Heft 7-8/2001 — 1/2002
Februar
2002

Kindermanns Hof

Warum das Wiener Institut für Theaterwissenschaft in der Hofburg residiert und warum sich niemand darüber wundert.

Das „Zentralinstitut für Theaterwissenschaft“ war eine von neun Institutsneugründungen an der Universität Wien in den Jahren 1938 bis 1945, neben einschlägigen Gründungen wie dem „Institut für Rechtsvereinheitlichung“, dessen Gründer und Leiter Ernst Swoboda die Erzeugung eines „einheitlich nationalsozialistisch durchtränkten deutschen Rechts“ [1] als wich­tigste Aufgabe nach dem „Anschluss“ ansah, oder des „Rassen­biologischen Instituts“, das sowohl an der medizinischen als auch an der philosophischen Fakultät verankert sein sollte und das bisherige Institut für Anthropologie in sich aufnehmen sollte. [2] Im Bereich der Geistes- und Kulturwissenschaften sind auch noch das „Institut für Zeitungswissenschaft“ sowie die „germanisch-deutsche Volkskunde“ zu erwähnen.

Für die Gründung des Instituts für Theaterwissenschaft setzte sich neben Heinz Kindermann, einem öster­reichischen Germanisten, der zu dieser Zeit Professor an der Universität Münster war und nach dem „An­schluss“ gerne nach Österreich zurückkommen wollte, vor allem Reichsstatthalter Baldur von Schirach ein, der „Wien zum kulturellen Zentrum des Reiches machen [wollte] und plante, die Reichstheaterwoche und die Reichstheaterfestwochen der HJ in Wien stattfinden zu lassen“. [3] Die Philosophische Fakultät hingegen sträubte sich sowohl gegen das neue Institut als auch gegen Kindermann, gab dem Ausbau anderer Bereiche, etwa der Südosteuropaforschung den Vorzug, und warf ihm vor, kein Theaterwissenschafter zu sein, was die­ser zum Anlass nahm, innerhalb eines Jahres ein umfangreiches „theaterhistorisches Werk“ vorzulegen, in dem er die „Art“ niederlegte, „in der wir nun rassisch und volkhaft bedingte Theatergeschichte betreiben sol­len“. [4] Nach langen Kontroversen schien schließlich eine freigewordene Planstelle an der katholisch-theologischen Fakultät, sowie nachhaltige Interventionen von Kindermann selbst und der Reichsstatthalterschaft, die In­stitutsgründung und Berufung Kindermanns als Ordinarius zu gestatten, doch der Vorschlag der Fakultät vom Dezember 1942 reihte Kindermann lediglich an dritter Stelle, was zwar eine symbolische Geste der Op­position war, den Ruf Kindermanns nach Wien im Jänner 1943 jedoch nicht verhinderte. Das Institut wurde denn auch nicht an der Universität selbst eingerichtet, sondern in 12 Räumen in der Hofburg, die von Baldur von Schirach zur Verfügung gestellt wurden. Die finanzielle Ausstattung des Instituts war fürstlich, sie be­trug mit 225.000 RM so viel wie die Hälfte des gesamten jährlichen Sachaufwands der Universität, was an­gesichts des Zeitpunkts der Errichtung und des wohl nicht übermäßigen Interesses Berlins an dieser „Kon­kurrenz" erstaunlich ist. [5]

Heinz Kindermann hatte, bevor er Institutsleiter wurde, bereits eine beachtliche Karriere hinter sich. Er trat 1918 ins Ressort für Volksbildung im deutsch-österreichischen Unterrichtsministerium ein und schuf dort eine Wanderbühne, die Theatergemeinschaft der Bundesländer und mehrere Volksbüchereien, habilitierte sich 1924 an der Universität Wien und ging zunächst als Professor für neuere Literaturgeschichte an die Technische Hochschule Danzig, 1936 wechselte er nach Münster. Die Liste seiner Publikationen ist unüber­schaubar lang, das Bemühen und der Kampf ums „Deutschtum“ ist jedoch allen Schriften zwischen 1933 und 1945 anzusehen, Titel wie „Von deutscher Art und Kunst“ (1935), „Dichtung und Volkheit“ (1937), „Ru­fe über Grenzen. Dichtung und Lebenskampf der Deutschen im Ausland“ (1938), „Kampf um die deutsche Le­bensform“ (1941), „Der großdeutsche Gedanke in der Dichtung“ (1941), „Ferdinand Raimund. Lebenswerk und Wirkungsraum eines deutschen Volksdramatikers“ (1943), sprechen für sich und beschreiben den Wirkungsraum eines durchwegs „praxisorientierten“ Geisteswissenschafters im Nationalsozialismus. „Seit den Dreißiger Jahren begleiten seine Publikationen den Weg der herrschenden nationalsozialistischen Macht wie ein verläßlicher Kommentar.“ [6]

Nach 1945 gelang ihm — nach kurzer Absenz und ohne größere Schwierigkeiten — die glänzende Weiter­führung seiner Karriere. Im Zuge des Verbotsgesetzes 1945 wurde Kindermann seines Dienstpostens enthoben, konnte jedoch 1954, trotz ablehnender Gutachten und einer kritischen Haltung in der Öffentlichkeit, wie­der an die Universität zurückkehren, zunächst als außerordentlicher Professor, 1955 bereits wieder als Insti­tutsvorstand, 1959 als Ordinarius. [7] Seine Vertrautheit mit den ministeriellen Gepflogenheiten und sein inni­ges Bemühen um das „Österreichische“ in den Jahren des „Wiederaufbaus“ dürften ihm einige Wege geebnet haben. Das Interesse konservativer Kulturpolitik an einer ideologisierenden „Kulturnation“-Rhetorik schien Kindermann jedenfalls bestens bedienen zu können, schon ab 1949 konnte er mit Unterstützung des Mini­steriums als „Freier Wissenschafter“ rechnen. Innerhalb weniger Jahre setzte sich das Institut für Theaterwis­senschaft mit ihm an der Spitze ins Zentrum des staatlich-institutionellen Theaterlebens und baute ein mäch­tiges Beziehungsnetz auf, das vom „Raimund-Seminar“, dessen Direktor Hans Niederführ eine ganz ähnliche Karriere hinter sich hatte, über das Burgtheater zu den Salzburger und Bregenzer Festspielen, Theaterkriti­kern, Ministerialräten und Politikern reichte. 1964 schließlich konnte er die „Kommission für österreichische Thea­tergeschichte“ an der Akademie der Wissenschaften gründen und wirkte dort noch weit über seine Emeri­tierung 1966 hinaus. [8] Zahlreiche Festschriften zu seinem 70., 80. und 90. Geburtstag, sowie seine — nach wie vor als Standardwerke gehandelten — Publikationen sichern ihm auch heute posthume Ehre und Wirkung. Und Generationen von Studentinnen bewegen sich in jenen Räumen, die „einst“ der Reichsstatthalterschaft gehörten, ohne dass es dazu irgendwo einen Hinweis gäbe.

[1vgL Edith Saurer: Institutsneugründungen 1938-1945. — in: Gernot Heiß, Siegfried Mattl, u.a. (Hg.): Willfährige Wissenschaft. Die Universität Wien 1938-1945. — Wien: Verlag für Gesellschaftskritik 1989. S. 313f.

[2vgl. ebenda, S. 317-319.

[3ebenda, S.315.

[4Brief Kindermanns an den Dekan Christian, 3.10.1941 zit. in ebenda, S. 316.

[5vgl. ebenda, S.316f.

[6Sebastian Meissl: Wiener Ostmark-Germanistik. — in: G. Heiß, S. Mattl (Hg.): Willfährige Wissenschaft, [s.o.] S. 145.

[7vgl. Evelyn Deutsch-Schreiner: Theater im „Wiederaufbau“. Zur Kulturpolitik im österreichischen Parteien- und Verbändestaat. — Wien: Sonderzahl 2001. S. 290f.

[8vgl. ebenda, S. 292-296.

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