Streifzüge, Heft 1/1998
März
1998

Kritik der Nation

Die Auseinandersetzung über Nation und Nationalismus schwelt im „Kritischen Kreis“ schon seit längerem. Um die Differenzen auch öffentlich diskutierbar zu machen, nachfolgend einige kurze Anmerkungen zu Franz Schandls Artikel „Kommunikation als Denunziation“ in den letzten „Streifzügen“.

Menschen sollen nett zueinander sein, Linke besonders. Soweit die Übereinstimmung mit Schandls Artikel. Das sagt uns aber noch nichts darüber, wie Nation, Nationalismus und Antisemitismus in der Gesellschaft und in der Linken zu kritisieren sind.

Schandls Ausführungen zum Nationalismus bleiben schwammig. In dem Bemühen, abzuwägen, zu differenzieren, zu allen nett zu sein, verliert sich die konsequente Kritik. Seine einzige konsequente Kritik ist jene am radikalen Antinationalismus. Die Argumente und Polemiken der Antinationalisten seien „Totschlagformeln“. Statt einer „abstrakten Negation der Nation“ will Schandl über „nationale Motive und Momente“ diskutieren um zu einer „weiterführenden Auseinandersetzung über die „nationale Frage“ zu kommen, was aber „zwischen solch Extremen wie ‚Nie wieder Deutschland‘ und ‚Deutschland einigVaterland‘“ schwierig sei. Nun fragt sich, was denn die — für Schandl scheinbar akzeptable — Position zwischen diesen „Extremen“ wäre. Was heißt es, über „nationale Motive“ zu diskutieren? Was meint Schandl, wenn er in einer Buchbesprechung im „Spektrum“ Diedrich Diederichsen zustimmend zitiert und meint, es sei „schon was dran“, daß die Alternative zur „reinen undialektischen Heimatsehnsucht“ nicht die „reine Kritik“ sei? Was soll sich denn zur reinen Kritik noch dazugesellen?

Es ist zwar richtig, daß der Versuch für die Erklärung von Nationalismus nicht mit dem Einverständnis mit Nationalismus gleichgesetzt werden kann, aber es gibt Erklärungen, die eher zum Einverständnis mit dem Erklärten neigen — oder leichter als solche mißverstanden werden können — als andere. Natürlich vertritt Schandl nicht jene widerliche Position, die da meint, das Totschlagen von Ausländern sei ein berechtigter Protest gegen soziale Mißstände. Dennoch hält auch Schandl die Hinwendung zur sozialen Situation der Deutschen und Österreicher für die Erklärung des Rassismus und Nationalismus für notwendig. Die fundamentale Wertkritik droht dabei zum kruden Soziologismus zu verkommen.

Das Problem bei Schandls Text ist, daß er ihn selbst gegen Kritik immunisiert, indem er das meiste Gesagte gleich wieder relativiert. Das Gesagte muß aber auch im Zusammenhang damit verstanden werden, daß dieser Text zunächst im „Neuen Deutschland“ erschienen ist. Wenn in solch einer Zeitung steht, Linksradikale hätten zwar auf Grund ihrer antinationalistischen Ausrichtung ihre Meriten, „nicht aber aufgrund ihrer proamerikanischen Zurichtung!“, so ist das nicht nur eine Kritik etwa an der antideutsch motivierten Parteinahme eines Jürgen Elsässers für die imperialistischen Konkurrenten der BRD, über die man diskutieren könnte, sondern vor allem eine Anbiederung an die Leser und Leserinnen des ND, von denen viele schon immer gegen Comics, „Negermusik“ und westliche Oberflächlichkeit waren.

Schandl meint, „dort, wo sich Linke als (...) Antisemiten bezichtigen (...), wird jede Zusammenarbeit, ja jedes Gespräch unmöglich.“ Was soll man aber tun, wenn Linke tatsächlich latent oder — was Schandl scheinbar unbekannt ist — offen antisemitisch argumentieren? Was er als Kritik meint, müßte als Forderung formuliert werden: da wird in derTat jede Zusammenarbeit und — zumindest bei offenem Antisemitismus — auch jedes Gespräch unmöglich.

Schandls Argumentation basiert auf der Unterscheidung zwischen Kritisieren und Denunzieren: „Mit ersterem will man ins Gespräch kommen, mit letzterem nicht.“ Zum einen ist in diesem Zusammenhang der Begriff der Denunziation unangebracht. Er suggeriert eine institutionalisierte Gewalt, bei der jemand angeschwärzt wird um dann abgestraft zu werden. Die Verhältnisse in der deutschen wie auch in der österreichischen Linken werden damit, ebenso wie durch die Behauptung vom „vorgeschriebenen Antideutschtum“, umgedreht. Die nationale Linke mit ihrem Massenanhang und ihrem umfangreichen Publikationswesen scheint plötzlich einem übermächtigen radikalen Antinationalismus gegenüberzustehen und von ihm verfolgt zu werden — einem Antinationalismus, der in Wahrheit weitgehend marginalisiert ist und sich nur in wenigen Zeitschriften artikulieren kann. Zum anderen ist das, was Schandl mit Denunzieren vermutlich meint, nämlich radikale Kritik, die auch polemisch formuliert werden kann, notwendig. Gerade die Reaktionen auf scharfe, anfänglich vielleicht überzogen erscheinende Kritik an latentem Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus zeigen oft erst die volle Berechtigung der Kritik. Gerade dieses Hervorholen tiefsitzender Ressentiments mittels Kritik, die bei ihrer Formulierung keine Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Kritisierten nimmt, ist erforderlich, um sich keinen Illusionen über den Zustand der Gesellschaft und der Linken hinzugeben.

Eine Neu- oder Reformulierung linker Gesellschaftskritik und emanzipatorischer Praxis kann nur konsequent antinational sein. Die aus dem Fetischismus der bürgerlichen Produktionsweise resultierende negative Vergesellschaftung bringt die Notwendigkeit einer verdinglichten Darstellung der gesellschaftlichen Beziehungen hervor. Die Herrschaft der Wertverwertung erzwingt die Existenz der Nation als etwas scheinbar Allgemeines und Wahres. Die Äußerungen wertfetischistischer Subjekte über sich und die Gesellschaft sind nahezu zwangsläufig nationalistisch. Die einzige Antwort einer fundamentalen Wertkritik auf die „nationale Frage“ ist daher nicht das Schwadronieren über die angeblich fortschrittliche Rolle des Nationalismus in der Geschichte oder ein permanentes „sowohl als auch“ angesichts der heutigen nationalen Linken, sondern die praktische Kritik der Nation. Für die österreichische Linke geht es nicht darum, sich von der Parole „Nie wieder Deutschland“ abzugrenzen, sondern sie sich zu eigen zu machen; aber nicht dadurch, daß die Kritik an Deutschland zur Affirmation der österreichischen Nation verkommt, sondern dadurch, daß man hierzulande endlich einmal „Nie wieder Österreich“ auf die Tagesordnung setzt.