Internationalismus und Bellizismus
Die Denunziation von Befürwortern der Militärintervention im Irak als Kriegshetzer interessiert sich nicht für die irakische Opposition.
Was herauskommt, wenn internationalistische Bewegungslinke sich zusammensetzen um ihr Tun zu reflektieren, nur um dann wieder in den alten Trott verfallen zu können, zeigt ein von der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO), einer der wichtigsten Dachorganisationen der deutschen Linken, herausgegebener Sammelband. Das meiste darin kennt man bereits aus den diversen linken Zeitschriften. Einige der Beiträge können durchaus etwas zur Analyse der gegenwärtigen internationalen Entwicklungen beitragen. Die meisten Artikel sind jedoch ausgesprochen bewegungszentriert und ergehen sich in Selbstbeweihräucherungen. Beispielhaft sei hier nur das Zapatismus-apologetische Gespräch von mehreren AutorInnen, TheoretikerInnen und AktivistInnen genannt. Dieses Gespräch wird nur dort interessant, wo es die Entwicklung der letzten Jahre und die Reaktionen auf das Scheitern der Verhandlungsstrategien der mexikanischen EZLN thematisiert. Andrea Jung etwa erklärt, dass sich „innerhalb der zapatistischen Kreise immer wieder Personen" fanden, „die auf die Sackgasse des Verhandlungsprozesses damit reagierten, dass sie sich der EPR (Revolutionäres Volksheer) anschlossen“, und dass aus den Vorbereitungskomitees für die „Marcha“ 2001 eine Vielzahl von Gemeinschaften der „Sociedad Civil en Resistencia“ entstanden sind, „die über die Betonung ihres zivilen Charakters versuchen, der zunehmenden Militarisierung der Region nicht zum Opfer zu fallen und auch gegenüber der EZLN größere Autonomie wahren.“ Jung ist es auch, die von der problematischen Verengung des Projektes EZLN auf die Probleme der Indigenas spricht, welche sie als Resultat der „Enttäuschungen mit der so hoffnungsvoll angerufenen Zivilgesellschaft“ sieht. Interessant ist dabei auch die Diskussion um die beschlossene Autonomiegesetzgebung, welche die Zapatisten nicht erwartet hätten, und die von den Diskussionsteilnehmerinnen durchaus unterschiedlich eingeschätzt wird.
Ernst Lohoff von der Nürnberger KmA-Gruppe versucht die Unterschiede zwischen modernen nationalistischen Zerfallskriegen wie im ehemaligen Jugoslawien und den ebenfalls gewaltförmigen historischen Nationsbildungen in Europa herauszuarbeiten. Er kommt dabei zu dem Schluss, dass es irrelevant wäre „unter welcher Fahne wo das große Modernisierungswerk und die Inwertsetzung vonstatten geht“. Vielmehr komme es darauf an, „wer sich welches Claim bei der Ausschlachtung der Modernisierungsruinen sichern kann.“ Solche Überlegungen könnten der Ausgangspunkt für eine weitere Diskussion sein. Diese findet in dem BUKO-Band jedoch nicht statt. Zu wenig beziehen sich die Beiträge aufeinander. Zu oft geht es nur um Selbstvergewisserung oder Abgrenzungen. Besonders deutlich wird das dort, wo auch durchaus lesenswerte Beiträge, wie jener von Andrea Nachtigall und Anette Dietrich, nicht umhinkönnen, sich neben der fundierten Kritik an einer feministischen Lesart des 11. Septembers, die in den Twintowers nur die „phallischen Symbole des westlichen Finanzkapitals“ erkennen will, auch noch an der identitätstiftenden Abscheu vor der antideutschen Berliner Zeitschrift Bahamas beteiligen. Nicht, dass es da nichts zu kritisieren gäbe. Problematisch wird diese Kritik aber, wenn sich AutorInnen nicht einmal mehr die Mühe machen, die kritisierten Stellen zu zitieren und die Bahamas nur mehr eine Projektionsfläche für die eigene linke Selbstvergewisserung darstellt.
Der diesbezügliche Tiefpunkt des Bandes stellt der Beitrag von Josef „Moe“ Hierlmeier dar, der schlichtweg alle, die leise Zweifel an der unbedingten GegnerInnenschaft zu einem militärischen Sturz des ba’thistischen Regimes im Irak anmeldeten und über mögliche positive Effekte eines Irakkrieges für die irakische Bevölkerung oder für die Existenzsicherung Israels zumindest nachdachten, unter dem Begriff „Bellizisten“, also Kriegstreiber, zusammenfasst. Er unterscheidet zwar zwischen einem „.humanitären Völkerrechts- und Menschenrechtsbellizismus“ im Umfeld von Rot-Grün“ und einem „antideutschen Bellizismus, zunächst um die Hamburger Monatszeitschrift ‚Konkret‘“, aber nur, um gleich wieder vermeintliche Gemeinsamkeiten zu finden: „Beide Bellizismen verfolgten völlig unterschiedliche politische Projekte, überschnitten sich aber argumentativ: Verhinderung eines Völkermords, eines Genozids oder eines neuen Auschwitz, Bekämpfung faschistischer Diktaturen, Verteidigung Israels, Verteidigung der Zivilisation und der Freiheit wurden als ‚gute Gründe‘ für die Zustimmung zum Krieg genannt.“ Er weigert sich aber, jene Stellen, die den Bellizismus von Bahamas- oder Konkret-AutorInnen belegen sollen, korrekt zu zitieren. Sein Beitrag kommt ohne eine einzige Quellenangabe aus. Für Hierlmeier ist einfach jede und jeder, der oder die im Zusammenhang mit dem Irak darüber nachdachte, ob es auch positive Effekte haben könnte, das Ba’th-Regime mit einer US-Militärintervention zu stürzen, ein Kriegshetzer. Implizit stellt er damit auch einen großen Teil der irakischen Opposition, von den kurdischen Parteien PUK und KDP über einige islamische Parteien, die Assyrische Demokratische Bewegung bis hin zur Kommunistischen Partei Kurdistans, die der US-Intervention wesentlich positiver gegenüberstand als die Irakische Kommunistische Partei, ebenfalls als Kriegshetzer dar. Das geschieht jedoch nicht explizit, denn die Irakis selbst kommen bei Hierlmeier, wie bei so vielen deutschen KommentatorInnen, überhaupt nicht vor. Jene Menschen, wegen denen man sich angeblich gegen den Krieg aussprach, sind lediglich Objekte am Rand des Geschehens und keine handelnden Subjekte, die ernst zu nehmen wären. Im Gegensatz zu lateinamerikanischen Linken scheinen sie auch dem BUKO keine Auseinandersetzung wert zu sein. Kann das daran liegen, dass sie sich durch ihre Zusammenarbeit mit den Besatzern — schließlich ist auch die Irakische Kommunistische Partei trotz ihrer Ablehnung des Krieges im neuen Übergangsrat vertreten — nicht als Projektionsfläche für versteckten Antiamerikanismus eignen?
Hierlmeier ignoriert die simple Tatsache, dass es zumindest ein historisches Beispiel gibt, in dem ein Krieg das Massenmorden beenden konnte. Den Verweis auf das militärisch herbeigeführte Ende der deutschen Vernichtungsmaschinerie sieht er nur als Relativierung der Shoah und nicht als eben jenes Beispiel, das einen dogmatischen Pazifismus diskreditiert, weil faschistische Diktaturen nun einmal nicht mit guten Wünschen wegzubitten sind. Wen wundert es da noch, wenn Hierlmeier ganz im Sinne von Martin Walsers „Auschwitzkeule“ meint, es ginge der antideutschen Kritik nicht mehr um Begründungen, sondern nur mehr „um einschlägige Assoziationsketten (...): ‚Wer als erster Auschwitz sagt, hat gewonnen.‘“ Wäre Hierlmeier nicht einer der Mitherausgeber des Buches könnte noch gefragt werden, ob die Herausgeber nicht wenigstens hier die Notbremse hätten ziehen können. Solche verbalen Entgleisungen scheinen aber der Intention des gesamten Buches zu entsprechen.
Schade, dass sich auch der durchaus lesenswerten Aufsatz von Jörg Später über die Rezeption des Nahostkonflikts in der deutschen Linken oder der Beitrag von Manuela Bojadzijev, Serhat Karakayali und Vassilis Tsianos über Migration in dieser Gesellschaft wiederfinden.
BUKO (Hg.): radikal global. Bausteine für eine internationalistische Linke. Assoziation A, Berlin 2003, 272 Seiten, 16,— Euro
