Kriegsgründe
Zwei Neuerscheinungen zum Krieg am Golf versuchen die wahren Gründe für die US-Militärintervention aufzuzeigen.
Wenn Journalistinnen für schlampig geschriebene Bücher gefeiert werden, gehören sie zu den KriegsgewinnlerInnen. In den letzten Wochen wurde dem Buch der Standard-Joumalistin Gudrun Harrer große Aufmerksamkeit zuteil. Es wird selbst von prominenten Politikwissenschaftern gefeiert. Was Harrer von sich gibt, ist allerdings kaum mehr als eine Zusammenfassung ihrer Standard-Artikel, angereichert durch Geschichten von Gesprächen mit europäischen und US-amerikanischen Diplomaten sowie mit vermeintlichen InsiderInnen.
Minutiös und mit moralischer Entrüstung wird ausgeführt, warum die angebliche Existenz von Massenvernichtungswaffen für die USA nicht der wahre Grund für den Irak-Krieg gewesen sein kann. Dabei stellt Harrer entsetzt fest, dass PolitikerInnen auch lügen können — was für eine Neuigkeit!
Für ihre Standard-LeserInnenschaft muss die Journalistin ihre Einschätzungen nicht einmal mehr begründen. Für sie scheint festzustehen, dass Irakis grundsätzlich nicht zum Laizismus fähig sind und es in der Natur der Araber liegt, Frauen zu unterdrücken: „Bei einem Interview antwortete mir im Frühjahr ein hoher amerikanischer Diplomat auf die Frage nach den US-Nachkriegsplänen im Irak, man werde dort Religionsfreiheit und Frauenrechte herstellen. Ich war so perplex, dass ich nicht nachhakte und fragte, ob er sich vielleicht im Land geirrt hätte.“ Harrer spekuliert auf einen rassistischen Reflex ihrer LeserInnen, weshalb also ausführen, warum die Vorstellung eines laizistischen Irak, in dem Frauenrechte respektiert werden, so absurd ist? Kein Wunder auch, dass in dem Buch ganze vier Mal die antiba’thistische Opposition im Irak erwähnt wird. Drei Mal ist es Ahmed Chalabi vom Iraqi National Congress. Der US-gesponserte INC, der fast nur im Exil tätig war, repräsentiert für sie offensichtlich die gesamte Opposition. Auch die zweite ehemalige Oppositionspartei, die größte schiitische Partei SCIRI, kommt bei Harrer lediglich vor, um die Opposition zu diskreditieren. Harrer äußert sich erstaunt, „dass die USA den allerbesten Umgang vor allem mit jener irakischen schiitischen Gruppe pflegen, die allein ein Produkt iranischen Sponsorings ist: dem Supreme Council for Islamic Revolution in Iraq.“ Abgesehen davon, dass Harrer damit alle anderen Parteien, von PUK und KDP über die Kommunistische Partei bis zur Da’wa, völlig ignoriert, verbreitet sie damit auch über SCIRI Halbwahrheiten. Zwar ist es richtig, dass SCIRI nach der Ermordung der meisten schiitischen Führungspersönlichkeiten durch das Ba’th-Regime als islamische Sammelbewegung im Iran gegründet wurde und sich fast ausschließlich aus schiitischen Gruppen und Strömungen zusammensetzte; wie Harrer aber zu der Annahme kommt, dass die USA mit SCIRI den „allerbesten Umgang“ pflegt, bleibt völlig im Dunkeln. Tatsächlich war SCIRI an den Vorbereitungstreffen der irakischen Opposition in London und Salah ad-Din beteiligt und ist nun gemeinsam mit allen anderen relevanten Gruppen, von der KP über PUK, KDP und ZOWAA, Da’wa, Hizb Allah, verschiedenen gemäßigt arabisch-nationalistischen Strömungen, dem INC bis zu den sunnitischen Muslim-Brüdern, im von den USA eingesetzten Übergangsrat vertreten. Unter diesen Parteien gibt es aber eine ganze Reihe von Gruppierungen, wie die kurdischen und assyrischen Parteien, die bessere Beziehungen zu den USA unterhalten. SCIRI hatte von Anfang an einen möglichst raschen Abzug der Besatzungstruppen gefordert und vertritt ähnlich wie die irakische KP eine eigenständige Linie, die eine Zusammenarbeit mit den Besatzern nur solange vorsieht, wie sie nicht der Entwicklung der eigenen politischen Ziele im Wege steht. Dass ein gewisses Misstrauen durchaus gegenseitig ist, zeigte sich schon Tage nach der Eroberung Bagdads durch die US-Truppen, als die US-Militärverwaltung alle Milizen mit Ausnahme der kurdischen PUK und KDP entwaffnete, darunter auch die Badr-Brigaden von SCIRI. Nicht nur Anhängerinnen von SCIRI halten dies heute für einen Fehler, da dadurch im Südirak jenes Machtvakuum entstehen konnte, das einen Anschlag wie jenen in Kerbala ermöglichte, bei dem die wichtigste Integrationsfigur von SCIRI, Ayatollah Muhammad Baqr al-Hakim, Ende August ermordet wurde und den Machtzuwachs extremistischer schiitischer Gruppen erst ermöglichte. Noch absurder als diese Verkürzungen ist Harrers Behauptung, nicht das Regime Saddam Husseins, sondern der Iran hätte die gegen die PUK operierenden Ansar al-Islam unterstützt. Der schiitische Iran, der seit Jahren mit den strikt antischiitischen sunnitischen Extremisten von al-Qaida, Taliban und Ansar al-Islam verfeindet ist, hätte wohl kaum eine solche Gruppierung gefördert, die noch dazu gegen jene kurdische Partei kämpfte, die der Iran im innerkurdischen Bürgerkrieg bis 1998 gegen die KDP unterstützt hatte.
Dass Gudrun Harrer den USA nicht glaubt, dass es ihnen tatsächlich um die „verbrecherische Unterdrückung des irakischen Volkes“ ging, ist nachvollziehbar. Schließlich — und hier hat Harrer recht — störte es die USA wenig, als 1988 ihr damaliger Verbündeter Saddam Hussein in Halabja tausende KurdInnen vergaste. Harrer hätte auch erwähnen können, dass bereits die ba’thistischen Massenmorde an KommunistInnen in den Sechzigerjahren, die vermutlich über zehntausend Opfer forderten, teilweise sogar in Zusammenarbeit mit US-Geheimdiensten geschahen. Im Kalten Krieg war die US-Außenpolitik im Nahen Osten bei der „Eindämmung“ der kommunistischen Gefahr genauso wenig zimperlich wie in Lateinamerika. Wenn Harrer jedoch glaubt, als Beispiel dafür, dass die Diktatur im Irak zu Beginn des neuen Jahrtausends nicht mehr so schlimm gewesen sei, einen Freund erwähnen zu müssen, der sich, nachdem er bei der Herstellung von Satellitenschüsseln erwischt worden war, freikaufen konnte, fragt man sich, ob die Autorin sich jemals ernsthaft mit Ideologie und Herrschaftstechnik der irakischen Ba’th-Partei beschäftigt hat. Korruption mag in totalitären Regimen manchmal die Schrecken der Herrschaft mildern, als Beweis für eine Besserung der Verhältnisse ist sie untauglich.
Harrer verweist auf die Kooperation der USA mit dem Ba’th-Regime, verzichtet aber auf die Kontextualisierung dieser Zusammenarbeit. Ausgespart bleibt auch die Kooperation Deutschlands, Österreichs, Frankreichs oder Russlands mit dem Regime in Bagdad. Dafür bleibt kein Platz in einem Buch, das sich in weiten Teilen darauf beschränkt, antiamerikanische Ressentiments gegen „Uncle Sam“ zu mobilisieren.
Ölökonomie und Rentiersstaaten
Im Gegensatz zu Harrers Buch werden in Der neue Golfkrieg von Herfried Münkler die Kriegsgründe der US-Administration differenzierter und distanzierter analysiert. Münkler ist im Gegensatz zu Harrer weder erstaunt noch moralisch entrüstet, dass es nicht die angeblichen Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins waren, die zum Sturz seines Regimes führten. Eine Unterscheidung zwischen Anlass und Ursache vornehmend, sieht Münkler den wahren Kriegsgrund „in der amerikanischen Befürchtung (...), dass die Verhältnisse am Golf sich ohne Intervention immer weiter zum Argen entwickeln würden, bis sie schließlich auch durch begrenzte Militäraktionen nicht mehr zu stabilisieren wären und die gesamte Region im Chaos versänke.“
Damit widerspricht Münkler nicht nur dem Vorwurf, es wäre den USA um das Öl des Irak gegangen und es handle sich beim Krieg um einen klassischen imperialistischen Akt. Wäre es den USA um billiges Öl gegangen, hätten sie nicht die immensen Kosten und Risiken eines Krieges auf sich nehmen müssen. Saddam Hussein wollte nie das irakische Öl dem Weltmarkt vorenthalten. Im Gegenteil: Hätte der Irak, wie dies vom regierenden Ba’th-Regime gewünscht war, sein Öl wieder ungehindert auf den Weltmarkt werfen können, wären damit die Rohölpreise aufgrund der stärkeren Produktion gesunken. Wenn es den USA also nur um billiges Öl ging, hätten sie dies mit einer Aufhebung des Embargos viel leichter, billiger und ohne innenpolitische Probleme haben können.
Die US-Administration nahm jedoch die erhöhten Kosten und Risiken eines militärischen Sturzes des Ba’th-Regimes auf sich. Nach Münkler fürchteten die USA eine sich seit Jahren verschärfenden Selbstblockade der arabischen Gesellschaften. „Würde diese Selbstblockade nicht endlich in einem Land der Region aufgelöst werden, so würde es dafür bald überall zu spät sein und der gesamte arabische Raum in Gewalt und Chaos versinken, ohne dass von außen noch etwas dagegen unternommen werden könnte. Der Militärschlag gegen den Irak war in der Sicht seiner Befürworter demnach also ein letztes window of opportunity vor Eintritt der großen Katastrophe.“
Die Ursache für diese Selbstblockade der arabischen Gesellschaften sieht Münkler in der Herausbildung eines auf der Erdölförderung basierenden spezifischen Typus des Rentiers- beziehungsweise Allokationsstaates, „der gesellschaftliche Entwicklungen blockiert und politischen Partizipationsforderungen die Spitze genommen hat. Aufgrund der hohen Einnahmen aus dem Erdölexport sind die, die das jeweilige Land politisch führen, in der Lage, die Staatsaufgaben ohne Steuern finanzieren zu lassen. Darüber hinaus verschaffen die Petrodollars ihnen die Möglichkeit, bestimmte Projekte und gesellschaftliche Gruppen nach eigenem Gusto und entsprechend ihrem politischen Wohlverhalten zu subventionieren. Der Rentiersstaat ist das Gegenmodell zum Steuerstaat, der kollektive Aufgaben und Güter durch Steuererhebung finanziert und den Bürgern im Gegenzug Mitsprache und Mitwirkung in politischen Fragen einräumen muss.“
Für Münkler bringen die „Rentiersstaaten ein wirtschaftliches System hervor, in dem Kontakte und Beziehungen zu Angehörigen der Staatsklassen von größerer Bedeutung sind als unternehmerisches Handeln und Risikobereitschaft.“ Aus diesen ökonomischen und politischen Bedingungen ergibt sich für ihn eine Situation, in der Opposition nicht korrigierend wirken kann, sondern entweder durch Wohlverhalten in das Klientellsystem der Verteilung der Ölrente integriert und damit politisch ausgeschalten wird, oder aber mangels politischer Alternativen in eine Fundamentalopposition getrieben wird. Zusammenfassend stellt er fest: „Rentiersökonomien stärken den Staat beziehungsweise die Inhaber der Staatsgewalt und schwächen die Gesellschaft.“
Der Einfluss dieses System der Ölrentenverteilung bleibt nicht auf die Erdölstaaten am Golf oder den Irak beschränkt, sondern findet seinen Widerhall auch in anderen arabischen Staaten und im Verhältnis zwischen den Erdölstaaten und anderen, ärmeren arabischen und islamischen Staaten. „Der Petrolismus funktioniert im Wesentlichen über zwei Kanäle: einmal in der Gestalt von Budgethilfen Erdöl produzierender Staaten, zum anderen in Form von Geldüberweisungen der Arbeitsmigranten an ihre Familien in den Herkunftsstaaten.“ Damit sind auch ganze Volkswirtschaften, wie jene Ägyptens oder des Sudan von den Petrodollars der erdölproduzierenden Staaten abhängig und in ein panarabisches Klientellsystem integriert. Dass dieses System des Petrolismus, mit dem sich die konservativen Golfstaaten auch das Gewaltpotential von „Staaten mit sozialrevolutionären oder panarabischen Ideologien“ abkaufen ließen, letztlich nicht zu einer Pazifizierung der Region geführt hat, „hing auch damit zusammen, dass es in der ersten Hälfte der 80er Jahre durch die sinkenden Ölpreise in eine schwere Krise geraten war. Die Erdöleinnahmen der acht wichtigsten arabischen Produzenten sanken von 205 Milliarden auf 50 Milliarden US- Dollar, und selbstverständlich waren die Budgethilfen für andere Staaten einer der ersten Posten, an denen gespart wurde. Dies hatte zur Folge, dass die Bevölkerung der Empfängerländer sich weniger der vergangenen Wohltaten als vor allem der späteren Kürzungen erinnerte und dementsprechend reagierte.“
Münkler liefert mit dieser Analyse eine Kritik der sozioökonomischen Verhältnisse im Nahen Osten. Er grenzt sich wohltuend von AutorInnen ab, welche die Ursache für die politischen und ökonomischen Probleme der Region ausschließlich als Resultat von äußeren Verschwörungen sehen, oder aber in einem rassistischen Ressentiment der „Natur“ arabischer oder islamischer Gesellschaften zuschreiben.

- Herfried Münkler: Der neue Colfkrieg. Rowohlt, Hamburg 2003, 175 Seiten, EUR 13,30

- Gudrun Harrer: Kriegs-Gründe. Versuch über den Irak-Krieg. Mandelbaum, Wien 2003, 170 Seiten, EUR 9,80
