofer-Romane Ende der 80er Jahre: 30 Millionen Stück, 32 Verfilmungen zwischen 1913 und 1970. (vgl. Steiner, a.a.O., S. 33)

[12Amstädter, a.a.O. S. 83

[13ebd., S. 150

[14ebd., S. 486

[15Arnold Zweig 1997: Dialektik der Alpen, Berlin

[16Leeb, a.a.O., S. 119

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