Krankenschwestern auf der Straße

Nach Lainz rührt sich die Basis in den Spitälern. Ihren Forderungen wurde bis heute nur teilweise entsprochen. Eine — wenn auch späte — Konsequenz hatten die Vorfälle im Lainzer Krankenhaus vom Frühjahr 1989. Der langjährige Wiener Gesundheitsstadtrat Alois Stacher mußte gehen. Er wurde knapp vor Weihnachten durch den SP-Justizsprecher Sepp Rieder, der die sozialistische Riege im Lucona-Ausschuß anführte, ersetzt.
Für den Juristen wird es keine leichte Aufgabe sein, das Wiener Spitalswesen in den Griff zu kriegen. Er wird sich dabei auch mit dem Personal beschäftigen müssen, das nach Lainz mehr öffentliches Gehör für seine langjährigen Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen und Bezahlung gefunden hat. Geändert hat sich bisher nur wenig. Nicht zuletzt deshalb, weil sich die mehrheitlich sozialistisch zusammengesetzte Gewerkschaftsvertretung mit aller Kraft gegen die entstandene Basisbewegung stellt. „In den Häusern selber haben die Leute gegen die Gewerkschaft aufgemuckt“, beschreibt Krankenpfleger Richard Pfann von der alternativen „Namensliste für konsequente Interessensvertretung“ (KIV) die Situation.
300 der insgesamt ca. 13.000 Wiener Krankenschwestern und -pfleger nahmen im Juni 1989 an einer kurzfristig angesetzten Demonstration der „Aktionsgemeinschaft Pflegepersonal“ (AP), in der auch Vertreterinnen der KIV und des kommunistischen GLB (Gewerkschaftlicher Linksblock) mitarbeiten, teil. Die sozialistischen Gewerkschafter versuchten, die Belegschaft von einer Teilnahme abzuhalten.
Ob dieser großen Teilnehmerzahl sah sich die Gemeinde Wien jedoch gezwungen, die Verhandlungen über bessere Bezahlung und mehr Personal während des Sommers weiterzuführen. Abgeschlossen wurden die Gespräche unter dem Druck einer angekündigten zweiten Demonstration Anfang Oktober des vergangenen Jahres, zu der — offiziell aufgerufen — jetzt von der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten 4.500 Menschen kamen. Befriedigend ist der Abschluß für die Aktionsgemeinschaft keineswegs. Wurde eine allgmeine Lohnerhöhung des schlecht bezahlten Krankenpflegepersonals um öS 3.000 gefordert, bewegt sich die reale Erhöhung zwischen öS 1.000 bei den StationsgehilfInnen und öS 4.300 bei den Oberschwestern/pflegern. Auch die Forderung nach Schaffung von 1.600 zusätzlichen Planposten von am Bett arbeitendem Personal wurde nicht erfüllt. „Diese Posten sind notwendig, um zunächst einmal nur die Überstunden abzubauen“, verdeutlicht Pfann, der für die alternative Gewerkschaftliche Einheit (GE) auch als Arbeiterkammerrat tätig ist. Die durchschnittliche Arbeitszeit im Pflegedienst beträgt 48 Stunden (gesetzlich 40). Pfann: „Das ist der Durchschnitt über einen längeren Zeitraum. Oft wird bis zu 60 Stunden pro Woche gearbeitet.“
Daß unter diesen Bedingungen kaum Arbeitskräfte zu finden sind, ist klar. In Vorarlberg etwa gibt es keinen Schwesternmangel. Die Bezahlung im Ländle ist um 30% höher als in Wien. In Klagenfurt hingegen ist die Situation weniger rosig. Ende November vergangenen Jahres gingen dort 1.400 gegen die untragbaren Verhältnisse auf die Straße, nachdem eine Basisliste bei Personalvertretungswahlen auf Anhieb die Mehrheit erhalten hatte.
In Zukunft wird die Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitseinrichtungen einen noch größeren Stellenwert bekommen. „Die Medizin wird immer besser“, begründet der alternative Gewerkschafter. Mit Krankheiten, an denen die Menschen früher gestorben sind, können sie heute, wenn auch keine vollständige Heilung möglich ist, durch den technisch-medizinischen Fortschritt durchaus noch Jahre leben. Und solche Krankheiten, bedingt durch Arbeitsstreß und Umweltverschmutzung in den Industrienationen, werden immer häufiger.
Ein generelles Überdenken der Gesundheitspolitik, aber auch unserer Lebensumstände, wird daher notwendig sein.
