Konrad Lorenz und die Vergleichende Verhaltensforschung
Erst vor kurzem wurde in der Geschichtsschreibung der Wissenschaften damit begonnen, die Darstellungen eines Niedergangs der Wissenschaften im Nationalsozialismus im Sinne einer Dominanz von pseudowissenschaftlichen Ansätzen zu bezweifeln. Wissenschaft ist nicht per se „gut“, „rein“, „moralisch“, und vor allem ist sie nicht ideologiefrei. Wissenschaft kann sowohl wissenschaftlich, als auch nationalsozialistisch sein.
Anhand von verschiedenen Biographien wurde die aktive Teilnahme von WissenschaftlerInnen aller Bereiche am nationalsozialistischen Vernichtungsfeldzug gegen Jüdinnen und Juden, Roma und Sinti, Geisteskranke und Homosexuelle aufgezeigt.
Der Mythos von Rasseeigenschaften und Erblichkeit, mit dem sie diese Verbrechen wissenschaftlich zu begründen suchten, mußte ihnen nicht von den Nazis aufgezwungen werden. Sie selbst drängten sich im Namen wissenschaftlicher Objektivität in die obersten Ränge der Universitäten und der Forschungseinrichtungen. Es kam zu keinem „Mißbrauch“ der Wissenschaft durch den Nazionalsozialismus, vielmehr suchten die meisten WissenschaftlerInnen aktiv nach verschiedensten Formen von Kollaboration und Verflechtungen mit dem System. Die Konstruktion des „Mißbrauchs“ ist analog zur Schuldabweisformel „Hitler benutzte das deutsche Volk“ zu sehen. Wissenschaft und Technik sind keine in ihrem Wesen apolitischen, wertneutralen Instrumente oder Werkzeuge.
Konrad Lorenz wurde 1903 in Altenberg bei Wien geboren und starb dort 1989. Seine Arbeit „Über den Begriff der Instinkthandlung“ (1937) gilt als Beginn der Vergleichenden Verhaltensforschung (Ethologie) und er erhielt 1973 für seine wissenschaftlichen Leistungen zusammen mit Karl v. Frisch und Nikolaas Tinbergen den Nobelpreis für Medizin.
„Und ich habe mich ja auch vor aller Politik gedrückt [...] vor einer Auseinandersetzung mit den Nazis habe ich mich in sehr verächtlicher Weise gedrückt, ich hatte einfach keine Zeit dazu.“
Der unpolitische Mensch Lorenz trat bereits 1938 der NSDAP bei und wurde darüberhinaus Mitarbeiter des „Rassenpolitischen Amtes der NSDAP“. In Österreich, wo der Katholizismus einen großen Einfluss auf die Wissenschaftspolitik ausübte, hatte er mit der evolutionsbiologischen Ausrichtung seiner Forschung Schwierigkeiten gehabt, ankerkannt und finanziell unterstützt zu werden. Im Nationalsozialismus fand er die Unterstützung, die er brauchte. In seinem Ansuchen um Mitgliedschaft in der NSDAP von 28. Juni 1938 wettert er gegen die „Lügen der jüdisch-internationalen Presse“ und schreibt weiters: „Schließlich darf ich wohl sagen, daß meine ganze wissenschaftliche Lebensarbeit, in der stammesgeschichtliche, rassenkundliche und sozialpsychologische Fragen im Vordergrund stehen, im Dienste Nationalsozialistischen Denkens steht“ 1940 wurde er zum o.Prof. und Direktor des Instituts für vergleichende Psychologie an der Universität Königsberg berufen.
In seinen unzähligen Texten aus dieser Zeit finden sich immer wieder Unterscheidungen zwischen „Vollwertigen und minderwertigen Individuen“, er fordert auf zur „Ausmerzung ethisch Minderwertiger“, spricht von „sozial minderwertigem Menschenmaterial“, dessen „Ausmerzung jede Maßnahme legitimiert“. Auch ruft er zu aktivster Stellungnahme, zu Taten auf, auch wenn eine gewisse Hemmung unter den Naturforschern existiere, von den letzten großen Folgerungen zu reden. 1981 behauptet er in einem Interview, nicht gewusst zu haben, daß mit „ausmerzen“ oder „Selektion“ Mord gemeint war. Er sei naiv, blöd und gutgläubig gewesen. Seit 1933 war das bevölkerungspolitische Ausmerzungskonzept grundlegender Bestandteil nazionalsozialistischer Politik gewesen. Mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ sollte „biologisch minderwertiges Erbgut“ durch Zwangssterilisation ausgeschaltet werden. Das Ausmerzungskonzept gipfelte in der 1939 offiziell begonnenen Euthanasie und der 1941 begonnenen „Endlösung der Judenfrage“. Lorenz beteiligte sich 1942 ehrenamtlich in Posen an einer Untersuchung der „Reichsstiftung für deutsche Ostforschung“ an „deutsch-polnischen Mischlingen und Polen“, an deren „eignungspsychologischen und charakterologischen Wertigkeit“ in Hinsicht auf eine mögliche Einbürgerung. Den für nicht „einbürgerungsfähig“ befundenen stand Zwangsarbeit oder die Deportation in ein Vernichtungslager bevor. Lorenz schwieg nach 1945 konsequent zu seiner Mitarbeit an diesen Untersuchungen.
Er kehrte 1948 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Seine nationalsozialistische Vergangenheit war zu keinem Zeitpunkt Hindernis für seine folgende steile Karriere. 1961 wurde er Direktor des neuen Max-Planck-Instituts für Verhaltensforschung, 1973 folgte der Nobelpreis für Medizin und eine Fülle von Veröffentlichungen, die vor allem eines zeigen: die Kontinuität seiner Forschungsinhalte.
Lorenz, der seine nationalsozialistische Vergangenheit immer leugnete, änderte jedoch auch in nachfolgenden Schriften seine Inhalte nicht, sondern nur die Sprache, mittels derer er in sogennanter neu-rechter Manier die Shoah verharmlost, den Nationalsozialismus verherrlicht und faschistisches Gedankengut verbreitet — mit Erfolg, seine populärwissenschaftlichen Bücher waren berühmter als seine wissenschaftlichen Arbeiten. In „Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit“ (1973) ist bereits im Vorwort der antisemitische Unterton nicht zu überhören, als er sich mit dem rabiaten Antisemiten Abraham a Santa Clara vergleicht.
In den 80er Jahren engagierte er sich in der Umweltschutzbewegung. Auch die Grünen schien weder seine Vergangenheit noch seine propagierten sozialdarwinistischen Inhalte davor abzuschrecken, an gemeinsamer Front zu kämpfen und das Volksbegehren für die Erhaltung der Hainburger Au nach ihm zu benennen.
Nachdem sich bereits Theodora Kalikow und Ute Deichmann mit seinen ideologisierten Schriften und seiner Beteiligung am nationalsozialistischen Regime beschäftigten, erschien nun ein weiteres hervorragendes Buch zu Lorenz von Klaus Taschwer und Benedikt Föger: „Die andere Seite des Spiegels. Konrad Lorenz und der Nationalsozialismus“, das neue Dokumente präsentiert und nachdrücklich beweist, dass Wissenschaft nie unabhängig von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zu denken ist. Lorenz benützte „seine ‚Erkenntnisse‘ dafür [...], den nationalsozialistischen Entscheidungsträgern Hinweise zur Durchführung ihres rassenpolitischen Programms zu geben. Und er hat dieses Programm wissenschaftlich legitimiert.“ (S.119)
Klaus Taschwer, Benedikt Föger, „Die andere Seite des Spiegels. Konrad Lorenz und der Nationalsozialismus“. Wien: Czemin Verlag, 2001
