Kritisieren, nicht denunzieren
Folgt mensch Heribert Schiedel ist der typische Friedensdemonstrant, so er nicht gerade mit seinesgleichen um die Wette betet, damit beschäftigt, Fahnen abzufackeln, um schon einmal das Verbrennen von Menschen zu üben; dies alles, um Saddam, dem Sprecher der arabischen Welt, wohlgefallen zu sein. Wie soll man auf solch einen Quatsch reagieren?
Heribert Schiedel will provozieren und polemisieren, verwechselt aber Provokation mit Unsinn, Polemik mit Denunziation. Hierfür greift er tief in die Mottenkiste von Klischees über die Friedensbewegung: grenzenlose Naivität; bar jeden historischen Bewusstseins; fremdgesteuert bzw. im Interesse einer fremden Macht — früher „Moskau“, heute „Bagdad“; ... Seine Methode ist Dämonisierung (durch das Verwischen jedweden Unterschiedes zwischen Gewalt gegen Sachen, gegen Menschen und ihrer Ablehnung; durch das Ausspielen des guten, weil grundsätzlichen gegen den bösen, weil konformistischen Antikapitalisten; durch sein reflexhaftes „Auschwitz“ als Antwort auf jede Gewaltkritik; ...) und Beleidigung (irakische Oppositionelle, die sich nicht von der Anti-Kriegsbewegung distanzieren, seien keine; die Friedensbewegung sehne sich geradezu nach Hunderttausenden Toten; diese sei „widerlich“; ...). [1] Heribert schert nicht nur, trotz gegenteiliger Beteuerung, DemonstrantInnen pauschal über einen Kamm, er schert einfach alles über einen Kamm.
An den Manifestationen gegen den Irak-Krieg (ich vermeide bewusst den Begriff Friedensbewegung — allerdings nicht, weil ich, wie Heribert den KriegsgegnerInnen unterstellt, der Ansicht wäre, unter dem Ba’th-Regime habe im Irak Wohlstand und Frieden geherrscht) ist sicherlich einiges zu kritisieren. Während beispielsweise irakische Fahnen mit eingeschriebenem Allah akbar geschwenkt wurden, ist mir nicht aufgefallen, dass von irgendwem in Österreich der Versuch unternommen worden wäre, die irakische Exilopposition einzubinden. Oder: Während allseits Haiders Besuche bei Hussein Quelle hämischer Kommentare waren, ist Kritik an Geschäften österreichischer Firmen ungefähr so verbreitet wie die Nadel im Heuhaufen. (Dies kann im übrigen auch als Beispiel für einen Unterschied zur alten Friedensbewegung dienen, die Anfang der 80er Jahre massiv gegen die Lieferung von Noricum-Kanonen an den kriegführenden Irak protestiert hat.) Der Verdacht liegt tatsächlich nahe, dass manchen, die da demonstriert haben, die Menschen im Irak — von dem sie vielleicht nicht viel mehr wissen, als wo auf der Landkarte er zu finden ist — reichlich egal sind.
Auch macht es sicherlich einen Unterschied, ob jemand gegen die USA ist, weil er oder sie gegen diesen Krieg ist, oder umgekehrt gegen diesen Krieg, weil gegen die USA (gegen die USA meint natürlich die Politik der regierenden Administration und nicht jedeN einzelne US-BürgerIn ad personam). Und wiewohl es unsinnig ist, Anti-US-Amerikanismus an sich zu kritisieren, so selbstverständlich ist für mich, dass dieser Anti-US-Amerikanismus zu kritisieren ist, weil sich hinter ihm letztlich Antisemitismus verbirgt — hier stimme ich Heribert dezidiert zu. Fast allem anderen ist freilich zu widersprechen.
Zu widersprechen ist zunächst der denunzierten Annahme, Antisemitismus oder auch rechtsextreme Kapitalismuskritik bzw. eine grenzenlose Gewaltbereitschaft sei der „Friedensbewegung“ irgendwie wesenhaft oder in einer besonderen Art und Weise eingeschrieben. Um dies zu sehen, reichte es aus, den Blick ein wenig über den kleinen österreichischen Tellerrand hinaus zu richten: Auffällig an der Bewegung gegen den Irak-Krieg war doch ihre Weltumspanntheit, weitgehend unabhängig von der Position der eigenen Regierung und jeweiliger spezifischer Historie. Es ist doch eher so, wie Gaston Kirsche schreibt: „Aber die große Friedensbewegung ist nicht mehrheitlich prodeutsch, tendenziell antiamerikanisch und teilweise antisemitisch, weil sie gegen den Krieg ist, sondern die Akteure nehmen ihre bürgerlichen Ideologien mit in die Bewegung.“ [2]
In einem Land, in welchem nicht nur vereinzelte Rechtsextreme mit Befreiung den Abzug US-amerikanischer Truppen assoziieren, kann es niemanden ernsthaft überraschen, wenn im Großdeutschen und Antijüdischen fußende Ressentiments durchbrechen, sobald US-amerikanischer Politik Kritik entgegengebracht wird. Dies ist im übrigen auch nicht irgendwie sonderlich neu. Wer zum Beispiel den von Christian Helbock vor einigen Jahren im Rahmen seines NOTO-Projekts geführten Interviews zur österreichischen Neutralität aufmerksam zugehört hat, konnte bereits damals einen derart begründeten Anti-US-Amerikanismus bei NATO-GegnerInnen ausmachen. [3] Doch niemand wäre wohl auf die abstruse Idee gekommen, hieraus Wesen und Bedeutung der österreichischen Neutralität abzuleiten.
Doch ebensolcher Argumentation bedient sich Heribert, wenn er ausgerechnet (den von ihm ansonsten treffend charakterisierten) Rudolf Burger zum Sprecher einer Friedensbewegung erhebt oder behauptet, eine Antikriegsdemonstration könne schon deswegen nicht fortschrittlich sein, weil auch Freiheitliche gegen den Krieg seien. Diese Argumentation ist umso erstaunlicher, als er natürlich weiß, daß Rechtsextreme beispielsweise heute für die NATO sein können (weil sie Militaristen sind) sind und morgen dagegen (weil diese US-dominiert ist), oder heute gegen die europäische Integration (weil sie Rassisten sind) und morgen dafür (weil sie neue deutsche Größe verspricht), und dass sie jede dieser Positionen in den vergangenen Jahrzehnten auch vertreten haben. Demgegenüber ist die von Heribert solcherart verunglimpfte Haltung der Veranstalterin einer Antikriegsdemo, Nazis auf keinen Fall zu dulden, die einzig vernünftige — und letztlich auch Beleg dafür, dass sich auf den Demonstrationen Antikriegshaltung und Rechtsextremismus keineswegs so untrennbar miteinander verbanden, wie er glauben machen will.
Das Problematische an Heriberts Ausführungen wird vielleicht am ehesten in der Bemerkung kenntlich, wer nach Interessen frage, stehe „am Beginn von Verschwörungsmythen“. Statt bestimmte behauptete oder imaginierte Interessen zu kritisieren, diskreditiert Heribert den rationalen Diskurs als solchen. Doch Verschwörungstheorien zeichnen sich ja gerade im Gegensatz dadurch aus, dass die Frage „cui bono?“ nicht gestellt wird, da dies ja von Anfang an fest steht (und zwar nur dieses, alles weitere ist sehr flexibel, s.o.). Ärgerlich wird es spätestens dann, wenn Heribert — wie manch andere auch — selbst einer Argumentation verfällt, die alles und jedes nur mehr auf das große Eine zurückführt, was immer dieses Eine auch sein mag, und alles nur mehr aus diesem eingeschränkten Blickwinkel wahrzunehmen in der Lage ist. Am konsequentesten haben dies vielleicht jene Antideutschen getrieben, die im Geiste mit den USA in den Krieg gezogen sind, nur um Deutschland zu schwächen. Auch so kann die Vernunft aus den Fugen geraten.
Solch eingeschränkte Sicht beraubt sich aber selbst der Fähigkeit zur Differenz und führt damit zu so grotesken Unterstellungen wie derjenigen, dass wer Fahnen verbrenne, in Gedanken bereits Menschen anzünde. Dahinter steht die unausgesprochene Gleichsetzung des Fahnenverbrennenden mit dem bücherverbrennenden Nazi — ohne dass der Leser oder die Leserin von Heribert auch nur im Ansatz etwas über das wer, wann, wo und weshalb der Aktion erfährt.
Die Antikriegsbewegung zum „widerlichen Scheinaufstand“ zu stilisieren, ihren ProponentInnen pauschal Gewaltphantasien zu unterstellen und sie als fünfte Kolonne Saddam Husseins zu identiofiziern, ist schlichtweg zu dumm. Mit — notwendiger — Kritik hat es nichts zu tun.
[1] Florian Markt bedient sich in seinem Beitrag „Blut für Öl“? ähnlicher Methodik, wenn er in Überspannung eines Diner’schen Zitats den „Kontext“ der Friedensbewegung durch platten Analogieschluß mit einem nationalsozialistischen Autor „zumindest andeutungsweise“ als einen ebensolchen nationalsozialistischen „zu erhellen“ behauptet. Um in Markl’scher Diktion, seiner Imagination der Antikriegsdemonstrationen als „chronisch gutem Gewissen“, welches sich einer dunklen Masse gleich „durch die Straßen wälzte“, zu bleiben: Wenn dies nur die Andeutung ist, schreckt mich die Vorstellung vor dem, was sich ergießen wird, sollte Markt deutlich werden.
[2] Gaston Kirsche (gruppe demontage): Radikale Linke und Anti-Kriegs-Bewegung, Dank an Eva Krivanec, die Redaktion auf diesen lesenswerten Text aufmerksam gemacht zu haben.
[3] Markus Kemmerling: NATO neutral, ZOOM 1/1999.
