MOZ, Nummer 54
Juli
1990
DDR-Medien:

Made by Springer & Co

Nach der „Wende“ treffen einander nun Vertreter westdeutscher Unternehmen zum Medieneinkauf in der Noch-DDR. Quasi im rechtsfreien Raum werden — nach unterschiedlichsten Vorstellungen — Fakten geschaffen.

Springer & Co treffen einander zum DDR-Shopping
Bild: Karl Lind

Es war kein Tag des Hans Bentzien. Der Intendant des Deutschen Fernseh-Funks (DFF), Herr über rund 7.500 Bedienstete, mochte den Interviewtermin nicht mehr einhalten. An seiner Statt standen, abwechselnd, der Chef der Öffentlichkeitsarbeit sowie der verantwortliche Chefredakteur zur journalistischen Verfügung. Derweil Big Boss andernorts seine Demission nüchtern zur Kenntnis nahm.

Während des zweistündigen Gesprächs skizzierten die beiden Mittfünfziger dann zwar ihre Vostellungen von der Zukunft des DDR-Fernsehens, alleine, den nicht ganz freiwilligen Rücktritt ihres Herrn erwähnten sie nicht.

Erst einige Stunden später, beim Gespräch mit einer Ostberliner Schriftstellerin in einem Cafe vor dem Palast der Republik, erzählte uns ein befreundeter Fernsehredakteur vom nachmittäglichen Medienereignis: Hans Bentzien, der Intendant, der war nicht mehr.

Die beiden DFF-Propagandaobristen leiden an der verfahrenen Situation, denn zur Zeit stirbt sich’s schnell und unverhofft in der DDR. Es ist dies die Zeit der unverbindlichsten Formulierungen, der vagen Auskünfte, der praktizierten Wendehalsigkeit. Erwischt’s heute den Nachbarn — morgen ist man, mag sein, vielleicht selbst der nächste.

Unsicherheit, Konzept- wie Perspektivenlosigkeit, Angst und Vorsicht prägen die Atmosphäre in Berlin/Ost, Leipzig und Dresden — vier Wochen vor der Währungsunion.

Seit das ehemalig sozialistische Ungarn seine Grenzen gen Westen für DDR-Bürger und Bürgerinnen öffnete, ist nichts mehr so, wie es mal war im Ex-Arbeiter- und Bauernstaat. Innerhalb weniger Wochen wurde wahr, womit keine/r gerechnet hatte, die DDR, die gibt’s nicht mehr. „Die Öffnung der Ungarngrenzen“, meint Holger Haase, Chef vom Dienst der „Berliner Zeitung“, „hat wie ein Katalysator gewirkt. Alles kam in Bewegung.“

Und mit der Bewegung kam die Neue Unsicherheit. Hatte man vor der „sanften Revolution“ noch eindeutige inhaltliche SED-Orientierungshilfen in den Redaktionen von Presse, Rundfunk und Fernsehen, weiß man heute nicht so recht, was tun und was wird. Weder Gesetze noch Richtlinien regeln das Spiel um die Medien, alles bleibt erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist.

Vor nicht allzulanger Zeit war die Welt noch in Ordnung. So erklärte der Ex-Ost-Berliner SED-Chef Günter Schabowski im Jahre 1983 — anläßlich einer Medienkonferenz in Sofia — seine Sicht der Dinge: Mit dem Aufdecken von Fehlern durch die Presse würden, so der Sekretär, dem Klassenfeind in nahezu verräterischer Manier Achillesfersen entblößt. Also wurde geschwiegen, der Klassenfeind hatte im Dunkeln zu tappen. Schabowskis Tip an die Journalist/inn/en: Durch Aufzeigen positiver Beispiele kritisiere man, sehr subtil und pädagogisch, die weniger positiven Erscheinungen. Ergebnis der SED-Mediendoktrin: Minuten- bzw. seitenlanges Aufzählen diverser Titel und Orden, öde Berichte in Presse und Fernsehen über zufrieden arbeitende Menschen, elendslange Bildstudien über wohlig grasende ostdeutsche Kühe usw.

Auch die ostdeutsche Nachrichtenagentur ADN blieb auf SED-Kurs: Meldungen etwa, die als besonders ‚heikel‘ eingestuft wurden, hatte man vor der Veröffentlichung, mit einer speziellen elektronischen Codierung versehen, ans Zentralkomitee der SED zu senden und Anweisungen abzuwarten. Gingen die Nachrichten dann mit dem Vermerk „Achtung Chefredakteure“ raus, wußten die Redaktionen, wo’s langzugehen hat: Das Ereignis muß, wie es die Herren wünschen, als Aufmacher ins Blatt oder in die Sendung.

Ebenso aus dem Zentralkomitee erreichten die sogenannten „Weiß-Papier-Meldungen“ die Redaktionen, die wortident unters Volk zu bringen waren. Wieder mal, war darin oft zu lesen, hätten sich zwei oder mehrere Herren über allerseits interessierende Fragen unterhalten. Wobei alleine die Titel der Protagonisten Spalten füllten.

In der letzten Zeit vor der „Wende“ jedoch zeigte sich der Generalsekretär der SED, Erich Honecker, immer öfter bereit, selber mal zum Schreibstift zu greifen. Just zur Mittagszeit pflegte der Sekretär seine Ideen zu Papier zu bringen, schnell hingeworfen auf ein paar Servietten, brachten Boten die Honecker-Depeschen als Weiß-Papier-Meldungen der besonderen Art zur Weitergabe.

Auch vor der Kamera war Honi stets präsent. Als etwa am 15. April 1985 US-Bomber libysche Städte angriffen, brachte die „Aktuelle Kamera“ erstmals 20 Minuten Honecker beim Parkeröffnen vorne weg.

Empörte OstberlinerInnen protestieren gegen die ‚Wiedervereinigung‘
Bild: Karl Lind

Was immer sich auch ereignete, was davon geschrieben oder gesendet wurde, bestimmte das ZK der SED. Gelegentlich übte man sich in kaum überbietbaren Zynismen. So schrieb ein Kommentator nach der Selbstverbrennung des Pfarrer Brüsewitz in den 70er Jahren, in der DDR hätte jeder das Recht, nach seiner Fasson glücklich zu werden. Noch in der letzten Woche vor dem Fall der Grenzen ward allerorts verkündet, man weine den Ausreisenden keine Träne nach. Eine Sensationsreportage des „Neuen Deutschland“ ließ denn auch aufhorchen. Man habe, so die Tageszeitung, einen Mitropa-Koch mit Menthol-Zigaretten betäubt und danach in die BRD verschleppt. „ND“ mußte sich später für den journalistischen Wahnwitz entschuldigen.

Entschuldigungen allerorts

Noch ein wenig später, nach den Leipziger Montagen und dem Rücktritt von Honecker & Co., entschuldigten sich dann alle, die irgendwie mitgemacht hatten, vom Nachrichtenredakteur bis hin zu leitenden SED-Funktionären.

Holger Haase, um die 30 und Chef vom Dienst der „Berliner Zeitung“, braucht sich nicht zu entschuldigen. Er erlebte als Redakteur die Zeit vor der Wende und die Umbruchphase. „Vor der Wende“, meint er, „waren wir, vorsichtig ausgedrückt, sehr unzufrieden mit der Informationspolitik, weil wir am ehesten mitgekriegt haben, was im Land wirklich los ist und wie es verkauft wird. Wir waren ja selber daran beteiligt, es falsch wiederzugeben.“ Nach der Öffnung der österreichisch-ungarischen Grenze habe es auch in den DDR-Medien offen geäußerte Kritik an der Informationspolitik der SED gegeben. Die sei jedoch anfangs von der Partei mit rigorosesten Mitteln unterdrückt worden.

„Dann kam die Umbruchphase, wo die Leute meinten, jetzt kannst du was verändern, jetzt kannst du deinem Auftrag als Journalist nachkommen. Das stieß aber an die Grenze derer, die sagten, das kann doch nicht sein, das machen wir nicht mit, weil noch nicht vorauszusehen war, wohin das führen wird.

Die Künstler hatten zu einer Riesendemo aufgerufen hier in Berlin, für Pressefreiheit, an der eine halbe Million Menschen teilgenommen haben. Die Journalisten aber haben nicht darüber geschrieben, daß da eine Demo für Pressefreiheit stattgefunden hat. Viele waren mit dem nicht einverstanden.“

Er selbst habe einen Leitartikel zum Ereignis verfaßt, der aber nicht erscheinen durfte, „weil die verkrustete Schicht über uns verhinderte, daß so was an die Öffentlichkeit kommen kann. Ende November ist es uns dann gelungen, die Redaktionsleitung auszuwechseln, danach haben wir uns begeistert daran gemacht, den Umgestaltungsprozeß mitzufördern. Das aber betraf nur einen Teil der Redaktion.“ Denn viele hätten nicht verstanden, was da los sei. Im Jänner, Februar und März brachte das Blatt dann Kommentare in ihrer politischen Tendenz von ganz links bis liberal. Reglementierungen gab es keine mehr.

Heute habe sich die Situation wieder beruhigt, die Konferenzen, in denen es um die politische Ausrichtung der Zeitung geht, hätten deutlich abgenommen. Man konzentriere sich wieder aufs Zeitungsmachen, das „Drumherum ist nicht mehr so sehr wichtig.“

Heute ist eben die Welt wieder in Ordnung.

Alice Ströwer, Mediensprecherin der Berliner AL, Mai 1990
Bild: Karl Lind

Maxwell und Gysi

Holger Haase sitzt im vierten Stock des größtes Verlagshauses der DDR, des „Berliner Verlags“. Im Glaspalast am Alexanderplatz herrscht rege Umtriebigkeit, es geht ums große Geschäft. Mitte Mai verkündeten Medientycoon Robert Maxwell und Gregor Gysi, Chef der SED-Nachfolgerin PDS, in einer gemeinsamen Pressekonferenz den Einkauf Maxwells in das Ostberliner Verlagshaus, vor einigen Monaten noch im Alleinbesitz der Sozialistischen Einheitspartei. Das tolle Duo präsentierte der staunenden Journalistenschar die unterschriebenen Vorverträge. Experten schätzen den Wert des DDR-Verlages, mitsamt seinen 1.200 Mitarbeiter/innen, Gebäuden und völlig veralteten Druckereien, auf runde 900 Millionen West-Mark.

Nicht nur der „Berliner Verlag“ muß sich um westliche Partner bemühen, sämtliche ostdeutsche Zeitschriften und Zeitungen sind von der „Wiedervereinigung“ existenziell bedroht, da an Konkurrenzfähigkeit gegen die bunten Westblätter nicht zu denken ist. So hat sich bereits jeder westdeutsche Verlag, der was auf sich hält, im Osten ein Stück Medium zugelegt. (Einkäufe siehe nebenstehenden Kasten). Bis zur Währungsunion allerdings sind Mehrheitsbeteiligungen untersagt, erst nach dem Stichtag sollen Aufkäufe erlaubt sein.

Die PDS, Besitzerin von 17 der 38 DDR-Tageszeitungen, hat für den Tag X bereits vorgesorgt. Fünfzehn ihrer Titel ließ sie ins Volkseigentum überführen, kostenlos, allerdings mit einer Vertragsklausel: Sollten die Volkseigentümer zu über 50% Westkonzerne beteiligen, müßten diese an die PDS den realen Wert der Zeitungen nachzahlen. Gysi & Co. erhoffen sich somit ein Zurückhalten der Westverlage und damit Sicherung der Arbeitsplätze, doch mit wenig Chancen auf Erfolg. So denkt man bereits laut darüber nach, die PDS schlicht zu enteignen, sind doch gerade die DDR-Regionaltageszeitungen für die „Westler“ von weit grösserer Bedeutung als die überregionale Presse. Denn die — in ihrem Einzugsgebiet dominierenden — Regionalblätter mit Platzhirschposition sind schwierig, weil kostenintensiv zu konkurrenzieren.

Ohne Westverlage läuft nichts mehr im Osten, wo, seit der Wende, Zeitungen wie Zeitschriften mit den Tücken des freien Marktes kämpfen. Im gesamten Bereich der Logistik sind die Ostdeutschen hoffnungslos hinten nach. So könnte etwa die „Berliner Zeitung“ weit mehr Inserate plazieren, alleine: Papier ist kontingentiert in der DDR.

Mit dem Wegfall der staatlichen Subventionen für die Ex-SED-Presse sind nun Mehreinnahmen jedoch von dringlichster Aktualität, denn den Ausgleich für die verlorenen Staatsgelder ausschließlich über den Verkaufspreis reinzukriegen, ist undurchführbar. Zudem arbeiten die Druckereien auf einem technisch längst weit überholten Stand.

Nicht nur der Druck macht Probleme, auch der Vertrieb läßt zu wünschen übrig. Die „Berliner Zeitung“ haderte lange mit ihrem Schicksal und der Ostpost, die für den Vertrieb der Tageszeitungen zuständig ist. „Unserer Meinung nach wurden wir boykottiert“, meint Haase, denn die Zeitungen erreichten die Abonnenten manchertags erst am Nachmittag. „Damit sind wir am Kiosk bereits um acht Uhr ausverkauft und können unmöglich nachliefern.“ Ein Problem, nicht nur für die „Berliner Zeitung“, die rund 327.000 Exemplare ihrer Gesamtauflage von 400.000 im Abo vertreibt.

Die PDS hat für den Tag ‚X‘ vorgesorgt
Bild: Karl Lind

Wesentlicher Zwang zur West-Ost Kooperation auch die Inseratenakquisition, sind doch die ostdeutschen Verlage beinahe gänzlich unerfahren mit allem, was Werbung betrifft. Seit dem Ministerratsbeschluß zum Thema aus dem Jahre 1984, der die Auflösung der Werbeabteilungen in den Betrieben vorschrieb, beschränken sich die einschlägigen Aktivitäten auf den Abdruck von Kleinanzeigen.

Logistische Nachteile, drastische Unterkapitalisierung, Unerfahrenheit mit Marktmechanismen und Konkurrenzkämpfen wie Monopolbildungen verheißen den Ostprodukten keine allzu rosige Zukunft nach der Union, wenn sämtliche bunten und beliebten Westprodukte zum obligaten DM-Preis und in beliebiger Auflagenhöhe vertrieben werden dürfen.

Die Folgen der deutsch-deutschen Annäherung sind bereits jetzt zu spüren: Die Post mußte für die 9 DDR-weit vertriebenen Titel in der Zeit vom Dezember ’89 bis Mai ’90 rund 1,7 Millionen Abbestellungen registrieren, mithin ein Rückgang von nur unwesentlich weniger als 50%. Besonders hart erwischte es das „Neue Deutschland“ mit runden 65% weniger verkauften Exemplaren.

Für die „Berliner Zeitung“ sieht Haase nicht allzu schwarz, denn die sei, auf Grund ihrer speziellen Situation als einzige Nicht-SED-Überregionale, noch relativ bevorzugt. Irgendwo, zwischen der links-alternativen „taz“ und dem liberalen Berliner „Tagesspiegel“ ortet er die Nische für sein eigenes Blatt. „Wir kriegen auch viele Briefe von unseren Lesern“, weiß er, „die uns dafür loben, daß wir so übersichtlich und klar sind.“ Denn die Ostdeutschen hätten — noch — Schwierigkeiten, die oft kiloschweren Westprodukte zu konsumieren. Ebenso seien die westlichen Anglizismen östlicherorts weitenteils noch unbekannt und damit unbeliebt.

Aber nicht nur für Zeitungen und Zeitschriften droht die Übernahme durch Westverlage, auch die einzige ostdeutsche Nachrichtenagentur, die ADN, wird die „Wiedervereinigung“ nicht überstehen. Bis März des heurigen Jahres mit einem Monopol ausgestattet, sieht sie sich seit 1. April mit den quicken Westagenturen in Konkurrenz. Besonders die DPA (Deutsche Presse Agentur) weiß die Medienverantwortlichen zu überzeugen: Drei Monate lang Gratisbelieferungen mit Meldungen aus aller Welt, danach noch geraume Zeit Bezug zum vergünstigten Tarif. Ein Kampf, den die ADN nicht überleben wird, lediglich einige ihrer bekannten Osteuropaexperten werden die Fusion unbeschadet überstehen.

Rund 30 Schnellbahnminuten vom Alexanderplatz entfernt liegt der Ostberliner Adlershof, Sitz des Deutschen Fernseh-Funks (DFF). Graue Baracken, veraltete Technologie, graue Menschen, die schon jahrzehntelang den Staatsfunk am Leben erhalten. Graue Wände auch innen, variierend mit vergilbten Farben aus den fünfziger Jahren. Blümchenvorhänge an den Fenstern, selbst in den Studios. Und überall der penetrante Geruch nach Ost-Desinfektionsmittel aus den sanitären Anlagen. Plastikbelag auf den Böden, bröckelnder Verputz an den Außenwänden.

Rolf-Dieter Eichler und Herbert Kraus, die beiden Chefs der PR-Abteilung des Unternehmens, haben hier Jahrzehnte ihres Lebens verbracht. Die beiden kennen die Gepflogenheiten und die Geschichte des staatlichen Fernsehens ganz genau.

Holländische männliche Touristen versuchen die Berliner Mauer zu überwinden
Bild: Karl Lind

Zum Geburtstag Stalins

Am 21. Dezember 1952 begann der Ostfernsehsender zu funken, mithin zu Stalins Ehren und deshalb an dessen Geburtstag. Jahrzehntelang diktierte und kontrollierte das ZK der SED — über den Vorsitzenden des staatlichen Fernsehkomitees — die Programme. Der lange Zeit verantwortliche Joachim Herrmann sitzt heute im Knast, viele seiner Mitläufer in den vordersten Reihen mußten ihren Dienst quittieren.

Über 7.000 Mitarbeiter/innen beschäftigt der DFF, rund zwei Drittel zählen zum technischen „Studiobetrieb Post“. Information und Unterhaltung werden im Adlershof produziert, die „Fernsehdramatik“ in Berlin-Schönefeld, Dokumentarfilme entstehen in den DEFA-Studios in Babelsberg. Spielfilme, mit denen man die westliche Konkurrenz niederhalten wollte, stammen fast ausschließlich aus den riesigen Beständen des Münchners und Gerd Bacher-Freundes Leo Kirch. Kirchs visuelles Junk-Food dominiert denn auch mit einem Anteil von rund 60% das DFF-Programm, mithin der Grund, warum heute das DDR-Fernsehen nicht ins bundesdeutsche Kabelnetz eingespeist werden darf.

Ausgebildet wurden die rund 600 Fernsehjournalisten — bis auf wenige Ausnahmen — in Leipzig. Einer Dissertation des jetzigen Leiters des Grimme-Instituts, Lutz Hachmeister, ist zu entnehmen, wie abenteuerlich die Leipziger diverse Wenden vollzogen haben.

Im Jahre 1916 entstand dort das erste „Institut für Zeitungskunde“, 1933 sah man sich bemüht, eine „möglichst reibungslose Integration liberaler bis konservativer Publizisten“ ins Dritte Reich zu erreichen, ansonsten es „einen Zusammenbruch des Pressewesens gegeben hätte.“ 1954 dann baute die SED zum Zwecke eines „völligen Neubeginns“ die Leipziger „Fakultät für Journalistik“ als „Rotes Kloster“ auf. „Es ist richtig, schreibt Erika Butzek, „ob rot oder braun, die Begriffe ‚Agitation‘ und ‚Propaganda‘, die Journalisten anstatt an Demokratie an ein totalitäres System binden, blieben weiterbestehen. Allerdings durften die Gelehrten der braunen Schule fortan nur in der BRD ihre Flexibilität beweisen.“

Heute gibt man dem DFF und dem Deutschen Rundfunk keine Chance. Obwohl sich DDR-Politiker wie DFF-Vertreter um Eigenständigkeit als dritte öffentlich-rechtliche Anstalt in einem „wiedervereinigten“ Deutschland bemühen, wird dem Staatsfernsehen nur die Resignation vor der Realität bleiben. Allenfalls noch zu klären ist die Frage, in welcher Form die Auflösung erfolgen wird.

So reicht das Spektrum der Absichtserklärungen westlicher Politiker, Repräsentanten der beiden öffentlich-rechtlichen Anstalten und der privaten Medienunternehmen von der totalen Privatisierung über die Eingliederung in ARD und ZDF bis hin zu Forderungen nach einer internen Abkehr vom Intendantenprinzip und allumfassender Demokratisierung. Alleine, gemessen an den realen Kräfteverhältnissen, wird DFF 1 der ARD angegliedert, DFF 2 dem ZDF zugesprochen werden. Und dies nach dem sogenannten „dualen System“ der BRD, das ein Nebeneinander von privaten und öffentlich-rechtlichen Programmanbietern vorsieht.

Doch die Ostpolitiker und Medienverantwortlichen geben sich so leicht nicht geschlagen. Seit dem Februar des heurigen Jahres basteln sie an einem eigenen Gesetzesentwurf zum Thema Medienpolitik, der spätestens im Herbst von der Volkskammer verabschiedet werden soll. Zweck der Aktion: Die Verhinderung des totalen Ausverkaufs an bundesdeutsche Verlage und Fernsehanstalten.

Ein eigens dafür gegründetes Medienministerium soll sich, gemeinsam mit dem Volkskammer-Medienausschuß und dem Medienkontrollrat, einem Überbleibsel aus der Zeit des „Runden Tisches“, ans Gesetzeswerk machen. Pfarrer Gottfried Müller, zur Zeit nebenberuflicher Medienminister mit Sitz im ehemaligen Goebbelschen Propagandaministerium, gilt Eingeweihten als Garant für die beinharte Durchsetzung ostdeutscher Vorstellungen einer zukünftigen Medienstruktur gegen die westliche Übermacht. Auf die Frage, ob private Anbieter bald in der DDR zugelassen werden, er sich also über deren Programme informieren müsse, antwortete er dreist: „Das werden wir auch machen. Beim Rundfunk kriegt man ja per Autoradio einiges mit, diese Frequenzen um die 100 rum. Ich verstehe schon, warum die beim Publikum ankommen. Die Lockerheit, mit der da gearbeitet wird, finde ich beachtlich.“

Was die westdeutschen Kollegen davon halten, haben sie im April eindrucksvoll bewiesen. Innerhalb kürzester Zeit teilten sich vier Großverlage das Gebiet der DDR — zum Zwecke des Vertriebs — generalstabsmäßig untereinander auf, um ein Fait accompli zu schaffen. Praktisch über Nacht und höchst illegal.

Einsprüche gab es, bis auf den des westdeutschen Kartellamtes, keine.

Beteiligungen, Käufe und Kooperationen — Ergebnisse des jüngsten Einfalls westlicher Verlage in die DDR

1. Axel Springer Verlag AG

  • Märkische Volksstimme, Potsdam. Auflage: 391.200, Beteiligung wird ausgehandelt.
  • Ostsee-Zeitung, Rostock. Auflage: 272.200
  • GmbH mit Lübecker Nachrichten (49% bei Springer) geplant.
  • Sächsisches Tageblatt, Leipzig. Auflage: 68.100, GmbH mit Hamburger Abendblatt (100% Springer).
  • Norddeutsche Zeitung, Schwerin. Auflage: 23.000, GmbH mit Hamburger Abendblatt s.o.
  • Liberal-Demokratische Zeitung, Halle. Auflage: 55.000 GmbH mit Hamburger Abendblatt s.o.
  • Der Morgen, Berlin. Auflage: 60.000. Jointventure mit Berliner Morgenpost (100% Springer).
  • Sportverlag, Berlin. Aufkauf durch Springer.
  • Sportecho, Auflage: 66.000
  • Fußballwoche, Auflage: 285.000
  • Sächsische Neueste Nachrichten, Dresden. Auflage: 25.000, Verhandlungen mit Springer, Bauer und Gruner & Jahr über gemeinsame GmbH.
  • Mitteldeutsche Neueste Nachrichten, Leipzig. Auflage: 22.400, Verhandlungen mit Springer, Bauer und Gruner& Jahr über gemeinsame GmbH.

2. Die britische Mirror-Gruppe

(Maxwell Communication Corporation) beteiligt sich am Berliner Verlag. Hinzu kommt ein noch nicht genanntes renommiertes ‚Verlagshaus‘ der BRD. Nach Informationen der Redaktion das blatt handelt es sich dabei um die Axel Springer Verlag AG. Im Berliner Verlag erscheinen:

  • Berliner Zeitung
  • BZ am Abend
  • Wochenpost
  • Für Dich
  • Neue Berliner Illustrierte
  • Freie Welt
  • Weltbühne

3. Heinrich Bauer-Verlag, KG Hamburg

Verlag Junge Welt gemeinsame Tochtergesellschaft (gleiche Beteiligung), die Bücher, Kinder- und Jugendpublikationen herausgeben wird.

Tochtergesellschaften vorgesehen mit

  • Magdeburger Volksstimme, Auflage: 431.400
  • Märkische Oderzeitung, Frankfurt/Oder, Auflage: 20.100
  • Schweriner Volksszeitung, Auflage: 191.300
  • Nordkurier, Neubrandenburg. Auflage 198.900

Kooperationsvertrag geschlossen mit Norddeutsche Neueste Nachrichten, Rostock, Auflage: 38.300

Verlag Technik zur Zusammenarbeit bei der Entwicklung der Zeitschrift KFT (Kraftfahrzeugtechnik).

Kooperation in Aussicht gestellt mit:

  • Brandenburgische Neueste Nachrichten, Auflage: 19.900
  • Norddeutsche Neueste Nachrichten, Auflage: 38.300
  • Sächsische Neueste Nachrichten, Auflage: 25.000
  • Mitteldeutsche Neueste Nachrichten, Auflage: 22.400 (beide verhandeln auch mit Springer, Gruner & Jahr).

4. Burda GmbH

Herausgabe der Programmzeitschrift Super-TV gemeinsam mit dem Gong-Verlag und der Thüringer Allgemeinen, Auflage: 400.000

5. Frankfurter Allgemeine Zeitung

beabsichtigt ist die Gründung einer gemeinsamen (jweils 50%) Tochtergesellschoft der VOB Union und der FAZ, die folgende Zeitungen einbezieht:

  • Neue Zeit
  • Der Demokrat, Rostock
  • Neuer Weg, Halle
  • Thüringer Tagblatt, Weimar
  • Die Märkische, Berlin

Gesamtauflage: 280.000. FAZ-Verlag liefert o.g. Tageszeitungen eine Wochenendbeilage.

6. Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ-Gruppe)

beabsichtigt sind Gemeinschaftsunternehmen mit:

  • Leipziger Volkszeitung, Auflage: 451.500
  • Ostthüringer Nachrichten, Gera, Auflage: 220.400
  • Thüringsche Landeszeitung
  • Thüringsche Neueste Nachrichten, Weimar, Auflage: 108.600
  • Thüringer Allgemeine, Erfurt, Auflage: 393.300

7. Gong-Verlag, Nürnberg

(siehe "Super-TV’ mit Burda GmbH)
besorgt das Anzeigen-Geschäft für die im Verlag für die Frau erscheinende Modezeitschrift Prame

8. Gruner & Jahr, Hamburg

plant eine gemeinsame Tochtergesellschoft mit der Sächsischen Zeitung, Dresden, Auflage: 544.700 und dem Grafischen Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden bei Mehrheitsbeteiligung der DDR-Partner.

9. Militaria-Verlage der BRD

sind beteiligt an der Brandenburgischen Verlagsanstalt. Publikationen des Verlages:

  • Funkamateur, Auflage: 110.000
  • Sport + Technik, Auflage: 200.000
  • Modellbau, Auflage: 57.000
  • Fliegerrevue, Auflage: 55.000
  • Visier

10. Sebaldus Druck und Verlag GmbH

kooperiert mit Verlag für die Frau, Leipzig. Absichtserklärung zur Gründung einer GmbH für den Zeitschriftensektor. Wichtigste Publikationen:

Pramo, Auflage: 780.000
Modische Maschen, Auflage: 650.000
Guter Rat, Auflage: 782.000
Saison, Auflage: 221.000
Sybille, Auflage: 200.000

11. Stuttgarter Verlag Motorpresse

hat Gemeinschaftsunternehmen mit transpress-Verlag gebildet. Plant ein gemeinsames Automagazin mit 750.000 Auflage.

12. Der bayerische Landwirtschaftsverband plant GmbH mit Deutschem Bauernverlag

wichtige Publikationen:

Bauernecho, Auflage: 100.000
Garten und Kleintierzucht, Auflage: 768.000
Der Hund, Auflage: 164.000
Gärtnerpost, Auflage: 25.000

13. Sonstige

  • Volksblatt Berlin-West gibt gemeinsam mit der Märkischen Volksstimme den Havelland-Anzeiger heraus.
  • Die Saarbrücker Zeitung (52% Holtzbrinck-Erbengemeinschaft) und die Lausitzer Rundschau Cottbus wollen ein Gemeinschaftsunternehmen gründen.
  • Das Bielefelder Westfalenblatt gibt die Eisenacher Tagespost heraus, Auflage: 50.000.
  • Die Hannoversche Allgemeine Zeitung, Verlogsgesellschaft Madsack GmbH & Co, erscheint als Magdeburger Allgemeine mit entsprechendem Lokalteil.
  • Die Freie Presse Karl-Marx-Stadt verhandelt mit der Medien-Union-Ludwigshafen über eine Tochtergesellschaft.
  • Die Marburger Neue Presse verhandelt mit freies wort Suhl über eine Beteiligung.
  • Der Stuttgarter Verlag Motor-Press hat mir dem transpress-Verlag eine Tochtergesellschaft gegründet.
  • Die Frankenpost in Hof gibt gemeinsam mit dem Verlag Neuer Vogtländischer Anzeiger in Plauen den Vogtlandanzeiger heraus.
  • Das Meininger Tageblatt, Auflage: 11.000, wird gemeinsam mit der Saale-Zeitung Bad Kissingen herausgegeben.
  • Die Volksstimme Potsdam, die Märkische Oderzeitung und die Lausitzer Rundschau Cottbus geben gemeinsam mit der Nordwest-Zeitung in Oldenburg die Märkische Woche, Startaufloge: 50.000 heraus.
  • Die neue Presse Coburg vertreibt eine Thüringer Ausgabe mit 11.000 Auflage
  • Die Lübecker Nachrichten vertreiben mit 32.000 Auflage eine Mecklenburger Ausgabe.
  • Der Frankenpost Verlag Hof vertreibt mit 15.000 Auflage die Thüringenpost und mit 15.000 Auflage die Auchenpost.
  • Die Druck- und Verlagsanstalt das blatt in Berlin hat das Magazin Poseidon gekauft. Auflage: 15.000.
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