Jenseits des Krieges
Weißgekachelte Räume, Neonlicht: an den Wänden Schwarzweißfotografien der Ausstellung „Vernichtungskrieg“ über die Verbrechen der Wehrmacht an der Ostfront. Vor diesem Hintergrund drehen Ruth Beckermann und Kameramann Peter Roehsler eine Anhörung ehemaliger Soldaten über ihre Erfahrungen und Erlebnisse jenseits des „normalen“ Krieges. In einer Mischung aus Hilflosigkeit, Ohnmacht, Scham, Opportunismus und ungebrochenem Fanatismus berichten die Zeugen dieser Zeit von Verbrechen wie den Erschießungen russischer Kriegsgefangener, der Ermordung der Juden und der Mißhandlung von Frauen. Die verschiedenen Versionen der Ereignisse zeigen, wie selektiv Wahrnehmung selbst im grausamsten Umfeld war.
Mit diesem Film wird nicht allein die Zerstörung des Mythos von der anständigen Wehrmacht vorangetrieben, sondern die Gründungsphase der Zweiten Republik erhellt und eine Diagnose der Gegenwart gestellt.
Es werden die Väter gezeigt, die den Wiederaufbau des Landes leisteten, die unsere heutige Gesellschaft formten und die nicht zuletzt ihre Vorstellungen an ihre Söhne und Töchter weitergaben — und die nach mehr als fünfzig Jahren endlich zu sprechen versuchen.
Die Bilder dieses Krieges in den „talking heads“ — sie entstehen so eindringlich wie selten in historischen Dokumenten oder Spielszenen.
Ein ehemaliger Soldat: „Ich weiß nicht mehr, wo das war. Es war ein Dorf, da sind wir gelegen mit unserer Flugmeldestation, und da ist dann am Abend ein Unteroffizier gekommen und hat gesagt: ‚Wer geht mit freiwillig, da revoltieren polnische Gefangene. Wer geht mit, da gibt’s Eisernes Kreuz usw.‘ Und ich hab’ gesagt, ich gehe nicht mit, aber es haben sich ... einer hat sich gemeldet, das war ein Österreicher, und dann noch jemand, ich weiß nicht mehr ... Der Unteroffizier war ein ziemlicher Rowdy, ... ein Bayer, Kern hat er geheißen, den Namen werde ich nie vergessen. Und da sind die rein in die Schule, wo die Gefangenen waren, und der hat dort aufgeräumt mit ihnen sozusagen ... Er hat die Leute zu erschießen begonnen. Er hat Deutschpolen aus Posen dabei ... Da waren Leute, die haben sich niedergekniet und geschrien: ‚Mein Vater ist Deutscher, meine Mutter ist Deutsche.‘ Die sind alle erschossen worden. Am nächsten Tag — es waren vielleicht 30 Leute, 30 Polen, die sie dort erschossen haben — haben sie Juden geholt zum Eingraben. Die mußten Gräber schaufeln, da war ein junger Jude dabei — das hat man mir dann erzählt —, 20 Jahre, der hat dem einen Faustschlag ins Gesicht gegeben. Und daraufhin hat er ihn gleich mit dem Gewehr erschlagen ...“
(aus dem Drehtagebuch)
Premiere im Rahmen der Viennale: Sonntag, 20.10.1996, 18 Uhr 15 Stadtkino
