ZOOM 3/1996
Juni
1996

Keine Wäscheleinen-Welt

Porträt der Autorin Petra Ganglbauer: „Ja, und da sind wir wieder dort – ganz am Anfang: Grundsätzlich würde ich sagen ...“

Bevor Sie im Cyberzelt surfen,
heißt es: Organe wegwerfen,
die Knochen dazu.
Verschütten Sie Ihr Blut.
Verteilen Sie’s.
Verlieren Sie Ihren Kopf
an den Chip.
Was fortan zählt, sind Leistungsbausteine.

aus: Petra Ganglbauer:
Täter sind Risse. Betrachter.
Wiener Frauenverlag 1996
ZOOM: Im Wiener Frauenverlag ist dein neues Buch mit dem Titel „Täter sind Risse. Betrachter“ erschienen. Ein zentrales Thema des Buches ist der Krieg und seine Darstellung in den Medien.

Petra Ganglbauer: Ja, es befaßt sich mit dem Thema Krieg, allerdings nicht ausschließlich. Es geht um die Filterung der „Wirklichkeit“ durch die Massenmedien. Mir geht es darum zu zeigen, wie verzerrend sich Angst und Gewaltszenarien mittels dieser Filter den Betrachtern und Betrachterinnen darstellen. Zum Teil ist der Text eine Montage, ich habe zum Beispiel auch im Bereich der Modesprache recherchiert, auch im Bereich der sogenannten „In“-Magazine, wo es ja auch um Voyeurismus geht. Der nichtmontierte Teil setzt sich aus zwei Strängen zusammen: aus dem kühlen, distanzierten Voyeurismus und einer hineingeschalteten Beobachterinnenposition. Eine Beobachterinnenposition, die aber die Mitverantwortlichkeit nicht ausschalten soll.

Es geht dir also einerseits darum, diesen Voyeurismus aufzuzeigen und zu erklären, wie er passiert, aber gleichzeitig auch darum, ihn zu kritisieren?

Es geht mir weniger um Erklärung. Ich glaube, ich bin für die Erklärung auch deswegen nicht so ganz geeignet, weil ich ja selbst in diesen Voyeurismus unausgesetzt involviert bin. Ich versuche, die Sprache auf jene Geschwindigkeit der Darstellungsebene zu bringen, auf der die Massenmedien funktionieren. Die Sprache ist natürlich ein ganz anderes Medium als optische und visuelle Medien, und ich versuche, einen Darstellungsgestus für die Sprache zu finden, daß sich das, was sich tagtäglich, stündlich, sekündlich über Massenmedien darstellt, über den Weg der Sprache ereignet – deswegen auch diese harten Schnitte, diese hohe Sprechgeschwindigkeit.

Mir fällt auf, daß der Buchtitel nur die männliche Form verwendet, also „Täter“ und nicht „Täterin“. Hast Du dabei einen besonderen Hintergrund zur Mann-Frau-Thematik?

Damit wollte ich bewußt die Sprache transparent machen für das, was sich gesellschaftspolitisch abspielt. Andererseits geht es in dem Buch auch um die Objektmachung der Frau durch den Mann. Einerseits durch Gewalt, andererseits auch in der Werbesprache, die noch immer viel damit arbeitet.

Geht es dir bei deiner Kritik an High-Tech auch darum, daß sich hier eben auch, und sogar vor allem, die Macht vernetzt?

Das ist der eine Aspekt, der andere ist, daß die Instrumentalisierung der Menschen unheimlich schnell, in den neuen Medien noch einmal beschleunigt, vorangeht. Die Reflektionsmechanismen können nicht gleichziehen mit dem, was da an Machtanhäufung und Machtvernetzung mittels der neuen Medien passiert, gerade auch im Sektor der virtuellen Realität.

In deinem Buch weist du auch auf die Problematik der Aufgabe des Körpers als menschliche Realität hin. (siehe Zitat)

Der Körper und die physische Konsistenz des Menschen wird mittels sogenannter virtueller Realität einerseits unnötig, andererseits auch austauschbar. Zugleich geht es um die Besetzung des Körpers als, ich verwende hier ein Wort von Virilio, „Kontinent“, das heißt, zuerst wurde unser Kolonialismus auf der Welt praktiziert oder eventuell noch auf dem Mond, jetzt, wo man nicht mehr weiß, wohin man sich noch ausdehnen könnte, geht der Weg nach innen, auf eine teilweise eher rücksichtslose und gewaltsame Art.

Du hast in einem theoretischen Text über den „Mut zum Fragment“ [1] geschrieben ...

Der Mut zum Fragment war für mich Nah- und Fernziel. Ich sehe es so, daß jedes Element meiner Arbeit nur ein Teil eines Konzept ist, das sich herauskristallisiert, Mosaiksteinchen, fragmentarisch in dieser Weise, zugleich ist auch meine Sprache selbst fragmentarisch angelegt. Das Fragmentarische ist irgendwie meine Lebensphilosophie, und das ist auch der Grund, warum ich jeder Versuchung widerstanden habe, eine literarische Arbeit durch einen deutlichen Anfang, einen Höhepunkt und ein Ende zu charakterisieren. Finalisierungen, das will ich nicht.

Zur Zeit verändert sich die Wirklichkeitssicht rapide, u. a. auch durch die neuen Medien, die Menschen müssen mehr und mehr die Beobachtungsposition aufgeben. Wir sind ja selbst ein Teil von dem, was passiert. Das ist zwar nichts Neues, steht aber einer Lineariserung à la Entwicklungsroman diametral entgegen: Die Welt ist eben nicht aufgefädelt und hängt auch nicht Stück für Stück auf einer Wäscheleine.

In deinem Buch „Briefe ohne Gesicht“ geht es vor allem um Frauen, ihre Annäherungen, ihr Ausweichen?

Das Ich in diesem Text oszilliert zwar zwischen männlich und weiblich, ist aber nicht klar definiert und steht damit im Gegensatz zu den weiblichen Personen, die deutliche Wesensmerkmale aufweisen, die sie aber immer wieder infrage stellen. In dem Augenblick, wo Festmachungen versucht werden, werden sie sofort wieder durchquert.

Machst du viele Projekte mit anderen KünstlerInnen?

Das Schreiben an sich ist ja eher eine einsame Tätigkeit, das meine ich jetzt aber nicht weinerlich. Rundherum gibt es dann die unterschiedlichsten Projekte. Grundsätzlich arbeite ich sehr gern mit anderen Leuten, und, da sind wir wieder beim Fragment, ich glaube, daß meine Arbeit einen kleinen Teil darstellt, der mit anderen kleinen Teilen dann einen Blick auf die Wirklichkeit ergibt.

Früher war mein Hauptaugenmerk auf dem Schreiben von Texten. Jetzt sehe ich Texte eher als Ausgangspunkte für Weiterdenken und Weitergestalten. Das heißt, dieses Buch „Täter sind Risse. Betrachter“ hat bei mir einiges ausgelöst und hat mich im Hinblick auf künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten weitergebracht. Das Buch steht für mich nicht mehr nur als fertiges Endprodukt, sondern ist Ausgangspunkt für neue Möglichkeiten geworden.

Woran arbeitest du im Augenblick?

Es gibt die verschiedensten Pläne. Ich greife einiges heraus: Im Herbst soll ein Projekt in Mürzzuschlag stattfinden, gemeinsam mit Elisabeth Wörndl und Reni Hofmüller. Es geht um einen Versuch, die Sehgesellschaft ad absurdum zu führen, und zwar mit Darstellungsmitteln, die dieser Gesellschaft entnommen worden sind, oder, man könnte sagen, sie sind ihr für diesen Abend entrissen worden. Zugleich ist es eine Begegnung zwischen den verschiedenen Kunstgattungen: Fotokunst, Klangkomposition und Literatur; und eine Korrespondenz zwischen Räumen: dem realen Raum des Kunsthauses Mürzzuschlag, dem Hörraum des Radios und dem Internet-Raum.

Mit Elisabeth Wörndl mache ich außerdem ein Städteprojekt, wo wir mit verschiedenen, also kunstfotografischen, literarischen, eventuell auch klanglichen Mitteln das Empfindungspotential von Städten übersetzen wollen in einen anderen Raum – es soll kleine Einheiten geben, wo man praktisch von dem Empfindungsraum einer Stadt in den Empfindungsraum der nächsten gehen kann. Wir beginnen mal mit Bukarest und Paris.

In den beiden Veranstaltungen, die wir vor einigen Jahren organisiert haben, haben wir uns mit dem Arbeits- und Kunstbegriff befaßt ... [2]

Es war für uns beide symptomatisch, auf diese Themen zu kommen. Wenn ich mir beim Reden zuhöre, dann spreche ich meistens von meiner „Arbeit“, selten von meiner Kunst. Obwohl in der Kunst ein anderer Arbeitsbegriff existiert als in anderen Berufen, glaube ich, daß wir auch immer wieder an die Grenzen stoßen, die die gesellschaftspolitische Realität der arbeitenden Menschen ausmachen.

Kunst und Arbeit, aber auch Kunst und Markt sind Pole, die mein Leben und die Arbeit bestimmen. Leider kann ich nicht mehr mit der gleichen Leichtigkeit mit dem Begriff Arbeit umgehen wie früher – es wird härter.

Natürlich ist das Ziel eine grundsätzliche Veränderung. Es gibt ja Kolleginnen und Kollegen, die dem Markt völlig den Rücken kehren, weil sie die herrschenden Vorgaben ablehnen. Andererseits, und das ist eben die Ambivalenz, kann man als Künstlerin dem Markt und seinen Mechanismen nicht ganz entrinnen. Sozusagen: Auch wenn wir dagegen sind, sind wir irgendwie Teil davon.

Das Gespräch führte Ilse Kilic.

Arbeiten von Petra Ganglbauer

  • Zusammenzuraffen wäre also nichts. Gedichte, gangan Verlag 1987.
  • Briefe ohne Gesicht. Prosa, Wiener Frauenverlag 1991.
  • Wiener Vorlesungen zur Literatur. Edition Freibord 1995.
  • Täter sind Risse. Betrachter. Prosa, Wiener Frauenverlag 1996.
    Beziehungsweise: Nomadin. Entfaltung. Resonanz. ORF Kunstradio 1995.
  • Daphne Nuova: Ein Foto-Video-Textprojekt. Gemeinsam mit Elisabeth Wörndl, Rom/Salzburg 1994.
  • Innenkleid: Toninstallation im Rahmen der Ausstellung „Digitales Selbstportrait“ von Elisabeth Wörndl. Galerie Eboran, Salzburg 1996.
  • Erweiterung des Raumes (Konzeption, Text). Gemeinsam mit Elisabeth Wörndl und Reni Hofmüller, steirischer herbst 1996 (Kunsthaus Mürz, Kunstradio, online).

[1in: WICHTIG-KUNST VON FRAUEN. Das Fröhliche Wohnzimmer-Edition, Wien 1989.

[2Veranstaltungen: ÜberLebenKunstArbeit, Amerlinghaus, Wien 1991. Kunst und Markt, Alte Schmiede, Wien 1990.

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