Islamistischer Terror in Mosul
Ein Aufenthalt in Mosul im Oktober 2004 gewährte mir Einblicke in die Situation von religiösen und ethnischen Minderheiten und deren Terrorisierung durch Radikal-Islamisten und hinterließ einen zutiefst pessimistischen Eindruck.
Ich kann die verzweifelten Gesichtsausdrücke der Mosulis nicht vergessen, die unter Tags ängstlich durch die Straßen eilen und nur das Dringenste in der Stadt erledigen. Spätestens am Abend sind dann alle in den eigenen vier Wänden, das Stadtzentrum wirkt um diese Zeit gespenstisch leer. Trifft man auf den menschenverlassenen Straßen dann auf seltsam maskierte Soldaten und Polizisten, fühlt man sich nicht unbedingt sicherer. Die Sicherheitskräfte in Krisengebieten wie Mosul maskieren sich tatsächlich, denn die Angst vor den islamistischen Terroristen ist groß. Außer dem Irak gibt es wohl kaum ein Land, in dem sich die Exekutive vor den Kriminellen versteckt und fürchtet.
Ein weiteres prägendes Bild dieser Metropole, immerhin die zweitgrößte Stadt im Irak, sind die fast ausnahmslos kopftuchtragenden Frauen und ihre bärtigen Männer. Nicht alle sind religiös, nicht alle sind Muslime, doch die Situation zwingt die Menschen ihre Identität hinter islamischen Symbolen zu verbergen. Auch mein nicht-muslimischer Bodyguard hatte seinen Bart wachsen lassen um sich, und angeblich auch mich, vor einer möglichen Entführung oder einem Attentat zu schützen.
Vor der Universität nehmen wir uns ein Taxi, der Fahrer schiebt sofort eine Kassette in den Recorder und wir werden gezwungen „Lesen des Quaran“ in voller Lautstärke zu hören. Ich nutze meine „europäischen Kundenrechte“ und fordere ihn auf, diese blöde Kassette auszuschalten. Zu unserer Überraschung teilt uns daraufhin der Taxifahrer erleichtert mit, dass er Christ sei, doch Angst vor meinem bärtigen Bodyguard hatte. „Ich dachte er sei ein Islamist und bevor er mich mit Fragen nach meiner Religions- oder Volkszugehörigkeit in Schwierigkeiten brachte, schielt ich lieber gleich die“Musik„ein, die ich immer im Auto habe. Man weiß ja nie ...“ Ohne dieser Quaran-Kassette, die ihn als braven Muslim ausweise, wäre es nicht möglich gewesen, in Mosul, die seit einem Jahr zur „Allah-Stadt“ mutiert ist, zu arbeiten.
In den zwei Jahren nach der Befreiung von der Herrschaft des Ba’th-Regimes sind die Minderheiten, die unter Saddams Repressionsapparat massiv litten, wiederum Opfer von Terroristen geworden. Durch das Fehlen von Sicherheit und einer gewissen Stabiltität im Land haben die Islamisten ein leichtes Spiel bei der Verbreitung von Angst und Terror.
Die multikulturelle Provinz Mosul, seit Jahrtausenden Wohngebiet unterschiedlicher Volks- und Religionsgemeinschaften, ist heute immer mehr Aufmarschgebiet für radikal-islamistische, in erster Linie wahabitische Gruppierungen, deren Jihad-Ideologie jener Al-Qaida´s nahesteht. Der Kern ihrer Ideologie ist schnell erklärt: Jeder, der nicht sunnitisch-wahabitischer Muslim ist, ist ein Feind Gottes. Gläubige wiederum sind verpflichtet, jeden Feind Gottes zu töten, selbst unter Verlust des eigenen Lebens.
Nach dem Machtverlust der arabisch-nationalistischen Ba’th-Partei und sunnitischer Gruppierungen im Irak folgten die ersten freien Wahlen. All dies geschah vor den Augen der diktatorischen Nachbarregime u.a. Syriens und des Irans, die zurecht einen Dominoeffekt fürchten und nun gemeinsam mit den entmachteten Ba’thisten und sunnitischen Gruppierungen sowie islamistischen Kämpfern aus aller Welt das Land destabilisieren und im Chaos versinken lassen wollen. In ihrem unerbitterlichen Krieg gegen einen demokratischen Irak, in dem alle Bevölkerungsgruppen gleichberechtigt leben können, stehen Attentate und Angriffe auf Minderheiten mittlerweile auf der Tagesordnung.
Unter diesen Minderheiten sind Yeziden [1] in besonderem Ausmaß betroffen, die Repression und Verfolgung gegen Mitglieder dieser Gemeinschaft hat mittlerweile dramatische Ausmaße angenommen. Folgende Ereignisse wurden allein im Jahr 2004 von verschiedenen Medien dokumentiert: [2]
Am 8. März 2004 wurde das Trinkwasser der yezidischen Khanik-Gemeinde in der Provinz Duhok von unbekannten Tätern vergiftet. Ein paar Tage zuvor waren anti-yezidische Flugzettel in den Straßen Mosuls aufgefunden worden. Mit dem altbekannten Vorwurf, dass Yeziden „Teufelsanbeter“ seien, wurde darin die Bevölkerung zu deren Vernichtung aufgerufen. Ein Arzt kam an den Folgen der Vergiftung ums Leben und mehr als 300 Menschen mit Vergiftungssymptomen suchten Arztpraxen, Krankenhäuser und Gesundheitsbehörden auf. Die kurdische Regionalregierung der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) unterließ jegliche Nachforschungen, es gab keinen Polizeibericht — obwohl einige AugenzeugInnen Unbekannte in einem roten VW in der Nähe des Tatorts sichteten — und schlussendlich verharmloste und bagatellisierte man den Vorfall.
Am 23. August 2004 wurden zwei Yeziden namens Shakir Jangir (48 Jahre alt) und Shukri Ali (50 Jahre alt) von Islamisten in Mosul ermordet. Beide waren Händler, die seit mehreren Jahren in Mosul Geschäfte betrieben. Die Täter hinterließen einen Brief und teilten das Motiv für die Morde mit: „Sie waren ungläubige Gottesfeinde“. Nach diesem Ereignis verließen sämtliche Yeziden, die in einer exponierten Stellung arbeiteten, sowie Ärzte, Geschäftsleute, Hochschullehrer und Angestellte, ihre Dienststellen, Praxen und Geschäfte in Mosul.
Am 26. August 2004 wurde ein junger Mann Namens Qasim Khalaf in Mosul ermordet. Mit derselben Begründung: „Er war Yezide“.
Am 23. September 2004 verbreiteten Islamisten in Mosul einen Aufruf an alle Frauen, egal ob muslimisch oder nicht-muslimisch, der sie unter der Morddrohung dazu zwang, ab sofort das Kopftuch zu tragen. Es folgte ein Aufruf an sämtliche yezidische und christliche StudentInnen die Universität Mosul zu verlassen. Mehr als 600 yezidische StudentInnen wurden damit gezwungen zu Hause zu bleiben. Die Assyrische Studenten-Gemeinde veröffentlichte mehrere Erklärungen zu dieser Einschüchterung und Bedrohung ihrer Mitglieder. Doch das änderte an der Situation nichts. Bis heute wagten es weniger als 20 % der Yeziden auf die Universität Mosul zurückzukehren.
Am 30. November 2004 überquerte eine Gruppe von Reisenden, Yeziden aus Singar, den Tigris mit einem Miet-Boot. Dabei ertranken 36 Menschen, doch da es nur „wertlose Yeziden“ waren, konnte eine Untersuchung dieses Vorfalls durch die kurdischen Behörden nicht durchgesetzt werden. Nochdazu handelte es sich beim Inhaber dieses Boots um einen Verwandten eines Mitglieds des KDP-Politbüros. So wird auch diese Katastrophe nie aufgeklärt werden.
Am 1. Dezember 2004 wurden acht yezidische Zivilisten aus dem Dorf Doghata (bei Mosul), am 5. Dezember 2004 fünf yezidische Zivilisten aus Singar in der Stadt Tilafer, ermordet. „Ungläubige Yeziden sind Gottesfeinde.“ — das war der Grund für die Ermordung dieser einfachen Arbeiter.
Am 7. Dezember 2004 wurden fünf junge Betonarbeiter der Bahzani-Gemeinde von Extrem-Islamisten westlich von Mosul ermordet. Sie hießen Zuhair Qaiser, Mithaq Salim, Aliyas Majun, Wisam Chicho, und Hakim Khalo. Hakim war gerade 17 Jahre alt, der einzige Sohn einer Mutter, die schon in den letzten zwei Jahren ihren Mann und den ältesten Sohn verloren hatte, und zwar aus dem gleichen Grund. Noch am selben Tag fand man die Leichen dreier anderer Yeziden im Stadtteil Wadi-Iga. Und am 8. Dezember 2004 wurden erneut fünf Leichen von Yeziden im Stadtteil Yarmuk gefunden.
Die Mordserie geht weiter. Die Attentate gegen Yeziden beschränken sich nicht auf Mosul sondern finden auch direkt in den Wohngebieten der Yeziden, wie Singar und Sheikhan, statt. Arabische und kurdische Medien stellen die Gründe für diese Attentate jedoch falsch dar. Man behauptet konsequent, dass es sich bei den oft enthaupteten Leichen um „Unbekannte“ handle, obwohl die Identität der Opfer immer bekannt war. Die Terroristen selbst haben die Identität ihrer Opfer verraten und sie gingen soweit, der Bevölkerung zu verbieten, die Toten ins Krankenhaus oder zum Friedhof zu bringen. Oft schreiten auch die Behörden nicht ein und schauen aus Angst lieber weg. Wenn es auch unglaublich scheint: es passiert, dass Leichen von Yeziden in Mosul tagelang auf der Straßen liegen bleiben.
Unterstützung oder Schutz vor den Terroristen finden die Yeziden bei den kurdischen Behörden der KDP kaum, obwohl es einige Yeziden gibt, die hohe politische Ämter besitzen. Doch die Bevölkerung leidet unter den Schikanen der Behörden, die z.B. so aussehen, dass Yeziden in Scheikhan — natürlich „inoffiziell“ — seit der Machtübernahme der KDP kein Eigentum mehr kaufen können. Selbst dem yezidischen Bürgermeister wurde es verunmöglicht, ein Haus in der Stadt zu kaufen. Das yezidische Dorf Dushivan in der Nähe von Sheikhan ist von einigen muslimischen Kurden der KDP seit dem Sturz des Ba’th-Regimes quasi beschlagnahmt. Ähnlich sieht die Situation in Singar aus, wo dieVerwandten eines ehemaligen Mitglieds des KDP-Politbüros mehrere Häuser beschlagnahmt haben. Mehr als 800 Wohngrundstücke wurden im letzten Jahr an Muslime in Singar verteilt. Und mehr als 750.000 US$ wurde von letzteren in der Stadt Singar in Immobilien investiert, wohl mit dem Ziel, die demografische Struktur der Stadt zu manipulieren.
Und nicht zuletzt wurden bei der irakischen Wahl in der Provinz Mosul die Gebiete der Yeziden vernachlässigt. Die Minderheiten in Mosul - Christen, Yeziden und Shabak - wurden an der Wahlbeteiligung behindert indem man keine Wahllokale und -dokumente zur Verfügung stellte. Auch das ist eine Art, Minderheiten zum Schweigen zu bringen: Man bietet ihnen bei Wahlen keine Möglichkeit, ihre VertreterInnen für das Parlament selbst zu wählen. [3]
[1] Yeziden sind Angehörige einer der ältesten Religionsgemeinschaften Mesopotamiens, die heute hauptsächlich in den Provinzen Mosul, Sinjar und Sheikhan Regionen wohnen, wo sie etwa eine Halbe Million Menschen ausmachen. Außerhalb des Irak leben Yeziden heute in der Türkei, Syrien, Armenien und Georgien. Diese Religion unterscheidet sich von anderen monotheistischen Religionen durch ihre Philosophie und ihre eigenartige Gesellschaftskasten. Im Laufe der Jahrhunderte erlitten Yezidi etwa 70 Pogrome und zig-tausende wurden unter dem Vorwurf, sie seien sogenannte „Teufelsanbeter“, zwangsislamisiert. Unter der Ba´th-Diktatur folgten Wellen von Zwangsarabisierungen. Einen ausführlicheren Beitrag des Autors, „Die Verfolgung der“Teufelsanbeter„. Yezidi zwischen ba’thistischer Repression und sunnitischem Islamismus“, findet sich im Sammelband: „Irak. Von der Republik der Angst zur bürgerlichen Demokratie?“, Kreutzer/Schmidinger (Hrsg.), Freiburg 2004, S. 197.
[2] Folgende Quellen wurden verwendet:
Qendil-eZeitung: www.qendil.net (Archiv-Ausgaben von 2004)
Homepage: www.bahzani.de, sowie www.bahzani.org (Archiv-Ausgaben von August- Dezember 2004)
Homepage: www.ezidi-affairs.com (Archiv)
Homepage: www.rezgar.com (Unterschriftenkampagne gegen Wasser-Vergiftung in Khanik und Unterschriftenkampagne gegen die Möder von Christen, Yeziden und andere Minderheiten im Irak, Archiv 2004)
Kurdische Zeitung Hawlati (Archiv: März 2004)
Homepage: www.kurdishmedia.com ( März 2004)
Pressemitteilungen Yezidischer Kulturzentren der Provinz Mosul, v.a. Yezidischer Verband in Bahzani und Singal Kulturzentrum (September-Dezember 2004)
[3] Und was die neue Regierungbildung betrifft, so musste der einzige yezidische Minister der Übergangsregierung, Dr. Mamou Othman, sein Amt aufgrund der ewigen Rivalitäten zwischen den beiden großen kurdischen Parteien KDP und PUK aufgeben. Diese waren unfähig, sich auf einen unabhängigen Yeziden zu einigen – der eine sei zu „PUK-nahe“, der andere zu „KDP-nahe“. Wenn Präsident Talabani bei seiner Antrittsrede im April 2005 – erstmalig in der Geschichte des Irak – die Bedeutung von Minderheitenrechten betonte und sich dabei auch ausdrücklich auf Yeziden bezog, so ist das zuerst zu begrüßen und anzuerkennen. Leider sind den Worten in den Bereichen Wirtschaftsförderung, Aufbau und Politik noch keine Taten gefolgt.
In der Printversion von Context XXI ist leider die Fußnote 3 entschwunden, wir entschuldigen uns beim Autor! [die Red.]
