ZOOM 4+5/1997
Juni
1997

MachtMythen

Die Geschichte der Teilnahme von Frauen am Krieg ist genauso alt wie die von Kriegen und sie endet nicht mit dem Zweiten Weltkrieg. Konflikte sind lediglich aus dem EU-Europa ausgelagert, die Geschichten der Kriege der letzten 50 Jahre aus den Köpfen verbannt. Denkanstöße gegen die Verdrängung und Fragmente gegen Mythen wie die „friedfertige Frau“ oder die der Frau vorbehaltenen „Opferrolle“.

Je nach Zeitraum und Kulturkreis ist die Teilnahme von Frauen am Krieg unterschiedlich, sie bleibt aber immer gekoppelt an den Status und die Rollen der Frauen in „Friedenszeiten“ und an den militärstrategischen Bedarf. Das Aufgabenspektrum wird dann erweitert, wenn die durch die Abwesenheit von Männern entstehenden Lücken gefüllt werden müssen und wenn für militärische Zwecke zu wenig Männer vorhanden sind. Die Kriege der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts werden mit und gegen die Zivilbevölkerung geführt, neue Technologien und sogenannte innerstaatliche Konflikte sind dafür verantwortlich. Daraus ergibt sich nicht nur eine massive Betroffenheit von Frauen, sondern auch andere Beteiligungsformen. Ökonomische und soziale Strukturen werden oft nur durch das Engagement von Frauen aufrechterhalten.

Eine Hauptaufgabe der Frauen besteht wohl im Aufrechterhalten der männlichen Kampffähigkeit. In diesem Sinne erfüllen Krankenschwestern und Prostituierte ähnliche Funktionen. Frauen halten soziale, ökonomische und gesellschaftliche Strukturen, soweit dies im Krieg möglich ist, aufrecht. Sie sorgen für das (Über-)Leben ihrer Kinder und sonstigen Verwandten. Sie übernehmen Rollen, die in „Friedenszeiten“ weitgehend Männern vorbehalten waren, wie beispielsweise bei der Polizei. Die industrielle und landwirtschaftliche Produktion im Krieg wird überwiegend von Frauen geleistet. Oft sind Frauen zivile Angehörige der Armeen, haben in Bürgerkriegen einen großen Anteil an der Suche nach Saboteuren, arbeiten an militärischen Kontrollpunkten, als Beamtinnen in zivilen und militärischen Bereichen.

Frauen fangen Beziehungen mit feindlichen Soldaten an oder prostituieren sich in Militärlagern, wenn dies z.B. bei Wirtschaftsboykotts die einzige Möglichkeit ist, zu Lebensmitteln zu gelangen. Der Kampf ist nach Beendigung des Krieges nicht vorbei. Neue Strukturen müssen geschaffen werden. Überleben ist auch nach dem Krieg schwierig, wenn viele Familienmitglieder tot sind, die Rückkehr in zivile Berufe unmöglich ist, weil es nicht genügend Arbeit gibt oder Kriegsverletzungen zu schwerwiegend sind, um arbeiten zu können.

Viele Frauen haben sich während und nach dem Krieg ökonomisch organisiert, sich auch sozial engagiert, Gruppen gebildet, die Witwen, Waisenkinder und andere traumatisierte Menschen sozial auffangen. Vor allem auf regionaler Ebene ist dieses Engagement zu bemerken. Die im und um den Kampf erwiesenen Fähigkeiten von Frauen führen jedoch kaum zu einem tiefgreifenden Wandel der politischen Strukturen. Selten können Frauen ihre Interessen auf überregionaler Ebene vertreten, und noch seltener sind sie auf staatlicher Ebene präsent.

Frauen kämpften und kämpfen bewaffnet in Kriegen und Revolutionen, als Partisaninnen und als Regierungstreue, gegen und für Kolonialmächte, für Befreiung und die Errichtung von Nationalstaaten, als Nationalsozialistinnen und im antifaschistischen Widerstand [1] – für als gerecht und als ungerecht, für als menschlich und als unmenschlich betrachtete Ziele. Frauen kämpfen auch gegen „ihre“ Regierungen: Schon die französische und die russische Revolution wurden von Frauen tatkräftig unterstützt. In Ostnigeria wandten sich Frauen gegen die britische Kolonialregierung, die eine Volkszählung begann und Fraueneinkommen besteuern wollte. In Uruguay organisierten sich Aktivistinnen im Untergrund gegen die Diktatur (1973–1985), in Südafrika gab es Massenproteste gegen die Ausweispflicht von Frauen – dies sind nur einige Beispiele. Frauen kämpften in Mexiko auf Seite der Königstreuen wie auch als Revolutionärinnen, im spanischen Bürgerkrieg vor allem auf der Seite der Republikaner. Frauen richten sich nicht nur gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg, sondern engagieren sich auch für Krieg.

Der Blick auf die Geschichte fördert Kriegerinnenheere zutage: Wenn „Männermangel“ herrscht, werden Frauen militärisch ausgebildet. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion wurden Frauen zur militärischen Ausbildung verpflichtet, nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aus der Roten Armee entlassen. Kriegerinnen im Königreich Dahomey (heute Benin) im 18. und 19. Jahrhundert kämpften unter einer Generalin, als vermutlich infolge des Sklavenhandels zu wenig kriegstaugliche Männer vorhanden waren. In diesen Fällen waren Frauen in Kampfeinheiten, was ihnen in den „modernen“ gegenwärtigen Heeren meist verboten ist.

In „modernen“ Befreiungsbewegungen oder Bürgerkriegen waren Frauen besonders dann aktiv, wenn sich der Kampf gegen eine mehrfache Unterdrückung der Frau, gegen die Auflösung der sozialen Strukturen richtete, und im Kampf Frauen ihre Domänen verteidigen oder zumindest vorübergehend ausweiten konnten. Frauen griffen zu Waffen – beim Vietcong, in Nicaragua, Angola, Mocambique, Südafrika, Eritrea, als Kurdinnen, Palästinenserinnen oder Tamilinnen, ... Für die eritreische Befreiungsorganisation konnten viele Frauen mobilisiert werden (ca. ein Drittel der KämpferInnen waren Frauen), da ihr Programm Frauen politische Partizipation einräumte und „frauenfreundliche“ Gesetzgebungen vorsah. Eine vormals starke Frauenorganisation bildete sich heraus, die heute hauptsächlich Alibi-Charakter hat.

Wenn es je gleiche Rechte und Pflichten für Frauen und Männer gegeben hat, dann in Befreiungsbewegungen. Doch einerseits ist diese Gleichstellung oft nur Mythos, andererseits zieht sie nach den Kämpfen sicherlich keine entscheidenden Veränderungen der politischen Strukturen nach sich, zumal viele dieser Kriege nicht nur zur Befreiung geführt wurden, sondern auch zur Durchsetzung der Nationalstaatlichkeit.

Vergewaltigungsphantasien

Der patriarchale, nationsstützende Begriff der „Massenvergewaltigung“ erlebt eine Renaissance. Feministinnen haben lange darum gekämpft, daß Vergewaltigung als Verbrechen an einer Frau anerkannt wird. Im Krieg im ehemaligen Jugoslawien schienen Vergewaltigungen aber deshalb Verbrechen zu sein, weil sie „massenhaft“ begangen wurden und weil sie als Waffe gegen eine Ethnie dargestellt wurden. Doch Vergewaltigung bleibt Vergewaltigung und ist ein Gewaltverbrechen an einer Frau, nicht an einer Nation. Und Vergewaltigung ist nicht erst dann ein Verbrechen, wenn es durch horrende Zahlen belegt werden kann. Außerdem ist Skepsis angeraten, wenn überall dort, wo in Friedenszeiten gegen Abtreibungen gewettert wird, nach Kriegsvergewaltigungen Abtreibungen plötzlich angeraten werden, ohne daß die nach einer Vergewaltigung schwangere Frau überhaupt gefragt wird, was sie will. Über die Körper der Frauen wird ein „Nationenkonflikt“ ausgetragen, ihr Körper soll ein „unreines“ Embryo etwa eines „Tschetniks“ nicht austragen.

Eine Frau aus dem ehemaligen Jugoslawien sagte: „Dieses Kind ist zwar ein Bastard, aber wer auch immer sein Vater ist, ich bin die Mutter. Ich werde alles mögliche für dieses Kind und meine andere Tochter tun. Ich werde auf meinen Mann keine Rücksicht nehmen, wenn er das nicht mitmacht, werde ich mir eine kleine Wohnung nehmen und die Kinder gewissenhaft großziehen. Notfalls gehe ich betteln, um Brot kaufen zu können.“ [2] Solche Stimmen sind jedoch kaum zu hören. Denn die Perspektive der Betrachtung hat sich von jener der Frau hin zu jener der Gesellschaft verschoben. „Gewalt wird sozusagen an dem angerichteten ‚Schaden‘ gemessen.“ [3] Es geht nicht mehr um die Erfahrung oder die Bewältigung durch die Frau, sondern um eine „Schadensminimierung“ für die Gesellschaft: das Wiederherstellen der Beziehungen zwischen Männern und Frauen, insbesondere der (hetero-)sexuellen Beziehungen, und das Ungeschehen-Machen der Schwangerschaften.

Die große Zahl der Vergewaltigungen in Kriegen darf nicht verleugnet werden, doch liegt in ihnen eine Fortsetzung oder Eskalation der Strukturen in „Friedenszeiten“. Daß sie eine „ethnische“ Komponente haben sollen, wird durch mehrere Beispiele in Frage gestellt: Der Gewaltpegel steigt auch dort, wo kein Krieg geführt wird, doch die Gesellschaft militarisiert ist. So wurde in Israel 1991 – während des Golfkriegs – mehr vergewaltigt, in Kroatien stieg während des Kriegs auch die Gewalt innerhalb der Familie. 1945 vergewaltigten Soldaten der Besatzungsmächte nicht nur deutsche Frauen, sondern auch Jüdinnen. Die Gewalt der irakischen Soldaten in Kuwait richtete sich auch gegen Gastarbeiterinnen ägyptischer und philippinischer Herkunft.

Vergewaltigungen im Krieg unterscheiden sich nicht durch die ihnen zugeschriebene Systematik im Krieg, sondern durch die im Krieg veränderten Rahmenbedingungen, wie erhöhte Gewaltbereitschaft, soldatische Eroberungsphantasien. Die Gewalt richtet sich gegen Frauen, „weil sie Objekte eines fundamentalen Hasses sind, der das kulturelle Unbewußte charakterisiert und in Krisenzeiten aktualisiert wird.“ [4] Krieg wird in der Psychoanalyse auch als Perversion der Sexualität betrachtet, [5] denn am Anfang von Kriegen steht die Gruppenphantasie einer Vergewaltigung. Präsident Johnson sagte bei der Bombardierung Vietnams: „Ich habe Ho Chi Minh nicht bloß einfach gebumst; ich habe seinen Schwanz abgeschnitten“, der Einmarsch der Deutschen in Belgien im Ersten Weltkrieg wurde als „Rape of Belgium“ bezeichnet. Die dem Soldaten genommene Selbstverantwortung ermöglicht die Umsetzung der Phantasien. Es ist also nicht die „weibliche Masse“, die vergewaltigt wird, sondern eine soldatische, militarisierte Masse, die vergewaltigt.

[1Und auch als Terroristinnen: Prima Linea, ETA, IRA, Action directe, Brigate Rosse hatten in den 70er und 80er Jahren hohe Frauenanteile. Die RAF bestand zur Hälfte aus Frauen und hatte unter den SympathisantInnen einen noch größeren Frauenanteil.

[2zit. nach Kappeler 1994, 57, in: Kappeler, Susanne/Mira Renka/Melanie Beyer (Hg.): Vergewaltigung, Krieg, Nationalismus. Eine feministische Kritik, München (Frauenoffensive) 1994.

[3Kappeler 1994, 54.

[4Seifert, Ruth: Krieg und Vergewaltigung. Ansätze zu einer Analyse, in: Alexandra Stiglmayer (Hg.): Massenvergewaltigung. Krieg gegen die Frauen, Frankfurt/M. (Fischer) 1993, 105.

[5vgl. Thea Bauriedl: Die Wiederkehr des Verdrängten. Psychoanalyse, Politik und der Einzelne, München (Piper) 1988, 178f.