Heft 6/1999
Dezember
1999

Jugoslawien und die neue Konkurrenz im Weltmaßstab

Eine Anknüpfung an die Beiträge „Die Folgen des NATO-Krieges gegen Jugoslawien“ (Context XXI, Nr. 3/99) und „Interesse, Gewissen und Projektion im Jugoslawienkrieg“ (Context XXI, Nr. 4-5/99) nebst einer Besprechung des Sammelbandes von Hannes Hofbauer zum Konflikt auf dem Balkan von

Erinnert sich noch jemand an die blutigen Bilder der Anschläge auf dem Markale, dem Marktplatz in Sarajewo. Inzwischen ist für alle drei Anschläge ziemlich sicher, daß sie nicht von den „Serben“ verursacht wurden. Aber sie lieferten jedesmal die mediale Begründung für Interventionen der sogenannten „westlichen Wertegemeinschaft“. Wie unterschiedlich dazu der Anschlag auf einen Markt einer serbischen Enklave im Kosov@ im September 1999: Es sind immer nur die untersuchenden KFOR-Soldaten sichtbar, jedes zu grausame Bild wird vermieden. Im ersten Fall ist es um die Mobilisierung der Öffentlichkeit gegangen, im zweiten geht es um einen Anschlag, den die NATO und westliche Institutionen im Kosov@ mitzuverantworten haben. Das Kosov@ wird mit Hilfe westlicher Truppen von allen Nicht-AlbanerInnen, hauptsächlich Roma und SerbInnen, gesäubert.

Über Jugoslawien und das Kosov@ ist nun ein Sammelband mit sechs Beiträgen erschienen, der teilweise hilfreich ist, die Entwicklungen bis jetzt nachzuzeichnen.

Die Beiträge von K. Kaser und von W. Geier gehen meiner Ansicht nach von einer historischen Projektion aus. Sie schreiben damit (wenn auch kritisch) Mythen fort, die konstituierend für die Nationalismen sind, die in den letzten Jahrhunderten, meist im 19. Jahrhundert, entstanden sind. Kaser beschreibt ein Bild der „ethnischen Mischung“ auf dem Balkan für eine Phase, in der es diese ethnischen Konstruktionen noch gar nicht gegeben hat. Bis zur Konstituierung der Nationalstaaten ist es völlig sinnlos, von „Ethnien“ zu sprechen. Die soziale Struktur erlaubte damals keine Abgrenzung in einem ethnischen Sinn. Am deutlichsten zeigt sich das an der Verwendung der Dialekte, wie es sie teilweise heute noch in vielen Regionen Afrikas oder beispielsweise im Kaukasus gibt. „Kroatisch“ und „serbisch“ gelten als verschiedene Sprachen, obwohl als Grundlage für ihre Verschriftlichung der gleiche Dialekt (stokavisch) genommen wurde (vgl. den Beitrag von G. Fischer). Sprache kann nicht linguistisch definiert werden, sondern ist eine politische Konstruktion.

Geschichte ist als nationale Geschichte entstanden, indem HistorikerInnen Begründungen für ihre Nationen suchten und die Ereignisse nach ihrem entsprechenden nationalen Wert beschrieben, angeordnet und interpretiert haben. Bis zum 19. Jahrhundert war der Nationalismus hauptsächlich ein Produkt herrschender intellektueller Eliten. Im 20. Jahrhundert gipfelte das in Kriegen, wo ganze Bevölkerungen gegeneinander gehetzt werden konnten. Kritische Beiträge wie der von Kaser steigen auf den bestehenden nationalen Diskurs ein, indem sie statt dem ethnischen ein multiethnisches Bild der Vergangenheit zeichnen. Im Beitrag von Geier geht es in dem Sinne, daß die unterschiedlichen kulturellen Entwicklungen auf die Religionen (Orthodoxie und Islamismus vs. westliches Christentum) zurückgehen, um eine ähnliche Projektion gegenwärtiger Verhältnisse in die Vergangenheit. Die Beiträge von M. Chossudovsky und A.G. Frank beziehen sich auf Details im Zusammenhang mit den westlichen Interventionen auf dem Balkan. Frank zeigt auf, wo die „westliche Gemeinschaft“ ihre eigenen Regeln bricht und Gesetze zugunsten der westlichen Industrienationen ausgelegt oder übertreten werden.

Chossudovsky wie auch Hofbauer suchen nach einer geostrategischen Begründung für den Einsatz des „Westens“. Angeblich gibt es die Notwendigkeit, sich Rohstoffquellen direkt zu sichern und neue Absatzmärkte zu erobern. Ich halte beides für falsch. Aufgrund der technologischen Entwicklung spielen weder traditionelle Rohstoffe wie Öl eine so große Rolle, noch sind in den neuen Armutsregionen große Absatzmärkte zu erwarten (vgl. dazu Krug, Uli: Interesse, Gewissen und Projektion im Jugoslawienkrieg. in: Context XXI, Nr. 3./1999) Sowohl Hofbauer wie auch Chossudovsky verwenden den Begriff „neue Kolonialisierung“ für die Protektorate in Bosnien und im Kosov@. Das Bild, das sich uns heute bietet, ähnelt tatsächlich früheren Kolonialverwaltungen, allerdings anders als von den Autoren gemeint.

Neue Kolonialverwaltung

Während der Phase des Kolonialismus haben sich ökonomische Strukturen einer Raubökonomie entwickelt, die die Herausbildung des Kapitalismus erst ermöglichten. Sie boten einer tendenziell breiter werdenden Elite die Möglichkeit der persönlichen Bereicherung im Kolonialdienst. Anfangs durch direkten Raub, später als KolonialbeamtInnen, Soldaten etc. Dabei spielte nicht nur der direkte Reichtum wie Rohstoffe eine Rolle, sondern immer stärker ein nationales Prestige gegenüber den anderen Imperialisten. So kommt es auch zu Kriegen um völlig wertlose Wüstengebiete. Erst nachträglich und im Zusammenhang mit der Auflösung der Kolonialreiche ist es zu einer Durchdringung der meisten Regionen durch den Kapitalismus gekommen. Durch die Krisen der letzten Jahrzehnte liegen immer größere Teile der Welt (meist die Gebiete, die als letzte eine nachholende Entwicklung durchführen wollten) außerhalb der ökonomischen Interessen des Kapitalismus. Die kapitalistischen und staatlichen Eliten haben kein Interesse, zerstörte Regionen wieder zu erobern oder auch nur imperialistisch abzusichern. Im Gegenteil: Die Bevölkerung der Industriewüsten im Osten und Süden würde gerne ausgebeutet werden, um überleben zu können. Weil der „Westen“ ökonomisch kein Interesse hat, bleibt nur die Raubökonomie derer, die die Waffen in der Hand haben. Die Parallelität mit den Kolonialzeiten ist dabei, daß es wieder für einzelne die Möglichkeit gibt, sich an den übriggebliebenen Raubökonomien als eine neue Art von KolonialbeamtInnen zu beteiligen. Auch ÖsterreicherInnen können einiges als SoldatInnen für die KFOR oder als Gendarmen für die „zivile Übergangsverwaltung“ oder die OSZE verdienen. Nicht zu vergessen die hunderten GewinnerInnen als MitarbeiterInnen von NGOs oder die blutleckenden BerichterstatterInnen der Journaille. Die Beiträge von Fischer und Hofbauer stellen die Geschichte Jugoslawiens dar. Die Nachzeichnung der Konflikte von Ende der achtziger Jahre bis 1999 ist das Hauptanliegen des Buches, das einen Überblick über die komplexen Entwicklungen bietet, die sonst in der alltäglichen Berichterstattung untergehen. Ich will versuchen, die Entwicklungen vom Blickwinkel der imperialistischen Staaten nachzuzeichnen, um klar zu machen, warum Deutschland, die USA und die NATO Krieg geführt haben und wahrscheinlich weiter führen werden. Genaueres aus einer anderen Perspektive (der „geostrategischen“), aber auch über die innerjugoslawische Entwicklung kann im Beitrag von Hofbauer nachgelesen werden.

Um die Sichtweise von monolithischen Einheiten wie „Deutschland“ oder „USA“ zu relativieren, will ich kurz ein Muster von Institutionen einführen, die die Realität trotz der Schematisierungen besser treffen. Die Institution „Politik“ spielt im Zuge der kapitalistischen Entwicklung eine immer geringere Rolle. In bezug auf ökonomische Maßnahmen gibt es keinen Unterschied zwischen Parteien, höchstens insofern, als „linke“ Parteien Kriege und Sozialabbau leichter und mit weniger Widerstand durchführen können. Gerade weil die Politik keinen ökonomischen Spielraum mehr hat, wird reine Machtpolitik immer wichtiger. Damit hängt sie mit dem Bereich zusammen, den ich „Öffentlichkeit“ nennen will. Das sind in erster Linie die Medien, aber auch die Äußerungen von PolitikerInnen oder sonstigen Multiplikatoren. Teil dieser Institutionen ist dann die Bevölkerung, deren Äußerungen nur wahrgenommen werden, wenn sie von den oben beschriebenen Eliten multipliziert werden. Damit meine ich nicht, daß die Bevölkerung verführt ist. Meiner Ansicht nach ist die Bevölkerung (der viel zitierte Stammtisch) genauso antikommunistisch, rassistisch oder antiserbisch wie ihre Eliten. Unterschiede gibt es nur insofern, als rassistische (oder antiserbische) Diskurse durch die Eliten an eine Öffentlichkeit gebracht und dadurch zugelassen und reproduziert werden.

Während die Welt in den Jahren bis 1991 noch auf Jugoslawien setzt, wird von der Politik und noch stärker von der Öffentlichkeit in Deutschland und Österreich die Sezession von Slowenien und Kroatien befürwortet. Immer stärker kommt dabei hinter den ursprünglich antikommunistischen Demokratiefloskeln die Unterstützung des slowenischen und insbesonders des rabiaten kroatischen Nationalismus durch. Das ist auch die einzige Phase, in denen es noch marginale Kapitalinteressen von Deutschland, Italien und Österreich an den entwickelten Regionen in Slowenien, aber auch an den Touristenzentren in Dalmatien gibt. Aufgrund des Drucks aus den meisten westlichen Staaten (USA, Frankreich, Großbritannien) ist es der deutschen Politik nicht gelungen, die sofortige Anerkennung nach den Unabhängigkeitserklärungen 1991 durchzusetzen. Das Scheitern der großdeutschen Bestrebungen in der Anerkennungspolitik bewirkt dann besonders während der Eskalation im Kampf zwischen dem kroatischen Staat und den kroatischen Serben eine Mobilisierung der Öffentlichkeit. In Verdrehung der Tatsachen wird ein Überfall der serbischen Armee auf Kroatien konstruiert. Die Politik in den USA und in den übrigen europäischen Staaten ist noch immer gegen die Sezessionen eingestellt. Erst Anfang 1992 müssen die EU-Staaten die Sezessionen anerkennen, um die selbstherrlich gewordene Politik Deutschlands von einem Alleingang abzuhalten. Während die europäische Politik der anti-jugoslawischen deutschen Politik bis zum Kriegsbeginn in Bosnien nur widerwillig folgte, ändert sich das durch den Druck der Öffentlichkeit im Krieg in Bosnien. Obwohl die Lage keineswegs eindeutig war (es kämpften Kroaten gegen Bosniaken, Kroaten gegen Serben, Serben gegen Muslime, aber auch Bosniakengegen die unliebsamen Muslime des Fikret Abdic), setzt sich in den westlichen Medien auch außerhalb von Deutschland immer stärker das Feindbild von den Serben durch. Durch die dauernde Einmischung Deutschlands stieg das Unbehagen der Politik der anderen Großmächte. Sie fürchteten, machtpolitisch ins Hintertreffen zu geraten. Der Vertrag von Dayton zur ethnischen Aufteilung Bosniens ist dann bereits unter Führung der USA zustande gekommen. Nach ihren Anfangserfolgen durch die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens wurde die deutsche Politik in eine Statistenrolle gedrängt, mit der sie sich nur ungern zufrieden geben wollte.

Das Kosov@ wurde aus dem Vertrag von Dayton herausgehalten. Die Wirtschaft in Deutschland hat nicht einmal ein marginales Interesse an dieser am wenigsten entwickelten Region Jugoslawiens. Die Öffentlichkeit litt teilweise mit dem gewaltfreien Widerstand der AlbanerInnen, weil er gegen Serbien gerichtet war, andererseits gab es in Deutschland (und besonders in der Schweiz) eine massive rassistische Stimmung gegen kosovo-albanische Drogenhändler. Erst mit dem teilweisen Volksaufstand in ländlichen Bereichen des Kosov@ im Frühjahr 1998 und einer Verschiebung der Unterstützung der albanischen Bevölkerung von der LDK Rugovas zur UCK beginnt sich die deutsche Politik einzuschalten. Der Aufstand konnte im Sommer niedergeschlagen werden. Die Fluchtbewegungen in die Wälder und die Rückkehr der Flüchtlinge nach der Niederlage der UCK wurden in den deutschen und österreichischen Medien wenig beachtet. Ab Herbst 1998 kommt es zu einer massiven Einflußnahme der USA auf die Politik im Kosov@. Die Bewaffnung der UCK wurde unterstützt und gefördert, der maoistische und der sich auf die Skanderbeg-Division der SS beziehende Flügel der UCK wurden zurückgedrängt, der Bombenkrieg ab Herbst 1998 vorbereitet und im Frühjahr 1999 durchgeführt.

Neues Wettrüsten

Es sind die teilweise widerstreitenden Interessen der deutschen und US-amerikanischen Politik, die zum vorerst letzten Abschnitt der jugoslawischen Kriege führten. Den USA geht es unter anderem darum, eine zu eigenständige Rolle Europas (insbesonders von Deutschland) zu verhindern. Die Intervention der NATO hält Deutschland im Bündnis und behindert eine unabhängige Machtpolitik gemeinsam mit Rußland. Die deutsche Politik versucht in der NATO und in der WEU, teilweise gemeinsam mit Rußland und Frankreich, zu einer militärischen Macht zu werden, um die Vorherrschaft in Europa, aber auch in anderen Weltregionen nicht den USA zu überlassen. Noch ist Deutschland gezwungen, die eigene Militärpolitik unter dem Schirm der NATO durchzuführen.

Daneben gibt es noch eigene Interessen der NATO, die nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes in eine massive Legitimationskrise gekommen ist. Obwohl noch immer die „kollektive Verteidigung“ als Kernfunktion angenommen wird (ein Angriff auf ein Land bedeutet einen Angriff auf alle NATO-Staaten), wird jetzt die Intervention im Krisenfall auch außerhalb des Bündnisgebietes (out of area) angenommen. Eine humanitäre Krise wird definiert, um die eigenen Waffen einsetzen zu können. Innerhalb der NATO gibt es allerdings unterschiedliche Interessen. Frankreich und Deutschland wollen die Einsätze möglichst auf Fälle mit UNO-Mandat beschränken, während die USA jederzeit die Möglichkeit zum Zuschlagen haben wollen (zumindest solange sie noch die uneingeschränkt dominierende Militärmacht sind). Ein Hauptziel in der westlichen Öffentlichkeit war die Zerschlagung der jugoslawischen Armee, die angeblich ein Destabilisierungsfaktor in der Region ist. Tatsächlich wurde aber weniger die Armee getroffen, sondern ein großer Teil der zivilen Struktur zerstört. Für die Zukunft bedeutet das nichts Gutes. An allen Ecken der Welt kann es zu westlichen Interventionen kommen, nachdem sich die „westliche Wertegemeinschaft“ selbst zum Bombardement mandatiert hat. Dazu wird weiter aufgerüstet und es wird zu einem neuen Rüstungswettlauf, diesmal zwischen Europa und den USA, kommen. Für Ost- und Südosteuropa bedeutet das das Schlimmste. Dort liegt der wichtigste Einflußbereich der deutschen Politik, was wiederum die US-Politik auf den Plan ruft. Schon jetzt zeichnet sich ab, daß Jugoslawien (neben Mazedonien der einzige noch „multiethnische“ Nachfolgestaat Tito-Jugoslawiens) aufgrund der konkurrierenden Machtinteressen weiter parzelliert wird. Das einzig tröstliche daran ist, daß sich die Öffentlichkeit immer schwerer tun wird,die Kosten zu rechtfertigen, die die Dauerprotektorate kosten werden und von denen nur eine kleine Schicht von SoldatInnen und BürokratInnen von offiziellen Organisationen und NGOs profitiert.

Hannes Hofbauer (Hg): Balkankrieg — Die Zerstörung Jugoslawiens. Wien: Promedia, 1999, 268 Seiten, öS 248,—

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